J. Torrie: German Soldiers and the Occupation of France

Titel
German Soldiers and the Occupation of France 1940–1944.


Autor(en)
Torrie, Julia S.
Reihe
Studies in the Social and Cultural History of Modern Warfare
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 276 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sina Fabian, Institut für Geschichtswissenschaften, Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus, Humboldt-Universität zu Berlin

Julia S. Torrie widmet sich in ihrer Studie der deutschen Okkupation Frankreichs während des Zweiten Weltkriegs. Dabei verfolgt sie einen „bottom-up“-Ansatz, indem sie insbesondere die Wahrnehmungen und Erfahrungen „einfacher“ Wehrmachtssoldaten in das Zentrum ihrer Untersuchung rückt. Dazu hat Torrie in einer Vielzahl von deutschen und französischen Archiven recherchiert und eine Fülle von Tagebüchern, Briefen und Fotografien untersucht. Im Zentrum stehen nicht die militärische und politische Perspektive der Besetzung, sondern die Konsum- und Freizeitmöglichkeiten, die Wehrmachtssoldaten in den Jahren 1940 bis 1944 zur Verfügung standen und die sie intensiv nutzten.

Frankreich nahm unter den besetzten Gebieten eine, wie Torrie wiederholt betont, Sonderstellung ein. Nach dem Beginn des Ostfeldzugs wurden Einheiten und Verbände nach Fronteinsätzen nach Frankreich transportiert, um sich dort zu erholen und neu zu organisieren. Die NS- und die Wehrmachtsführung förderten deshalb explizit Konsum- und Freizeitaktivitäten. Allerdings antizipierten sie auch die Gefahr, dass die dort stationierten Soldaten „westweich“ wurden, es ihnen also vermeintlich an Disziplin, Härte und militärischem Drill fehlte, die für den Krieg im Osten dringend gebraucht würden. Diesem ambivalenten Verhältnis geht Torrie in sieben Kapiteln nach.

Im ersten Kapitel widmet sie sich den Vorstellungen und Konzepten der Besetzung Frankreichs. Diese sollte der nationalsozialistischen Vorstellung einer „deutschen Kulturnation“ entsprechen und keinen Anlass zu Vorwürfen der Barbarei wie im Ersten Weltkrieg bieten. Insbesondere ältere deutsche Soldaten konnten an ihre Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg anknüpfen, da ihnen sowohl die besetzten Gebiete als auch die Kultur und Sprache nicht fremd waren.

In Kapitel zwei stehen die Konsummöglichkeiten, die sich während der Okkupation Frankreichs ergaben, im Vordergrund. Ähnlich wie Götz Aly schildert Torrie detailreich anhand von Tagebucheinträgen und Briefen den teilweise exzessiven Konsum von Wehrmachtssoldaten in Frankreich. Einen großen Teil schickten diese freilich zu ihren Angehörigen ins Reich. Sie plädiert dafür, das Erwerben von Gütern auch als Konsum und nicht nur als Plünderungen zu verstehen und ihn in „the broader history of consumption and leisure“ einzubetten (S. 65). Wobei sie zurecht betont, dass die Grenze zwischen beidem verschwamm, schon alleine dadurch, dass die Reichsmark gegenüber dem Franc künstlich aufgewertet wurde.

Da sie in ihrer Argumentation in weiten Teilen Aly folgt, wäre eine intensivere Rezeption der kritischen Diskussion um seine Thesen in „Hitlers Volksstaat“ wünschenswert gewesen. Ebenso hätte das Kapitel von wirtschaftshistorischen Studien zur Besetzung Frankreichs profitiert. Dies hätte ihrer Argumentation mehr Tiefe verliehen und sie davor bewahrt, inhaltliche Fehler Alys zu übernehmen.1 Torrie argumentiert allerdings nicht einseitig und verweist zum einen auf den Zusammenhang zwischen Konsum und Gewalt und betont zum anderen, dass der Konsum vor allem von luxuriösen Gütern die Dominanz der deutschen Besatzer demonstrierte und den Angehörigen zu Hause einen „Vorgeschmack“ auf ein Leben nach dem gewonnenen Krieg gab.

In Kapitel drei und vier untersucht Torrie Tourismus und Sightseeing sowie das Fotografieren deutscher Soldaten. Mit Fotografien widmet sie sich einem Untersuchungsfeld, das in den letzten Jahren zurecht größere Aufmerksamkeit erhalten und innovative Forschungen angestoßen hat. Sie kann daher auf wichtige Ergebnisse, etwa von Petra Bopp, zurückgreifen.2 Torrie verweist im Einklang mit der neueren Forschung auf den Konstruktions- und Inszenierungscharakter der Fotografien.

Insbesondere der Tourismus erwies sich als „double-edged sword“ (S. 97) für die Militär- und Besatzungsverwaltung. Auf der einen Seite forcierten sie ihn, um Soldaten, die von anderen Kriegsschauplätzen zum Ausruhen und Erholen nach Frankreich geschickt wurden, Unterhaltung und Ablenkung zu bieten. Zudem ließen sich, wie auch beim Konsum, durch Tourismus Dominanz und Erfolge des nationalsozialistischen Regimes demonstrieren, etwa durch die touristische Aneignung von Paris. Gleichzeitig gingen damit jedoch auch potenzielle Kontrollverluste einher, etwa Disziplinlosigkeit und das Gefühl, sich im Urlaub anstatt in einem militärisch besetzten Gebiet im Kriegszustand zu befinden. Dieses besatzungspolitische Dilemma wird in den folgenden Kapiteln immer deutlicher.

Während sich die bisherigen Kapitel mit der kurzen, relativ ruhigen Phase der deutschen Besatzung bis zum Frühling 1941 befasst haben, konzentrieren sich die Kapitel fünf, sechs und sieben auf die Jahre 1941 bis 1944, die durch den zunehmenden französischen Widerstand und der sich generell verschlechternden Kriegslage geprägt waren. Daraus resultierte eine gewaltsamere Besatzungspolitik. Torrie betont allerdings, dass das Image Frankreichs als eine Art Erholungs- und Freizeitregion, das die Besatzungsverwaltung lange Zeit förderte, den Wechsel von einem Besatzungs- zu einem Kampfgebiet erheblich erschwerte. So waren zahlreiche Wehrmachtssoldaten selbst 1944 nicht bereit, auf die Konsum- und Freizeitmöglichkeiten in Frankreich zu verzichten.

Die Situation in Frankreich unterschied sich deshalb deutlich von den Kämpfen und der brutaleren Okkupation in den östlichen Kriegsgebieten. Wie Torrie betont, führte der Austausch von Soldaten zwischen der Ostfront und Frankreich häufig zu Vorwürfen, die in Frankreich stationierten Soldaten und Mitarbeiter der Besatzungsverwaltung demonstrierten einen „Etappengeist“ und besäßen keinen „Kampfgeist“.

In Anlehnung an Peter Lieb argumentiert Torrie, dass sich die Brutalisierung der französischen Besatzungspolitik auch auf den Austausch mit Einheiten aus den östlichen Kampfgebieten zurückführen lässt. Dort wurde eine deutlich gewaltsamere Partisanenbekämpfung praktiziert. Hingegen mangelt es ihrem Argument, dass Soldaten und SS-Angehörige, die von der Ostfront kamen, aus Ärger über den wahrgenommenen „Etappengeist“ in Frankreich besonders brutal vorgingen, an empirischen Belegen.

Torrie hat eine wichtige und innovative Studie zur deutschen Okkupation Frankreichs vorgelegt. Ihrem Anspruch, eine alltags- und „bottom-up“-Perspektive zu verfolgen, wird sie vollumfänglich gerecht. Zwar betritt sie bei den einzelnen Untersuchungsfeldern zumeist kein Neuland, neu ist die Studie jedoch in ihrer Gesamtheit. Sie zeigt überzeugend, dass Konsum, Freizeit und Tourismus auch im Krieg stattfanden und in diesem Kontext stärkere Beachtung erhalten sollten. Sie eröffnet so auch neue Forschungsperspektiven zum Komplex Konsum, Freizeit und Gewalt. Es ist das Verdienst der Studie, diese engen Zusammenhänge sichtbar zu machen, wobei in dem für deutsche Verhältnisse eher schmalen Band von 276 Seiten die umfangreichen Aspekte, wie Konsum, Tourismus und Fotografie, nicht immer in gewünschter Tiefe untersucht werden können. Zudem ist die Perspektive eine rein deutsche. Stimmen aus der besetzten Bevölkerung oder Blicke von „außen“ auf die deutsche Besatzung kommen so gut wie nicht vor.

Nichtsdestotrotz erweitert Julia S. Torries Studie den Blick und das Verständnis der deutschen Okkupation in Frankreich. Dabei betont sie, dass es sich bei Frankreich um einen Sonderfall handelte, in dem Konsum und Freizeit größere Bedeutung zukam als in anderen besetzten Gebieten. Es ist dennoch zu hoffen, dass diese vielversprechende Perspektive auch auf die Untersuchung anderer Gebiete angewandt werden wird.

Anmerkungen:
1 Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005; vgl. dazu die kritische Diskussion in: Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts 3 (2005), darin insbesondere: Christoph Buchheim, Die vielen Rechenfehler in der Abrechnung Götz Alys mit den Deutschen unter dem NS-Regime, S. 67–76. Darin relativiert Buchheim die Zahl von 125 Millionen Reichsmark, die deutsche Soldaten im August 1943 für private Einkäufe in Frankreich ausgegeben hätten. Torrie übernimmt Alys Zahlen auf S. 63.
2 Vgl. Petra Bopp, Fremde im Visier. Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009.

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