Mit „Lions and Lambs“ hat Noah Benezra Strote ein überaus ambitioniertes, thesenstarkes und beeindruckendes Buch vorgelegt. Es verbindet sorgfältige und feinsinnige ideengeschichtliche Analysen mit einer weiterreichenden These über den Wandel der politischen Kultur in Deutschland von der Weimarer Republik bis in die späten 1960er-Jahre. Strotes besondere historiographische Leistung liegt weniger darin, dass er bislang vergessene Intellektuelle ausgraben oder zu Unrecht übersehene Quellen zutage fördern würde, sondern vielmehr darin, über verschiedene intellektuelle Felder und diskursive Zusammenhänge hinweg eine allgemeinere Denkbewegung nachzuzeichnen. Im Kern geht es ihm darum zu zeigen, wie aus der in verschiedene sozialmoralische Milieus fragmentierten politischen Kultur der Weimarer Republik, die von einer Rhetorik des existenziellen politischen „Kampfes“ geprägt war, die liberale, pluralistische und friedliche „Ideologie der Partnerschaft“ (S. 150) wurde, die die Bundesrepublik geprägt hat. Dabei wendet er sich gegen die Amerikanisierungsthese, indem er überzeugend nachweist, dass die Öffnung und Liberalisierung Westdeutschlands nicht des US-amerikanischen Ideenimportes bedurfte, sondern vielmehr aus einer endogenen intellektuellen Entwicklung resultierte, die er vor allem auf die Erfahrung des Nationalsozialismus zurückführt. Damit ist „Lions und Lambs“ von mehr als bloß historiographischem Interesse, wie Strote in der Einleitung betont. Schließlich dient die als Erfolg eingestufte westdeutsche Geschichte nach 1945 noch immer als Vorbild für US-amerikanische Demokratisierungsbemühungen weltweit.
In zwei symmetrisch angeordneten Teilen mit jeweils fünf Kapiteln untersucht Strote die Diskussion über die Stellung der Justiz in der Verfassungsordnung, die Ordnung der Wirtschaft, die nationale oder internationale Ausrichtung der Schulbildung und die Autonomie von Religion und Kirche im Staat jeweils in der Weimarer Republik und im westdeutschen Wiederaufbau nach 1945. Einem Kapitel, das die Enttäuschung der Konservativen im Nationalsozialismus behandelt, steht ein Kapitel zur Bedeutung der Frankfurter Schule für die Integration der politischen Linken in die frühe Bundesrepublik gegenüber. Auch wenn zahlreiche Personen in Strotes Arbeit auftauchen, bilden doch einige bekannte und weniger bekannte Figuren das Zentrum, anhand derer er die Entwicklung von intellektuellem Konflikt und Kampf zu Konsensorientierung und Partnerschaft nachzeichnet: Gerhard Leibholz, Ernst Fraenkel, Wilhelm Röpke, Oswald von Nell-Breuning, Arnold Bergstraesser, Helmuth Plessner, Hans-Joachim Schoeps, Ernst Benz, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Seine Arbeit folgt dem neueren Trend, Intellektuellengeschichte(n) über die politischen System- und Epochengrenzen hinweg zu erzählen1, fügt ihm aber mit dem Fokus nicht auf gedankliche Inhalte, sondern auf abstraktere Denkfiguren in verschiedenen Feldern einen wesentlichen Aspekt hinzu.
Für die Verfassungskrise der Weimarer Republik zeigt Strote, wie sich angesichts der unklaren souveränitätspolitischen Konstellation die Position der Justiz, dass sie das Recht zur Überprüfung von Gesetzen habe, und die vor allem von der politischen Linken vertretene Parlaments- und Volkssouveränität unversöhnlich gegenüberstanden. Erst die Erfahrung des nationalsozialistischen Maßnahmenstaates habe den sozialdemokratischen Juristen Ernst Fraenkel zur Akzeptanz eines unabhängigen höchsten Gerichtes als Hüter der Verfassung geführt und konservative Juristen wie Gerhard Leibholz zur Akzeptanz naturrechtlicher Prinzipien jenseits staatlicher Macht.
Ganz ähnlich argumentiert Strote, dass der Konflikt über eine einheitliche nationale Erziehung und die Stellung des Völkerbundes bzw. generell des Internationalen in den Schulcurricula in der Weimarer Republik durch die Hypertrophie des Nationalen im Nationalsozialismus und dessen Scheitern abgeschwächt worden sei. Im Zeichen des Kalten Krieges eröffnete sich harten Antikommunisten wie Arnold Bergstraesser vielmehr die Möglichkeit, durch die Konstruktion einer einheitlichen europäisch-abendländischen Identität die Opposition des Nationalen und Internationalen zu überwinden. Für den Bereich der Wirtschaft erzählt Strote die bekanntere Geschichte, wie der unversöhnliche Konflikt zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften in der Weimarer Republik angesichts der verbreiteten Furcht vor einem kommunistischen Umsturz zur Akzeptanz des Nationalsozialismus als antikommunistische Kraft führte. Nicht zuletzt unter dem Eindruck der NS-Zwangswirtschaft öffneten sich jedoch auch Ordoliberale für sozialpolitische Maßnahmen und den Ausgleich mit den Gewerkschaften in der Sozialen Marktwirtschaft.
Für Kirchenvertreter und christlich geprägte Intellektuelle argumentiert Strote, dass deren Hinwendung zum Nationalsozialismus nicht auf ihren Antisemitismus zurückzuführen sei. Vielmehr hätten sie die Juden geopfert („the sacrifice of the Jewish minority“, S. 113–118), um kirchliche Rechte gegen den Säkularismus zu schützen, den sie vor allem bei den Sozialdemokraten und Kommunisten verorteten. Am Beispiel von Hans-Joachim Schoeps zeigt Strote, dass radikaler Antisäkularismus auch von nationalistischen Juden geteilt werden konnte, deren Enttäuschung nach 1933 dann umso größer war. Im Zeichen des Antikommunismus boten sich Schoeps in der Bundesrepublik Möglichkeiten, partnerschaftliche Beziehungen mit konservativen Christen aufzubauen. Nachdem in der Weimarer Republik gerade die Zerrissenheit der Gesellschaft in verschiedene sozialmoralische Milieus das Ideal einer einheitlichen, nationalen, christlichen Kultur attraktiv gemacht habe, sei so nach der „Gleichschaltung“ im Nationalsozialismus unter den Bedingungen des Kalten Krieges zunehmend ein partnerschaftlicher Pluralismus verschiedener Weltanschauungen akzeptiert worden.
An dieser intellektuellen Abrüstung wirkte, so weist Strote nach, auf der anderen Seite des politischen Spektrums die Frankfurter Schule mit. Statt Fundamentalkritik am kapitalistischen System zu äußern und wie in den 1920er-Jahren die Flamme der reinen Gesinnung hoch zu halten, sei Max Horkheimer nun bereit gewesen, an Bildungs- und Erziehungsprojekten mitzuwirken, selbst wenn diese vom christlich-konservativen Innenminister und ehemaligen NSDAP-Mitglied Gerhard Schröder ins Leben gerufen wurden (S. 247). Weil kommunistische Arbeit in den Vereinigten Staaten unmöglich gewesen sei, habe sich der Kern der Forschungstätigkeit des Instituts auf Arbeiten zu Vorurteilen und zum „autoritären Charakter“ verschoben, die auch in demokratisch-pluralistischen Gesellschaftsordnungen anschlussfähig waren. Erst Teile der sozialistischen Studentenbewegung hätten sich dann in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre wieder von der „Ideologie der Partnerschaft“ und dem Pluralismus verabschiedet, sodass Horkheimer es 1968 für nötig hielt, einer Neuausgabe seiner Schriften aus der Weimarer Republik die Erklärung voranzustellen, dass trotz aller Defizite eine Demokratie besser sei als eine Diktatur, zu der eine Revolution notwendig führen würde.
Eine so breite, ambitionierte und thesenstarke Arbeit wie „Lions and Lambs“, die eine Vielzahl von Intellektuellen über 40 Jahre und drei politische Systeme hinweg verfolgt und ihre Schriften zur allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Beziehung zu setzen sucht, eröffnet notwendigerweise viele Flanken für Einwände und Kritik, von denen am Ende zumindest zwei angeführt seien. Der Titel des Buches bezieht sich auf die biblische Prophezeiung eines pazifizierten Gesellschaftszustandes, in dem Löwen und Lämmer friedlich nebeneinander leben. Gregory Bateson zitierend, erklärt Strote, dass die Löwen und die Lämmer dann friedlich beieinanderliegen, wenn es nur stark genug regnet, und suggeriert, dass die Vernichtungsorgie des Nationalsozialismus der Regen war, der die Löwen und Lämmer der Weimarer Republik zum partnerschaftlichen Umgang bewegte. Die Metapher trägt aber kaum weiter, und es bleibt bei der Lektüre unklar, wer eigentlich die Löwen und wer die Lämmer waren, schildert Strote doch eher Auseinandersetzungen unter Gleichen. Wäre dies noch der kleinliche Einwand, dass die titelgebende Metapher nicht ganz stimmig ist, deutet er doch insgesamt auf eine sehr – und meines Erachtens: zu – starke Betonung des Religiösen in den intellektuellen Auseinandersetzungen. Ausschlaggebend für intellektuelle Konflikte scheinen bei Strote meist religiöse Bekenntnisse zu sein, wohingegen andere Ursachen für Konsens und Dissens unterbelichtet bleiben. Dies ist vor allem dort problematisch, wo das Buch eine Verbindung zwischen der Intellektuellengeschichte im engeren Sinne und der allgemeineren politischen Geschichte zu ziehen versucht: Waren die kulturpolitischen Auseinandersetzungen am Ende der Weimarer Republik wirklich entscheidend für die wachsende Akzeptanz des Nationalsozialismus unter Konservativen, oder waren es nicht vielmehr die Furcht vor dem Bürgerkrieg, die Ablehnung des Parlamentarismus und das Verlangen nach einem starken Staat über den Parteien?
So wichtig Strotes Ziel ist, seine intellektuellen Protagonisten zur allgemeinen politischen Entwicklung in Beziehung zu setzen, so schwierig bleibt diese Relationierung dann doch im Detail. Waren die Intellektuellen Ideengeber, oder reflektierten sie lediglich Entwicklungen, die auch ohne sie stattgefunden hätten? Auf diese Grundfrage der Intellectual History keine abschließenden Antworten zu geben kann man Strotes anregender Studie nicht vorwerfen. Den Anforderungen der amerikanischen Verlage, die Bücher für einen möglichst breiten Leserkreis herstellen möchten, ist es hingegen zuzuschreiben, dass in vielen kontextualisierenden Passagen Altbekanntes und Selbstverständliches gesagt wird, was in der notgedrungenen Kürze nicht immer ganz genau ist.
Anmerkung:
1 Daniel Morat, Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger 1920–1960, Göttingen 2007; Udi Greenberg, The Weimar Century. German Émigrés and the Ideological Foundations of the Cold War, Princeton 2014.