Justiz im Krieg – Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln von 1939 bis 1945

Justiz im Krieg – Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln von 1939 bis 1945

Organisatoren
Kuratorium „Kölner Justiz in der NS-Zeit“; Forschungsverbund „Justiz im Krieg – der Oberlandesgerichtsbezirk Köln von 1939 bis 1945“, Universität zu Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2010 -
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Von
Susanne K. Paas, Institut für Neuere Privatrechtsgeschichte, Universität zu Köln

Die Rolle und Bedeutung der Justiz während des Zweiten Weltkrieges untersucht das Projekt „Kölner Justiz in der NS-Zeit“ anhand der Akteure und deren sozialen, kulturellen und alltäglichen Lebenssituation, der Strukturen sowie der Rechtsprechung, auch zu alltäglichen Fällen.1 Bezugspunkte des Projektes sind einerseits der lokale Raum Köln-Bonn-Aachen, für den bisher – anders als für andere Bezirke oder Bundesländer – keine Studien vorlagen und andererseits die Zeit des Zweiten Weltkriegs, welcher mit der neueren Forschung als sozialer und gesellschaftlicher Erfahrungsraum gedeutet wird. Im Forschungsverbund, der auf die Initiative des Kuratoriums „Kölner Justiz in der NS-Zeit“ zurückgeht, arbeiten unter wissenschaftlicher Leitung von Hans-Peter Haferkamp (Köln), Margit Szöllösi-Janze (München) und Hans-Peter Ullmann (Köln) HistorikerInnen und JuristenInnen interdisziplinär an sieben Teilprojekten. Die Ergebnisse ihrer Arbeiten präsentierten sie auf dem fünften Symposium am 28. Mai 2010, auf dem auch das Nachfolgeprojekt „Geschichte des Kölner Oberlandesgerichtsbezirks zwischen Zweitem Weltkrieg und Wiederaufbau“ vorgestellt wurde.

Einen Schwerpunkt bildeten Vorträge über die entscheidenden Akteure in der Justiz, deren Lebensumstände und Handlungsspielräume im Sinne der Täterforschung ausgelotet wurden.2

So lenkte BARBARA MANTHE (Köln) den Blick auf Tätigkeitsprofile und Verhaltensstile der Richter, die zwischen 1939 und 1945 am Oberlandesgerichtsbezirk Köln arbeiteten oder in den annektierten Gebieten Recht sprachen. Pauschale Deutungen des Verhältnisses der Richterschaft zum NS-Regime vermied sie, indem sie sowohl die Lebenswirklichkeit der Amtsrichter in ländlichen Gebieten als auch die alltägliche Spruchpraxis der Richter in den nationalsozialistischen Gerichten im Generalgouvernement, einem ehemaligen Teil Polens, darstellte. Manthe hob die Durchsetzung eigener Autoritätskonzepte der Amtsrichter in ländlichen Gebieten hervor, die sich nicht immer mit den Vorstellungen der Nationalsozialisten deckten, und exemplifizierte dies an den „Schwarzschlachtungen“, bei denen die Richter, nicht entsprechend der politischen Vorgaben, sondern beeinflusst durch ihre Rolle in der Dorfgesellschaft, positiv für Eliten ihrer Gemeinschaft Recht sprachen. Sie wies aber auch auf die perfekte Zusammenarbeit zwischen Richtern und Politik im Generalgouvernement hin, deren gemeinsames Ziel, zum Beispiel in Fragen von Vormundschaftsfällen, die Erziehung und Bildung eines „arischen Volkes“ bildete. Dabei wurden die Richter Zeugen von Gewalt, Deportation und Genozid in den besetzten Gebieten.

Mit einer anderen zentralen Personengruppe befasste sich ALEXANDRA KELTER (Köln) in ihrem Vortrag. Sie thematisierte die verfahrensrechtlichen Handlungsspielräume und deren Nutzung durch die Kölner Rechtsanwälte bei der Verteidigung vor den Sondergerichten. Resümierend stellte sie eine Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten durch die systematische Vereinfachung und Verkürzung der sondergerichtlichen Verfahren fest. Dazu gehöre, dass die Voraussetzungen an die Berufung eines Offizialverteidigers ab 1939 mehrfach so erhöht worden wären, dass schließlich im Dezember 1941 die Bestellung im Ermessen des Gerichts gestanden hätte und die Berufung dabei nur in schwierigen Fällen mit schweren Tatvorwürfen und zur eigenen Verteidigung unfähiger Beschuldigter erfolgen sollte. Des Weiteren sei das Recht des Verteidigers auf Akteneinsicht limitiert gewesen, das Einreichen von Schriftsätzen durch kurze Ladungsfristen erschwert und die Beweiserhebung in das Ermessen des Gerichts gestellt worden. Gegen die Urteile konnten keine Rechtsmittel eingelegt werden, allein Wiederaufnahme des Verfahrens war möglich. In den 1.415 von ihr untersuchten Verfahren von 1939 bis 1945 kam es nur in drei Fällen zur Wiederaufnahme, allerdings ohne Erfolg.

Der Verteidigung gegenüber stand die Staatsanwaltschaft, mit der sich THOMAS BICHAT (Bonn) in seiner Dissertation „Die Staatsanwaltschaft als rechts- und kriminalpolitische Steuerungsinstanz im NS-Regime. Ermittlungs-, Anklage- und Gnadenpraxis im Raum Köln 1933/39-45“ beschäftigt. Aufgrund der bis zur Tagung gegebenen Unmöglichkeit, die Quellen einzusehen, stellte er nur das Thema, die Fragestellung und den Aufbau seiner Arbeit vor. Dabei ging er auf Streitigkeiten innerhalb der Forschung, die sein Thema berühren, nicht weitergehend ein.

Einen zweiten Schwerpunkt der Tagung bildete die Analyse der Rechtsprechung verschiedener Gerichte. Sowohl für die von MICHAEL LÖFFELSENDER (Frankfurt am Main/Köln) untersuchte Strafjustiz als auch für die von KERSTIN THEIS (Köln) vorgetragene Urteilspraxis der Ersatzheere waren insbesondere solche politischen Forderungen handlungsleitend, die ihren Ursprung in dem Ziel hatten, den Zusammenhalt der „Volks- und Wehrgemeinschaft“ zu sichern und so einen „Dolchstoß“, welcher entsprechend der gleichnamigen Legende vermeintlich zur Niederlage im Ersten Weltkrieg geführt hatte, zu verhindern.

Michael Löffelsender fragte nach der Umsetzung dieser Zielvorgabe und wendete sich dabei in seinem Vortrag der bislang kaum erforschten amtsgerichtlichen Rechtsprechung zu. Bei Verurteilungen von Frauen und Jugendlichen, die als Stützen, aber auch als Risikogruppen für die Stabilität der „Heimatfront“ betrachtet wurden, zeigte sich zum einen ein repressiver Erziehungsgedanke, dessen Ziel die Reintegration war, zum anderen kam es, wenn auch in geringerem Umfang, zur Todesstrafe und Sicherheitsverwahrung, um so die „Volksgemeinschaft“ zu schützen. Welcher Weg präferiert wurde, war auch abhängig von der Erfüllung geschlechtsspezifischer Zuschreibungen der Angeklagten, oder im Jugendstrafrecht von den durch Gutachter ermittelten Persönlichkeitsprofilen, welche sich strafmaßerhöhend oder -mildernd auswirken konnten. Mit Kriegsbeginn nahmen insbesondere die Gutachten eine verstärkt biologische Komponente an; durch sie konnten, so Löffelsender, Mediziner einen bestimmenden Einfluss auf die Richter nehmen, die deren Diagnosen zum großen Teil unreflektiert zum Ausgangspunkt des Urteils machten.

Kerstin Theis machte sich in ihrem Vortrag auf die Suche nach kriegsspezifischen Merkmalen der Wehrmachtsjustiz im Ersatzheer, welche in ihrer Funktion als Bindeglied zwischen Wehrmachtführung, Feldheer und „Heimatfront“ von besonderem Interesse ist. Theis wies auf eine Vielzahl von strengen Urteilen gegen Desertion, Ungehorsam und Wehrdienstentziehung und auf hart bestrafte Fälle hin, in denen Soldaten des Ersatzheeres das Ansehen des Militärs durch schändliches Verhalten, wie Volltrunkenheit oder Gewaltdelikte, gefährdeten und so nach der Vorstellung der Zeit eine mögliche Ursache für den „Wegfall der Heimatfront“ waren. Beim Strafmaß überwogen im Ersatzheer kurze Freiheitsstrafen; zu Todesstrafen kam es nur selten. Zwar stiegen ab Kriegsmitte die hohen Freiheitsstrafen von über zwei Jahren an und auch die Todesstrafen nahmen zu, gleichzeitig sei es aber vermehrt zu Strafaussetzung und so genannten „Frontbewährungen“ gekommen – die militärische Einsetzbarkeit von Soldaten habe im Mittelpunkt gestanden. Theis zeigte auf, dass der Strafzweck die Erziehung der Soldaten gewesen sei, entsprechend konnte „soldatisches“ Verhalten das Strafmaß mildern und eine „Unbrauchbarkeit“ für das Heer das Strafmaß erhöhen. Militärische Interessen, wie die Einsetzbarkeit der Soldaten aber auch das Ansehen des Militärs, waren maßgeblich für die Urteile.

DOMINIK A. THOMPSON (Köln) befasste sich in seinem Vortrag mit alltäglichen Haftpflichtfällen aus der Prozesspraxis des Landgerichts Bonn, wie Verkehrsunfälle von Bürgern mit Fahrzeugen der Wehrmacht oder Lohnausfälle von Arbeitern wegen Fliegeralarms. Gemeinsam sei den Fällen, dass im Wesentlichen das Deutsche Reiche selbst Klagegegner war und auf Grundlage des Amtshaftungsanspruchs Schmerzensgeld den wichtigsten Klageposten ausmachte. Im Vergleich zu Prozessen zwischen Privaten falle eine schlechtere Behandlung des Deutschen Reiches als Prozesspartei sowohl hinsichtlich der Beweiserhebung und Beweiswürdigung als auch hinsichtlich der Bewertung von Verschuldensanteilen auf. Dass Schmerzensgeld ein Vorteil war, erklärte Thompson mit der verdeckten Inflation ab Ende der 1930er-Jahre und dem Gütermangel, der eine Naturalrestitution bzw. eine Entschädigung für zerstörte Güter nach ihrem tatsächlichen Wert nicht zuließ. Stattdessen mussten sich die Gerichte an dem offiziellen Wert von 1936 orientieren. Durch das Stellen geringerer Anforderungen an die Staatshaftung und das Fehlen von Exkulpationsmöglichkeiten für den Staat wurden die Mengen an Klagen gegen den Staat gefördert. Dabei wurden die Voraussetzungen für eine Haftung auch herabgesetzt, um so einen gefühlten Wertungswiderspruch zwischen der weiten Staatshaftung für Kriegsschäden und Fällen von Amtshaftung, die keinen Bezug zu Kampfhandlungen aufwiesen, zu mildern. Zudem wirkte die Vorstellung vom unbeschränkt gedachten Vermögen des Staates, der wegen der Haftungsprivilegierung von Reichsbeamten und seit Kriegsbeginn auch von Soldaten fast immer haftete, im Verhältnis zum Geschädigten schmerzensgelderhöhend. Die verbleibende Frage, wie der NS-Staat auf diese Rechtsprechungspraxis reagierte, beantwortete Thompson mit dem Hinweis, dass das Reich selber entsprechende Urteile förderte – die „Lehre vom totalen Krieg“ suchte auch die Nachteile durch den Krieg für Betroffene auszugleichen.

Die institutionellen und organisatorischen Hintergründe von Spruchpraxis und Akteuren illustrierte MATTHIAS HERBERS (Köln) in seinem Vortrag über die Justizverwaltung des OLG-Bezirks Köln. Das System Verwaltung habe nicht nur Entscheidungsspielräume im Krieg eingebüßt, wie in der Forschung herausgestellt, sondern auch neue hinzugewonnen. Dazu gehöre der Strafvollzug, der unter Anleitung der Staatsanwaltschaft systematisch zur Gefangenenarbeit innerhalb des Gefängnisses, aber auch in privaten Firmen, die kriegswichtige Güter herstellten, genutzt wurde. Für ihn stellte auch die Annexion Luxemburgs einen Kompetenzzuwachs dar, da die Kölner Justiz die Aufgabe hatte, die Gerichtsorganisation Luxemburgs in den Kölner OLG-Bezirk zu integrieren. Dieser politisch vorgegebenen Kompetenz hätten jedoch der Unwille der Besetzer und die starke Rolle der Gesetzgebung der Zivilverwaltung gegenüber gestanden, durch die die Entscheidungsspielräume der Justizverwaltung eingeschränkt worden seien. Jenseits der Frage nach konkretem Machtzuwachs konstatierte Herbers eine Konstanz der alltäglichen und standardisierten Arbeit während der Kriegsjahre, welche die Rechtsprechung stabilisiert hätten.

Einen Einblick in das Nachfolgeprojekt „Geschichte des Kölner Oberlandesgerichtsbezirks zwischen Zweitem Weltkrieg und Wiederaufbau“, das die in diesem Projekt gewonnenen Ergebnisse in Fragen für die Nachkriegszeit wandelt, ermöglichten KRISTINA BUSAM (Köln) und WIBKE SCHMIDT (Köln) durch die Präsentationen ihrer Dissertationsthemen. Kristina Busam wird anhand alltäglicher Fälle in den 1950er-Jahren die Nachwirkungen des Nationalsozialismus untersuchen. Auch Wibke Schmidt thematisiert in ihrer Arbeit die Frage nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten der NS-Zeit, wendet sich mit ihrem Projekt über Staatsschutzrecht im OLG-Bezirk allerdings dem politischen Strafrecht der Zeit zu.

Die Tagungsvorträge lieferten ein breites Spektrum an akteurszentrierten und systemorientierten Ansätzen zu Prozessverläufen, Rechtsprechung, Alltagsleben, Zielen und Handlungsmustern von Militär-, Straf- und Zivilgerichten, Staatsanwälten und Verteidigern im OLG-Bezirk Köln. Die Rekonstruktion und Bewertung der Rolle der Kölner Justiz in der NS-Zeit schließt nicht nur wissenschaftlich ein Desiderat, sondern ermöglicht auch eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte. In diesem Kontext machte auch der Festakt zur Enthüllung der Gedenktafel zum Lischka-Prozess den Wunsch zur Auseinandersetzung deutlich. Die Überprüfung von Forschungsthesen für den lokalen Raum und die Abwendung von „Skandalurteilen“ hin zu alltäglicher Spruchpraxis hilft dabei, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Positiv wurde dabei die Fortführung eben dieser Ansätze in dem Nachfolgeprojekt von den Anwesenden bewertet.

Konferenzübersicht:

Begrüßung
Joachim Arntz (Köln)

Moderation
Hans-Peter Haferkamp (Köln)

Michael Löffelsender (Frankfurt am Main / Köln): „Aufrechterhaltung der Heimatfront“ – Strafrechtliche Verfolgung von Frauen und Jugendlichen

Matthias Herbers (Köln): Organisationen im Krieg. Die Justizverwaltung des Oberlandesgerichtsbezirks Köln 1939-1945

Barbara Manthe (Köln): Richter in der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft, 1939-1945

Moderation
Margit Szöllösi-Janze (München)

Dominik A. Thompson (Köln): Der Krieg als Schaden. Haftpflichtprozesse und deutsches „Kriegszivilrecht“

Kerstin Theis (Köln): Wehrmachtjustiz im „Heimatkriegsgebiet“

Enthüllung einer Gedenktafel zum Lischka-Prozess

Moderation
Hans-Peter Ullmann (Köln)

Alexandra Kelter (Köln): Rechtsanwaltschaft und Nationalsozialismus – Strafverteidigung vor dem Sondergericht Köln

Thomas Bichat (Bonn): Die Staatsanwaltschaft als rechts- und kriminalpolitische Steuerungsinstanz im NS-Regime. Ermittlungs-, Anklage und Gnadenpraxis im Raum Köln, 1933/39-45

Kristina Busam / Wibke Schmidt (Köln): Vorstellung des Projektes „Justiz im Systemwechsel – Geschichte des Kölner Oberlandesgerichtsbezirks zwischen Zweitem Weltkrieg und Wiederaufbau“

Schlussworte:
Joachim Arntz (Köln)

Anmerkungen:
1 Für eine detaillierte Projektbeschreibung siehe: Matthias Herbers und Kerstin Theis, Projektankündigung. „Justiz im Krieg – Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln. 1939-1945“, in: Geschichte im Westen. Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte 23 (2008), S. 221-232.
2 Dieser Ansatz verbindet sich primär mit Norbert Frei, 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005. Insbesondere die Bedeutung des Ansatzes für die NS-Justiz stellt Thamer dar in: Hans-Ulrich Thamer, NS-Justiz und Täterforschung. Neuere Forschung der NS-Forschung, in: Joachim Arntz u.a. (Hrsg.), Justiz im Nationalsozialismus. Positionen und Perspektiven, Hamburg 2006.


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