Cover
Titel
The Captivity of John II, 1356-60. The Royal Image in Later Medieval England and France


Autor(en)
Murphy, Neil
Reihe
The New Middle Ages
Erschienen
New York 2016: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
IX, 126 S.
Preis
€ 47,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Janis Witowski, Abt. Regionalgeschichte und Bibliothek, Naturhistorisches Museum Schloss Bertholdsburg Schleusingen

Der französische König Johann II., genannt „der Gute“, kann zu den bisher wenig erforschten Königen des Mittelalters gezählt werden. Dies hat zum einen mit dem hervorragenden Ruf zu tun, den Johanns Sohn Karl V. bis in die jüngere Forschung hinein genießt, zum anderen damit, dass Johanns Regierung vor dem Hintergrund seiner Niederlage bei Poitiers 1356 und der daraus resultierenden Gefangenschaft (1356–1360, 1364) vielfach als schwach, ja geradezu desaströs bewertet wurde. Es verwundert nicht, dass es besonders die langjährige Gefangenschaft und das hohe Lösegeld des Königs waren, die von Historikern immer wieder beleuchtet wurden.1 Auch Neil Murphy widmet seine Untersuchung den Jahren der englischen Haft Johanns von Frankreich. Er möchte allerdings zeigen, dass Johann es verstand, sich auch während der Haft mit seinem Kontrahenten Eduard III. zu messen: Seine These zielt darauf, dass der gefangene König, während seiner Jahre in England ein Idealbild des französischen Königtums und des königlichen Hofes der Valois kreiert habe, auf dem sein Sohn Karl V. aufbaute und das er weiterentwickelte (S. 4). Murphy möchte nichts weniger, als die Entstehung der vorbildhaften französischen Hof- und Hochkultur vordatieren, ein Versuch, der ihm – soviel sei vorweggenommen – durchaus gelingt.

Neben den obligatorischen Teilen von Einleitung und Schluss besteht Murphys Buch aus drei thematischen Kapiteln: Kapitel 2 nimmt Johann als Objekt der englischen Propaganda in den Blick (S. 11–28). Hier liegt der Fokus auf den Siegern der Schlacht von Poitiers, dem englischen König Eduard III. und dessen Sohn, Eduard von Woodstock. Ein Perspektivwechsel erfolgt in Kapitel 3 und 4. Ersteres beschäftigt sich mit Johanns Konstruktion von königlicher Würde (S. 29–66), letzteres untersucht den Haushalt des französischen Herrschers, den dieser während seiner Haft in England unterhielt (S. 67–94). Ein kurzes aber ausreichendes Register schließt den Band ab. Positiv fallen die prägnanten Abstracts vor jedem Kapitel auf, die nicht nur dem Überblick dienen, sondern auch beim selektiven Lesen des Buches hilfreich sind. Über die Notwendigkeit der "keywords" vor den einzelnen Kapiteln kann freilich gestritten werden.

Die Einleitung des Buches enthält einen Abriß der Ereignisgeschichte, die Skizzierung des Forschungsstandes sowie die Nennung der wesentlichen Quellen. Die Hauptquellen sind Haushaltslisten und -rechnungen, wobei den Autor besonders außerplanmäßige Ausgaben interessieren, "because it provides detailed information on the luxury goods John purchased and the elite activities he participated in" (S. 6).

Die Untersuchung in Kapitel 2 fokussiert sich auf den Wert des gefangenen Königs für die politische Propaganda der englischen Krone. Nachvollziehbar schildert der Autor, wie Johann bei hochfrequentierten Veranstaltungen wie Banketten und Turnieren der englischen Öffentlichkeit sowohl in den Festlandbesitzungen als auch auf der Insel selbst präsentiert wurde. König Eduard III. habe seinen Rivalen auf diese Weise instrumentalisieren können, um den Sieg, aber auch die eigenen Herrschertugenden der Ritterlichkeit und Milde zu demonstrieren. Die Sieger hätten damit zugleich die Ehrung des Gegners wie auch seine Demütigung im Sinn gehabt. Schließlich habe die Zurschaustellung des königlichen Gegners auch der Rechtfertigung für die finanzielle Unterstützung der englischen Untertanen gedient. Diese finanzielle Dimension des Hundertjährigen Krieges verdeutlicht Murphy am Verhältnis der Londoner Stadtoberen zu Johann von Frankreich (S. 18f.). Bedauerlicherweise stimmt diese Beschränkung mit dem in der Überschrift "French Captives and Town-Crown Relations in England" formulierten, allgemeineren Anspruch nicht überein.

In Kapitel 3, das im Sinne von Murphys Untersuchungsziel sicherlich das wesentlichste ist, kehrt der Autor den Blickwinkel um und arbeitet detailliert heraus, welche Maßnahmen Johann ergriff, um sich auch in Gefangenschaft als herausragender Herrscher zu inszenieren. Dies sei das vornehmliche Anliegen des französischen Königs gewesen, da Eduard die Rechtmäßigkeit seines Thronanspruchs bestritt (S. 30). Durch einen luxuriösen Lebensstil, den Johann auch in Haft pflegte, habe er seinem englischen Widersacher das wirtschaftliche Potential der französischen Krone zu zeigen versucht. Eine prachtvolle Ausstattung des Wohnbereichs, Jagden, exquisite Mode, Geschenke, Stiftungen und Schenkungen seien als geeignete Mittel betrachtet worden, dieses Ziel zu erreichen. Zu Recht betont der Autor das intensiv gepflegte Netzwerk des Gefangenen zu hochadligen, französisch-stämmigen Frauen, die zuweilen zugunsten des französischen Königs bei ihren englischen Ehemännern intervenierten (S. 34f.). Im Falle der finanziellen Wohltaten zugunsten geistlicher Einrichtungen oder Bedürftiger weist Murphy daraufhin, dass Johann nur dann besondere Großzügigkeit an den Tag legte, wenn er das geeignete Publikum für seine Handlungen um sich wusste. Auch dies sei ein deutliches Zeichen, wie sehr er mit den Plantagenêts um diese königliche Tugend konkurrierte (S. 37–39). Um diese Behauptung zu belegen, wäre es allerdings notwendig gewesen, die Spenden- und Stifterpraxis Eduards III. ebenfalls in die Untersuchung einzubeziehen.

Mit Blick auf den Aufbau und die Struktur des französischen Königshofs wird Johann in Kapitel 4 ein qualitativ und quantitativ hochwertiger Haushalt bescheinigt, wobei insbesondere die Anwesenheit eines Hofnarren "a maker of John‘s elite status" sei (S. 69). Interessant ist, dass der Autor ganze Familien aus Frankreich ausfindig machen konnte, die Johann dauerhaft an seinen „englischen“ Hof ziehen konnte (S. 70). Im zweiten Teil dieses Kapitels werden die Finanzen, die zur Unterhaltung des königlichen Haushalts erforderlich waren, analysiert. In der großzügigen Entlohnung seiner Diener sowie in der Übernahme ihrer medizinischen Behandlungskosten sieht Murphy den Beweis, wie sehr Johann die königliche largitas zelebrierte (S. 75f.) und unterlegt seine Behauptung mit zahlreichen Geldsummen. Als Resultat einer sorgfältigen Quellenkritik warnt der Autor davor, königliche Bittbriefe um Geld als Ausdruck von Johanns finanzieller Misere fehlzudeuten, woraufhin er im Folgenden darlegt, das der König neben hohen Ausgaben auch über stattliche Einnahmen während seiner Zeit in England verfügte. Als Beweis dient ihm der einträgliche Verkauf überschüssigen Weins, der auf Johanns Befehl betrieben wurde (S. 83–85).

In seinen abschließenden Betrachtungen blickt Murphy zunächst auf die Zeit, als Johann II. sich ein zweites Mal in Gefangenschaft begeben musste, da sein Sohn Ludwig durch seine Flucht aus englischem Gewahrsam den Vertrag zwischen Johann und Eduard III. verletzt hatte. Seiner propagandistischen Linie folgend habe Eduard III. den Tod des französischen Königs 1364 in London zu einer weiteren Machtdemonstration benutzt (S. 97). Der Autor nutzt diese Episode, um die Ergebnisse seiner Untersuchung zusammenzufassen. Dabei gelangt er zu folgendem Schluss: Weil ihm die Gefangenschaft die Möglichkeit genommen habe, seine königliche Würde und Überlegenheit auf dem Schlachtfeld unter Beweis zu stellen, habe Johann II. sein Repräsentationsbedürfnis auf Bereiche verlegt, die ihm auch während seiner Zeit in England offenstanden und zu denen ihm seine Häscher großzügigen Zugang gewährten. Völlig zu Recht macht Murphy darauf aufmerksam, dass eine zuvorkommende Behandlung von Gefangenen im (Spät-)Mittelalter nicht selbstverständlich war (S. 98).

Es liegt in der Natur einer solchen Untersuchung, dass der Leser zuweilen den Eindruck gewinnt, Johann II. und Eduard III. hätten nur während Johanns Gefangenschaft um den Anspruch auf die höhere königliche Würde gestritten. Gestützt wird dieser Eindruck durch Aussagen wie "The Valois monarch‘s return to England initiated another period of intense competition with Edward III." (S. 97). Erst im Fazit stellt Murphy klar, dass der performative Wettkampf zwischen Johann und Eduard, ja zwischen dem König von Frankreich und dem König von England weit früher begann und auch während der englischen Gefangenschaft Johanns nicht abbrach, sondern vielmehr eine neue Stufe der Intensität erreichte. Diese Kritik fällt allerdings kaum ins Gewicht. Insgesamt legt Murphy eine solide und gut recherchierte Untersuchung zur spätmittelalterlichen Gefangenschaft und ihrer Strahlkraft vor. Er vermag einen gefangenen Johann von Frankreich zu zeigen, der sich keineswegs nur durch Kontrollverlust und militärisches Scheitern auszeichnete, sondern auch unter widrigen Umständen ein politisches Programm verfolgte. Somit darf das erklärte Ziel einer Revision des bisherigen, weitgehend negativen Bildes der Forschung als erreicht gelten. Freilich fragt man sich nach der Lektüre von Murphys Buch, ob die Strategie Johanns des Guten nun Erfolg hatte oder nicht? Nicht nachvollziehbar erscheint auch, warum das Lösegeld beinahe völlig ausklammert wird. Überlegungen zur Bedeutung seiner Höhe sowie die Tatsache, dass Johann mit den Francs à cheval eigens dafür Goldmünzen prägen ließ2, hätten Murphys Argumentation sicherlich weitere wichtige Impulse gegeben.

Anmerkungen:
1 z.B. John B. Henneman, Royal Taxation in Fourteenth-Century France. The Captivity and Ransom of John II, 1356–1370, Philadelphia 1976 und Dorothy M. Broome, The Ransom of John II, King of France, 1360–1370, in: Camden Miscellany 14 (1926), S. 1–40.
2 Bernd Kluge, Numismatik des Mittelalters, Bd. 1, Berlin/Wien 2007, S. 139.

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