Forms of Representation and Representational Techniques: Narratives, Genres and Media

Forms of Representation and Representational Techniques: Narratives, Genres and Media

Organisatoren
European Science Foundation, Scientific Programme "Representations of the Past: National Histories in Europe (NHIST)"
Ort
Glamorgan
Land
United Kingdom
Vom - Bis
20.05.2004 - 22.05.2004
Url der Konferenzwebsite
Von
Uffa Jensen (Brighton/Sussex); Katja Naumann (Universität Leipzig)

Eine der zentralen Konstruktionsleistungen der Geschichtsschreibung in den letzten zwei Jahrhunderten – die ‚Nation‘ in der Erfahrungswelt der europäischen Bevölkerung etabliert zu haben - gehört keineswegs der Vergangenheit an. Diese Schlußfolgerung läßt jedenfalls die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Spielarten und medialen Darstellungen von Nationalgeschichte auf der internationalen Konferenz „Forms of Representation and Representational Techniques: Narratives, Genres and Media” an der University of Glamorgan in Wales zu. Die Konferenz war die Eröffnung einer Reihe von Tagungen, welche im Rahmen des von der European Science Foundation (ESF) geförderten Projektes „Representations of the Past: The Writing of National Histories in Europe” vorgesehen sind. Mit über 70 Historiographiehistorikern und -historikerinnen aus nahezu allen europäischen Ländern und aus Nordamerika bestand hier in der Tat die Möglichkeit, die seit der Wende zum 19. Jahrhundert zentrale Verbindung von Nationalismus und Historiographie in einer europäisch vergleichenden Perspektive zu diskutieren.

Die erste Sektion der zweitägigen Konferenz wandte sich dem Thema „Narrating National History as Science“ zu. Eingangs richtete Marc Bevir (Berkeley) den Blick auf die Geschichte der Humanwissenschaften (besonders der Politikwissenschaft), zeichnete deren Auseinandersetzung mit Nationalismus und Nationalstaat seit dem 19. Jahrhundert nach und arbeitete drei Perioden heraus: den Zeitraum von 1880-1920 benannte er als Periode des ‚developmental historicism’, zwischen 1920-1960 erkennt er eine Ära des ‚modern empirism’ und seit den 1960er Jahren nimmt er die Rückkehr eines radikalisierten Historizismus wahr. Insgesamt habe sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden Skepsis, mit welcher dem vormals als natürlich geltenden Nationalstaat begegnet wurde, die Einsicht durchgesetzt, den Nationalstaat (und das entsprechende Denken in nationalen Kategorien) selbst historisieren und dessen Konstruiertheit betonen zu müssen. Alan Megill (Virginia) beschäftigte sich anschließend mit den Aufgaben und Grenzen einer wissenschaftlichen Untersuchung von Nationalgeschichtsschreibung. Solch eine Analyse dürfe nicht unreflektiert das Ziel verfolgen, zu einem europäischen Gedächtnis und einer europäischen Identität beizutragen. Die dahinter liegende Annahme, Geschichtsschreibung sei ein Schlüssel zu nationaler wie europäischer Identität und strukturiere kollektive Gedächtnisse, überschätze die Bedeutung historischer Forschung. Vielmehr habe man sich auf die spezifisch analytischen Leistungen der Geschichtswissenschaft zu konzentrieren, Identitäts- und Erinnerungskonstruktionen kritisch zu begegnen und genau zu unterscheiden zwischen professionell rekonstruierter Geschichte einerseits und identitätstiftender individueller Erinnerung sowie kollektivem Gedächtnis andererseits. Der Kommentar von Michael Bentley (St. Andrews) sowie die nachfolgende Diskussion hinterfragte dieses Postulat der Trennung von Geschichtswissenschaft und Erinnerung respektive Gedächtnis und hob die progressive Rolle beider Bereiche bei der Dekonstruktion von dominanten nationalstaatlichen Vergangenheitsnarrativen hervor.

Die zweite Sektion setzte sich mit „Narrating National Histories as Literature“ auseinander. Ann Rigney (Utrecht) betonte die wichtige Rolle von historischen Romanen für nationale Narrative und Erinnerungsstrukturen. Diese Gattung schaffe durch ihre Narrativität, die mit den Dimensionen von Erfahrung und Ästhetik verbunden ist, imaginierte Lesergemeinschaften. Da Literatur ein transnationales Medium sei, würde ihre Integration in die Analyse von Nationalgeschichtsschreibung auch einen Blick auf deren Durchlässigkeit und Alternativen gestatten. Siegrid Weigel, deren Vortrag durch den Kommentator John Neubauer (Amsterdam) referiert werden musste, zeigte anhand der neueren deutschen Literatur eine Verschiebung in der literarischen Auseinandersetzung mit Vergangenheit. So äußere sich das erneute Interesse an der Großelterngeneration und der Zeit des Nationalsozialismus nicht im traditionellen Familienroman, der durch die Beziehungen zwischen den Generationen den Wandel der historischen Prozesse widerspiegelt, sondern in einer neuen Form, die unbewältigte Vergangenheit zu entdecken sucht. Es ist mithin die Leerstelle, die durch Schweigen und Verdrängen einer älteren Generation hinterlassen wurde, die nunmehr für die Auseinandersetzung bestimmend sei. Die neuere Literatur befreie sich damit von den Normen einer postulierten Authentizität, um eine subjektive Position zu entwickeln, die sich ein (un)heimliches Erbe in Form von Familien- und Generationsgeschichten aneignet, dass andernfalls durch den Täter-Opfer-Diskurs abstrakt oder versperrt bliebe. In der nachfolgenden Diskussion über die Rolle der Literatur bei der Konstruktion von Nationalgeschichte wurde auf die soziale und institutionelle Bedingtheit von Literatur sowie deren Funktion verwiesen, die es stärker zu betrachten gilt. Auch tauchte an dieser Stelle - wie häufiger während des Kongresses - eine Debatte über Begriffe wie Erinnerung und Gedächtnis auf.

Daran anschließend wurde in einer dritten Sektion das Medium Film betrachtet. Anhand von Filmen aus Polen, Deutschland, Frankreich und den USA zeigte Wulf Kansteiner (Binghampton) die Entwicklung verschiedener nationaler Erinnerungskulturen nach dem Ende des 2. Weltkrieges und verwies auf die ganz unterschiedliche Integration der Holocaust-Narrative in die jeweiligen Nationalgeschichten bzw. nationalen Gedächtnisse. So wurde beispielsweise im polnischen Film die Thematik der „Endlösung“ erst thematisiert, als diese in die Leidensgeschichte des polnischen Volkes integriert werden konnte. In Westdeutschland wurde der Holocaust erst in den 1980er Jahre durch die Zusammenarbeit der zweiten und dritten Nachkriegsgeneration im Medium Film aufgegriffen, während sich in der DDR bereits frühe DEFA-Produktionen mit dem „historischen Ort von Auschwitz“ im Rahmen eines antifaschistischen Vergangenheitsdiskurses befaßten. Im Gegensatz dazu zeigten Hollywood-Produktionen weder die nationalsozialistischen Lager, noch griffen sie Themen wie die „Endlösung“ auf. Vielmehr ging es beispielsweise anhand der Biographie von Anne Frank um die Präsentation von Unschuld und Tragik in Krisenzeiten. Das französische Kino wiederum nutzte die Thematik des Holocaust, um den nationalen Mythos des Widerstandes zu dekonstruieren und eine defensive historische Identitätsbildung durch ein differenziertes Bild zu ersetzen. Ebenfalls dem Umgang mit der französischen Nationalgeschichte, allerdings in Fernsehproduktionen, ging Isabelle Veyrat-Masson (Paris) nach. Sie zeigte die Wandlungen der Darstellung von Napoleon in den jüngsten großen Serien und TV-Dramen. Nicht nur der Kommentar von Frank van Vree (Amsterdam), auch die folgende Diskussion hinterfragte kritisch die Bewertung der Sonderrolle des französischen Filmes und formulierte die Ansicht, dass die audio-visuellen Repräsentationen der Vergangenheit in Zeiten der Globalisierung weniger national geprägt sind, sondern sich vielmehr auf eine imaginierte transnationale Gemeinschaft beziehen.

Zwei weitere Medien der historischen Repräsentationen wurden in der vierten Sektion unter dem Titel „Staging the Past“ aufgegriffen. Heidemarie Uhl (Wien) formulierte die These, dass die historische Erzählung des Nationalen vor allem in den Nachfolgestaaten des Dritten Reiches seit den 1980er Jahren eine bedeutende Transformation durchlaufen habe, wodurch die Schuldfrage auf die Agenda der nationale Erinnerungskultur gesetzt wurde. Dieser Prozess der Dekonstruktion von politischen Mythen der europäischen Nachkriegszeit, d.h. das Selbstbild im Spannungsfeld von Opferstatus und heldenhafter Widerständigkeit exemplifizierte sie anhand der österreichischen Erinnerungspolitik und der Errichtung von Denkmälern in der Stadt Wien. Michael Wintle (Amsterdam) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit der Darstellung des Nationalstaates und Europas in visuellen Repräsentationen wie Bildern, Karten, Skulpturen, Flaggen oder Cartoons. Neben einem Plädoyer für die stärkere Berücksichtigung dieser Quellen in historischer Forschung führte er aus, dass bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Selbstbild Europas vorherrschte, dass sich in mehreren Dimensionen der restlichen Welt überlegen fühlt - u.a. in Wissenschaft, Moral und militärischer Stärke - und daher die Verantwortung für eine Zivilisierung der Welt trägt. Wintles Feststellung der Gleichzeitigkeit von europäischer Überlegenheitskonstruktion und zunehmender Nationalisierung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert wurde lebhaft diskutiert, denn Europa als einigender Rahmen, der sich zunehmend feindlich gesinnten europäischen Nationalstaaten gegenüber sah, blieb offensichtlich bis zur Erfahrung zweier Weltkriege, des Holocaust und des Kalten Kriegs sowie trotz aufkommender Kritik am Eurozentrismus erhalten. Ilaria Porciani (Bologna) kommentierte beide Vorträge mit der Frage, inwiefern sich in den Bildenden Künsten mehr Kontinuität finde als in der Historiographie und inwiefern europäische Gedächtnisorte angesichts von spezifisch nationalen Erinnerungen möglich sind. Eine intensive Diskussion ergab sich aus der Periodisierung des europäischen Bruches in der Erinnerungslandschaft, den Heidemarie Uhl vorgenommen hatte. Zudem wurde über Unterschiede und die Beziehung von visuellen Repräsentationen zu Historiographie diskutiert.

Die letzte Sektion betrachtete „National Histories outside Europe“. Jie-Hyun Lim (Seoul) zeigte zum ersten, dass in Nationalgeschichten des asiatischen Raumes generell der Eurozentrismus unwiderruflich enthalten sei und dass der europäische Kolonialismus epistemologisch dem nicht-europäischen Nationalismus gleiche, weil beide eine Universalisierung des Nationalstaates vornehmen. Es handelt sich mithin um eine globale Kette von Nationalgeschichten, welche die ganze Welt verbinde und gleichermaßen Eurozentrismus wie Orientalismus nähre. Dem zu begegnen würde nur gelingen, wenn man die globale Dimension, d.h. die Verflechtung und die gegenseitige Bedingtheit zu dekonstruieren versuche. Im weiteren wies er anhand der Nationalgeschichtsschreibung in Japan und Korean den starken Einfluss westlichen Denkens und das Übernehmen von Sonderwegsthesen nach. Einen Blick auf nicht-europäische Nationalgeschichten richtete auch Peter Seixas (Vancouver). Er setzte sich mit „people‘s history“ in Film und Schulunterricht in den USA und Kanada auseinander und zeigte, dass der hohe methodische Anspruch u.a. einer Verbindung von individuellen mit kollektiven Akteuren in keinem der beiden Medien umgesetzt wurde. Film wie Schule verblieben bei der Rekonstruktion der eigenen Nationalgeschichte bei biographischen Zugängen, in denen Heldenmythen gestrickt und nationale Charakter konstruiert werden. Der Kommentar von Stephan Berger (Glamorgan) wies zum einen darauf hin, dass jeder Kulturtransfer eine Veränderung des Transferierten mit sich bringe und es daher sinnvoll sei, jene Transformationen genau zu untersuchen. Zum anderen sei zu beachten, dass europäische Schulbücher zumeist nur wenig Nationalgeschichte vermitteln und sich daraus die Frage ergibt, wie viel Historiographie für Identitätsstiftung tatsächlich von Nöten sei.

Auf der Konferenz wurde eine ganze Reihe von Bereichen thematisiert, in denen um historische Narrative gerungen wurde und wird. Zugleich kamen wichtige Themen- und Begriffsfelder wie Identität, Erinnerung, Narrativität, Transnationalität, Eurozentrismus zur Sprache. Kaum präsent waren Aspekte der Historiographiegeschichte, die bereits im 19. Jahrhundert kritisches Potential jenseits der nationalgeschichtlichen Meistererzählungen bereitstellten. Hier sei lediglich auf Regionalgeschichtsschreibung oder auch auf die Geschichtsschreibung von marginalisierten Gruppen hingewiesen.

In vielen Diskussionen auf und am Rande des Plenums wurde zugleich immer wieder deutlich, wie unterschiedlich sich die gesellschaftliche und politische Rolle darstellt, welche die Geschichtsschreibung heute in den verschiedenen europäischen Ländern spielt oder spielen will.
Der dominante Strang der gegenwärtigen Historiographiegeschichte, der sich wie ein roter Faden durch die Konferenz zog und für das Gesamtprojekt kennzeichnend ist, ist ein kritischer: Man will nach den Meistererzählungen fragen, die Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhundert den verschiedenen europäischen Gesellschaften zur Selbstbeschreibung an die Hand gab. Die Konstruktionen dieser imaginierten Gemeinschaften sollen offengelegt werden, wobei gerade auch der europäische Vergleich die Vernetzungen und Interdependenzen veranschaulichen soll. Andere Historiker fragen sich eher, wie sie mit ihren Erkenntnissen korrigierend in die politischen Diskussionen ihrer jeweiligen Länder eingreifen können. Dies sollte nicht als einfache Akzentverschiebung verstanden werden, wollen sie doch die nationalen Meistererzählungen nicht ersatzlos streichen, sondern durch „bessere“ ersetzen. Schließlich lebt in Europa zugleich die Tradition der nationalen Geschichtsschreibung weiter, hat nach 1989 sogar in vielen Ländern Europas an Gewicht gewonnen. Jede internationale Kooperation, die sich über die nationalen Implikationen der Historiographie Klarheit verschafft, sollte die unterschiedlichen Perspektiven allerdings nicht mit dem Hinweis zu glätten versuchen, daß es sich hierbei um zu vernachlässigende Überreste aus dem Denken des 19. Jahrhunderts handelt. Sie muß diese Perspektiven zum Ausgangspunkt eines Nachdenkens über die politische Rolle der Historiographie machen, schließlich sind alle drei Perspektiven selbst ein Erbe des 19. Jahrhunderts.


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