Cover
Titel
Die DDR.


Autor(en)
Richter, Hedwig
Reihe
UTB S (Small-Format) UTB Profile 3252
Erschienen
Stuttgart 2009: UTB
Anzahl Seiten
116 S.
Preis
€ 9,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Kleßmann, Historisches Institut, Universität Potsdam

An größeren und kleineren Darstellungen zur DDR-Geschichte herrscht kein Mangel. Auf gut einhundert Seiten einen Gesamtüberblick für eine (vermutlich primär) studentische Klientel zu versuchen, ist ein kühnes Unterfangen, das nur Sinn macht, wenn es einen neuen Zugang versucht. Hedwig Richter, die kürzlich ihre interessante Dissertation über die „Herrnhuter Brüdergemeinde“ in der DDR veröffentlichte und in diesem Zusammenhang erfolgreich die Klage eines ehemaligen Stasi-Informanten abwehren konnte, tut das.1 Sie folgt nicht der Chronologie, sondern skizziert in sieben systematischen Abschnitten zentrale Dimensionen der 40-jährigen DDR-Geschichte. Entsprechend dem Konzept der UTB-Reihe mit dem lobenswerten Motto „klar – knapp – konkret“ muss sich der Text dabei auf die großen Entwicklungslinien und Hauptprobleme konzentrieren, ergänzt und aufgelockert durch ausgewählte Zitate, eingerückte Definitionen und einige Fotos. Nicht die flotte Schreibe des Feuilletons, aber auch nicht gestelzte Fachgelehrsamkeit prägen den Duktus der Darstellung. Überzeugend stellt Richter in der Einleitung die übergreifenden Aspekte einer Beschäftigung mit DDR- und deutscher Teilungsgeschichte heraus: wichtige Spannungslinien des 20. Jahrhunderts und Interpretationskontroversen lassen sich hier exemplarisch erörtern.
Den roten Faden der Darstellung soll die von Detlef Pollack diagnostizierte „konstitutive Widersprüchlichkeit“ der DDR bilden. Das ist fraglos ein viel versprechender Ansatz, der sich abhebt von simplen Verdammungserzählungen, die wenig, vor allem nicht die lange Dauer der DDR, zu erklären vermögen.

Richter beginnt mit der politischen Geschichte, der SED-Herrschaft in ihrer doppelten Dimension von Repression und inneren Bindungskräften. Angesichts der zeitweilig heftigen öffentlichen Debatte um die ominösen „Bindungskräfte“ ist das eine klare Position, auch wenn die dezidierte Kritik an der SED-Diktatur nicht in Frage gestellt wird. Eine stark an Hans-Ulrich Wehler angelehnte sozialhistorische Analyse des Kontrasts zwischen egalitärem Anspruch und praktischer Ungleichheit schließt sich an. Die Betonung der eklatanten Diskrepanz überzeugt. Dennoch hätte ich mir angesichts der spezifischen statistischen Probleme an einigen Stellen (zum Beispiel Zurechnung zu „Arbeitern“ oder soziale Zusammensetzung der Studenten) etwas genauere Erörterungen gewünscht. Den Antinomien der zentralistischen Planwirtschaft gilt das dritte Kapitel, den außenpolitischen und innerdeutschen Beziehungen und der Kultur sind die folgenden beiden Abschnitte gewidmet. Die für ein Verständnis der DDR-Geschichte zentrale Rolle der „Westorientierung“ bleibt dabei allerdings etwas blass. Dass die Kirchen unter dem Titel „Freiheiten und Feigheiten“ ein eigenes Kapitel erhalten, bevor die Skizze der friedlichen Revolution das Büchlein beschließt, ist wohlbegründet und entspricht der politischen und gesellschaftlichen Bedeutung dieser einzigen relativ autonomen Großorganisationen.

Jede systematische Gliederung des Stoffes bringt Probleme von Wiederholungen mit sich. Gravierender erscheint mir, dass die innere Differenzierung zwischen den Phasen der DDR-Entwicklung leicht verloren geht. Zwischen den 1950er- und 1980er-Jahren liegen bisweilen erhebliche Unterschiede, auch wenn die Grundstruktur der SED-Diktatur die gleiche blieb. Hier zeigt die Darstellung deutliche Defizite. Die Schwierigkeiten mit der kompakten Formulierung komplexer Sachverhalte und Entwicklungen, wie sie jeder Schulbuch- oder Lexikonautor kennt, sind ebenfalls nicht zu übersehen. Die Widersprüchlichkeit als Kennzeichen der DDR wird zwar in allen Kapiteln sichtbar, aber sie konsequent zum Konstruktionsprinzip der Darstellung zu machen, ist doch nur annähernd gelungen. Eine stärkere gedankliche Durchdringung, konsequentere Argumentation und mehr sprachliche Sorgfalt wären dazu notwendig gewesen. Der Text macht einen etwas hektisch und unter großem Zeitdruck geschriebenen Eindruck. Ein gründliches Lektorat hätte ihm an vielen Stellen gut getan (aber das gibt es ja leider in den Verlagen immer seltener). Von etlichen sprachlich holprigen Formulierungen abgesehen fällt ins Auge, dass inhaltliche Zuordnungen nicht immer passen. So wird unter dem Abschnitt „Organisierte Verantwortungslosigkeit“ vor allem auf die Erfolge in bestimmten Bereichen eingegangen. Die „Mühen der internationalen Anerkennung“ werden erörtert, nachdem schon die neue Ostpolitik und der Grundlagenvertrag vorgestellt wurde. Der Abschnitt „Mauerstaat“ mit Zahlen über die Opfer der „Grenzsicherung“ beschließt das Schlusskapitel über die friedliche Revolution, ist aber kaum als abschließendes Resümee zu lesen.

Einige Schönheitsfehler sollten im Falle einer Neuauflage ausgemerzt werden: Die Hallstein-Doktrin stammt nicht von einem westdeutschen Außenminister (S. 52), sondern vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer verließ die DDR nicht 1956, sondern erst 1963. Meine kritischen Bemerkungen stellen nicht in Frage, dass es sich hier um ein ansprechend gestaltetes und für Nicht-Fachleute nützliches Bändchen auf dem Stand der Forschung handelt. Etwas mehr sprachliche und konzeptionelle Sorgfalt hätte ihm jedoch gut getan.

Anmerkung:
1 Hedwig Richter, Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR, Göttingen 2009.

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