H. Leidinger u.a.: Hitler – Prägende Jahre

Cover
Titel
Hitler – Prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889–1914


Autor(en)
Leidinger, Hannes; Rapp, Christian
Erschienen
Salzburg 2020: Residenz Verlag
Anzahl Seiten
254 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carlo Moos, Historisches Seminar, Universität Zürich

Die Autoren erhellen in einem mit 225 Text-Seiten eher schmalen, aber konzisen Band die Jugendbiographie des angehenden „Führers“ Adolf Hitler in den entscheidend formierenden ersten 24 Jahren. Die knappe österreichische Hälfte dieses Lebens ist so aufgeteilt, dass Hannes Leidinger auf rund 140 Seiten dem jungen Hitler in Oberösterreich bis zum Wechsel nach Wien folgt, während Christian Rapp in 55 Seiten die entscheidenden Wiener Jahre bis zum Abschied aus dieser Stadt 1913 beschreibt. Die Sinnhaftigkeit eines derart biographischen, aber immer kontextbezogenen Blicks auf gerade diese Person leiten die Autoren von der „historischen Einzigartigkeit und universalen Relevanz“ des Holocausts ab, den es ohne Hitler nicht gegeben hätte (S. 9).

Wenn man mittlerweile alles zu wissen meint, was über Adolf Hitler gewusst werden kann, belehrt das vorliegende Buch den Rezensenten eines Besseren, denn es liefert nachträglich gleichsam einen Vorspann zu Brigitte Hamanns seinerzeit bahnbrechenden „Lehrjahren eines Diktators“1, indem es deren erstes Kapitel („Aus der Provinz in die Hauptstadt“) erheblich vertieft. Zahlreiche wichtige Themen kommen zur Sprache: von Hitlers Herkunft aus einer gesicherten Mittelstandsfamilie mit einem grantigen und schon 1903 verstorbenen Vater und einer Ende 1907 früh verstorbenen überforderten Mutter zu den üblen Streichen und Kriegsspielen des Knaben, der ab 1900 in der Realschule zum Problemschüler wird, aber – obwohl sozial fortschreitend isoliert – in seiner Klasse den Ton angibt und, nachdem er wegen Schul-Schwierigkeiten in Linz im Herbst 1904 nach Steyr wechselt, im Sommer 1905 die Schullaufbahn ohne höheren Abschluss ganz beendet. Weiter ist die Rede von der wachsenden Wut des Schulabbrechers gegen Habsburg und sein „zusammengeheiratetes Monstrum“ (S. 143) und vom Deutschnationalismus mit seinen völkischen Indoktrinationen und der Neigung zum Reich der Hohenzollern, weiter vom Wunschbild einer Künstlerbohème und von allerlei Phantasien und Luftschlössern, bei Ablehnung aller Formen der künstlerischen Moderne. Das Fiasko beim Probezeichnen in der Wiener Akademie von Anfang Oktober 1907 kann allerdings keineswegs nur deswegen nicht erstaunen.

Wenn das Schwergewicht des Buches auf der oberösterreichischen Phase im Leben Adolf Hitlers liegt, das seinem Umfeld und den ihn prägenden Umbrüchen im damaligen Linz detailliert nachgeht, wobei hier mangels einschlägiger ad personam-Quellen (mit Ausnahme der Erinnerungen von August Kubizek) Spekulatives mitschwingt, finden sich einige Vertiefungen auch für die ab 1908 besser dokumentierte Wiener Zeit, die 1913 mit dem Wegzug nach München endet.

In Wien wird Karl Lueger zu Hitlers politischem „Fixstern“ (S. 177) und die historistische Ringstraße zum architektonischen Faszinosum; aber auch ein antisemitischerer oppositioneller Flügel der Christlichsozialen und die 1904 in Nordböhmen gegründete Deutsche Arbeiterpartei spielen eine wichtige Rolle. So erwirbt Hitler im Großdeutschtum und im Antisemitismus die Grundlagen seines späteren Vernichtungsantisemitismus (S. 186). Daneben ist er 1910 bis 1913 Dauergast des Männerheims Brigittenau, über dessen Publikum und die auffallend vielen Selbstmorde man einiges Zusätzliche erfährt. Den Lebensunterhalt bestreitet er mit billigen Alt-Wien-Ansichten.

Wichtig an diesem Buch von Hannes Leidinger und Christian Rapp ist insbesondere die Einordnung dessen, was die prägenden Jahre (so der treffende Untertitel) und den zentralen Stellenwert Österreichs in der unseligen Biographie des späteren Diktators und Massenmörders ausmachen, insbesondere der Hass gegen das Gemisch fremder Völker in der Donaumonarchie und die 1913 deswegen erfolgte Übersiedlung ins deutsche „Sehnsuchtsland“ (S. 215). Ein Gewinn der Lektüre ist denn auch, dass sie die österreichisch-ungarischen Wurzeln des späteren Gründers eines ephemeren, aber katastrophal folgenreichen ‚Dritten Reichs’ ins Licht zu heben vermag. Entgegen dem, was oft angenommen wird, sind es nicht primär der Weltkrieg als Meldegänger in einem bayerischen Reserve-Infanterieregiment und die Zeit unmittelbar nachher als Redner und „Trommler“, die Hitler zu Hitler gemacht haben, sondern die Jahre vorher. Der junge Mann von 24 Jahren, der Wien in Richtung München verlässt und im Jahr darauf Kriegsfreiwilliger wird, war schon jetzt derjenige, der er nicht erst später geworden ist: der Abkömmling einer verfallenden Donaumonarchie mit ihrem Deutschnationalismus und Antisemitismus und allem Hass auf Slawen und Juden, den er aus ihr mitgenommen hat. Selbst der ungeordnete und undisziplinierte spätere Lebensstil des „Führers“ war nichts anderes als die Fortsetzung dessen, was er sich „als verwöhnter Jugendlicher in Linz und als Aussteiger in Wien“ angeeignet hatte (S. 225).

Anmerkung:
1 Brigitte Hamann, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators, München 1996.

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