T. Weber: Embracing 'Asia' in China and Japan

Titel
Embracing 'Asia' in China and Japan. Asianism Discourse and the Contest for Hegemony, 1912–1933


Autor(en)
Weber, Torsten
Erschienen
New York 2018: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
XXI, 407 S.
Preis
€ 117,69
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Brandenburg, UFSP Asien und Europa, Universität Zürich

Embracing ‘Asia’ in China and Japan ist die lang erwartete Publikation von Torsten Webers 2012 an der Universität Heidelberg eingereichter und 2014 mit dem JaDe-Preis ausgezeichneter Dissertationsschrift. Es handelt sich, soviel sei vorweggenommen, um einen willkommenen Beitrag zur japanischen Geistesgeschichte und japanisch-chinesischen Verflechtungsgeschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Webers Studie widmet sich weniger dem Panasiatismus (alternativ: Panasianismus) als politischer Ideologie, sondern nimmt den Panasiatismus-Diskurs („Asianism discourse“) in den Blick, den Weber als Rahmen für die Auseinandersetzung japanischer und chinesischer Denker mit dem Verhältnis ihrer Länder zu Asien und zueinander begreift. Für den Begriff des Panasiatismus gibt Weber eine Minimaldefinition als „Asia principle“ (S. 5), wobei er sich nach der Grundbedeutung der Schriftzeichen des japanischen bzw. chinesischen Äquivalents Ajia shugi/Yaxiya zhuyi richtet. Anstelle eines ausformulierten und kohärenten Gedankengebildes habe Panasiatismus oftmals ein Instrument innerhalb von Debatten dargestellt, „to promote different political agendas that sometimes had little to do with ‘Asia’ itself“ (S. 9). Diese Betonung der Vieldeutigkeit und Funktionalität panasiatischer Überlegungen hat zur Folge, dass der Kern dessen, was Panasiatismus ausmacht, relativ vage und schwer fassbar bleibt. Positiv wirkt sich dies jedoch in dem Sinne aus, dass Weber so auch eine Vielzahl von Kritiken und Gegenentwürfen zum Panasiatismus prominent besprechen kann, welche die Dynamik der Debatte illustrieren.

Webers Untersuchung ist im Wesentlichen chronologisch angelegt. Sie zeichnet nach, wie panasiatische Ideen, die im Japan der Meiji-Zeit (1868–1912) noch marginalisiert waren, mit dem Ersten Weltkrieg und in den 1920er-Jahren an Popularität gewannen, bis sie schließlich in den 1930er- und 1940er-Jahren sogar zur Legitimationsgrundlage japanischer Expansionspolitik wurden. Die Studie stützt sich auf eine beeindruckende Zahl japanischer und chinesischer Primärtexte, wobei allerdings Japan immer im Zentrum der Betrachtung steht. Den Kern des Untersuchungszeitraums bildet Japans Taishō-Zeit (1912–1926), die laut Weber den Höhepunkt des vielstimmigen und transnationalen Panasiatismus-Diskurses markiert. Nach der konzeptionellen Einleitung und einer Diskussion der Forschungsliteratur zum Panasiatismus in den ersten beiden Kapiteln blickt Kapitel drei zurück auf erste Repräsentanten panasiatischer Ideen und die früheste Verwendung des Terminus Ajia shugi (Panasiatismus) im Jahr 1892 in der Meiji-Zeit (S. 71). Nicht zuletzt in Anbetracht euro-amerikanischer Ängste vor einer japanisch-chinesischen Koalition wurden gemeinsame asiatische Interessen zunächst meist negiert. Einen Umschwung erkennt Weber in den Jahren 1912–13, wobei zwei Einflüsse von außen entscheidend gewesen seien: eine sympathisierende Erörterung asiatischer Zusammenarbeit in einer chinesischen Zeitschrift sowie eine kontroverse Debatte, die der britische Journalist Valentine Chirol und der amerikanische Admiral Alfred T. Mahan darüber führten, ob sich Japaner als Asiaten in die amerikanische Gesellschaft integrieren ließen oder ob sie, wie in Kalifornien geschehen, durch rassistische Gesetzgebung ausgegrenzt werden sollten. Im vierten Kapitel widmet sich Weber dem Ersten Weltkrieg als „Asianist moment“, der angesichts der Krise Europas von Denkern wie Tokutomu Sohō oder Ōtani Kōzui als Chance für panasiatische Entwürfe begriffen wurde. Gegenüber solchen Ideen, die weitgehend machtpolitisch argumentierten und insbesondere unter dem Schlagwort der „Asian Monroe Doctrine“ firmierten, stellt Kapitel fünf ein Erstarken von rassistischen und kulturalistischen Argumenten im Panasiatismus-Diskurs fest. Als äußere Faktoren hebt Weber das Scheitern von Japans Racial Equality Proposal auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 und die Unterbindung japanischer Einwanderung in die USA 1924 hervor. Das sechste Kapitel beschreibt die Kulmination der Panasiatismus-Ideen in zwei zivilgesellschaftlich und, in Webers Worten, „von unten“ organisierten Kongressen in Nagasaki (1926) und Shanghai (1927), die trotz des Fehlens greifbarer Resultate den Höhepunkt transnationaler Initiativen darstellten. Des Weiteren diskutiert es die durch Richard N. Coudenhove-Kalergis Paneuropa-Ideen inspirierten Gedanken Nagatomi (Kajima) Morinosukes. Kapitel sieben blickt auf die folgende Vereinnahmung panasiatischer Ideen durch den japanischen Staat mit der Gründung staatsnaher panasiatischer Gesellschaften sowie des japanischen Satellitenstaats Mandschukuo 1932, der fortan als Symbol für die Implementierung des Panasiatismus genutzt wurde. Hiermit kam gemäß Weber der transnationale Panasiatismus-Diskurs zu seinem Ende. Das zusammenfassende achte Kapitel schlägt den Bogen in die heutige Zeit und demonstriert anhand einer kursorischen Diskussion aktueller Ansätze zur Etablierung einer ostasiatischen Regionalordnung die Notwendigkeit, historische Panasiatismus-Ansätze neu zu evaluieren.

Webers sorgsame Auswertung einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven auf den Panasiatismus macht eindrucksvoll die Dynamik und Interaktivität in japanischen und chinesischen Panasiatismus-Debatten über den Zeitraum von zwei Dekaden deutlich. Gleichzeitig unterstreicht die Studie, dass Panasiatismus nicht von vornherein auf ein Konzept der Beherrschung Chinas durch Japan reduziert werden sollte, sondern dass sich darin auch Anknüpfungspunkte für ein partnerschaftliches Verhältnis der beiden Länder finden lassen. Einleuchtend ist Webers Feststellung, Panasiatismus sei in Japan zunächst als Initiative von außen, vor allem aus China, wahrgenommen worden, um Japan für anti-imperialistische Ziele zu gewinnen (S. 95). Kritisch anzumerken ist allerdings, dass aufgrund der im Wesentlichen geistesgeschichtlichen Ausrichtung der Untersuchung panasiatische Netzwerke und Organisationen unterbeleuchtet wirken und wichtige Akteure wie Tōyama Mitsuru, Uchida Ryōhei oder Ōkawa Shūmei nur am Rande erwähnt werden. Ein zweiter Schwachpunkt liegt in der Abgrenzung des gewählten Untersuchungszeitraums. So ist es sicherlich korrekt, dass die chinesische Xinhai-Revolution 1911 neue Chancen für panasiatische Aktivisten und Entwürfe eröffnete. Wenig überzeugend ist jedoch die Argumentation, die Mahan-Chirol-Debatte habe 1913 erstmals eine größere japanische Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, wie Weber schreibt, „that [...] Japan’s potential role as a leader of ‘Asia’ was controversially discussed abroad, that is, in the ‘West’“ (S. 93). Tatsächlich thematisierten japanische Zeitungen spätestens seit dem Russisch-Japanischen Krieg 1904–05 wiederholt das in euro-amerikanischen Öffentlichkeiten zirkulierende und rassistisch codierte Szenario einer anti-europäischen Allianz zwischen Japan, China und bisweilen anderen Teilen Asiens. Insbesondere der deutsche Kaiser Wilhelm II. wurde in der japanischen Presse für die Verbreitung solcher Gelbe-Gefahr-Szenarien scharf kritisiert.1 Auch das Ende des Untersuchungszeitraums zu Beginn der 1930er-Jahre verwundert etwas, da zu jenem Zeitpunkt Japans militärische Expansion nach China und in andere Teile Asiens erst richtig begann. Drittens kommt Weber zwar verschiedentlich auf Wechselwirkungen zwischen dem japanisch-chinesischen Panasiatismus-Diskurs und dem euro-amerikanischen Gelbe-Gefahr-Diskurs zu sprechen, doch hätte eine intensivere Auseinandersetzung speziell für das frühe 20. Jahrhundert noch weitere Erkenntnisse hinsichtlich der transnationalen Verflechtung der Panasiatismus-Debatten ermöglicht. So ist beispielsweise der Begriff „panasiatisme“ im Französischen bereits in den frühen 1900er-Jahren anzutreffen und bezeichnet im Kontext der Gelbe-Gefahr-Szenarien das (zu jenem frühen Zeitpunkt noch unterstellte) japanische Bestreben nach Expansion in Asien.2 Es ist zu vermuten, dass chinesische Kommentatoren schon früh mit solchen Szenarien vertraut waren und ihre skeptischen oder affirmativen Äußerungen zum Panasiatismus auch vor diesem Hintergrund zu verstehen sind.

Diskutabel ist zuletzt Webers Feststellung, Panasiatismus habe, im Unterschied zum Orientalismus im Said’schen Sinne, eine asiatische Strategie „for reclaiming [...] authority over ‘Asia’“ (S. 13) dargestellt. Weber selbst stellt diese emanzipatorische Perspektive in seinem Schlusswort bereits wieder in Frage, indem er, den koreanischen Historiker Baik Young-seo zitierend, auf die Marginalisierung von Koreanern in den japanisch-chinesischen Interaktionen hinweist. Emanzipatorisches und unterdrückerisches Potential des Panasiatismus hängen letztlich wohl mit der sich durch die Panasiatismus-Debatten ziehenden – und im Untertitel von Webers Buch („the contest for hegemony“) angedeuteten –Problematik zusammen, wie und von wem der repräsentative Slogan „Asien den Asiaten“ konkret ausgelegt wird. In seiner fundierten und inspirierenden Erörterung dieses Themas ist Weber zweifellos ein bedeutender Beitrag nicht nur zur Panasiatismus-Forschung im engeren Sinne, sondern auch zur Historiographie Ostasiens im Allgemeinen gelungen.

Anmerkungen:
1 Akira Iikura, The 'Yellow Peril' and its Influence on Japanese-German Relations, in: Christian W. Spang and Rolf-Harald Wippich (Hrsg.), Japanese-German Relations, 1895–1945. War, Diplomacy and Public Opinion, London 2006, S. 80–97.
2 Gérard Siary, L'ours et le singe. Perceptions européennes de la guerre russo-japonaise, in: Dany Savelli (Hrsg.), Faits et imaginaires de la guerre russo-japonaise (1904–1905), Paris 2005, S. 247–279, bes. S. 260.