G. Förster (Hrsg.): Gender im Fokus historischer Perspektiven

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Titel
Gender im Fokus historischer Perspektiven. «Besonders tüchtig erscheint die holde Weiblichkeit.»


Herausgeber
Gabriele, Förster
Erschienen
Frankfurt am Main 2016: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
324 S.
Preis
€ 44,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Eger, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Exakt 30 Jahre nach der Veröffentlichung von Joan Wallach Scotts programmatischem Aufsatz zur Nützlichkeit von Gender als Analysekategorie für die historische Forschung1 erschien der vorliegende Sammelband mit dem Anliegen, zu der „Verortung von Gender in der Geschichte“ (S. 12) beizutragen. Dass ein solches Vorhaben nach wie vor Aktualität beanspruchen kann, bestätigt ein Blick auf die bundesdeutsche Forschungslandschaft. Während geschlechterhistorische Ansätze in der Erforschung des Mittelalters, der Frühen Neuzeit und des „langen 19. Jahrhunderts“ bereits als etabliert gelten können, zeigt sich vor allem in empirisch ausgerichteten Untersuchungen zur bundesdeutschen Zeitgeschichte nach 1945 nur eine zögerliche Übernahme solcher Zugänge. Allerdings beabsichtigten die hier versammelten Autorinnen weniger eine wissenschaftstheoretische Diskussion innerhalb der Geschichtswissenschaft zu leisten, als zu den interdisziplinären Ursprüngen von Gender zurückzukehren und „einen Blick aus historischer Perspektive auf das Geschlecht bzw. Gender auf der Grundlage unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen“ (S. 11–12) zu werfen.

Die zehn vorgelegten Aufsätze stellen eine Auswahl von Vorträgen der 2014 und 2015 abgehaltenen Forschungskolloquien des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterstudien (IZfG) an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald dar. Dabei umfasst der Autorinnenkreis sowohl Absolventinnen als auch Forschende aus allen Statusgruppen und Qualifikationsphasen der Universität Greifswald. Der Untersuchungszeitraum der chronologisch angeordneten Beiträge reicht vom Mittelalter bis zur Zeitgeschichte. Gemäß der interdisziplinären Ausrichtung des IZfG rekrutieren sich die Autorinnen aus den Fächern Geschichte, Germanistik, Theologie und Erziehungswissenschaft.

Anstelle einer Einleitung wird der Sammelband mit einem Vorwort von Gabriele Förster und sämtlichen Autorinnen eröffnet, wobei ein Großteil des Textes aus kurzen Vorstellungen der einzelnen Aufsätze besteht. Auf einen systematischen Überblick zum Forschungsstand und die Ausdifferenzierung einer die Beiträge rahmenden übergeordneten Fragestellung wurde hingegen verzichtet. Lediglich als kurzer Verweis auf die Herausforderungen, Probleme und Chancen der Verwendung von Gender als diskursiven Begriff und historische Forschungskategorie dient ein Zitat aus der Einleitung des Sammelbandes von Alina Bothe und Dominik Schuh: „Geschlecht in der Geschichte bzw. Gender in History ist eine relativ vage Verbindung einer Kategorie geschichtlichen Forschens mit der Historie an sich.“ 2 Aufgrund der interdisziplinären Hintergründe der Autorinnen sowie der thematischen Vielfalt ihrer Beiträge wäre jedoch eine ausführlichere Erläuterung des inhaltlichen und methodischen Verständnisses von Gender als einer Forschungskategorie für historischer Phänomene an dieser Stelle wünschenswert gewesen.

Insgesamt zeigt sich bei den Autorinnen die Nutzung von Gender sowohl als alleinige wie auch interdependente Forschungskategorie. Neben der Bestätigung älterer Erkenntnisse, wie etwa die Kontinuität bürgerlicher Geschlechterrollen in der Weimarer Republik am Beispiel des Profilierungsprozesses der Schulgesundheitspflege (Gabriele Förster), bieten die Beiträge, die Gender theoretisch und methodisch mit körpergeschichtlichen Ansätzen verknüpfen, neue Einblicke. Besonders im Beitrag von Hedwig Richter wird die Dominanz von diskursgeschichtlichen Ansätzen angesprochen und darauf verwiesen, die „Macht der Dinge, des Körpers“ (S. 9) für die Erforschung historischer Prozesse nicht zu unterschätzen. Hingegen liefert die genderlinguistische Vorgehensweise von Tina Gutjahr sowie die gewählte Gender-Perspektive von Jenny Linek bei der Auswertung von empirischem Datenmaterial wünschenswerte Ansätze für empirische geschlechterhistorische Untersuchungen der Zeitgeschichte.

Hedwig Richter widmet sich in ihrem Beitrag der Ex- und Inklusion von Frauen beim Wahlrecht in den USA und Preußen zwischen 1800 und 1920. Unter Rekurs auf Bourdieus „Natur der Dinge“ und der Frage „wie tief Machtverhältnisse in die Körper eingeschrieben sind“ (S. 178), stellt Richter einen Zusammenhang zwischen der Materialität und Körperlichkeit des Wählens und der erfolgreichen Implementierung moderner Wahlen im 19. Jahrhundert her. Anhand von zeitgenössischen Augenzeug/innenberichten, Zeitungsmeldungen, Karikaturen und Fotographien konzentriert sich Richter auf die konkreten Wahlpraktiken. Demnach determinierte sich der Wahlakt insbesondere in den USA aufgrund des massiven Alkohol- und Tabakkonsums sowie der auftretenden physischen Gewalt im Wahllokal als Herrschaftsakt der zunächst ausschließlich weißen Männlichkeit und bedingte dadurch die Exklusion der „Anderen“, obwohl das aufklärerische Ideal der „Allgemeinheit“ und „Gleichheit“ postuliert wurde. Zwar bedeutete das Rekurrieren auf die universelle Legitimität von Männlichkeit die sukzessive Inklusion von marginalisierten Männlichkeiten, dennoch blieb zunächst die „physische Abwegigkeit des Frauenwahlrechts“ bestehen (S. 189). Dementsprechend konnte nur über Reformbestrebungen, welche ein verändertes Setting für den Wahlprozess schufen, die Inklusion von Frauen „denkbar“ und dadurch gefördert werden.

Tina Gutjahr stellt die Ergebnisse ihrer Examensarbeit zum Thema der sprachlichen Darstellung beziehungsweise Konstruktion von Geschlecht(errollen) in Schulbüchern der DDR vor. Ihr methodisches Vorgehen der computergestützten genderlinguistischen Korpusanalyse generiert bereits in ihrem eher kleinen Raster von insgesamt vier untersuchten Deutsch- und Mathematiklehrbüchern aus den Jahren 1986/87 vielfältige Ergebnisse. Neben der Feststellung eines heteronormativen Geschlechterbildes innerhalb der Schulbücher konstatiert Gutjahr die Unterrepräsentation von weiblichen gegenüber männlichen Personen. Des Weiteren werden männliche Personen vorwiegend durch Berufs-, Amts-, Titel- und Tätigkeitsbezeichnungen definiert, weibliche Personen hingegen vermittels ihrer Vornamen oder durch Verwandtschaftsbeziehungen und Familie. Insbesondere bezüglich des politischen Frauenleitbilds der DDR, welches die Vereinbarkeit von Beruf, Haushalt und Mutterschaft beanspruchte, kann Gutjahr Diskrepanzen aufzeigen. Zwar werden weibliche Personen tatsächlich in allen drei Bereichen präsentiert, dennoch tritt die Darstellung als Berufstätige quantitativ in den Hintergrund, zudem werden fast ausschließlich Berufe mit niedriger Qualifikation genannt. Hingegen werden männliche Personen spärlich mit Haushalt und Familie assoziiert, sondern vorrangig als Berufstätige mit hoher Qualifikation genannt. Insgesamt präsentiert Gutjahr mit ihrer Methode erste Ergebnisse für zukünftig größer angelegte quantitative zeitgeschichtliche Erforschungen von in (Schul-)Büchern vermittelten Geschlechtervorstellungen.

Jenny Linek behandelt in ihrem Beitrag den geschlechtsspezifischen Tabak- und Alkoholkonsum in der DDR. Vermittels der diskursanalytischen Untersuchung von zeitgenössischen Gesundheitsratgebern, -zeitschriften, -broschüren und -filmen legt Linek die transportierten Geschlechtervorstellungen in der Gesundheitserziehung der DDR in den 1950er bis 1980er Jahren dar. Diese sollte offiziell mit einer geschlechterneutralen Ausrichtung „die sozialistische Persönlichkeit“ (S. 305) ansprechen, dennoch wurden mehrheitlich Frauen adressiert. Allerdings dienten Männer vorrangig als Anschauungsobjekte für negative Verhaltensweisen, während Frauen als „verantwortungsbewusst handelndes Pendant in Erscheinung“ traten, welches zusätzlich „dem Mann den richtigen Weg weist.“ (S. 309) In der Gegenüberstellung mit den subjektiven Wahrnehmungen der DDR-Bürger/innen anhand von Eingaben an das Gesundheitsministerium sowie Brigadetagebüchern ergeben sich jedoch konträre Geschlechtervorstellungen: „Besonders tüchtig erscheint die holde Weiblichkeit“ (S. 313) bezüglich des übermäßigen Verzehrs von Genussmitteln. Hierbei verweist Linek darauf, dass die Darstellungsweise in den Medien der Gesundheitserziehung auf keinem empirischen Fundament beruhte. Stattdessen wurden bürgerliche Vorstellungen von weiblicher Verantwortung und Sorgfalt sowie von männlicher Leistungsstärke und Maßlosigkeit reproduziert. Später gesammelte Daten wurden nicht einbezogen, sondern unter Verschluss gehalten, da der übermäßige Genussmittelkonsum nur ein marginales, beinahe tabuisiertes Thema der DDR-Gesundheitsaufklärung darstellte. Dementsprechend unterlagen, trotz des statistisch höheren Verbrauchs von Alkohol und Zigaretten durch Männer, Frauen stärkeren gesellschaftlichen Normvorstellungen, weswegen ihr Konsum von Genussmitteln in den Selbstzeugnissen vorrangig problematisiert wurde.

Im Ganzen bietet der Sammelband durch die Vorstellung von abgeschlossenen und laufenden Forschungsarbeiten des IZfG einen ergiebigen Einblick in gegenwärtige interdisziplinäre Ansätze der historischen Geschlechterforschung im deutschsprachigen Raum. Die unterschiedlich intensive Berücksichtigung von Gender-Aspekten in den jeweiligen Beiträgen dürfte aufgrund der aussagekräftigen Aufsatztitel, Informationsbündelung sowie guten Lesbarkeit vor allem für Studierende hilfreich sein, um eine Vorstellung von der Bandbreite geschlechterhistorische Forschungsansätze in den jeweils behandelten Epochen und Themen zu erhalten und zu neuen Untersuchungen anzuregen.

Anmerkungen
1 Joan Wallach Scott, Gender: A Useful Category for Historical Research, in: The American Historical Review 91, 5 (1986), S. 1053–1075.
2 Alina Bothe / Dominik Schuh, Geschlecht in der Geschichte? Zwischen Integration und Separation einer Forschungskategorie, in: Dies. (Hrsg.), Geschlecht in der Geschichte. Integriert oder separiert? Gender als historische Forschungskategorie (Mainzer Historische Kulturwissenschaften 20), Bielefeld 2014, S. 9–32, S. 11.

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