Repräsentationen der vormodernen Stadt

Organisatoren
Forum Mittelalter, Universität Regensburg
Ort
Regensburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2007 - 17.11.2007
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Von
Susanne Ehrich, Universität Regensburg

Die internationale Jahrestagung des Forums Mittelalter der Universität Regensburg widmete sich am 16. und 17. November 2007 den vielgestaltigen Repräsentationsformen der vormodernen Stadt. In interdisziplinärem Rahmen, der die Geschichts- und Literaturwissenschaften, die Kunstgeschichte und die Rechtswissenschaft einschloss, sollten neue Forschungsansätze in der mediävistischen Städteforschung diskutiert werden. Die Veranstaltung wurde von der Stadt Regensburg und der Regensburger Universitätsstiftung Hans Vielberth gefördert und soll in einem Tagungsband dokumentiert werden.

Wie bereits im vergangenen Jahr gab ein am Vorabend der Tagung veranstaltetes Werkstattgespräch jungen Stadthistorikern die Möglichkeit zur Präsentation ihrer Dissertationsprojekte. CHRISTIAN SPEER (Dresden) stellte seine Untersuchung zu Frömmigkeitspraxis und städtischer Politik in Görlitz (1300-1550) vor, die die Wechselwirkungen zwischen der religiösen Praxis der städtischen Eliten und den Prozessen des sozialen und politischen Aufstiegs in den Blick nimmt. KARSTEN IGEL (Münster) sprach über seine Dissertation zu Stadtgestalt, Grundbesitz und Sozialstruktur im spätmittelalterlichen Greifswald. Anhand der Einträge im Greifswalder Stadterbebuch von 1350-1450, das städtische Bauformen ebenso wie Umzüge oder den Zugewinn bzw. Verlust von Eigentum spiegelt, konstruierte er ein anschauliches Bild von wirtschaftlichem und sozialem Handeln in der mittelalterlichen Stadt.

Zum Auftakt der Jahrestagung erläuterte JÖRG OBERSTE, Sprecher des Forums Mittelalter und Organisator der Veranstaltung, die Relevanz des Repräsentationsbegriffs für die kulturhistorische Städteforschung. Er beschrieb „Repräsentation“ als vielschichtigen Prozess der Inklusion und Exklusion, der Identitätskonstruktion und des innerstädtischen Interessenausgleichs. Gerade weil dieser Prozess unterschiedliche mediale Ausdrucksformen suche und verschiedene institutionelle Strukturen benutze, sei hier das Gespräch mit den verschiedenen fachwissenschaftlichen Disziplinen im Bereich der Städteforschung zu suchen.
FRANZISKA WENZEL (Dresden) setzte sich zu Beginn mit literarischen Entwürfen von Wohnstätten als Mittel mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Identitätskonstruktion auseinander. Sie zeigte, dass die wenigen Beispiele von Stadtentwürfen in der deutschen Literatur des Mittelalters in ganz heterogenen Beziehungsfeldern verankert sind: Während die Stadt im „Erec“ Hartmanns von Aue den idealen Gegenentwurf zum Affektzustand ihrer trauernden Bewohner darstellt, kann sie im „Fortunatus“ die stabile Wir-Identität der Kaufmannsfamilie symbolisieren oder im „Herzog Ernst“ als Repräsentation fremder Macht und Gewalt fungieren.

Zur Eröffnung der Sektion über Repräsentationen der italienischen Kommune wurde der Vortrag von CHRISTOPH DARTMANN (Münster) verlesen. Dartmann differenzierte beim Repräsentationsbegriff zwischen den Verfahren institutioneller Zurechung einerseits und den symbolischen Verfahren der Darstellung und Verkörperung andererseits. Letztere manifestierten sich in den italienischen Bürgerversammlungen in verschiedensten Formen – durch den Reliquien-, Fahnen- oder Glockengebrauch und nicht zuletzt durch die regelmäßige, formgerechte Durchführung der Bürgerversammlung selbst. Die institutionellen Zurechungsverfahren im kommunalen Italien waren notorisch unzuverlässig, was letztlich zu einer Vervielfältigung öffentlicher Kommunikation und einem massiven Einsatz von Schriftlichkeit führte. Abschließend sprach Dartmann beiden Aspekten von Repräsentation eine grundsätzliche Integrationsfunktion zu, die allerdings – wie die inneren Spannungen innerhalb der Kommune deutlich machen – durchaus agonale Züge trage. HENRIKE HAUG vom Kunsthistorischen Institut in Florenz führte die nun folgende Reihe von kunsthistorischen Vorträgen zum Thema an: Sie befasste sich mit der Rolle, die die städtische Historiographie für die kommunale Gemeinschaft spielt. Ausgehend vom Beispiel Siena und der Schlacht von Montaperti von 1260 konnte sie zeigen, dass eine gemeinsam vollbrachte Tat, meist ein früher militärischer Sieg, im Bild weit über seine tatsächliche Bedeutung hinaus glorifiziert, in der schriftlichen Fassung elaboriert und stilisiert wird, und sich in der Folgezeit als ‘Subtext’ unter weitere Ereignisse der Stadtgeschichte legt. Die Kenntnis der Geschichte kann somit politisch genutzt werden, einerseits, um planend in die Zukunft zu schauen, andererseits, um rezentere Ereignisse in eine verbindliche städtische Erzählung einzuordnen. Der Vortrag von DIETER BLUME (Jena) untersuchte anhand von drei signifikanten Beispielen grundlegende Formen und Möglichkeiten einer politischen Bildersprache in den entstehenden italienischen Kommunen. Während in Mailand im frühen 13. Jahrhundert das ideale Abbild einer Bürgerversammlung – mit besonderem Blick auf die Wehrhaftigkeit der Kommune – im großen Saal des Stadtpalastes präsentiert wurde, arbeitete man um 1270 in Ancona mit dem biblischen Exemplum. Hier wurde in großformatigen Reliefs politische Staatstheorie anhand der Geschichte des Brudermordes von Kain und Abel entwickelt. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts malte Giotto in Florenz eine komplexe Allegorie, welche die Gefahren der freien Kommune beschwor. Diese erfolgreiche Bilderfindung stellte dann den Ausgangspunkt für zahlreiche ähnlich argumentierende Bildprogramme dar. RUTH WOLFF (Kunsthistorisches Institut Florenz) beschäftigte sich anschließend mit den Stadtsiegeln Italiens, die spezifische Beziehungen von Schrift und Bild generieren und letztlich die Autonomie beider Bereiche einleiten. Sie stellte verschiedene räumliche, zeitliche und mediale Ebenen des Siegelbildes vor und begründete die Produktion neuer Zeichen und Bilder mit der hohen Rechtskultur und der besonderen Bedeutung des Notariats im kommunalen Italien. Zuletzt stellte Wolff die Siegelbeschreibungen in notariellen Urkundenkopien als wichtige Vorläufer neuzeitlicher Kunstbeschreibungen heraus. ALBERT DIETL (Regensburg) leitete abschließend von den Repräsentationen der Stadt bzw. städtischer Eliten zur Selbstinszenierung von Randgruppen in der italienischen Kommune seit dem 11. Jahrhundert über: Im Kreis der inschriftlich genannten Handlungsträger (zumeist Klerus und laikale Amtseliten) waren die Künstler die einzigen Repräsentanten der laikal-handwerklichen Schichten, die durch die Inanspruchnahme von Schriftflächen an kirchlichen und kommunalen Bauten in nicht unerheblichem Ausmaß zu Wort kamen. Dietl führte außerdem die Strategien der Künstlerinschriften vor, ihre Attraktion innerhalb des städtischen Raumgefüges in Szene zu setzen: größtmögliche Okkupation der Trägerflächen (Foligno, Dom) oder deren möglichst exklusive Nutzung (Rom, Lateransbasilika), die Demonstration ihrer kostbaren Materialität (Cività Castellana, Dom) oder die Besetzung zentraler Knotenpunkte innerhalb der Stadttopographie (Ancona).

Am zweiten Tag wurde der Fokus auf städtische Repräsentationsformen und -medien nördlich der Alpen gelegt, die sich insgesamt später entwickeln und auf italienische Vorbilder zurückgreifen. HANS-JÜRGEN BECKER (Regensburg) entwickelte den Kult des Stadtpatrons von der Spätantike bis ins Mittelalter aus rechtsgeschichtlicher Sicht. Er zeigte, dass neben den oberitalienischen Städten auch die transalpinen Bischofsstädte den Kult des Stadtpatrons zum Gegenstand des städtischen Verfassungsrechts machen. Der Stadtpatron – Sinnbild der Unabhängigkeit der Stadt – fungiert hier wie dort als „juristische Person“. Der Vortrag von DIETRICH POECK beschäftigte sich mit gerichtssetzenden, städtischen Instanzen in ihrer bildlichen Repräsentation: Der Münsteraner Kunsthistoriker behandelte Ratsbilder aus dem Raum von Toulouse bis Hamburg (12. bis 18. Jahrhundert) und die Grundlinien ihrer Darstellung. Die Platzierung der Notare an der Grenze zur Raum-Zeit des Rates deutete er dabei als deren kommunikative Vermittlungsposition nach außen. Im freien Raum zwischen den Ratsherren sieht Poeck das Geheimnis der Ratsherrschaft versinnbildlicht, das sich als Wirken des Heiligen Geistes (Toulouse) oder als Zugang zur Transzendenz (Hamburger Rechtsbuch) darstellen kann. WOLFGANG BRÜCKLE (Bern) leitete über zur Repräsentation von Herrschaft durch französische Stadtgestaltung im 14. Jahrhundert. Er befragte staatstheoretische Schriften und Stadtbeschreibungen auf deren Ansprüche an gute Herrschaft und zeigte, wie bereits mittelalterliche Autoren aus dem Erscheinungsbild der Stadt auf die Verfasstheit des Gemeinwesens zurückschlossen. Die Aufarbeitung des Aristotelismus in der französischen Philosophie hat nach Brückle zu einer Veränderung des Herrscherbildes im Paris des 14. Jahrhunderts geführt. Im Zusammenhang mit der Sorge des Herrschers um das irdische Glück der Untertanen treten seiner Auffassung nach die ikonographisch eher unspezifischen, französischen Herrscherdenkmäler in einen differenzierteren Rezeptionskontext ein. Der letzte kunsthistorische Vortrag der Tagung unternahm den Versuch, städtische Repräsentation in Frankreich an einem konkreten Bauwerk abzulesen. BRUNO KLEIN (Dresden) vertrat die These, dass ein radikaler Planwechsel beim Neubau des Straßburger Münsters den Konflikten zwischen Bischof und Kommune in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts geschuldet sei. Die mehrfachen Wechsel des Baustils und die Steigerung der Dimensionen des Bauwerks wurden dabei von den kommunalen Bauträgern, die sich gegenüber dem Bischof durchsetzen konnten, bewusst als historischer Fortschritt inszeniert. Der Vortrag von OLIVIER RICHARD (Strasbourg) führte mit seinem Thema zur historischen Dimension des Tagungsorts Regensburg selbst. Er sprach über die Repräsentation des spätmittelalterlichen Regensburger Patriziats in seinen Memorialpraktiken. Im Rahmen seiner Dissertation konnte er einen Wandel von Sozialprestige fördernden Stiftungen (14. Jahrhundert) zu karitativer, die Stadtzugehörigkeit betonender Memoria (15. Jahrhundert) feststellen. Somit zeichnet sich für die patrizische Stiftungspraxis eine Entwicklung von der Distinktion gegenüber der Stadt zur Integration in die Stadt ab, die – so seine These – im Verlust von patrizischer Wirtschaftsmacht begründet liege. Abschließend kamen mit ARTUR DIRMEIER und WALBURGA KNORR Regensburger Historiker zu Wort. Der Archivar des Katharinenspitals stellte die vielfältigen Siegeltypen der Städte an Donau und Rhein vor und sah die Voraussetzungen ihrer Ausdifferenzierung in der Verbreitung der Siegelurkunde, dem bürgerlichen Verlangen nach Rechtssicherheit und der Herrschaftsstrukturen der großen Bischofsstädte. Für die Siegelführung der bayerischen und rheinischen Städte lässt sich dementsprechend eine abgestufte zeitliche Entwicklung rekonstruieren. Walburga Knorr gab abschließend anhand mittelalterlicher Totengedächtnismale und Grabdenkmäler mentalitätsgeschichtliche, theologische und sozialhistorische Einblicke in postmortale Präsenz und Repräsentation des Regensburger Klerus und der städtischen Bürgerschaft.

Die Jahrestagung 2007 reiht sich mit ihrem Fokus auf städtische Repräsentationen in den Gesamtkontext der kulturhistorisch-mediävistischen Städteforschung des Forums Mittelalter ein, der es um eine umfassende Auslotung der kulturellen Dynamik mittelalterlicher Städte geht: Während die letztjährige Tagung die historischen Voraussetzungen und Formen der städtischen Kommunikation in den Blick nahm, soll es im Herbst 2008 um die grundsätzliche Evaluierung des Raumbegriffs für die Städteforschung gehen.

Konferenzübersicht:

Internationale Jahrestagung des Forums Mittelalter der Universität Regensburg, „Repräsentationen der vormodernen Stadt“

I. Stadtentwürfe
Franziska Wenzel (Dresden)
Literarische Stadtentwürfe als Repräsentationen des Anderen

II. Repräsentationen der italienischen Kommune
Christoph Dartmann (Münster)
Die Repräsentation der Stadtgemeinde in der Bürgerversammlung der italienischen Kommune
Henrike Haug (Florenz)
Preteritum. Presens. Futurum. Geschichtsikonographien in den italienischen Kommunen
Dieter Blume (Jena)
Die Entstehung und Entwicklung einer politischen Bildersprache in den italienischen Kommunen
Ruth Wolff (Florenz)
Descriptio civitatis - Siegel-Bilder und Siegel-Beschreibungen italienischer Städte des Mittelalters
Albert Dietl (Regensburg)
Der öffentliche Raum als Bühne inschriftlicher Selbstinszenierung von Künstlern in italienischen Kommunen des Mittelalters

III. Nördlich der Alpen
Hans-Jürgen Becker (Regensburg)
Defensor et patronus. Stadtheilige als Repräsentanten einer mittelalterlichen Stadt
Dietrich Poeck (Münster)
Ratsbilder
Wolfgang Brückle (Bern)
Eine ideale Stadt im 14. Jahrhundert: Das Paris der Philosophen
Bruno Klein (Dresden)
Das Straßburger Münster als Objekt kommunaler Repräsentation
Olivier Richard (Strasbourg)
Die Repräsentation des spätmittelalterlichen Regensburger Patriziats in seinen Memorialpraktiken
Artur Dirmeier (Regensburg)
Mit Brief und Siegel. Städtische Beglaubigungsmittel an Donau und Rhein
Walburga Knorr (Regensburg)
Postmortale Präsenz und Repräsentation in Spätmittelalter und Frühneuzeit

Kontakt

Prof. Dr. Jörg Oberste; <joerg.oberste@web.de>


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