Titel
in regnum successit. 'Karolinger' und 'Ottonen' oder das 'Ostfränkische Reich'?


Autor(en)
Groth, Simon
Reihe
Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 1 / Rechtsräume 1
Erschienen
Frankfurt am Main 2017: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
XIII, 696 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hendrik Hess, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn

Ein Verdienst der 2015 an der Universität Würzburg eingereichten und 2017 im Druck erschienen Dissertation „in regnum successit“ Simon Groths ist es, im Einklang mit der neueren Forschung Periodisierungen der älteren Forschung aufzubrechen. Die artifizielle Untergliederung des Mittelalters etwa durch die Abfolge von Herrscherdynastien (‚Merowinger‘, dann ‚Karolinger‘, ‚Ottonen‘, ‚Salier‘ und so weiter) generierte Denkverbote und verstellte a priori den Blick auf gewisse politische Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Frankenreich des 9. und 10. Jahrhunderts.

Die als Auftakt der neuen Reihe „Rechtsräume“, herausgegeben von Caspar Ehlers, dem Doktorvater des Verfassers, erschienene Arbeit will eben diese einschränkende Sichtweise nun grundsätzlich korrigieren. Ihr als Frage formulierter Untertitel „‚Karolinger‘ und ‚Ottonen‘ oder das ‚Ostfränkische Reich‘?“ erscheint zunächst etwas inkongruent, ist darin aber bereits dem Aufbrechen überkommener Geschichtsbilder verpflichtet (zur Orientierung dienen gleich zwei Inhaltsverzeichnisse). Die Leitfrage stellt der als Konstrukt aufgedeckten dynastischen Periodisierung die Persistenz eines Reiches gegenüber. Da die beiden Aspekte zuvor „in der Regel isoliert voneinander behandelt wurden“ (S. 28), will der Verfasser in seiner Arbeit aus dieser Gegenüberstellung eines personalorientierten und eines transpersonalorientierten Forschungskonzepts weiterführende Erkenntnisse erzielen.

Der Zugang Groths ist dabei – analog zu seiner Orientierung an prominenten Deutungsmustern der Forschung – der Historik verpflichtet: Dem Quellenstudium (S. 271–447) geht eine ausführliche Darstellung der Forschungsgeschichte voraus (S. 31–200); aus der Untersuchung „geschichtswissenschaftliche[r] Theorien [...] (im Sinne einer Metaanalyse)“ lasse sich ein „Analyseinstrumentarium[]“ gewinnen, mit dem „anschließend die hauptsächlichen zeitgenössischen historiographischen Werke der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des 10. Jahrhunderts gelesen werden [können]“ (S. 28), heißt es in der Einleitung. Um ein möglichst hohes Maß an Unvoreingenommenheit bei der Bewertung der Forschung(sgeschichte) und der Quellen zu wahren, führt Groth zudem – um einen möglichst hohen Abstraktionsgrad bemüht – zur Ablösung der Konzepte ‚Dynastie‘ und ‚Reich‘ die „Felder Herrschaftsfolge und Herrschaftsraum“ (ebd.) für seine Arbeit ein.

„Geschichtswissenschaftliche Theorien“ schreitet Groth also im Hauptteil zunächst in den vier Unterkapiteln „Thronfolgerecht“, „Herrschererhebung“, „Raumerfassung“, „Raumstruktur“ ab und zeichnet so die (vor allem deutsche) Forschung des 19. und 20. Jahrhunderts nach. Indem der Verfasser immer wieder präzise Forschungsströmungen herausarbeitet und kritisch reflektiert, liefert er einen ausführlichen Überblick über die ältere Literatur zu vielen Elementen königlicher Herrschaft der Karolinger und Ottonen (juristische Einflüsse gegenüber normierender politischer Macht, repräsentative Akte, Herrschaftspraxis und zeitgenössische Raum- und Herrschaftsvorstellungen und so weiter), der in seiner Ausführlichkeit zwar löblich und gerade mancher/m Studierender/n bei ihrer/seiner Seminararbeit willkommen sein mag, letztlich den Leser aber nur eines Griffes zu den alten Standardwerken enthebt, ohne ihn im Sinne der Fragestellung zunächst wirklich weiter zu bringen. Für diese Rückbindung des Forschungsüberblicks an das Erkenntnisinteresse und zur Verbindung mit dem quellenanalytischen Teil bildet Groth eine „Zwischensumme“ (S. 201–269).

Die Modelle der Forschung werden einer letzten Prüfung unterzogen und damit auch gleichsam aus dem Weg geräumt, um einer möglichst objektiven Quellenanalyse im letzten Abschnitt des Hauptteils Vorschub zu leisten. Auch wird nochmals eigens der neueingeführte Begriff der „Herrschaftsfolge“ gegen die althergebrachte „Thronfolge“ ins Feld geführt, schließlich sei der Thron nur ein Herrschaftszeichen unter vielen gewesen und es habe im Untersuchungszeitraum ja auch keineswegs nur den einen Thron gegeben (vgl. S. 213f.). Letztlich, so muss man konstatieren, ist „Herrschaftsfolge“ aber auch nur vermeintlich neutraler. Gerade „Herrschaft“ hat eine spezifische und keineswegs wertfreie Forschungsbegriffsgeschichte, dazu eine fast ausschließlich deutsche1. Schon das abstrahierende Suffix „-schaft“ ist im Hinblick auf die Umschreibung der zeitgenössischen Vorstellungen und Wahrnehmungen nicht ganz ohne Prämisse. Wären hier „Herrscherfolge“ oder schlicht „Nachfolge“ nicht doch noch etwas unproblematischer?

Im folgenden quellenanalytischen Abschnitt stellt der Verfasser unter den gleichen Unterkapitelüberschriften wie im ersten Teil vor allem heraus, dass es sich bei den Nachfolgen seines Untersuchungszeitraums um Einzelereignisse handelte, die in ihrem je individuellen Charakter zu bewerten seien und sich keineswegs sinnvoll anhand von Dynastien systematisieren und gegenüberstellen ließen. Hinweise auf ein allgemeines Thronfolgerecht finden sich für Groth in den Quellen nicht. Auch wenn das „‚Königsein‘ qua Zugehörigkeit zur karolingischen Familie“ (S. 313) als selbstverständlich betrachtet und daher kaum reflektiert worden sei, hingegen die Historiographie in ottonischer Zeit bemüht gewesen sei, „den Zugang zum Königtum im Sinne einer Dynastie“ (S. 310) darzustellen, könne beides nicht für den Ausdruck einer Norm gelten. Für die karolingischen und ottonischen Herrscher sowie Konrad I. seien zudem eher selten rituelle Akte der Herrschererhebung überliefert – Einheitlichkeiten lassen sich hier also ebenfalls nicht herstellen oder gegeneinander absetzen. Auch die zeitgenössischen Methoden der Raumerfassung würden sich eher situativ von König zu König unterscheiden, als dass eine Differenz zwischen Karolinger und Ottonen beobachtbar wäre. Genauso wenig stelle sich im Untersuchungszeitraum eine Kontinuität in der Bezeichnung des beherrschten Raumes ein, hier scheint die Terminologie geradezu beliebig von Herrscher zu Herrscher und von Quelle zu Quelle zu variieren.

Dies führt Groth zu dem Schluss, dass es sich bei den ‚Karolingern‘ und den ‚Ottonen‘ lediglich um „Etiketten“ handle, die eine „problematische dynastische Kohärenzfiktion“ (S. 454) lediglich suggerierten. Analog scheine jedoch auch das ‚Ostfränkische Reich‘ für den Untersuchungszeitraum „keine angemessene Formulierung darzustellen“ (S. 455), da sich keine transpersonalen Kontinuitäten in Zuschnitt, Bezeichnung und Wahrnehmung desselben feststellen ließen. In diesem Sinne beantwortet Groth seine Leitfrage also mit einem eindeutigen ‚Weder-noch‘.

Ebenso bemerkenswert wie erfrischend ist es, dass mit der vorliegenden Monographie eine neue mediävistische Dissertationsschrift den Mut besitzt, ohne ‚moderne‘ Methodik wie Netzwerk-, Diskurs- usw. -analyse – inklusive langer Diskussion, Herleitung und weitgehender Abstinenz im Hauptteil – auszukommen, sondern schlicht Quellenkritik betreibt. Neu ist, wenn auch nicht jedes der Ergebnisse, der Zuschnitt der Arbeit – und damit im Wortsinn ein Neuansatz –, der produktiv mit alten Periodisierungen bricht. Allerdings setzt sich der Verfasser durch sein Vorgehen auch dem Verdacht aus, bei der Entwicklung seines „Analyseinstrumentariums“ in seiner programmatischen Divergenz von den Deutungsmodellen der älteren Forschung etwas zirkulär vorgegangen zu sein. Das von ihm im zweiten Teil untersuchte Quellenkorpus war ja bereits Grundlage der Modellbildung der älteren Forschung, wodurch der scheinbar frische Blickwinkel mindestens indirekt gespiegelt erscheint.

Anmerkung:
1 Vgl. Matthias Becher / Stephan Conermann / Florian Hartmann / Hendrik Hess, Einleitung. (Be-)Gründung von Herrschaft. Strategien zur Bewältigung von Kontingenzerfahrung. Eine interdisziplinäre Annährerung, in: Matthias Becher /Stephan Conermann /Florian Hartmann / Hendrik Hess (Hrsg.), (Be-)Gründung von Herrschaft. Strategien zur Bewältigung von Kontingenzerfahrung, Berlin 2015 = Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 20, 1 (2015), S. 1–10, hier S. 4–7.

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