A. Artwińska u. a. (Hrsg.): Gender, Generations, and Communism

Cover
Titel
Gender, Generations, and Communism in Central and Eastern Europe and Beyond.


Herausgeber
Artwińska, Anna; Mrozik, Agnieszka
Reihe
Routledge Research in Gender and History
Erschienen
Abingdon 2020: Routledge
Anzahl Seiten
IX, 302 S.
Preis
£ 120.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marcel Bois, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

„Die Partei kämpft wie ein Mann“, betitelte die Historikerin Silvia Kontos in den 1970er-Jahren eine Studie über die Frauenpolitik der KPD in der Weimarer Republik.1 Kontos‘ Befund, dass es sich bei der Kommunistischen Partei Deutschlands um einen männlich dominierten Verband handelte, in dem Frauen und ihre Belange weitgehend ignoriert wurden, ließ sich lange Zeit auch auf die Forschung übertragen – und zwar im doppelten Sinne: Nicht nur waren diejenigen, die sie betrieben, meist männlich, sondern in ihren Arbeiten spielten Geschlechterverhältnisse nahezu keine Rolle. Dies änderte sich erst zaghaft seit den späten 1990er-Jahren, als sozial- und kulturhistorische Ansätze Einzug in die bislang weitgehend organisations- und politikgeschichtlich orientierte historische Kommunismusforschung erhielten.2

Umgekehrt hat sich die Geschlechtergeschichte in der Vergangenheit wenig mit dem Kommunismus auseinandergesetzt – und wenn, dann in seiner Ausformung als staatliches Regime. Forscher:innen untersuchten in ihren Arbeiten hauptsächlich den „Mythos Gleichberechtigung“, also die Frage, inwieweit die realsozialistischen Staaten des 20. Jahrhunderts ihrem Versprechen umfassender Frauenemanzipation tatsächlich nachgekommen sind.3 Kommunismus als soziale Bewegung und die Rolle von kommunistischen Frauen als Akteurinnen der Frauenemanzipation spielten in ihren Studien hingegen kaum eine Rolle. Der Kommunismus des 20. Jahrhunderts werde hauptsächlich als „totalitarian movement and/or regime“ wahrgenommen (Klappentext), kritisieren auch die Literaturwissenschaftlerin Anna Artwińksa, die das Zentrum für Frauen- und Geschlechterforschung der Universität Leipzig leitet, und ihre Kollegin Agnieszka Mrozik von der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau. Mit ihrem Sammelband „Gender, Generations, and Communism in Central and Eastern Europe and Beyond“ möchten sie hinter dieses Narrativ blicken und eine alternative Sichtweise auf die kommunistische Vergangenheit anbieten.

Das Buch geht auf eine Tagung im Jahr 2017 zurück4 und ist interdisziplinär angelegt. In vier Abschnitten widmen sich die Autor:innen unterschiedlicher Fachrichtungen Theorien, historischen Fallbeispielen, biografischen Erfahrungen und ästhetischen Repräsentationen. Schon in der Auswahl der 13 Aufsätze verweigern sich die Herausgeberinnen den so häufigen räumlichen, zeitlichen und konzeptionellen Trennlinien der historischen Kommunismusforschung. Ihr Band behandelt nicht nur Osteuropa (Jugoslawien, Polen, Sowjetunion und Tschechoslowakei), sondern auch westliche Staaten (Bundesrepublik und Italien) und Kuba. Er zieht keine Grenze zwischen der Zeit vor und nach 1945 und er begreift Kommunismus nicht nur als Regime, sondern auch als soziale Bewegung. Durch diese Aufhebung thematischer Trennungen sei der Band auch als Beitrag zu den „New Cold War studies that explore across-the-Blocs interaction and exchange“ zu verstehen, schreibt die niederländische Historikerin Francisca de Haan, die das Schlusswort beigesteuert hat (S. 283).

Konzeptionell geht es Artwińksa und Mrozik darum, das Verhältnis von Geschlecht und Kommunismus noch um die Kategorie der Generation zu erweitern. Sie betonen, dass der klassische Ansatz Karl Mannheims zur Kategorisierung bestimmter sozialer Gruppen ähnlichen Alters zwar als männlich geprägt anzusehen sei. Trotzdem erscheinen „such critical reflection on generations […] particularly useful for research on the cultural and social history of women and of gender” (S. 21). Überzeugend belegt der Beitrag von Natalia Jarska über polnische Kommunistinnen diese Überlegungen. Sie verweist darauf, dass die polnische Kommunismusforschung in der Regel zwischen einer Vorkriegs- und einer Nachkriegsgeneration unterscheide. Um das Jahr 1968 habe die eine dann die andere in den Führungsgremien von Staat und Partei abgelöst. Blickt man nun jedoch speziell auf die kommunistischen Frauen, so funktioniere diese Einteilung nicht mehr. Diejenigen, die vor 1945 eine bedeutende Rolle in der Partei gespielt hätten, seien nach dem Krieg schon bald aus ihren Funktionen gedrängt worden. Hier habe der Generationenwechsel also schon weit vor 1968 stattgefunden.

Gleich mehreren wenig beachteten Forschungsfeldern widmet sich Sercan Çinar, der einzige männliche Autor des Bandes. Seinen Aufsatz „The Making of Turkish Migrant Left Feminism and Political Generations in the Ruhr, West Germany (1975–90)“ sieht er sowohl als Beitrag zur Historiografie linksfeministischer Bewegungen als auch zu „studies on transnational migration and migrant transnationalism“ und nicht zuletzt zur Geschichte der Migration türkischer Frauen nach Mitteleuropa (S. 102). Auch er liest traditionelle Generationenzuschreibungen gegen den Strich: Unter jenen Frauen, die gemeinhin der „erste Generation“ türkischer Migrantinnen in der Bundesrepublik zugeordnet werden, identifiziert er hingegen „two different political generations in Turkish migrant left feminism in the Ruhr, corresponding to varied modes of articulating their visions of equality on the same communist ideals within the same political party“ (S. 116). Dazu zählen zum einen diejenigen, die vor 1980 als Teil des Gastarbeiterregimes in die Bundesrepublik gekommen waren und die ihre Integration in die westdeutsche Gesellschaft als zentralen Schritt zur Emanzipation ansahen. Zum anderen sind jene linksfeministischen Aktivistinnen zu nennen, die infolge des Militärputschs von 1980 Asyl in Westdeutschland erhielten und ihren Aktivismus vor allem als Fortsetzung des Kampfes in der Türkei ansahen.

Die Historikerin Eloisa Betti geht unterdessen in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Rolle Kommunistinnen in der italienischen Frauenrechtsbewegung während des Kalten Krieges spielten. Indem sie deren Aktivitäten in der Phase vorm Aufkommen der sogenannten Zweiten Frauenbewegung ausleuchtet, stellt sie die bislang vorherrschende Periodisierung des Frauenaktivismus anhand von „Wellen“ infrage.5 Der Generationenansatz hingegen helfe, über dieses Konzept hinauszugehen, „revealing the existence of relevant female genealogies among communist leaders (and activists) in post-1945 Italy“ (S. 95). Betti kritisiert ferner, dass die bisherige Forschung die Rolle von kommunistischen Frauen geschmälert habe, indem sie ihnen vorgeworfen habe, sie hätten sich lediglich an der „männlichen Politik“ der PCI beteiligt. Dass Kommunistinnen keineswegs nur „Anhängsel“ ihrer männlichen Genossen waren, belegt nicht nur Bettis Text. Auch andere Aufsätze verdeutlichen die eigenständigen Beiträge von Frauen zur kommunistischen Bewegung ihrer jeweiligen Länder. Zudem zeigen die Autor:innen – etwa Anna Müller in ihrem Text über Tonia Lechtman – die Motivationen von Frauen auf, sich dem Kommunismus anzuschließen. Sie alle waren, wie de Haan im Schlusswort schreibt, „in any case convinced of the emancipatory potential of communism as a social and political project or work-in-progress” (S. 283).

Wenn es an „Gender, Generations, and Communism in Central and Eastern Europe and Beyond“ etwas zu kritisieren gibt, dann ist das in erster Linie die Preispolitik des Verlages, der für das keineswegs aufwendig gestaltete Buch £ 120 verlangt. Inhaltlich geht das Konzept hingegen auf. Artwińska und Mrozik haben einen lesenswerten und anregenden Band vorgelegt, der die Potentiale aufzeigt, die sich ergeben, wenn sich die historische Kommunismusforschung der Geschlechtergeschichtsschreibung öffnet – und umgekehrt.

Anmerkungen:
1 Silvia Kontos, Die Partei kämpft wie ein Mann. Frauenpolitik der KPD in der Weimarer Republik, Basel 1979.
2 Zu den ersten gehörten: Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996 (hier das Kapitel „Die Partei kämpft wie ein Mann: Weibliches Defizit, familiärer Raum und männerbündische Gemeinschaft“, S. 131–141), sowie Eric D. Weitz, Creating German Communism, 1890–1990. From Popular Protest to Socialist State, Princeton 1997 (das Kapitel „The Gendering of German Communism“, S. 188–232); zuletzt Brigitte Studer, Reisende der Weltrevolution. Eine Globalgeschichte der Kommunistischen Internationale, Berlin 2020.
3 Grit Bühler, Mythos Gleichberechtigung in der DDR. Politische Partizipation von Frauen am Beispiel des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands, Frankfurt am Main 1997; Alena Heitlinger, Women and State Socialism. Sex Inequality in the Soviet Union and Czechoslovakia, London 1979.
4 Siehe die Ankündigung: Gender, Generations, Communism in Central and South-Eastern Europe: Concepts, Discourses, Practices. In: H-Soz-Kult, 24.10.2017, <https://www.hsozkult.de/event/id/event-85305> (06.05.2022).
5 In Bezug auf die Selbsthistorisierung der bundesrepublikanischen Frauenbewegung kritisiert auch Kerstin Wolff das „Wellen“-Bild: Kerstin Wolff, Ein Traditionsbruch? Warum sich die autonome Frauenbewegung als geschichtslos erlebte, in: Julia Paulus / Eva-Maria Silies / Dies. (Hrsg.), Zeitgeschichte als Geschlechtergeschichte. Neue Perspektiven auf die Bundesrepublik, Frankfurt am Main 2012, S. 257–275.