Cover
Titel
The Hardhat Riot. Nixon, New York City, and the Dawn of the White Working-Class Revolution


Autor(en)
David Paul Kuhn
Erschienen
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
€ 27,88
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rebecca Rössling, IEAS - American Studies, Goethe Universität Frankfurt am Main

Die Frage, warum Arbeiter:innen konservative Parteien wählen, die traditionell gesehen eher nicht dafür bekannt sind, die Rechte der Arbeiterklasse zu vertreten, ist nicht erst seit den letzten beiden Präsidentschaftswahlen in den USA und darüber hinaus virulent. Der Unmut, der solche politischen Dynamiken möglich macht, hat sich in der Vergangenheit entladen, wenn Gruppen von weißen Blue Collars Gewalt ausübten. Am 8. Mai 1970 ereignete sich nicht nur ein blutiger Zusammenstoß von politischen Interessen und verschiedenen Altersgruppen in den Straßen New Yorks. Vielmehr war dieser Tag das Resultat von wachsender sozialer Ungleichheit, landesweiten Protesten gegen einen unpopulären Krieg und dem sich bereits abzeichnenden Verfall des urbanen Raums. 50 Jahre nachdem in New York City Protestierende gegen den Vietnam-Krieg von Bauarbeitern attackiert wurden, zeichnet David Paul Kuhn die Geschichte rund um diesen Aufruhr umfassend nach. Präsident Nixon hatte gerade den Einmarsch nach Kambodscha verkündet und bei einer Anti-Kriegs-Demonstration an der Kent State Universität waren vier protestierende Student:innen erschossen worden. Einer der getöteten Studenten kam aus einem New Yorker Vorort. Die Anti-Kriegs-Proteste im Bereich der Wall Street in den Tagen zuvor wurden durch Jeffrey Glenn Millers Beisetzung am 7. Mai 1970 weiter angeheizt. Der Trauerzug wurde von Kriegsgegner:innen in Long Island und Manhattan begleitet, die das Victory-Zeichen in die Luft hielten - ein Bild, das auch als eine von vielen Fotografien im Buch beeindruckt. Kuhn offeriert allerdings auch die andere Seite der Geschichte: die der sogenannten Hard Hats, weiße Männer, die sich von führenden politischen Amtsinhabern nicht wahrgenommen fühlten. Detailliert schildert er deren tiefe Überzeugung, dass vermeintlich alle anderen Interessen der verschiedenen gesellschaftlichen Akteure Gehör fanden, während sie als Arbeiterklasse doch aus ihrer Sicht der Motor des Landes waren, sei es beim Aufbau der New Yorker Skyline oder fernab der Heimat im Kampf gegen den Vietkong.

Dabei bezieht er sich nicht nur auf die Berichterstattung von damals, sondern präsentiert bislang noch unveröffentlichte Statements und durchforstete Polizeiakten, die bis dahin versiegelt im Archiv lagen. Kuhn widmet seinen Quellen ein eigenes bibliographisches Essay, das seinem Buch zusätzliche Bedeutung verleiht. Der sogenannte blutige Freitag, an dem sich die Spannung zwischen einem unzufriedenen Teil der weißen Arbeiterklasse und den jungen Kriegsgegner:innen entlud, wurde bis dahin noch nie so umfassend recherchiert. Kuhn stellt nicht nur die widersprüchlichen Ideologien der Student:innen und Hippies auf der einen Seite und der Blue Collars auf der anderen Seite dar, sondern zeigt auf, wie ein bestimmter Moment in der Geschichte das Resultat so vieler vorangegangener Faktoren sein kann. Diese drei Teile seines Buches liefern der Leserschaft den Kontext, um den Zusammenstoß der Bauarbeiter, viele von ihnen selbst Kriegsveteranen und – den aus Sicht der Hard Hats – verwöhnten und privilegierten College-Kids, zu begreifen. Es ist dieser Aufteilung der insgesamt 28 Kapitel auf drei Teile zu verdanken, dass die über 400 Seiten kurzweilig zu lesen sind.

Kuhn zeigt auf, wie politische Unzufriedenheit und das Gefühl, nicht gehört zu werden, Nixon eine Plattform bei den Arbeitern schuf. Dies spendete später auch Reagan und jüngst Trump den nötigen Rückenwind. Die Dynamiken rund um deren Wahlsiege wurde von liberalen Intellektuellen meist übersehen. Wenn man allerdings historisch analysiert, wann und warum die Republikaner und die Interessen der weißen Arbeiterklasse keinen Widerspruch mehr darstellten, sondern durch das Umstimmen von Wählern neue politische Chancen generiert werden konnten, dann zeigen sich Muster, die Kuhns Analyse auffächert. Damit setzt sich das Buch auch von anderen historischen Analysen der 1970er-Jahre ab. Einerseits gibt es bei Kuhn einen bestimmten historischen Fixpunkt - den Hardhat Riot -, andererseits liefert er alle Perspektiven rund um dieses Ereignis, ohne dabei eindeutig Partei zu ergreifen. Mit seinen eindrucksvoll kreierten Bildern von Ausschreitungen und Konflikten lässt er die Leserschaft an den Protesten, welche die USA rund um 1970 erschütterten, teilhaben. Man spürt die Angst der New Yorker vor wachsender Kriminalität, wenn Kuhn die Stadt in den 1960er-Jahren beschreibt. Sowohl Reden von hochrangigen Politikern, wie Bobby Kennedy, als auch das letzte Telefonat zwischen Mutter und Sohn, bevor dieser an der Kent University starb, vermitteln das Gefühl, überall Einblick zu bekommen. Die Weise, wie Kuhn Szenen und Stimmungen skizziert, macht die Geschichte rund um den Aufruhr zugänglich, sei es die mit Graffiti besprühte New Yorker U-Bahn oder der Spaziergang durch Little Italy, mit seiner Immigrationsgeschichte. Manchmal ist der Wechsel der Perspektiven etwas schnell und abrupt, andererseits gelingt es Kuhn dennoch, tiefe Einblicke der verschiedenen Akteure rund um den Zusammenstoß vom 8. Mai 1970 herzuleiten.

Die Bauarbeiter marschierten am 8. Mai 1970 nicht nur gegen die Elite und New Yorks Bürgermeister Lindsay von der Baustelle des World Trade Centers in Richtung Wall Street. Sie deklarierten ihren Marsch zu einer Frage des Respekts gegenüber Nation und Soldaten. Die weiße Arbeiterklasse fühlte sich laut Kuhn, wenn überhaupt wahrgenommen, dann unterrepräsentiert und zutiefst missverstanden. Politiker wie John Lindsay teilten ihre Aufmerksamkeit angeblich gleichermaßen zwischen der Elite und ethnischen Minderheiten auf. Die Massenmedien schienen aus der Sicht der Hard Hats viel zu sehr mit der Hippie-Kultur und den – im Gegensatz zu weißen Arbeiter:innen privilegierten und gut situierten – Protestierenden zu liebäugeln, die die US-Flagge anzündeten und Polizist:innen anpöbelten. Kuhn zitiert hier Susan Harmon, eine Augenzeugin, die versuchte einzugreifen, als fünf Bauarbeiter einen jungen Mann brutal zusammenschlugen. Harmon, eine Erzieherin der Stadt, sagte: „‚It was clearly a class thing […] They didn’t bother about me’.“ (S. 188) Auch die Zusammenhänge zwischen dem New York Police Department und dem schrecklichen Ausmaß der blutigen Riots erläutert Kuhn. Einerseits waren bei den Protesten von vornherein zu wenig Polizisten im Dienst, andererseits sympathisierten die anwesenden Gesetzeshüter eher mit den Bauarbeitern, nicht zuletzt, weil die Student:innen ihren Unmut über die Polizei und deren Umgang mit Demonstrationen verbalisierten, wie Kuhn ausführt (S. 16–18, S. 161). Der Übergriff auf die vorher friedliche Demonstration ist eine komplexe Situation, in der unter anderem die sozioökonomischen Situationen der Menschen den Umgang miteinander bestimmten, angeheizt von politischen Machtkämpfen. Das große Verdienst von Kuhns Studie ist es, die verschiedenen Interessen, Weltanschauungen und Ideologien, die hier auf den Straßen vertreten waren, gleichermaßen abzubilden und allen Akteuren eine Stimme zu verleihen.

The Hardhat Riot erklärt, wie politische und soziale Dynamiken über Jahre und Jahrzehnte entstehen können und wie sich Stimmungen immer weiter aufladen. Oftmals spüren dabei diejenigen, die Öl ins Feuer gießen, die Hitze selbst nicht. Daraus entwickeln sich Gegenpole in der Gesellschaft, die nur stellvertretend für eine allgemeine Unzufriedenheit fungieren. An Tagen wie dem 8. Mai 1970 kann diese Unzufriedenheit in Hass und Gewalt umschlagen. Warum es bis jetzt gedauert hat, diese Geschichte zu erzählen, lässt sich einerseits dadurch erklären, dass viele der Reporter:innen, die damals in den Straßen dabei waren, angegriffen und ihre Kameras zerstört wurden. David Paul Kuhn transportiert die Antipathien, die diesen Aufruhr möglich machten, auch auf die Gegenwart, indem er deutlich macht, dass es innerhalb einer Gesellschaft nicht nur zwei Positionen gibt. Da das Zweiparteiensystem in den USA diese divergierenden Haltungen nicht repräsentiert, vereint man sich laut Kuhn oftmals nicht hinter einem gemeinsamen Freund, sondern gegen einen gemeinsamen Feind (S. 292). Wenn man seine Beschreibungen der Riots liest, fühlt man sich zuweilen deutlich an aktuellere Situationen erinnert. Kuhn zitiert einen gebürtigen New Yorker, den stellvertretenden Bezirkschef Leonard Cohen, wie er die Hard Hats erlebte: „He saw a ‚large mass of men,‘ about five to six hundred, with yellow Hard Hats and American flags, pushing against the front of City Hall, ‚shouting slogans and chanting angrily.‘ The men drove forward and reached the foot of the steps. Suddenly, they surged up the stairs ‚as if to storm City Hall itself‘.“ (S. 180)

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