Das Institut für Hochschulforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (HoF), an dem die beiden Autoren tätig sind, leistet seit Jahren Pionierarbeit in der Reflexion der Zeitgeschichtsforschung an und über die ostdeutschen Hochschulen – insbesondere in Form von Bibliographien und Analysen.1 In dem vorliegenden Band bündeln Daniel Hechler und Peer Pasternack zentrale Ergebnisse der langjährigen Forschung. Sie stellen konkret dar, wie sich die ostdeutschen Hochschulen um die Aufarbeitung ihrer Zeitgeschichte bemühen und legen die öffentlichen und internen Diskurse darüber offen. Die Studie gliedert sich in drei Teile: Die Darlegung der Problemstellung und des Untersuchungsdesigns, die empirische Bestandsaufnahme und die Auswertungen und Vergleiche der Ergebnisse.
Generell überzeugend ist die gut verständliche und anschauliche Präsentation der Forschungsergebnisse. Denn diese ermöglicht es auch interessierten Personen außerhalb der historischen Profession, die Thesen und Resultate der Analyse nachzuvollziehen. Vermutlich diesem Ansatz geschuldet ist eine sehr umfangreiche Erläuterung des methodischen und begrifflichen Konzepts und des Untersuchungsgegenstandes zu Beginn der Studie. Ähnlich hilfreich ist eine ausführliche Abhandlung über Geschichtswissen und Deutungshoheiten zur DDR-Geschichte, zum Beispiel über Gedächtnisformen und Identitätsbildung.
Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt eindeutig auf der Beschäftigung der ostdeutschen Hochschulen mit ihrer DDR-Vergangenheit. Die Zeit des Nationalsozialismus und die Jahre seit 1989 werden eher am Rande gestreift und vor allem für den quantitativen Vergleich der Aufarbeitungsbemühungen herangezogen. Auf diesen Vergleich folgen Erläuterungen zu den Entwicklungslinien der ostdeutschen Hochschulgeschichte und zu Abhandlungen über diesen Gegenstand, die mehrere Hochschulstandorte einbeziehen.
Schritt für Schritt arbeitet die Studie die verschiedenen Publikationstätigkeiten der unterschiedlichen Hochschulen ab. Die Autoren zählen die entstandenen Schriften, Monographien und Schriftenreihen zur Hochschulgeschichte. Sie listen Ausstellungen auf, fragen, inwiefern die Hochschulen ihre eigene Zeitgeschichte im Internet präsentieren, untersuchen hochschuleigene Zeitschriften auf diesen Inhalt und verzeichnen Gedenkzeichen und Denkmäler an Hochschulstandorten, die einen zeitgeschichtlichen Bezug aufweisen. Die Stärke des Bandes liegt vor allem in seiner Übersichtlichkeit. Die Befunde werden knapp und verständlich zusammengefasst.
Besonders interessant sind für den Leser die Interviews mit Verantwortlichen für Jubiläen und Universitätsgeschichte, die die Autoren selbst geführt haben. Einig waren sich viele Befragte offenbar darin, dass zum Beispiel die Erstellung eines Jubiläumsbandes eher den Charakter einer Strafarbeit hatte, die von der Hochschulleitung – wenn überhaupt – erst bei erfolgreichem Abschluss gewürdigt wurde. Aus diesen Interviews wird sehr deutlich, dass die personelle und finanzielle Ausstattung der Geschichtsaufarbeitung maßgeblich davon abhängt, welche Haltung das jeweilige Rektorat zu dieser einnimmt. Die unter den Interviewten verbreitete Ansicht, dass die Beschäftigung mit (Hochschul-)zeitgeschichte für die Studenten nur von geringem Interesse wäre, wird von den Autoren dahingehend relativiert, dass dies auch maßgeblich vom persönlichen Engagement der Lehrenden abhängt.
In den darauf folgenden Fallstudien stellen Hechler und Pasternack am Beispiel einiger ausgewählter Universitäten und Hochschulen dar, wie intensiv sich diese um die Aufarbeitung der eigenen Zeitgeschichte bemühten – oder eben auch nicht bemühten. Das Spektrum reicht von einer regelrechten Zeitgeschichtsabstinenz bis zur vorbildlich kritischen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Dennoch landen die meisten Hochschulen hinsichtlich der Quantität und der Qualität ihrer „Aufarbeitung“ eher im hinteren Mittelfeld. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch der Umgang der Hochschulen mit teilweise schwierigen Namenspatronen. Auch auf diesem Feld gab es kritische und hart umkämpfte Diskussionen (wie zum Beispiel an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald), als auch relativ schnell verebbende Auseinandersetzungen, etwa um den Namen der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“.
Viel Raum widmen die Autoren der Darstellung der universitätsgeschichtlichen Aktivitäten an der Universität Leipzig und hier vor allem dem Umgang mit der Diskussion um die im Jahre 1968 abgerissene Paulinerkirche. Darauf folgt eine als „Best Practice und Worst Case“ betitelte Gegenüberstellung der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Humboldt-Universität Berlin: Jena habe sich frühzeitig ihrer eigenen Zeitgeschichte ausführlich gewidmet während Berlin dementsprechende Aktivitäten lange vermissen ließ. Diese bewusst überspitzte These wird im Laufe des Kapitels doch eher relativiert, in dem die verschiedenen Publikations-, Ausstellungs- und Präsentationstätigkeiten verglichen werden. Nichtsdestotrotz wird hier besonders deutlich, dass nicht nur die Quantität, sondern vor allem die Qualität solcher zeitgeschichtlicher Bemühungen eine besonders große Rolle spielen sollte. Doch gerade die Qualität gerät in diesem Vergleich durch die tabellarischen Gegenüberstellungen einzelner Teilprojekte teilweise in den Hintergrund. Ebenso wäre es für die gesamte Analyse gewinnbringender gewesen, deutlicher zwischen internen und externen Veröffentlichungen zu unterscheiden – so hätte sich der Aufarbeitungswille der Hochschulen deutlicher herausstellen lassen. Dies klingt zwar im Ansatz immer wieder an, der Unterschied lässt sich aber bei einigen Aufzählungen nur schwer ausmachen.
Die sehr konsequent strukturierte Darstellung der Studie hat für den Leser den Vorteil, die Ergebnisse der Analysen sehr gut nachvollziehbar zu machen. Allerdings bringt dieser Ansatz auffallend viele Redundanzen mit sich. So wird zum Beispiel ein kompletter Absatz zu einem späteren Zeitpunkt wortwörtlich wiederholt (S. 372 und S. 439).
Ohne Zweifel sind anstehende Jubiläen in fast allen Hochschul- und Universitätsstandorten der Ausgangspunkt, sich der eigenen Geschichte und damit auch der Zeitgeschichte zu widmen. Ob und in welchem Rahmen dies gewollt ist, ergibt sich aus einem komplexen Zusammenspiel von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft. Dabei arbeitet die Studie heraus, dass ein einheitliches Aufarbeiten und Erinnern nicht möglich ist. Dennoch – und das ist sicher ein großer Gewinn der Studie für alle, die sich mit Universitäts-, Hochschul- und Wissenschaftsgeschichte in institutioneller Anbindung beschäftigen – findet der Leser eine Art Leitfaden für eine erfolgreiche Umsetzung der Erwartungen der Geschichtswissenschaftler an die Hochschulen in Bezug auf die Zeitgeschichte. Man kann dem Buch also nur einen großen Leserkreis unter den für Jubiläen und Hochschulöffentlichkeit Verantwortlichen wünschen. Vielleicht führt es dazu, dass zumindest einige von Hechlers und Pasternacks Ratschlägen und Kritiken, vor allem bezogen auf die Notwendigkeit, benötigte Mittel für die Geschichtsaufarbeitung bereitzustellen, auch ernsthaft reflektiert und umgesetzt werden.
Anmerkung:
1 Die immer wieder aktualisierten Bibliographien sind einsehbar unter: <http://www.peer-pasternack.de/publikationen.html#biblio> (18.07.2013)