R. Ancona u.a. (Hrsg.): New Directions in the Study of Women in the Greco-Roman World

Cover
Titel
New Directions in the Study of Women in the Greco-Roman World.


Herausgeber
Ancona, Ronnie; Tsouvala, Georgia
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 278 S.
Preis
£ 64.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Steffi Grundmann, Historisches Seminar, Alte Geschichte, Bergische Universität Wuppertal

Die antike Frauen- und Geschlechterforschung ist ein inzwischen seit Jahrzehnten etabliertes Forschungsfeld, dessen Ergebnisse und Entwicklung immer wieder in Sammelbänden präsentiert werden.1 Auch wenn im deutschsprachigen Raum inzwischen ebenfalls eine verstärkte Etablierung zu beobachten ist2, hat die englischsprachige Forschung in diesem Bereich noch immer einen Vorsprung, wie auch die vorliegende Publikation veranschaulicht.

Unter dem Titel „New Directions in the Study of Women in the Greco-Roman World“ versammelt der Band die Expertise von angesehenen Gelehrten dieses Feldes aus einer Vielfalt von (altertumswissenschaftlichen) Disziplinen. Wie die Mitherausgeberin Ronnie Ancona in der Einleitung darlegt, wird damit das Ziel verfolgt, neue Zeitspannen, Untersuchungsgegenstände und methodologische Fragen vorzubringen und so neue Erkenntnisse über Frauen in der griechisch-römischen Antike zu vermitteln. Nach der Lektüre bleibt der Eindruck, dass dies gelungen ist, ohne jedoch den Anspruch zu erheben, das Feld in seiner ganzen Breite vollständig zu erfassen. Auf diese Weise werden ausgewählte Zugangsweisen vorgestellt, weitere mögliche Ansätze jedoch nicht ausgeschlossen.

Der Sammelband ist als Festschrift für die US-amerikanische Klassische Philologin und Althistorikerin Sarah B. Pomeroy konzipiert. Die Einleitung stellt deshalb nicht nur die Beiträge vor, sondern gibt auch einen aufschlussreichen Einblick in Pomeroys Lebens- und Arbeitsbedingungen an der City University of New York der 1960er- und 1970er-Jahre, also während der Abfassungszeit ihres grundlegenden Werkes der antiken Frauengeschichte „Goddesses, Whores, Wives and Slaves“.3 Dabei werden Pomeroys interdisziplinäre Herangehensweise und die damit einhergehende Breite des bearbeiteten Quellenmaterials als wichtiger Impuls für die altertumswissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterstudien hervorgehoben.

Die Beiträge reichen von einem breiten Forschungsüberblick (Roger S. Bagnall zur papyrologischen Geschlechterforschung) bis hin zu äußerst kleinteiligen Einzelfragen, wie beispielsweise Penelopes Darstellung in der Kunst (Harvey A. Shapiro), die alltägliche Verwendung von Kosmetik und ihr Bezug zur Literalität (Ann E. Hanson) oder die rechtliche Einschätzung der Verheiratung von jungen Römerinnen, die das Mindestheiratsalter von zwölf Jahren noch nicht erreicht haben (Bruce W. Frier). Auf eine inhaltliche Zusammenfassung der einzelnen Aufsätze verzichte ich hier, da auf den Verlagsseiten zu dem Buch für jeden Beitrag ein Abstract frei einsehbar ist.4

Drängender scheint mir die Frage, was nun die neuen Richtungen in der antiken Frauengeschichte sind, die der Band vorstellt. So fällt zum einen auf, dass das wirkmächtige Handeln (agency) von Frauen in unterschiedlichsten Kontexten analysiert wird: seien es Phaidra (Edith Hall) im Mythos, die hellenistischen Königinnen Phila (Elizabeth D. Carney) und Artemisia II. (Walter D. Penrose, Jr.), die römische Matrone Urgulania (Barbara M. Levick), Sportlerinnen (Georgia Tsouvala) oder das Verhalten der weiblichen Bevölkerung im Zweiten Punischen Krieg (Amy Richlin). Die Frage nach weiblicher agency bietet insofern einen besonders vielversprechenden Ansatz, der es ermöglicht, exemplarisch und differenziert herauszuarbeiten, wie Frauen in der Antike (politische) Handlungsmacht erlangt und genutzt haben.

Zum anderen sind die methodologischen Impulse der einzelnen Aufsätze und des Bandes insgesamt hervorzuheben: Pomeroys Anregung zum interdisziplinären Arbeiten und zur Heranziehung vielfältiger Quellen wird einerseits durch die unterschiedlichen fachlichen Schwerpunkte der Beitragenden aufgegriffen und zum anderen auch von Einzelnen umgesetzt (z.B. Penrose) oder doch zumindest eingefordert (z.B. Tsouvala).

Als besonders erkenntnisfördernd erweisen sich darüber hinaus Zugänge, die nicht bei der Rekonstruktion und Diskussion von Normen und Idealen stehenbleiben, sondern auch nach ihren sozialen und ökonomischen Folgen fragen (Marilyn B. Skinner) oder zu einer vertieften Quellenkritik der von Männern verfassten Überlieferung anregen (Kristina Milnor). Auch diese Ansätze sind keineswegs neu in der antiken Frauengeschichte, sondern lang erprobte, erfolgreiche und weiterhin unverzichtbare Vorgehensweisen, die es der Forschung immer wieder ermöglichen, neue Richtungen einzuschlagen.

Dies trifft auch für die Schwerpunktsetzung am Anfang des Bandes zu: Die ersten fünf Beiträge konzentrieren sich auf die Untersuchung einzelner Frauen und knüpfen so an die antike Tradition der Exempla-Literatur an, die bereits in frühen Arbeiten zur antiken Frauengeschichte über sogenannte große Frauen5 aufgegriffen worden und auch in der jüngeren Forschung ein beliebte Herangehensweise für Einführungswerke6 ist. Das Neue hier ist einerseits, dass die Darstellungen bedeutender mythischer Gestalten mit neuen Ansätzen gedeutet werden (Hall, Shapiro). Andererseits treten bislang weniger bekannte Frauen und die konkreten Umstände ihres historischen Wirkens in den Vordergrund (Carney, Penrose, Levick, vgl. auch Tsouvalas Sportlerinnen).

Eine solche Perspektive steht im deutlichen Gegensatz zu früheren Defiziterzählungen, in denen vor allem darauf geachtet worden ist, wovon Frauen – im Vergleich mit ansonsten statusgleichen Männern – ausgeschlossen und deshalb weitestgehend fremdbestimmt gewesen seien.7 Dies bedeutet aber nicht, dass die spezifischen Lebensbedingungen der Frauen beschönigt werden, vielmehr tritt beispielsweise bei Halls Relektüre des Phaidra-Mythos eine grundlegende Schwierigkeit hervor, mit der Frauen bis heute konfrontiert seien: ein tief sitzendes Misstrauen von männlicher Seite, das die Glaubwürdigkeit von Frauen nicht nur bei Vergewaltigungsvorwürfen, sondern beispielsweise auch in der Wissenschaft schwäche.

Das kritische Hinterfragen richtet sich aber inzwischen auch auf die Quellengrundlage selbst. So fragt Amy Richlin mit Blick auf die antiken Erzählungen über Frauen: „Is this for real?“ (S. 214) und ähnelt in ihrem Anliegen Milnors Frage, wie unser Wissen über Frauen in der Antike strukturiert ist und so beeinflusst, was wir über sie erfahren und was nicht. Ihre Auseinandersetzung mit den antiken, hauptsächlich von Männern verfassten Quellen zielt mithin auf eine konsequente Analyse des Konstruktionscharakters der Überlieferung und der auf ihr aufbauenden Forschung.

Diese Beispiele veranschaulichen, wie die Beiträge über eine rein altertumswissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Überlieferung hinauswirken: Die exemplarisch ausgewählten Untersuchungsgegenstände und daran anschließenden methodologischen Diskussionen regen zu grundlegenden Reflexionen über Geschlechterverhältnisse und das historische Arbeiten an.

Die Grundüberzeugung, die dem Wirken Pomeroys, der antiken Frauengeschichte und auch dem rezensierten Sammelband zugrunde liegt, bringt Amy Richlin auf den Punkt: „We know women were always there and always constituted half the population, more or less; yet, for long stretches of history, they are invisible. This is a wrong that must be righted.“ (S. 213) Die hier zusammengestellten Aufsätze erfüllen diesen Zweck für die Antike exemplarisch in vielfältiger, inhaltlich wie methodisch anregender Weise und eröffnen darüber hinaus ein Forum, in dem antike Befunde mit gegenwärtigen Verhältnissen in einen produktiven Austausch treten.

Anmerkungen:
1 Z.B. Helene Peet Foley, (Hrsg.), Reflections of Women in Antiquity, New York 1981; Josine H. Blok / Peter Mason (Hrsg.), Sexual Asymmetry. Studies in Ancient Society, Amsterdam 1987; David M. Halperin u.a. (Hrsg.), Before Sexuality. The Construction of Erotic Experience in the Ancient Greek World, Princeton 1990; Diana E. E. Kleiner / Susan B. Matheson (Hrsg.), I Claudia. Women in Ancient Rome, Austin 1996 (I Claudia 1); Mark Golden, Peter Toohey (Hrsg.), Sex and Difference in Ancient Greece and Rome, Edinburgh 2003; Maryline G. Parca / Angeliki Tzanetou (Hrsg.), Finding Persephone. Women’s Rituals in the Ancient Mediterranean, Bloomington 2007; Sharon L. James / Sheila Dillon (Hrsg.), A Companion to Women in the Ancient World, Malden 2012; Stephanie L. Budin / Jean M. Turfa (Hrsg.), Women in Antiquity. Real Women across the Ancient World, London 2016.
2 Z.B. Maria H. Dettenhofer (Hrsg.), Reine Männersache? Frauen in Männerdomänen der antiken Welt, Köln 1994; Thomas Späth / Beate Wagner-Hasel (Hrsg.), Frauenwelten in der Antike. Geschlechterordnung und weibliche Lebenspraxis, Stuttgart 2000; Barbara Feichtinger / Georg Wöhrle (Hrsg.), Gender Studies in den Altertumswissenschaften. Möglichkeiten und Grenzen, Trier 2002 (IPHIS 1) und weitere in dieser Reihe erschienene Bände; Tanja Susanne Scheer, Griechische Geschlechtergeschichte, München 2011 (Enzyklopädie der griechisch-römischen Antike 11).
3 Sarah B. Pomeroy, Goddesses, Whores, Wives, and Slaves. Women in Classical Antiquity, New York 1975 (deutsche Übersetzung: Sarah B. Pomeroy, Frauenleben im klassischen Altertum, Stuttgart 1985).
4 Ronnie Ancona / Georgia Tsouvala, New Directions in the Study of Women in the Greco-Roman World, URL: <https://doi.org/10.1093/oso/9780190937638.001.0001> (08.04.2022).
5 Z.B. Ernst Kornemann, Große Frauen des Altertums im Rahmen zweitausendjährigen Weltgeschehens, Leipzig 1942.
6 Vgl. z.B. Elke Hartmann, Frauen in der Antike. Weibliche Lebenswelten von Sappho bis Theodora, 2. Auflage München 2021; Kordula Schnegg, Antike Geschlechterdebatten. Die soziale Verortung der Frauen und Männer in der griechisch-römischen Antike, Tübingen 2021.
7 Vgl. z.B. John Scheid, Die Rolle der Frauen in der römischen Religion, in: Pauline Schmitt Pantel (Hrsg.): Geschichte der Frauen 1. Antike, Frankfurt/Main 1993, S. 417–449, bes. S. 449.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension