11. Werkstattgespräche „Neues aus dem Mittelalter“

11. Werkstattgespräche „Neues aus dem Mittelalter“

Organisatoren
Lena Liznerski / Verena Weller, Historisches Institut, Universität Mannheim; Matthias Kuhn, Philipp Müller-Augustin / Michel Summer, Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte und Landeskunde, Universität Heidelberg
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
08.09.2022 - 09.09.2022
Von
Laura Grabarek / Nicolas Marin Franco, Historisches Institut, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Universität Mannheim

Zum elften Mal boten die Werkstattgespräche Nachwuchswissenschaftler:innen die Möglichkeit ihre laufenden Dissertationsprojekte vorzustellen, wobei der Fokus des zweiten Konferenztages auf wirtschaftsgeschichtlichen Themen lag. Außerdem nahmen zum ersten Mal internationale Nachwuchswissenschaftler:innen, aus Italien und Portugal, teil.

Der erste Tag wurde mit einem Dissertationsprojekt zu den Begleittexten der Corbie-Redaktion in der Collectio Vetus Gallica eröffnet. Durch die Analyse des Kirchenrechts können wichtige Erkenntnisse zur Glaubens- und Moralvorstellung des alltäglichen Lebens für das quellenärmere frühe 8. Jahrhundert gewonnen werden. Eine Lücke in der Forschung Mordeks soll damit geschlossen werden. Zunächst wurde dargestellt, wie mit den ergänzten Handschriften der Kirchenrechtssammlung im Allgemeinen gearbeitet werden kann und in welcher Abhängigkeit die Begleittexte zu anderen Handschriften und Sammlungen stehen. Dadurch kann die Arbeit der Corbie-Redaktion und ihren verfolgten Interessen besser untersucht werden. So lassen sich beispielsweise unterschiedliche Fassungen der römischen Synode von 721 in verschiedenen Schriften nach der Collectio Vetus Gallica finden. Die ersten Ergebnisse zeigen auf, dass durch Begleittexte der Inhalt der Collectio Vetus Gallica bekräftigt, in einigen Fällen erweitert oder diesem sogar widersprochen wird. Mit dem Blick auf die mitgelieferten Texte, kann die Wirkung und Funktion der kirchenrechtlichen Sammlung, und damit auch ein Teil der Kultur des frühen Mittelalters, herausgearbeitet werden.

Der nächste Bericht widmete sich der archäologischen Arbeit der Reiss-Engelhorn-Museen. Im Fokus standen, neben einem geringen Maß an Schriftquellen, verschiedene Bodenfunde aus der Merowingerzeit bis zum frühen 8. Jahrhundert aus dem Rhein-Neckar-Kreis. Zu den Funden gehören ausgedehnte Gräberfelder und Einzelgräber, Keramiken als auch Gruben, die auf Grubenhäuser für die Textilherstellung hindeuten. Die Benennungen von Flurnamen geben weitere Hinweise auf die geographische Lage von damaligen Siedlungen, wie die Anlehnung von Hermsheim an Herimundesheim zeigt, und kann durch den Lorscher Codex, einer überaus wichtigen Schriftquelle, unterstützt werden. Trotz vieler Herausforderungen bei der gemeinsamen Untersuchung von archäologischen und schriftlichen Quellen, können somit neue Erkenntnisse in Bezug auf die Lebensweise, Lebensbedingungen und demographische Struktur des Rhein-Neckar-Kreises gewonnen werden.

Danach wurde mit Delitzsch eine typische mittelalterliche Kleinstadt vorgestellt, die durch ihre Typenhaftigkeit und die einmalige Überlieferung von Rechnungen der Delitzscher Stadtkirche St. Peter und Paul im Zeitraum von 1398 bis 1505 für eine wissenschaftliche Untersuchung prädestiniert ist. Dabei ermöglichen die Kirchenrechnungen nicht nur eine grundsätzliche Analyse von ökonomischen und religiösen Tendenzen und Trends, sondern machen auch den Neubau der Stadtkirche nachvollziehbar. Dabei wurde betont, dass die Kirchrechnungen darlegen, dass es sich beim Kirchenbau und der Kirchenausstattung um eine kommunale Aufgabe handelte, die sowohl von der städtischen als auch von der Umlandbevölkerung getragen wurde. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der Vortragende mithilfe von Bruderschaftsrechnungen auch die Delitzscher Bruderschaften erforscht, wie beispielsweise die Bruderschaft „Kaland“. Insgesamt handelt es sich bei dem Dissertationsprojekt um eine Grundlagenarbeit, welche die Landesgeschichtsforschung ergänzen soll und an Spezialstudien der großen mitteldeutschen Ausstellung „Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation“ des Jahres 2015 anknüpft.

Der erste Tagungstag wurde mit den ersten Ergebnissen eines Dissertationsprojektes zur Symbolik bei Königserhebungen abgeschlossen. Ziel der Arbeit ist es, eine Kontinuität zwischen allen Königserhebungen zu schaffen und Wandlungen in den vermittelten Botschaften aufzuzeigen. Dazu werden ausnahmslos alle ottonischen und salischen Königserhebungen zwischen 911 und 1106 anhand historiographischer, annalistischer und chronikalischer Quellen untersucht, um ein umfangreiches Bild über Regelmäßigkeiten, Trends und Sonderfälle schaffen zu können. Diese Details sollen das bereits breit erforschte Themenfeld der Königswahlforschung sinnvoll ergänzen.

Der zweite Tag der Werkstattgespräche widmete sich den Notariatsregistern aus Montpellier des 13. und 14. Jahrhunderts. Das Dissertationsprojekt untersucht die Beteiligung von Frauen an wirtschaftlichen Angelegenheiten. Trotz eines eingeschränkten Handlungsspielraums ergeben die ersten Ergebnisse, dass Frauen an einem großen Teil der mittelalterlichen Kreditgeschäfte beteiligt waren. Um die Befunde systematisch und quantitativ auswerten zu können, wurde die Datenbank FEM (Les femmes dans l ́économie de Montpellier médiévale) erstellt, die alle Daten zu den Frauen, die in einzelnen Notariatsregistern aus Montpellier auftreten, erfasst. Dadurch zeigt sich, dass Frauen nicht nur als Kreditnehmerinnen, sondern auch als Schuldnerinnen und Entscheidungsträgerinnen in Aktion traten. Als anschauliches Beispiel wurde eine Witwe vorgestellt, die viele Textilien erwarb und womöglich ein eigenes Textilgeschäft besaß. Ihr Geschlecht schien für das Kreditgeschäft, im Vergleich zu ihrer Reputation und Kreditwürdigkeit, nicht von großer Wichtigkeit zu sein. Diese Ergebnisse sollen mit Notariatsbüchern und Registern kurz vor und nach dem Ausbruch der Pest verglichen werden, um mögliche Veränderungen in der Kreditpraxis auszumachen.

Auch der nächste Vortrag blieb im Bereich der Wirtschaftsgeschichte, denn es folgte ein Dissertationsprojekt, in dem die Auswirkungen der fürstlichen Reformen auf das Finanzsystem und die Institutionen des Burgunder Reiches im Zeitraum von 1465 bis 1480 untersucht und danach gefragt wurde, wie diese Reformen die Entwicklung des Reiches beeinflusst haben. Durch die Größe des Reiches wurde es für die Herzöge immer schwerer ihren Einfluss auf alle Gebiete zu bewahren. Das Haushalten der Steuereinnahmen und Ausgaben erwies sich dadurch als eine Herausforderung für das Herzogtum, weshalb die herzoglichen Finanzinstitutionen neu strukturiert werden mussten. Vor diesem Hintergrund kann ein besseres Verständnis für die zahlreichen schnellen Veränderungen, die Phänomene des Widerstands oder die Anpassung dieses zusammengesetzten Staates geschaffen werden. Der komparative Ansatz der Studie – sprich ein Vergleich zwischen dem Herzogtum Savoyen und der Krone von Aragon – hilft, die Finanzpolitik des burgundischen Staates als eines der vielen Probleme zu verstehen, denen sich Länder im Europa des 15. Jahrhunderts stellen mussten.

Danach wurde ein Einblick in das portugiesische Gefängniswesen des späten 15. Jahrhunderts gegeben, womit gleich zwei marginalisierte Gruppen der mittelalterlichen Gesellschaft in den Mittelpunkt gerückt wurden – Gefangene und ihre Wärter. Die Auswertung zahlreicher Gnadenschreiben, welche die Angeklagten als eine Art Einspruch verfassten, und ihr Vergleich mit den gesetzlichen Maßstäben bezüglich der Haftbedingungen, weist auf eine Diskrepanz zwischen der geforderten und der tatsächlichen Gefängnisrealität hin. So stellten die Vortragenden heraus, dass der Gefangene nicht in einem dafür vorgesehenen Gebäude, sondern häufig im Haus des Gefängniswärters festgehalten wurde, was zu häufigen Fluchtversuchen führte. Zum Gefängnisalltag gehörte auch, dass der Gefangene keiner Arbeit nachgehen konnte und dessen Angehörige sich wiederum um dessen Verpflegung kümmern mussten. Daraus resultierte, dass das ‚Gefangen sein‘ eine Strafe für sich darstellte. Diese und weitere Aspekte der Gefängnisrealität geben Aufschluss über das Verständnis von Gerechtigkeit und Kriminalität in der mittelalterlichen portugiesischen Gesellschaft.

Schließlich wurde ein Dissertationsprojekt vorgestellt, in dem untersucht wurde, ob der steigende Getreidepreis in Speyer des 16. Jahrhunderts einen Einfluss auf die Löhne der ‚arbeitenden Armen‘ hatte. Dabei unterschied die Vortragende zwei Arten von Lohnarbeitern, die Tagelöhner, die ihren Lohn täglich erhielten und die Angestellten des Hospitals, die ihren Lohn jährlich erhielten. Grundlage der Analyse bildeten die Rechnungsbücher der karitativen Einrichtungen Speyers, wie die Speyerer Elendsherberge. Es zeigt sich, dass mit dem steigenden Getreidepreis, eine Ungleichheit in der Lohnsteigerung festzustellen ist. So steigen die Löhne für Festangestellte stärker als die für Tagelöhner. Für das Hospital wurde deutlich, dass sich die Löhne von Frauen bei einer generellen Lohnsteigerung nur in einem geringen Maße erhöhten. Diese und weitere Daten sollen im Rahmen einer Datenbank nutzbar und vergleichbar gemacht werden.

Die Werkstattgespräche endeten mit einer Abschlussdiskussion, in der vor allem über das Format der Werkstattgespräche debattiert wurde. Zwei Aspekte stachen heraus. Erstens haben sich die Werkstattgespräche dadurch ausgezeichnet, dass Nachwuchswissenschaftler*innen die Möglichkeit bekämen, unfertige Paper in einer kollegialen Atmosphäre vorzustellen und neue Kontakte zu Gleichgesinnten zu knüpfen. Dafür werde die Veranstaltungsreihe sehr geschätzt, sodass dieses Format bestehen bleiben soll. Gleichzeitig und damit zweitens, wurde die Weiterführung eines internationalen Austausches im Rahmen der Werkstattgespräche begrüßt, da dies eine wertvolle Erfahrung für alle Vortragenden gewesen sei.

Konferenzübersicht:

Sektion I:
Moderation: Michel Summer (Heidelberg)

Helena Geitz (Mainz): Zufällige Mitüberlieferung, Begleittext oder gezielter Zusatz? Die angehängten Dokumente der Corbie-Redaktion der Collectio Vetus Gallica

Klaus Wirth (Mannheim): Archäologische Rekonstruktion der Siedlungsgeschichte an Rhein und Neckar vom Früh- bis zum Hochmittelalter

Sektion II:
Moderation: Verena Weller / Lena Liznerski (Mannheim)

Friedemann Meißner (Leipzig): Die Kirche einer spätmittelalterlichen Kleinstadt. Pfarrgemeinde, Kirchenbau und korporative Frömmigkeit in Delitzsch im 15. Jahrhundert

Fabian Walch (Innsbruck): Symbolische Kommunikation im Kontext römisch-deutscher Königserhebungen in ottonisch-salischer Zeit

Sektion III:
Moderation: Matthias Kuhn / Philipp Müller-Augustin (Heidelberg)

Verena Weller (Mannheim): Women as important economic actors in Montpellier in the 13th and 14th century

Carlo Ludovico Severgnini (Bologna): Public finance, accounting, and administration: the Burgundian States in a European framework

Rui Pedro Neves (Lissabon / Coimbra) & ANA MARQUES (Porto): Prisoners and jailers at the time of King João II (1481-1495)

Lena Liznerski (Mannheim): Wages and inflation during the 16th century in the free imperial city of Speyer