Adel im deutschen Südwesten im 19. und 20. Jahrhundert (4. Symposion: "Adel, Ritter, Reichsritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat")

Adel im deutschen Südwesten im 19. und 20. Jahrhundert (4. Symposion: "Adel, Ritter, Reichsritterschaft vom Hochmittelalter bis zum modernen Verfassungsstaat")

Organisatoren
Eckart Conze, Fachgebiet Neuere und Neueste Geschichte II - Neueste Geschichte der Universität Marburg; Sönke Lorenz, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen; St. Georgen-Verein der Württembergischen Ritterschaft e.V.
Ort
Weitenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.05.2007 - 18.05.2007
Url der Konferenzwebsite
Von
Tanja Granzow

Mit seiner Darstellung des Paradigmenwechsels, der in den letzten zwei Jahrzehnten in der Adelsgeschichte statt gefunden hat, bot Prof. Dr. Eckart CONZE (Marburg) die theoretische Einbettung des Symposiums in den aktuellen Forschungsdiskurs zum Thema. Seit der Studie des britischen Historikers David Cannadine (1990) war die gängige Leitinterpretation in der Adelsforschung geprägt von einem dominanten Niedergangsnarrativ, teils Resultat, teils Grund eines Desinteresses von Historikern an jener vermeintlichen Gruppe von „Verlierern“ der Modernisierung, jener reaktionären Kraft, die sich in einer „Dauerkrise“ befand. Wandel und Kontinuität sollten sich Ende der 1990er Jahre jedoch auch innerhalb der Forschung zeigen, als mit Peter Mandler eine andere Interpretation und ein anderer Zugang zum Thema in die Debatte eintrat: Anstelle des einseitigen Niedergangsmotivs trat nunmehr die Erkenntnis der Gleichzeitigkeit von Niedergang und „Obenbleiben“ – je nach Wahl der Untersuchungsebene. Die zeitgleich erfolgende Rezeption des „cultural turn“ mit seinem Fokus auf Bereiche der Repräsentation, Symbolisierung und Inszenierung verstärkte den Paradigmenwechsel und half, das bisher dominante lineare Interpretationsmuster zu durchbrechen und stattdessen Verständnis für die Komplexität und teilweise Widersprüchlichkeit der Entwicklungen innerhalb der Adelsgeschichte zu wecken. Besonders in Bezug auf den Komplex Adel und Moderne/Modernisierung wirkte der einsetzende Fokus auf die Anpassungsleistungen des Adels – die schon immer statt gefunden haben – besonders befruchtend: Statuswandel und partiellem Statusverlust standen und stehen Strategien zu seinem Erhalt, seiner Neudefinition und Anpassung gegenüber. Um diese Prozesse deutlich zu machen, dürfe jedoch nicht der Fehler früherer Historiographie wiederholt werden, nämlich, Erkenntnisse über den borussisch-ostelbischen Adel unbesehen auf den anderer Regionen zu übertragen. Dadurch sei es zu Verzerrungen und Kenntnislücken gekommen, so Conze. Die zeitliche Kleinräumigkeit, die zu der räumlichen Kleinräumigkeit hinzugetreten sei, müsse ebenfalls überwunden werden, um eine holistische Perspektive zu gewinnen. So muss die Situation des Adels im 20. Jahrhundert unbedingt angebunden werden an die des 19. Jahrhunderts, haben doch die meisten Prozesse dort ihren Ausgang genommen und Prädispositionen erhalten. Zudem gilt es darüber hinaus der Heterogenität des Adels Rechnung zu tragen, die nicht nur für eine gesamtdeutsche, sondern ebenso bereits für eine südwestdeutsche Perspektive gilt: Adel ist nicht gleich Adel.

Die Chance der Tagung, so Conze, liege darin, dass sich alle Vorträge durch ihre Spannung zwischen allgemeinen Prozessen und speziellen Entwicklungen auszeichneten und durch eine intensive Bearbeitung und vergleichende Perspektive auf einen Raum, Südwestdeutschland, einen wichtigen Beitrag zu einer Adelshistoriographie leisten könnten, die „der regionalen und föderalen Grundstruktur der deutschen Geschichte Rechnung trägt und diese ernst nimmt“.

Den politischen Anpassungsleistungen des Adels widmete sich Prof. Dr. MATZERATH (Dresden) in seinem Vortrag „...nicht gegen, nein für das Volk sein muß die Aristokratie. Adlige Akteure auf dem politischen Feld Südwestdeutschlands im 19. Jahrhundert“. Durch Adelsforschung könne man Grundlegendes über moderne Gesellschaften lernen, so Matzerath, allerdings müsse dazu eine andere Zugangsweise gefunden werden, als sie heute in der Sozialgeschichtsschreibung üblich sei. In einem Plädoyer setzte er sich dafür ein, dass Definitionen nicht einfach vom Forscher auf eine Gruppe oktroyiert werden dürften, sondern viel stärker und detaillierter aus der Perspektive der Gruppe untersucht werden müsse, ob denn tatsächlich eine Vergesellschaftung statt gefunden habe und auf welcher Basis, nach welchen Kriterien dies geschehen sei. Exemplarisch bearbeitete Matzerath das politische Engagement von drei Generationen der Fürsten Waldburg-Zeil-Trauchburg, deren Strategien und Verortung im politischen Raum sich während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Vergleich zum ausgehenden 18. Jahrhundert stark veränderte bzw. verändern musste. Ließ sich ein Fürst von Waldburg-Zeil-Trauchburg Ende des 18. Jahrhunderts noch stolz im Selbstverständnis der Reichsunmittelbarkeit und damit der politischen Selbstständigkeit porträtieren, so führte kurz darauf die Mediatisierung dazu, dass das Haus nicht nur in Bezug auf Würde und Einkommen einen steilen Abstieg erlitt, sondern darüber hinaus zahlreiche Rechte verlor, die bisher seine Identität massiv mit getragen hatten. Nach 1815 musste sich der politische Aktionsradius des württembergischen Adels dann zwangsläufig auf das Königreich beschränken, erfuhr aber im württembergischen Landtag eine Erweiterung seines politischen Handlungsfeldes. Zwar handelte es sich bei der frühen Ausprägung des Landtags durchaus noch um „Honoratiorenparlamentarier“, ab 1833 bildeten sich dann jedoch ideologische Lager. Dichotome Deutungsmuster entlang der Linie „Adel ist konservativ, Bürgerliche sind liberal“ müssen an dieser Stelle allerdings versagen: Die Konstellationen liegen quer zu den Herkunftsgruppen. Wo schon in der frühen Neuzeit eine Trennungslinie zwischen den Adligen verlief, die sich den Interessen des Staates verbunden fühlten und denen, die eher für ihre Unabhängigkeit von staatlichen Vereinheitlichungsversuchen eintraten, trat nun eine zweite hinzu: entlang der Weltanschauung teilte sich das Lager in Vertreter einer konservativen einerseits und denen einer liberalen Haltung andererseits. Dass man sich dieses Rechts-Links-Spektrum nicht allzu schematisch vorstellen dürfe, zeigen laut Matzerath die Zugehörigkeiten von Standesherren zum demokratischen Lager auf. Darüber hinaus belegen Quellen, dass der Status als Standesherr nicht mit der weltanschaulichen Position in Konflikt geraten musste, sondern in jeder Ausformung mit ihm vereinbar war. Das gleiche Selbstverständnis beweisen Heiraten, die über ideologische Grenzen hinweg weiterhin innerhalb der Sozialformation Adel geschlossen wurden: Das Connubium als Indikator beweist die gegenseitige Akzeptanz auf der Basis des Kriteriums „Adel“, nicht auf der von Ideologien. Matzeraths Fazit hielt fest, was auch Conze schon festgestellt hatte: Es gab nicht den Adel als einheitlichen Akteur im politischen Feld. Das Gruppenverständnis war nicht an einen Weltanschauung gebunden. Ab dem Vormärz, unter den Bedingungen der beginnenden Moderne, entkonkretisierte sich die Sozialformation Adel. Man konnte alles sein: „adlig und konservativ, adlig und liberal oder gar adlig und demokratisch“.

Eine nicht allzu fern verortete Erweiterung der Frage nach Adel und Politik widmete sich Prof. Dr. Bernd WUNDER (Konstanz) mit dem Thema „Adel und Staatsverwaltung im Königreich Württemberg (1806-1918)“. Er machte die parallele Wandlung der Staatsauffassung und der daran geknüpften Erwartungen an Adlige sowie der Chancen, die sich für sie daraus für den Staatsdienst ergaben, deutlich, wobei er sich an den Eckdaten 1806-1848-1918 orientierte und im Vergleich mit Preußen immer wieder die besonderem Gegebenheiten Südwestdeutschlands herausstrich: Der Adel hatte in Württemberg vor allem durch die adelsfeindliche Haltung der Landstände und der Tatsache, dass es sich praktisch fast ausschließlich um seit dem frühen 18. Jahrhundert eingewanderten Adel handelte, eine schwierige Position. Obwohl der absolutistische Staat generell zunächst das adlige Stellenprivileg kannte, konnte von den württembergischen Landständen erreicht werden, dass Adlige als Landesfremde von Staatsstellen – abgesehen vom Hof – fast völlig ausgeschlossen wurden. Die mit dem beginnenden 19. Jahrhundert einsetzende Transformation hin zum modernen Staat verschärfte die Lage für den Adel, der nun sehr viel stärker als zuvor mit dem Bürgertum um Stellen konkurrieren und sich neuen, seinem Selbstverständnis zunächst widersprechenden Anforderungen beugen musste, sofern er in der Staatsverwaltung eine Stelle anstrebte: Ausbildung und Prüfung hinzunehmen, sich in der Ämterhierarchie hochzuarbeiten und zudem das Verwalten zu einer Lebensaufgabe anstatt zu einer kurzen Lebensphase zu machen. Angelehnt an Aretin wertete Wunder dies als eine der größten Modernisierungsleistungen des Adels im 19. Jahrhundert. Mit der Einführung des Personaladels durch König Friedrich 1806 wurde unterdes der Weg einer (später als gescheitert bewerteten) Sozialpolitik beschritten, die jedoch entgegen zahlreicher Interpretationen nicht als Vorstufe des Erbadels gewertet werden dürfe, so Wunder, da jene Standesangehörigen sich nie mit dem Erbadel vergesellschaften konnten und zudem nur sehr selten die Nobilitierung folgte. Das Ziel Friedrichs, den Adel durch die Schaffung von „Konkurrenz“ und, daran anschließend, eine restriktive Praxis der Hoffähigkeit in den königlichen Dienst zu zwingen, müsse demnach als gescheitert angesehen werden. Anhand statistischer Daten zeigte Wunder, dass der Adel rein quantitativ alle im Zivildienst verfügbaren Stellen gar nicht hätte füllen können und dies auch gar nicht anstrebte. Die Standesherren verweigerten sich dem württembergischen Dienst vollständig, wichen ggf. für eine Tätigkeit im Militär in andere Lande aus. Auch die Ritterschaft trat, wenn überhaupt, so ganz überwiegend in den militärischen Dienst ein, allerdings zeigen sich auch schon erste – personalpolitisch verschärfte – soziale Auflösungs- und Proletarisierungsphänomene in der Ritterschaft. Nur Militär und (Hof)Diplomatie waren weiterhin in adliger Hand, wobei Beförderungen über Kriterien wie Anciennität und Protektion abliefen – diese dürfen jedoch nicht als adelsspezifisch gelten. Mit dem Aufstieg des Parlaments im Laufe des 19. Jahrhunderts wandelte sich das Anforderungsprofil vor allem des Ministeramtes immer weiter zugunsten von Berufsjuristen und mit der Auflösung von Gesandtschaften nach der Reichsgründung fiel zusätzlich auch dieses Tätigkeitsfeld des Adels weg. Wunder schloss seinen Beitrag ab, indem er nochmals die dargelegte schleichende Verschlechterung der adligen Anstellungschancen im Staatsdienst betonte.

Mit der Bedeutung und Funktion des Adels setzte sich Dr. Daniel KIRN (Stuttgart) unter dem Titel „Nix preußisch. Der Adel im XIII. württembergischen Armeekorps“ auseinander. Jenes Korps stellte nach der Reichsgründung den Rest der vormals württembergischen Armee dar; auf der Basis der mit Preußen abgeschlossenen Militärkonvention waren Württemberg seitdem obendrein alle weitergehenden Rechte genommen worden und die resultierende Einmischung der Preußen sollte laut Kirn noch zu weitreichenden Zwistigkeiten führen. Zunächst ging Kirn auf den Anteil des württembergischen Adels im Armeekorps ein und zeigte auf, dass sich der Adel vor allem in der Kavallerie finden ließ. Zwei Stichproben von 1890 und 1910 machten deutlich, dass ein deutlicher Abwärtstrend im Anteil der Adligen auszumachen war – abgesehen von einem Regiment fiel er von ca. 50-60% auf teilweise nur noch 15%. Eine Erklärung fehlt. In den Infanterieregimentern bestimmt Kirn hingegen das Sinken der Zahlen mit den zahlreichen Heeresvermehrungen; in Konkurrenz mit Bürgerlichen hatten Adlige – wenn es um Bildung vor allem im technischen Bereich ging – oftmals das Nachsehen. Überproportional vertreten waren Offiziere aus den unteren Adelsrängen, für die die Armee eine gute Aufstiegs- und Gelderwerbsmöglichkeit bot und die gleichzeitig über die gesellschaftliche Ausbildung in der Offiziersbildungsanstalt Ludwigburg (bis 1874) den nötigen Schliff erhalten konnten. Mit der schon von Wunder skizzierten Personaladelspolitik existierten dann auch gute Aufstiegschancen für Bürgerliche und es setzten sich in wachsendem Maße bürgerliche Ideale durch – eine Entwicklung, die der Preußens gänzlich entgegengesetzt war. Anschließend an diese generelle Lagebeschreibung widmete Kirn sich zwei Persönlichkeiten und ihren Laufbahnen: Zunächst Prinz Hermann von Sachsen-Weimar-Eisenach als „volksnahem, militärischen Repräsentanten adligen Selbstverständnisses“ als positivem Beispiel, dann dem ungeliebten preußischen kommandierenden General von Stülpnagel, der durch sein impertinentes Gebaren gegenüber Württembergern als Verkörperung der Spannungen und des Unverständnisses zwischen den Angehörigen beider Regionen gelten darf. Der Unmut unter den Württemberger wuchs, so Kirn, da die Preußen bessere und schnellere Aufstiegsmöglichkeiten hatten. Erst 1908 wurde mit Herzog Albrecht von Württemberg der Thronfolger zum ersten württembergischen kommandierenden General des XIII. Korps – kurz bevor dessen Geschichte enden sollte.

Weg von der politischen und militärischen Ebene hin zu ökonomischen Fragestellungen führte der Beitrag von Prof. Dr. Manfred RASCH (Duisburg): „Adelige als Unternehmer 1850-1918. Beispiele aus Südwestdeutschland“. Mit einer weiten Definition von „Unternehmertum“ begab sich Rasch auf einen Parforceritt durch die verschiedensten ökonomischen Betätigungsfelder von Adeligen: Seien es innovative Impulse für den traditionellen adeligen Bereich der Land- und Forstwirtschaft wie beispielsweise die Einführung neuer Haustierrassen und Maschinen; Dienstleitungen, wie sie die Thurn- und Taxis’sche Post oder der von Carl Graf zu Castell gegründete „Verein deutscher Fürsten und Edelleute zum Schutz deutscher Einwanderer in Texas“ (mehr oder minder erfolgreich) leisteten; die Produkte von Erfinder-Unternehmern wie Freiherr von Drais mit seinem Laufrad, Freiherr von Faber du Faur mit dem „Schlangenröhrenapparat“ (Gasgenerator) oder Graf von Zeppelin mit seinem Luftschiff; oder aber die Unternehmungen schlesischer Magnaten, die schon früh der Kapitalbeschaffung über Aktiengesellschaften gegenüber aufgeschlossen waren, und deren diesbezügliche Tätigkeiten im von Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen gegründeten „Fürstentrust“ mit seinem spektakulären Zusammenbruch 1913, der beinahe eine Wirtschaftskrise hervorrief, einen unrühmlichen Höhepunkt erreichten. Der Referent zeigte so, dass die unternehmerischen Tätigkeitsfelder des Adels wesentlich vielfältiger waren als bisher angenommen. Rasch verwies in seinem Fazit zwar deutlich auf neue Erkenntnisse im Bereich der Forschung, wie beispielsweise die regionalen Verschiedenheiten im adligen Unternehmertum (vgl. Westfalen-Schlesien), betonte aber deutlich die Notwendigkeit weiterer Studien, die sich vor allem der Frage nach den Spezifika unternehmerischen Handelns von Adligen, der „adligen Wirtschaftsrationalität“ im bürgerlichen Zeitalter widmen müssten. Dies wurde dann auch gleich in der Diskussion thematisiert und Hypothesen wurden formuliert, wie die, dass man annehmen könne, dass generationenübergreifendes Denken und damit verbunden eine niedriger Risikobereitschaft bei Spekulationen anzunehmen seien – quod est demonstrandum.

Den Abend rundete Prof. Dr. Eckart CONZE (Marburg) mit seiner Betrachtung der Stimmungslage im Adel ab: „In den Katarakten der Moderne. Adel in Deutschland im 20. Jahrhundert“, so der Titel. Conze betonte die große Diskrepanz, die sich auftue, wenn man die stolze Selbstgewissheit des Adels in den 1880er Jahren mit der Orientierungslosigkeit der 1920er vergleiche. Nach 1918 erhöhte sich der Druck in allen Lebensbereichen erheblich und im Zusammentreffen mit der Dolchstoßlegende verbanden sich zudem alte Ressentiments gegen die liberale Demokratie und den Parlamentarismus, der den Adel in eine Opferrolle drängte und somit gute Anknüpfungspunkte für die Opfertopoi des Nationalsozialismus bot. Auch der Antisemitismus hatte bereits seit Längerem Einzug in adlige Verbände gehalten. Antimodernismus und die enttäuschenden Resultate der kurzen Hoffnung, die mit der Identifikationsfigur Hindenburg Einzug gehalten hatte traten hinzu. All diese Prädispositionen in Verbindung mit einer massiven Krisenwahrnehmung und der Hoffnung, diese mit den Rechten und ihrem Programm überwinden zu können, sorgten für die Anziehungskraft der NS-Ideologie auf den Adel. Entgegen der Herausstellung des adligen Widerstands und ebenso wider die gängigen Konfessionsargumente legte Conze dar, dass es kaum eine Familie ohne Parteimitglieder gab und argumentierte dafür, dass die Gründe erstens in den sich bietenden Karrierechancen begründet lägen, darüber hinaus jedoch auch in den „neuadligen“ Gesellschaftsvorstellungen besonders der SS. Grenzen der Annäherung hingegen verortet er in den adelsfeindlichen Zügen des Nationalsozialismus, vor allem der „nivellierenden Volksgemeinschaftsideologie“. Insgesamt sei daher eine weitere Schwächung des Adels und seiner Stellung nach dem Dritten Reich zu konstatieren. Für die Zeit nach 1945 stellt sich die Frage nach der Demokratiebereitschaft des Adels, den Conze im wiederholten Vergleich mit der Weimarer Republik anhand der folgenden Kriterien beurteilte: der positiv bewertete Antikommunismus der BRD, der die liberalen Prinzipien einer „Eigentümer-Gesellschaft“ schützte; der nicht alleine dem Adel, aber diesem eben auch, mögliche ökonomische Wiederaufstieg seit den1950er Jahren; die leuchtende Identifizierung mit dem „adligen“ Widerstand des 20. Juli, der für die BRD identitätsstiftend wurde; und letztendlich der Patriarchalismus der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Im Gegensatz zur Weimarer Zeit war der Bruch mit der Vergangenheit endgültig. Der Adel versuchte nicht, das Regime zu delegitimieren und verstand sich auch nicht als Gegenelite, sondern als Teil der Elite und bekam dementsprechend auch eine Funktion in der Öffentlichkeit zugewiesen. Adlige Identität werde, so Conze, bis heute durch Exklusionsmechanismen wie Konnubium und rituelle Formen der Vergesellschaftung geschützt und gepflegt, so dass man keineswegs von einem Ende der Geschichte des Adels nach 1945 sprechen könne – vielmehr plädierte Conze für eine stärkere Hinwendung der Adelsforschung zur jüngsten Geschichte.

Sprichwörtlich mit dem Brennglas näherte sich am nächsten Morgen PD Dr. Thomas NICKLAS (Erlangen) mit einer Mikrostudie dem Thema: „Hochadeliger Familienverband versus moderne Parteipolitik. Die Württemberger Ernst II. von Hohenlohe-Langenburg und Matthias Erzberger als Kontrahenten im Deutschen Reichstag“. Die von ihm getroffenen Aussagen über das Spannungsverhältnis zwischen den beiden so unterschiedlichen Repräsentanten ihres jeweiligen Standes – Standessohn contra Bürgersohn, Protestant contra Katholik – böten sich zur Verallgemeinerung an. Ernsts Laufbahn verlief standesgemäß und brachte ihn in den diplomatischen Dienst. Seit Ende 1890 engagierte er sich obendrein in Stuttgart im Rahmen der Landespolitik. Erzberger hingegen musste erst die Grenzen seines Standes überwinden, bis er 1903 als jüngster Abgeordneter in den Deutschen Reichstag einziehen konnte. Er wurde zum Spezialisten in der Sozialgesetzgebung und machte später die Kolonialpolitik und deren Missstände zu seinem Thema. Zur direkten Konfrontation der beiden Charaktere und Standesvertreter kam es im Rahmen der Spannungen zwischen Kaiser und Reichstag, die sich letztendlich in der Frage kristallisierte, inwieweit es dem Kaiser zustand, Posten mit seinen Verwandten zu besetzen. Dieser hatte nämlich im Umfeld der Schaffung eines Kolonialministeriums Ernst II. für den Ministerposten vorgesehen – was dem Parlament gar nicht gefiel und zu einer öffentlichen Debatte führte, bei der Ernst schmählich versagte. Er hatte unstrukturiert und rhetorisch wenig begabt eine Rede gehalten und Erzberger hatte auf ganzer Linie gewonnen. Laut der traditionellen Adelstheorie, der Ernst sich verbunden fühlte, war es unter der Würde eines Adligen, sich „wie ein Kaufmann zu gebären“ (Nicklas), wozu für ihn der direkte Austausch mit einem Bürgerlichen geführt hätte. Erzberger war es so möglich gewesen, den unvorbereiteten Prinzen vorzuführen, was nun auch die Reichsleitung dahingehend beeinflusste, dass sie jemanden mit mehr Durchsetzungsvermögen bevorzugte. Ernst blieb auch weiterhin bei seiner Weigerung, sich entsprechend dem bürgerlichen Leistungsprinzip in das ihm augenscheinlich fremde Thema einzuarbeiten. Schlussendlich ging er jedoch traumatisiert aus der Angelegenheit hervor und erreichte auch keine hervorgehobene Position mehr im Parlament, Erzberger hingegen wurde zu einem der bekanntesten deutschen Politiker. Zwei Punkte zeigen sich für Nicklas besonders deutlich in dieser Episode: Erstens das Scheitern der adligen Hauspolitik unter den Bedingungen des modernen Parlamentarismus; und zweitens beweist diese Nagelprobe der Parlamentarisierung, dass ein junger Volksabgeordneter, der Missstände aufdeckte, es sich nunmehr „leisten“ konnte, gegen die Position des Kaisers in der Frage der Postenbesetzung nach dem Leistungsprinzip zu argumentieren und sich durchzusetzen. Individuelle Schwächen waren, so die Studie, inzwischen wichtiger geworden als das alte Adelsideal.

Wie schnell sich unter den Bedingungen des frühen 20. Jahrhunderts das adlige Selbstverständnis ändern konnte, beschrieb Dr. Christopher DOWE (Stuttgart) in einer weiteren Mikrostudie: „Vom Hofadel zum Geistesadel: die von Stauffenbergs“. Wo sich Oberhofmarschall Alfred Graf Stauffenberg bis zu seinem Tod 1936 immer als Hofadliger im Dienste des Königs verstanden und gehandelt hatte und die Weimarer Regierung als „Lumpenpack“ beschimpfte, wuchsen seine drei Söhne Bertold, Alexander und Claus in einer Zeit und einem Umfeld auf, das sie ein ganz anderes Selbstbild entwerfen und vertreten ließ.

Ihre Prägung erfuhren diese sowohl durch ihre Zugehörigkeit zur vergleichsweise „entspannten“ Stuttgarter Hofgesellschaft als auch und vornehmlich durch ihre Ausbildung an einem humanistischen Gymnasium, wo sie ungezwungen und selbstverständlich mit Bürgersöhnen sich umgaben und ihr Menschenbild an Persönlichkeit statt Herkunft und Leistung statt Privileg ausrichten lernten. In allen Lebensbereichen schlug sich die Neudefinition ihres Adelsstandes bei den Stauffenberg-Brüdern nieder: Sowohl im Familienbild, das im Vergleich zum väterlichen Generationenzusammenhalt der weitläufigen Familie der bürgerlichen Kernfamilie Platz machte, als auch bei der Wahl der Ehepartner, die bei zweien zugunsten von Bürgerlichen ausfiel bis hin zur Berufswahl, die lediglich bei Claus in den traditionellen militärischen Dienstbereich fiel. Dennoch war ihr Adel den Brüdern sehr wichtig: Sie sahen in ihm vor allem besondere Verpflichtungen. Eine Verstärkung fand dieses Verständnis vor allem auch durch die Zugehörigkeit aller Brüder zum literarischen Kreis um Stefan George, der stark für eine neue Gesellschaft mit einer geistigen Elite sich einsetzte und dem sie bis weit über seinen Tod 1933 hinaus die Treue hielten. Der Einfluss Georges kann daher womöglich auch als ein Erklärungsaspekt dafür herangezogen werden, warum sich die Brüder vom Nationalsozialismus angezogen fühlten, klangen doch viele seiner ideologischen Programmatiken ähnlich denen Georges – auch wenn sie mit fast gegenteiligen Inhalten gefüllt waren, wie sie später erkennen sollten. Zwei Kritikpunkte traten allerdings schon früher hervor: derjenige der Elitenrekrutierung aus den „kleinen Leuten“, was zu ineffektiver und wirrer Leitung führen sollte, und derjenige der Volksgemeinschaft, zu deren Leitbild es gehörte, mit kleinbürgerlichen Ressentiments gegen Eliten zu hetzen. Beides war nicht vereinbar mit den stauffenbergschen Neuadelsvorstellungen.

Mit der sog. "Reichskristallnacht" nahm Claus Stauffenberg ersten Abstand zur NS-Politik, was sich im Verlauf des Krieges verstärken sollte, bis er schließlich den Widerstand der Attentäter des 20. Juli verantwortlich mit trug. Auch dieses Wirken war wiederum dem Leistungsideal verpflichtet, was vermutlich mit für die breite Trägerschaft der Gruppe verantwortlich war.

Dowes Darstellung führte also vor Augen, wie sich im Beispiel der Stauffenbergs die Suche nach neuen Idealen unter den ihnen gegebenen Umständen zu einer zwar weiterhin der traditionellen Adels- und Dienstvorstellungen verbundenen, jedoch der damaligen differenzierten Gesellschaft angepassten und offenen Selbstsicht führte, in der die Privilegien des Standes aufgehoben waren, die Verpflichtungen jedoch blieben. Es hatte ein Wandel statt gefunden, aber nicht hin zur Verbürgerlichung, sondern hin zum neuen, zum Geistesadel.

Über die besondere Rolle des katholischen Adels in Württemberg referierte Pater Dr. Benedikt PAHL OSB (Heidelberg/Neuburg), indem er unter dem Titel „Adalbert Graf Neipperg (1890-1948) und der katholische Adel in Württemberg“ das Bezeichnende jener Biographie als besonderes Beispiel herausarbeitete.

Karl Graf Neipperg (1890-1948) wuchs durchaus standesgemäß in der Nähe von Heilbronn auf und wurde in seiner Jugend geprägt durch die dezidiert katholische Erziehung seiner Mutter und die deutsch-nationale Einstellung eines Hauslehrers. Nach dem Eintritt in das Kloster Beuron und die Priesterweihe 1920 wurde der junge Kleriker beauftragt, seelsorgliche Kontakte zu den ehemaligen Standesgenossen zu pflegen. In Beuron trafen sich in der Nachkriegszeit die Vereinsmitglieder der katholischen Edelleute Südwestdeutschlands, denen der junge Kleriker Vorträge und Exerzitien hielt.

1929 wurde der Benediktiner erster Abt des wiederbesiedelten Klosters Neuburg bei Heidelberg und bemühte sich besonders um die soziale Frauenarbeit, die durch Gräfin Graimberg in Heidelberg geleitet wurde. Mit ihr zusammen wirkte er prägend für den ‚Schomberger Kreis’, einem Zusammenschluss adeliger Damen, die sich religiös und sozial engagieren wollten. Einflussreicher war die ‚Tatgemeinschaft’, ein Zusammenschluss von jungen adeligen Herren um Fürst Waldburg-Zeil. Diese wollten in schwierigen Zeiten mit drohender politischer Radikalisierung den „Geisteskampf der Gegenwart“ mitgestalten und den christlichen Humanismus leben und lehren. Dazu diente die Herausgabe der Zeitschrift ‚der gerade Weg’ ebenso wie Philosophie- und Theologiekurse, die in Schloss Zeil ebenso abgehalten wurden wie in dem Kloster Neuburg. In der Zeit der Machtergreifung war die katholische Dogmatik und Staatslehre ein wichtiges Korrektiv gegen die totalitären Ideen des Nationalsozialismus, doch die Phobie vor der „bolschewistischen Machtergreifung“ führte zu manchem Zugeständnis oder gar Kompromiss, wie Pahl anschaulich darstellte.

Lange konnte Abt Adalbert seine auf die Adeligen prägend wirkende Position nicht halten, denn schon 1934 musste er auch wegen Querelen mit adeligen Mitbrüdern innerhalb des Ordens resignieren und Deutschland verlassen. 1945 kam er bei Kriegsende in ein jugoslawisches Gefangenenlager, in dem er nach langer Leidenszeit wohl am 23.12.1948 ermordet wurde.

Mit „Der Adel im Fokus der Bodenreform. Die Bodenreform in Württemberg-Hohenzollern nach 1945“ beschritt Dr. Karin GRAF (Stuttgart) mit der Nachkriegszeit die jüngste Epoche. Dieses Produkt der Krieges, initiiert durch die sowjetische Besatzungemacht, die die Franzosen auch in ihrem Gebiet zu solcherlei Schritten überzeugen konnte, stellte für den württembergischen Adel nach allen Verlusten einen weiteren Angriff dar. Da sie jedoch schnell reagierten, und zudem die Zusammenarbeit zwischen Sowjetunion und den Franzosen nicht funktionierte und diese den schwarzen Peter den Deutschen zuschoben, konnten sie die Fäden der Bodenreform mit in die Hand nehmen und deren Ausdehnung schmälern. Dass gerade der Adel in Württemberg-Hohenzollern fähig war, sich schnell und zielgerichtet zu formieren und eine große Zahl an Bündnispartnern zu finden, beweist die bereits im Juli 1947 erfolgte Gründung der „Arbeitsgemeinschaft Württembergisch-Hohenzollerscher Grundbesitzer“, der es gelang, neben Einzelpersonen vor allem die Landesregierung in Tübingen in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Probleme bei der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen lag neben dem Mangel an verlässlichen Unterlagen an der Weigerungshaltung der Adligen, mangelndem Personal, gerichtlichen Klagen und vor allem an finanziellen Schwierigkeiten, da man die Kosten der Reform an sich und vor allem die Frage der Entschädigungen unterschätzt hatte. De facto implementiert wurde sie daher lediglich zwischen November 1949 und Anfang 1958 (letzte kleine Abgaben erfolgten noch Mitte der 60er Jahre).

Da schließlich erfolgreich hohe Entschädigungen für das Land, das abgegeben werden musste, eingefordert werden konnten, und sich die Abgabe insgesamt stark in Grenzen gehalten hatte, kann laut Graf durchaus von einem Sieg der Adligen über die Bodenreform gesprochen werden.

Mit dem bisherigen Endpunkt der Entwicklungstendenzen des Adels im politischen Bereich setzte sich Prof. Dr. Hans-Georg WEHLING (Stuttgart/Tübingen) auseinander. Der Fragestellung, ob der Adel in der Demokratie angekommen sei, folgte er unter dem Titel: „Auf dem Wege zur Demokratie. Volksvertreter aus dem oberschwäbischen Adel“ zunächst anhand der Parlamentsmandate seit der Mediatisierung, anschließend anhand der Kommunalmandate als Indikatoren. Da der Adel im Königreich Württemberg einen zugesicherten Platz in der Ersten Kammer inne hatte, machte es für ihn keinen Sinn, sich um Mandate in der Länderkammer zu bemühen. Kommunales Engagement hätte ihn zudem auf Grund der Exemtion auch nicht weiter gebracht. So blieb das politische Amt im Deutschen Reich, das sich herauszubilden begann. Die Familie der Waldburg-Zeil-Trauchburg besaß seit dem Paulskirchenparlament eine Tradition der Repräsentation im Parlament, die bis zum Ersten Weltkrieg dauern sollte, wie Wehling aufzeigte. Neben Standesinteressen, die natürlich auch im Fokus standen, wurden vor allem regionale Interessen vertreten; durch das Procedere der Wahl, dem sie sich wie alle anderen unterziehen mussten, konnten die adligen Abgeordneten in das sich herausbildende demokratische politische System hinein erzogen werden, für Wehling ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Mit der Weimarer Republik erlosch jedoch die Repräsentation des oberschwäbischen Adels sowohl im Reichs- als auch im Landtag bis 1980 erstmals wieder ein Vertreter im Bundestag zu finden sein sollte. Kommunalpolitisches Engagement war in der Zwischenkriegszeit ebenfalls nicht vorhanden, nach der Abschaffung der privilegierten Position wohl ganz besonders auf Grund des „nicht-weiter-abrutschen-Wollens“, als das ein „Herablassen“ auf die gleiche Ebene wie das Bürgertum auch in diesem Bereich verstanden worden wäre. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg finden sich häufig die Namen der hochadligen Familien auch in der Kommunalpolitik, jedoch überwog der reichsritterschaftliche Adel. Heute scheinen die Zeiten des kommunalpolitischen Engagements des Hochadels vorbei zu sein; sein Einfluss, so die Erklärung Wehlings, sei auch ohne derartige Involviertheit schlicht und einfach durch die aus seinem Besitz an Grund und Boden erwachsende Machtposition stark genug. Nichts desto weniger sei der Adel – inklusive der Zier der eigenen Vergangenheit – in der Demokratie angekommen.

Mit dieser abschließenden Tagung wurde die Reihe der Symposien erfolgreich beendet.

Kontakt

Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften
Eberhard Karls Universität Tübingen
Wilhelmstr. 36
D- 72074 Tübingen

Tel.: (+49) 7071 29- 72 387
Fax.: (+49) 7071 29- 57 85

http://www.uni-tuebingen.de/IfGL/
Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts