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Titel
Aufklärung habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa, 1750–1850


Autor(en)
Fillafer, Franz Leander
Erschienen
Göttingen 2020: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
628 S.
Preis
€ 54,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Vocelka, Österreichische Geschichte, Universität Wien

Das umfangreiche Buch des selbstbewussten Autors, der an der Akademie der Wissenschaften in Wien arbeitet, wendet sich gegen die „Erfolgsgeschichte der säkular-demokratischen Moderne“ (S. 13) und will versuchen, die „mehrschichtige und vielgestaltige Aufklärung in der Habsburgermonarchie“ (S. 11f.) zu erforschen. Allerdings muss man auch den globalen Kontext sehen. Denn ohne die Aufklärung – begonnen schon im 17. Jahrhundert bei John Locke, der unter anderem für Naturrecht, Gewaltenteilung, Gleichheit und Toleranz eintrat – wäre ein guter Teil unsere Welt weder säkular noch demokratisch, insofern ist die Aufklärung nicht nur ein Produkt, das mit der französischen Revolution geschaffen wurde, sondern der lange davor beginnende Prozess einer „Erfolgsgeschichte“. Dass die erste Erklärung der Menschenrechte im Prozess der Entstehung der USA stattfand, zeigt einen der Impulse, die schon einige Zeit vor 1789 existierten.

Sicherlich ist Fillafers Bemerkung, dass die katholische Welt in der Betrachtung der Aufklärung vernachlässigt wurde, sehr richtig. Er spricht von einer sich verändernden Definition der Aufklärung und erklärt die oft gewählte Epochengrenze für nicht existent. Die Studie kann für sich in Anspruch nehmen, die andersartige, schwierige Situation und die geistigen Strömungen im Jahrhundert zwischen 1750 und 1850 sehr differenziert zu beschreiben, wobei der Einfluss der Aufklärung auf die Staatsgenese und sowohl auf den Liberalismus als auch auf die Konservativen hervorgehoben wird.

Die Feststellung, dass die Französische Revolution die Aufklärung verursacht habe und nicht umgekehrt, ist nicht nur überraschend, sondern sicherlich nicht für alle europäischen Staaten allgemein anwendbar. Auch die Behauptung, dass die „Habsburgermonarchie kein Bollwerk gegen Aufklärung und Revolutionen“ (S. 13) war, ist angesichts der brutalen Unterdrückung der Freiheitsrechte im System Metternich etwas schwierig nachzuvollziehen, auch wenn man konzedieren muss, dass Kaiser Franz I. trotz seiner konservativen Haltung einige Ideen seines Onkels Joseph II. ebenfalls vertreten hat, und damit nicht nur als Gegenfigur gesehen werden kann, sondern auch in der Tradition des Josephinismus stand.

Das Projekt des Buches ist sehr anspruchsvoll, in den verschiedenen Kapiteln des Werks werden viele Themen behandelt, die dann am Ende des Buches zu einer Synthese zusammengefasst werden. Bemerkenswert ist die Gründlichkeit, mit der die verschiedenen Teile des Konglomerats der multinationalen und multikonfessionellen Habsburgermonarchie in die ausgebreitete Analyse einbezogen werden. Das spiegelt sich auch im Literaturverzeichnis, das Werke in verschiedenen Sprachen der Monarchie einbezieht, wenn auch manche in Österreich publizierte Werke darin nicht vorkommen, wie etwa die Ausstellungkataloge zu den Ausstellungen über Maria Theresia 1980 und 2017, oder über Joseph II. 1980, oder die beiden Bände Österreich im Europa der Aufklärung mit ihren Beiträgen fehlen.1

Die Gliederung des Buches widmet sich den zentralen Themen des neuen Ansatzes von Fillafer.

In der Analyse Von der Vaterlandsliebe zum Völkerfrühling betrachtet der Autor den Wandel von der Vaterlandsliebe (Joseph von Sonnenfels) über den sprachübergreifenden Landespatriotismus zum Sprachnationalismus (Joseph von Hormayr) und der damit verbundenen nationalen Geschichtsauffassung dieser Sprachnationen. Die Schlussfolgerung für die Entwicklung des nationalen Problems der Monarchie folgt neueren Zugängen wie z.B. bei Pieter Judson 2 und nimmt in der langen Diskussion zu dieser Frage letztlich den Standpunkt ein, dass der Habsburgerstaat kein ‚Völkerkerker‘ war, sondern „ein funktionstüchtiges Staatswesen“. Das mag für seinen Untersuchungszeitraum vielleicht stimmen, aber im späten 19. Jahrhundert ist diese These mehr als diskussionswürdig.

Das Kapitel Die katholische Aufklärung beleuchtet die Schwelle zwischen Barock und Aufklärung und relativiert den Gegensatz zwischen der Unterdrückung der Andersgläubigen in der Gegenreformation – bis hin zu Maria Theresia – und der toleranten und fortschrittlichen Aufklärung unter Joseph II. In den Kapiteln Die Erfindung der Allianz von Thron und Altar und Wissenskulturen des Vormärz werden neben dem bis heute oft zu findenden Idealbild Maria Theresias und ihrer Politik auch Veränderungen im Wissensbereich, wie die Bibelhermeneutik, Bernhard Bolzano und die Herbartianer mit ihrer Langzeitwirkung in der Schulreform durch Franz Serafin Exner und Leo Graf Thun-Hohenstein behandelt. Was das Bündnis von Thron und Altar anlangt, so gab es klarerweise übereinstimmende Interessen, aber ein formelles Bündnis, wie es dann das Konkordat von 1855 bildete, existierte nicht.

Im nächsten Abschnitt Vom Merkantilregime zum Binnenmarkt – Die Monarchie als Wirtschaftsraum wird der Einfluss der Aufklärung auf die Wirtschaft mit besseren Bedingungen für Handel und Gewerbe, aber auch die Bodenreform von Joseph II. und Leopold II. für die böhmisch-österreichischen Länder charakterisiert, also die sozioökonomische Transformation. Besonders die Vereine des Biedermeier waren stark von der Geselligkeit des Bürgertums, das liberale Ideen vertrat, geprägt. Kurz geht Fillafer auch auf die soziale Situation der Unterschichten, den Pauperismus und die Landflucht ein. Das ist zwar ein wesentliches Thema der Zeit, hat allerdings mit der auf die Oberschicht ausgerichteten Analyse des Buches nicht zentral zu tun.

Ein wesentliches Element der Arbeit im Kapitel Naturrechtspraxis und Empire-Genese – Kodifikation, Rechtstaat, Wissenschaftsgeschichte ist die Veränderung der Monarchie zum Rechtsstaat mit der Durchsetzung des Naturrechtes, das seine Wurzeln in der Aufklärung vor und während der Französischen Revolution hat. Das schon seit der Regierungszeit Maria Theresias vorbereitete Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch war ein gewaltiger Fortschritt, wenn man immer auch bedenken muss, dass ein geschriebener normativer Text nicht mit der Realität verwechselt werden darf, wie das gelegentlich in juridischen Abhandlungen erfolgt. Auch andere Gesetzesänderungen, wie die Erneuerung der Landesverfassung, aber auch die nicht verwirklichten Ideen der Volksouveränität – mit einer Aufhebung der Ungleichheit zwischen privilegierten Adeligen und dem Rest der Bevölkerung – sind in dieser Zeit zu finden.

Im Kapitel Aufklärungserbe und Revolutionsabwehr – Selbst- und Feindbilder der Restauration wird die Einstellung verschiedener Strömungen auf das Geschichtsbild des Vormärz untersucht. Während die Josephiner die Aufklärung verteidigten, sahen ihre Gegner die Reformen Josephs II. als Quelle der Revolution. Die Verschwörungstheorien hatten Saison. Klar ist, dass der Aufklärungsbegriff sehr vielfältig war, nicht nur ein einheitlich verwendetes Schlagwort, ein Terminus, der vom Autor sehr differenziert behandelt wird. An mehreren Beispielen – Sonnenfels, Karl von Kübeck und dem Konflikt zwischen Josephinismus und Romantik mit den Brüdern August Wilhelm und Friedrich Schlegel entsteht ein sehr reichhaltiges Bild der geistigen Strömungen in der Zeit der Restauration, in dem der Topos der „Demagogen“ eine wesentliche Rolle spielte. Nach 1848 konkurrierten die Gruppen in der Stilisierung als Opfer des Systems Metternich und einer unterschiedlichen Thematisierung der Erinnerungen.

Was diese Darstellung auszeichnet, ist die Nahsicht auf die Ausprägungen der Phänomene der Zeit, die gründlich hinterfragt werden. Das Ganze erinnert ein wenig an die Auseinandersetzung zwischen Mikrogeschichte und Makrogeschichte, mit der Ausnahme, dass Fillafer eine neue Interpretation im Stil der Makrogeschichte liefert. Damit wird aber auch eine Diskussion zwischen der traditionellen Geschichtsschreibung zu dieser Zeit und dem Neuansatz, der in diesem Buch argumentiert wird, ausgelöst. Ein Diskurs zu diesen diffizilen Themen kann sicherlich nur gewinnbringend für die Forschung werden.

Anmerkungen:
1 Walter Koschatzky (Hrsg.), Maria Theresia und ihre Zeit. Zur 200. Wiederkehr des Todestages, Ausstellung, 13. Mai – 26. Oktober 1980, Wien 1980; Elfriede Iby u. a. (Hrsg.), Maria Theresia 1717–1780. Strategin – Mutter – Reformerin, Wien 2017; Karl Gutkas (Hrsg.), Österreich zur Zeit Kaiser Josephs II. Mitregent Kaiserin Maria Theresias, Kaiser und Landesfürst. Niederösterreichische Landesausstellung, Stift Melk, 29. März – 2. November 1980, Wien 1980; Richard Georg Plaschka (Hrsg.), Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II. Internationales Symposion in Wien, 20. – 23. Oktober 1980, 2 Bde., Wien 1985.
2 Pieter M. Judson, Habsburg. Geschichte eines Imperiums. 1740–1918, München 2017.

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