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Titel
Rechtstitel und Herrschaftssymbol. Studien zum Umgang der Empfänger in Italien mit Verfügungen Friedrichs II. (1194–1250)


Autor(en)
Vogeler, Georg
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 138
Erschienen
Berlin 2019: de Gruyter
Anzahl Seiten
IX, 486 S.
Preis
129,95 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Giuseppe Cusa, Historisches Institut, RWTH Aachen Universität

Georg Vogelers Habilitationsschrift ist in München am Lehrstuhl Walter Kochs in unmittelbarer Nähe zum Langzeitprojekt „Edition der Urkunden Kaiser Friedrichs II.“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften entstanden. In seiner kulturhistorischen wie diplomatischen Studie betrachtet der Verfasser vergleichend, welche Erwartungen Rezipienten aus dem Regnum Italiae und dem Regnum Siciliae an die Urkunden des letzten Stauferkaisers hatten und wie sie mit ihnen umgingen. Folglich geht es ihm neben den Rechtsinhalten insbesondere um die Einbindung der Verfügungen in die vielschichtigen Kommunikationsformen und -dimensionen von Herrschaft. Unter Verwendung der Sprechakttheorie bündelt er verschiedene Forschungsstränge und versucht, „Kommunikationsmaximen“ (S. 2), also ein implizites wie explizites Regelwerk der Zeit herauszuarbeiten. Dafür bezieht er nicht nur die Urkunden in ihren unterschiedlichen Überlieferungsformen, sondern auch dokumentarische, juristische, normative und historiographische Zeugnisse ein.

Nach der Einleitung (S. 1–25) folgt die Arbeit einem „idealtypischen ‚Lebenslauf‘ der Herrscherurkunde aus Sicht der Empfänger“ (S. 24), und zwar zunächst für das sizilische Königreich (S. 29–161) und anschließend für Reichsitalien (S. 165–386): Die beiden Hauptsektionen sind analog strukturiert, setzen bei den generellen Vorstellungen über herrscherliche Anordnungen ein und enden mit der vornehmlich historiographischen Diskussion derselben. Der Aufbau lädt dazu ein, die Kapitel zur jeweiligen Station des curriculum litterae in den beiden Regionen parallel zu lesen. Entsprechend werden im Folgenden wesentliche übergreifende Erkenntnisse besprochen.

Die jeweils ersten Kapitel erörtern die Erwartungen der Empfänger an und ihre Kenntnisse von Herrscherurkunden (S. 29–32, 165–198), die in den Lehrwerken der ars dictaminis und der ars notariae sowie in Rechtstexten im Regnum Italiae eingehender ausgearbeitet wurden als im Regnum Siciliae. Im Süden wurden zur Zeit Friedrichs II. zwar Brief- und Mustersammlungen angelegt, doch biete einzig der Liber Augustalis eine Rechtsvorstellung herrscherlicher Anweisungen. In Reichsitalien sind die Vorstellungen hingegen zahlreicher, oft jedoch nur punktuell oder ungenau artikuliert. Die artes dictandi behandeln Kaiserurkunden – wenig überraschend – nur lakonisch, die artes notariae bieten oftmals bloß Muster für die Ernennung von Notaren. Die Lehrbücher Boncompagnos da Signa und Guido Fabas dokumentieren indes mangelnde Kenntnisse der typischen Urkundenform sowie der Bedeutungen sprachlicher oder graphischer Urkundenelemente. Zudem zeugen sie davon, wie die gesellschaftliche Hierarchie die Interpretation der Herrscherverfügungen prägte.

Anhand von narrationes, Petitionstexten und Briefsammlungen wird in den Abschnitten I.2 und II.2 herausgearbeitet, dass der Bittvorgang in beiden Regna ähnlich ablief und versprachlicht wurde (S. 33–57, 199–213). Das Verfahren, eine Urkunde zu erlangen, bezeichnete man gemeinhin mit impetrare. Petenten erschienen meist aus aktuellem Anlass persönlich am Hof oder entsandten Bevollmächtigte, trugen ihre Bitten vornehmlich schriftlich vor, konnten sie jedoch mündlich ergänzen. In der Frühphase sind im Norden wie im Süden hochrangige Intervenienten auszumachen. Der Hof war auf das Wissen seiner Notare und die Angaben der Impetranten angewiesen, die häufig Vorurkunden vorlegten, die wiederum uneinheitlich – als Insert, Paraphrase oder Verweis – in die Herrschererlasse aufgenommen werden konnten. Bittsteller wie Herrscherkanzlei verwendeten ein Vokabular, mit dem das Rangverhältnis zum Herrscher ausgedrückt wurde. Der Kaiser war indes nahezu unnahbar, gewöhnlich dürften die Petenten mit dem Kanzleipersonal kommuniziert haben, was im sizilischen Regnum die Kanzleiordnung von 1244 so festschrieb.

Im dritten Kapitel wird thematisiert, wie man die Erlasse veröffentlichte und umsetzte (S. 58–112, 252–295). Herrscherbefehle an Funktionäre wurden zuweilen in deren kaum erhaltenen Urkunden inseriert, die vor allem in Inquisitionsprotokollen überliefert sind. Im sizilischen Königreich verfasste man sie nach einem bestimmten Formular, die sprachliche Ausgestaltung war jedoch individuell. In Reichsitalien eingesetzte kaiserliche Stellvertreter aus dem Süden verwandten das ihnen geläufige Modell, wohingegen Schriftstücken norditalienischer Repräsentanten die Regelmäßigkeit abging. Mit den Herrscherurkunden autorisierten sie sich. Damit und mit ihrem Vokabular für die kaiserlichen Verfügungen – u.a. (sacrae imperiales) litterae – bezeugten die Funktionäre ihre Reverenz gegenüber Person und Pergament. Die Urkundenübergabe (repraesentatio litterarum) – im Norden dank der gleichnamigen Protokolle dokumentiert – vollzog sich vor einem unterschiedlich großen, bisweilen politisch bestimmten Personenkreis. Sie bestand aus einem mehrstufigen, Schriftlichkeit, Mündlichkeit und symbolisches Handeln verschränkenden Verfahren, in dem das Schriftstück vorgezeigt, übergeben, entgegengenommen, geöffnet und verlesen wurde. Die breite Öffentlichkeit erfuhr meist erst von den Anordnungen, wenn die verbrieften Rechte ausgeübt wurden.

Den Urkundenabschriften widmet sich das vierte Kapitel (S. 113–130, 296–346). Empfänger fertigten sie aus grundsätzlicher Sorge vor Verlust, Beschädigung oder Zerstörung, überwiegend jedoch aus konkreten Anlässen wie Streitfällen an. Das Formular notarieller Kopien war in Süd- umfassender als in Reichsitalien. Ab dem zweiten Drittel des Duecento gaben süditalienische Notare die Urkundenvorlage nicht nur wörtlich wieder, sondern beschrieben auch das Siegel; in Reichsitalien sind mehr als die Hälfte aller notariellen Abschriften imitative Kopien. Herrscherurkunden – die Notare ähnlich bezeichneten wie Funktionäre – wurden demnach „in ihrer visuellen und sprachlichen Gestalt präsentiert“ (S. 118). Vor Zeugen wurde die Integrität von Original und Abschrift „sicht- und hörbar“ nachgewiesen (S. 305). Verfügungen Friedrichs II. kopierte man auch in Urkundensammlungen, nämlich in die einzigen beiden bekannten süditalienischen Chartulare geistlicher Einrichtungen und in 23 libri iurium nord- und mittelitalienischer Kommunen. In den vorwiegend nach Sachthemen oder nach Hierarchie der Aussteller organisierten kommunalen Kopialbüchern sind sie entsprechend eingeordnet.

Archivierung und Verwendung der Bestimmungen werden im fünften Kapitel behandelt (S. 131–149, 347–355). Kirchliche Institutionen im Norden wie im Süden verwahrten Urkunden in der Sakristei, die Kommunen Nord- und Mittelitaliens in ihren Archiven, für süditalienische Klöster und Städte fehlen gesicherte Angaben. Vereinzelt lassen sich befristete Überlassung und Deponierung bei Dritten nachweisen. Vermerke auf den Schriftstücken sind archivalische Hilfsmittel, die deren Ablage wie Nutzung dokumentieren. Sie enthalten Rang und Name des Ausstellers, Dokumenttyp, Rechts- und Besitztitel, im Süden ferner Präsentationsvermerke, im Norden richterliche Einsichtnahmen. Vor Gericht dienten Herrscherurkunden als Rechtstitel und Beweismittel, sie wurden eingesehen, vorgezeigt, verlesen und kopiert. Relevant war einzig der Inhalt, nicht die Form, wenngleich die Beweiskraft gelegentlich erfolgreich mit dem Argument angefochten wurde, dass die Verfügung unter Angabe falscher Tatsachen erworben worden sei.

In der zeitgenössischen und zeitnahen Geschichtsschreibung finden Herrscherverfügungen selten Erwähnung, wie die je sechsten Kapitel erhellen (S. 150–159, 356–381). Geistliche wie laikale Historiographen interessierten sich eher für die persönliche Kommunikation mit dem Regenten sowie für dessen Aufenthalte vor Ort oder in der Umgebung. Eine Ausnahme stellt die Chronik des Richard von San Germano dar, der mehrere Herrscherurkunden anführt, in nicht-schriftliche Kommunikationsakte einbettet und vermutlich selbst gesehen haben dürfte.

Ein Schlusskapitel fasst die Ergebnisse zusammen (S. 387–399). Beigegeben sind Verzeichnisse der gedruckten wie ungedruckten Quellen – inkl. Archivalien, die keinen Eingang in die Studie gefunden haben – und der Literatur (S. 411–467) sowie ein Personen- und Ortsregister (S. 469–486).

Aufgrund der Struktur der Arbeit werden einige Herrscherverfügungen nicht en bloc behandelt, sondern in den jeweiligen Kapiteln wiederaufgegriffen, was bei der verarbeiteten Informationsmasse die Aufmerksamkeit des Lesers herausfordert und gelegentlich zu Redundanzen führt (z.B. S. 235–237, 363–365 zu einer Passage in der Chronik Rolandinos von Padua, inkl. divergierender Forschungsmeinungen). Hilfreich gewesen wären statistische Übersichten zu verschiedenen Aspekten wie etwa der geographischen und zeitlichen Verteilung der Urkunden, des Verhältnisses von Originalen zu Abschriften oder von einfachen zu imitativen Kopien, denn die wenigen Zahlenangaben im Text hätten einer ausführlicheren Erläuterung bedurft (z.B. S. 21, 62, 307).

Die imponierende Materialsichtung und -verarbeitung Vogelers wird dadurch aber keinesfalls geschmälert. Die Quellenzeugnisse werden umsichtig eingeordnet, zuverlässig ausgewertet und überzeugend interpretiert. Es gelingt dem Verfasser eindrücklich, die Ausstellung, Umsetzung, Bewertung, Nutzung und Aufbewahrung der friderizianischen Urkunden auf italischem Boden zu veranschaulichen.

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