D. van Lente (Hrsg.): The Nuclear Age in Popular Media

Cover
Titel
The Nuclear Age in Popular Media. A Transnational History, 1945–1965


Herausgeber
van Lente, Dick
Reihe
Palgrave Studies in the History of Science and Technology
Erschienen
Basingstoke 2012: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
X, 280 S.
Preis
£58.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Nanz, Institut für Germanistik, Technische Universität Dresden

Die Darstellung des Atomkriegs in der Populärkultur ist ein Forschungsgebiet, auf dem bereits einige Vorarbeiten geleistet wurden. So gibt es Publikationen zum Atomkriegskino, zum Zivilschutzprogramm, zu Comics oder auch zur Literatur.1 Viele Studien konzentrieren sich allerdings lediglich auf einen Kultur- und Sprachraum, was spannende und fruchtbare Erkenntnisse hervorbringt, allerdings einen Blick jenseits der nationalen Grenzen – auch von Ost nach West – vernachlässigt.

Der Sammelband „The Nuclear Age in Popular Media“ geht einen anderen Weg. Der Anspruch ist hier, eine transnationale Geschichte der Jahre 1945 bis 1965 zu schreiben und dabei die Berichterstattung zur kriegerischen wie auch friedlichen Entwicklung der Atomforschung in acht ausgewählten Staaten zu vergleichen. Mit der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten ist den beiden Supermächten des Kalten Kriegs je ein Beitrag gewidmet; die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden sinnvollerweise in einer Studie gemeinsam behandelt; Großbritannien ist als Atommacht im zivilen wie militärischen Bereich im Band vertreten und wird wie die Niederlande als ein Beispiel für einen kleinen Staat mit einer ambitionierten zivilen Atomforschung untersucht. Japan repräsentiert den Sonderfall eines Landes, in dem zwei Städte durch Atombomben zerstört wurden, und das dennoch der Atomtechnologie zugewandt war. Schließlich wird mit der Atommacht Indien ein weiterer asiatischer Staat analysiert.

Quellen sind vorwiegend seinerzeit weit verbreitete populäre illustrierte Magazine wie der „Stern“ und die „Berliner Illustrierte Zeitung“ für West- und Ostdeutschland, die „Picture Post“ in Großbritannien oder „Life“ in den USA – um hier nur einen Teil der Auswahl zu nennen. Allein Indien ist ein Sonderfall, da im Untersuchungszeitraum etwa 80% der Bevölkerung nicht Lesen und Schreiben konnten und so nur die politische Elite („politically relevant public“ [S. 6], „Indian elite“ [S. 204]) die Magazine zur Kenntnis nahm – und zugleich kontrollierte. Zumindest in diesem Beitrag wird lediglich eine ‚Politik von oben‘ ausgewertet, die politisches Handeln und Verständnis allein Großstädtern und den in den Kulturtechniken Lesen und Schreiben geübten Bürgern überlässt – und andere Bevölkerungsteile, gar die Mehrheit, ausgrenzt. Für die problematische Seite dieser Herangehensweise denke man allein, was bei dem Thema naheliegt, an die indigenen Bewohner des Bikini-Atolls, die für die US-amerikanischen Atomtests unter Vorspiegelung falscher Voraussetzungen umgesiedelt wurden.

Die einzelnen länderspezifischen Beiträge folgen einem gleichen Muster: Nach einer Einführung zur Entwicklung der Nuklearwissenschaften und -technik sowie zu den dazugehörigen (politischen) Debatten im jeweiligen Land werden die untersuchten Magazine vorgestellt. Danach folgt eine Analyse der Inhalte (Texte wie Bilder) mit Fokus auf „nuclear narratives“ (S. 8), die rhetorische Figuren wie Metaphern oder Metonymien miteinbezieht. Die nur lose und somit unsystematische Herausarbeitung nuklearer Metaphern ist bedauerlich, da es insbesondere bei einer transnationalen Betrachtung vielversprechend erscheint, die Wanderungsbewegungen solcher Figuren zu verfolgen.

Bestimmte Themen werden in allen Beiträgen behandelt: Die Folgen von Hiroshima und Nagasaki, die ambivalente Rolle der Nuklearforschung zwischen zivilem Nutzen und militärischen Katastrophen, Atomtests und der Lucky Dragon-Vorfall, Zivilschutz, Anti-Atomproteste, Utopien, etc. Der Band schließt mit zwei Anhängen: Ein Bildessay ordnet knapp die in den Beiträgen besprochenen Abbildungen ein, ohne allerdings – was spannend gewesen wäre – bestimmte Narrative der Bilder herauszuarbeiten. Ein statistischer Anhang zeigt die Häufigkeit der Berichterstattung zur Nukleartechnik für die untersuchten Zeitschriften.

Ziel der Publikation sei es, so Herausgeber Dick van Lente in seiner Einleitung, die „representations of nuclear power“ (S. 3) in acht Staaten während der ersten beiden Jahrzehnte des nuklearen Zeitalters miteinander zu vergleichen und Abweichungen, Annäherungen oder Austauschprozesse herauszuarbeiten. Die nationalen Massenmedien würden die Debatten um die Nukleartechnologien mit all ihren Grundannahmen, Erfahrungen und kulturellen Konventionen reflektieren (S. 2). So schreibt Sonja D. Schmid in ihrem Beitrag zur sowjetischen Berichterstattung: Ein Magazin wie „Ogonyok“ liefere die Präskripte für die Art und Weise, wie die Öffentlichkeit über die Nukleartechnologie nachzudenken habe (S. 20). Denn Medien, so lässt sich davon ausgehend schlussfolgern, sind nie neutral, reflektieren nie ohne Eingriffe, sondern bearbeiten all das, was durch sie aufbereitet wird. Ob allerdings das, was die Magazine in ihren Berichten vorgeben, im Alltag der Menschen ankommt, kann der Band aus methodischen Gründen nicht beantworten. Dies gilt insbesondere für die Magazine in der sowjetischen Einflusssphäre und – aufgrund des hohen Anteils von Analphabeten – in Indien, da hier Reflexions- und Rückkoppelungsschleifen fehlen. In jenen westlichen Ländern, in denen die Nukleartechnik eher kritisch gesehen wurde, mag man die Berichte über Protestbewegungen als Reaktion auf die kritische Berichterstattung sehen.

Die konsequente Gestaltung der Beiträge ist die Stärke des sehr ambitioniert zusammengestellten Bandes. Die Autorinnen und Autoren sowie der Herausgeber haben hier viel Mühe für eine Konzeption aufgewendet, die eine transnationale Perspektive in die Berichterstattung der ersten beiden Jahrzehnte bietet. Obgleich die einzelnen Beiträge aufgrund ihrer für den nationalen Markt zugeschnittenen Magazine in erster Linie die landesspezifischen Debatten fokussieren, wird eine transnationale Perspektive durch eine Gesamtschau der Beiträge – die auch im abschließenden Aufsatz von Dolores Augustine und Dick van Lente vorgenommen wird – problemlos möglich und eröffnet anregende Perspektiven. Der Beitrag „Learning from War“ (Kapitel 4) von Dolores Augustine zu den Berichterstattungen in Ost- und Westdeutschland erweist sich so als unausgesprochenes Zentrum des Bandes: Der verdichtete Blick auf die positive Ausdeutung der zivilen Möglichkeiten der Atomforschung (Ostdeutschland) auf der einen Seite steht im direkten Kontrast zur Kritik an der Nukleartechnik auf der anderen Seite (Westdeutschland), wo in erster Linie Angst vor einem Atomkrieg artikuliert wurde (S. 109f.).

Sonja D. Schmid arbeitet in ihrem Beitrag „Shaping the Soviet Experience of the Atomic Age“ (Kapitel 2) heraus, wie die sowjetische Ideologie im Sinne des Aufbaus eines friedlichen sozialistischen Staates im Magazin „Ogonyok“ transportiert wurde. Das militärische Zerstörungspotential – die „dark side of the atom“ (S. 234) – wurde den „kriegstreibenden“ westlichen Staaten zugeschrieben. Die sowjetische Propaganda – so eine Annahme Schmids – schien zu funktionieren, sofern diese nur konsistent war und oft genug wiederholt wurde (S. 42).

Scott C. Zeman kann in seiner Untersuchung „To See ... Things Dangerous to Come to“ (Kapitel 3) der Berichterstattung im „Life Magazine“ dagegen festhalten, dass die US-amerikanischen Journalisten die Nukleartechnologie dichotomisch diskutierten: Zum einen wurde eine „bright atomic future“ propagiert, die sprunghafte Entwicklungen in der Raumfahrt, Medizin und anderen zivilen Projekten wie Hafen- und Kanalbau versprach (S. 67). Zum anderen wurde das zerstörerische Potential hervorgehoben, indem über die Folgen von Hiroshima und Nagasaki oder die Gefahr des Fallouts berichtet wurde. Der Beitrag „Dawn – Or Dusk?“ (Kapitel 5) von Christoph Laucht kann anhand der Artikel des Magazins „Picture Post“ die Ambivalenz – Utopie und Apokalypse des Nuklearzeitalters – auch in Großbritannien aufzeigen. Die weltweit erste größere Atomkatastrophe in Windscale und Filme wie „Dr. Strangelove“ (Stanley Kubrick, USA 1964) oder „The War Game“(Peter Watkins, GB 1965) – letztgenannter Film wurde sogar von der BBC für etwa 20 Jahre zurückgehalten – mögen die britischen Anti-Atomproteste beflügelt haben.

Ein eher pessimistisches Bild wird von „Panorama“ in den Niederlanden gezeichnet: Im Beitrag „Nuclear Power, World Politics, and a small Nation“ (Kapitel 6) von Dick van Lente wird deutlich, dass zwar auf der einen Seite die positiven Seiten der Atomkraft auch im Rahmen einer öffentlichkeitswirksamen Ausstellung hervorgehoben wurden, auf der anderen Seite aber in den journalistischen Beiträgen die Sorgen und Ängste vor der Nukleartechnologie überwogen. Für den transnationalen Vergleich ist interessant, dass „Panorama“ Artikel aus anderen Magazinen wie „Stern“ oder „Picture Post“ übernahm und so die Narrative anderer Illustrierter importierte.

Hirofumi Utsumi beobachtet in seinem Artikel „Nuclear Power Plants in ‚The Only A-bombed Country‘“ (Kapitel 7) einen Wandel im Selbstverständnis Japans: Hatten sich die Japaner zunächst als besiegter Aggressor nach Hiroshima und Nagasaki wahrgenommen, veränderte sich ihr Selbstbild hin zum unschuldigen Opfer (Lucky Dragon-Vorfall) und mündete in einem gewissen Stolz über moderne Nukleartechniken wie Atomkraftwerke. Im letzten länderspezifischen Beitrag „Promises of Indian Modernity“ (Kapitel 8) kann Hans-Joachim Bieber verdeutlichen, mit welch großem Optimismus sich die Artikel mit der Atomtechnologie befassten und Reaktorunfälle wie in Windscale teilweise ignorierten.

Einen besonderen Reiz entfalten die Untersuchungen dort, wo die Autorinnen und Autoren nicht nur die Magazine betrachten, sondern den Quellenkorpus mit anderen Medien erweitern: Spannend sind die Ausführungen zur Bedeutung einer Ausstellung, von Comics oder der Figur des „Mad Scientist“ in den Niederlanden (Kapitel 6); zu Mangas, Animationsfilmen und Godzilla in Japan (Kapitel 7); oder in fast jedem Beitrag die (oft leider nur kurzen) Betrachtungen zu Kinofilmen wie „Dr. Strangelove“, „On the Beach“ (Stanley Kramer, USA 1959), etc. Bei all diesen Beispielen wird deutlich, dass ein Blick auf andere Medien die Beiträge hätte weiter bereichern können.

Insgesamt handelt es sich bei „The Nuclear Age in Popular Media“ um einen sehr anregenden Sammelband – dank einer konsequenten Zusammenstellung der Beiträge, die eine transnationale Perspektive in den ersten zwanzig Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bietet.

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Jerome F. Shapiro, Atomic Bomb Cinema. The Apocalyptic Imagination on Film, New York 2002; Scott C. Zeman / Michael A. Amundson, Atomic Culture. How we Learned to Stop Worrying and Love the Bomb, Boulder 2004; M. Keith Booker, Monsters, Mushroom Clouds, and the Cold War. American Science Fiction and the Roots of Postmodernism, 1946–1964, Westport 2001; Spencer R. Weart, The Rise of Nuclear Fear, Cambridge 2012; H. Bruce Franklin, War Stars. The Superweapon and the American Imagination, Amherst 2008.

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