Verwaltete Schule

Organisatoren
Andrea De Vincenti-Schwab, Institut für Historische Bildungsforschung, Pädagogische Hochschule Zürich; Michael Geiss, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
09.09.2010 - 10.09.2010
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Von
Barbara Kohlstock, Abteilung Weiterbildung und Nachdiplomstudien, Pädagogische Hochschule Zürich

Auf der Tagung ‚Verwaltete Schule’ wurde das Verhältnis von Verwaltung und Schule aus erziehungswissenschaftlicher und historischer Perspektive in drei verschiedenen Problemfeldern thematisiert: anhand verschiedener Adressaten des Verwaltungshandelns bzw. der Verwaltungsintention, anhand von Reformen der Verwaltung selber oder aber von Reformen, bei denen die Verwaltung eine entscheidende Rolle spielte sowie anhand von Behörden, als Instanzen zwischen der Verwaltung und der Schule selbst.

ANDREA DE VINCENTI-SCHWAB und MICHAEL GEISS (beide Zürich) haben sich, so erläuterten sie, für dieses Thema entschieden, da im Zuge der Einführung des New Public Managements in der Bildungsverwaltung auch die Rolle der Verwaltung im Hinblick auf die Bildung oder das Verhältnis von Bildung und Verwaltung grundsätzlich kontrovers diskutiert werde. Der historische Zugang zum Thema ermögliche die Diskussion der Frage, ob sich das Verhältnis von Schule und Verwaltung, wie dies die gängige Bürokratiekritik geltend zu machen versucht, tatsächlich verändert hat.

Den Adressaten der Verwaltung galt der erste thematische Beitragsblock. Darin stellte THOMAS BRÜSEMEISTER (Giessen) ‚Verwaltung’ in seinem Tagungsbeitrag als ‚dunkle Seite des Mondes’ dar. Diese der Erde abgewandte Seite, auf der keine Funkverbindung möglich sei, erlaube keine Einblicke, die Handlungen und ihre Intentionen blieben verborgen. Was dort geschehe, entziehe sich der Kenntniss der Erdenbürger, die nur auf schriftliche Erzeugnisse zurückgreifen könnten. Diese Dominanz schriftlicher Kommunikation werde, so Brüsemeister, den Anforderungen im Bildungswesen nicht gerecht. Zur Beziehungsgestaltung zwischen Verwaltung und Schulen sei eine interdependente Gesprächsbeziehung notwendig, die auch einen gewissen Handlungs- und Verhandlungsspielraum zulasse, nicht zuletzt, damit dadurch auf die lokalen Begebenheiten vor Ort adäquat reagiert werden könne. Zwischen den beiden Polen der Lokalität und der Dominanz zentralistischer, nationaler Verwaltung plädierte WOLFGANG BÖTTCHER (Münster) für den Mittelweg einer Bildungsregionalität, die die jeweiligen Nachteile zu entschärfen vermöge. Dabei ging er von der These aus, dass die Verwaltung zu stark auf die Ebene des Unterrichtens eingreife und durch falsch verstandene Bemühungen rund um die Neue Steuerung zur Störgrösse und damit zu einem erheblichen Belastungsfaktor geworden sei.

Dreh- und Angelpunkt der Tagung waren allerdings historische Blicke auf Schulreformen, bei denen die Verwaltung eine einschlägige Rolle spielte, oder auf Reformen der Bildungsverwaltung selbst. JOACHIM SCHOLZ (Wuppertal) dokumentierte anschaulich, wie stark die Verwaltungsreform und die Modernisierungsleistungen im brandenburg-preußischen Elementarschulwesen Anfang des 19. Jahrhunderts an die zentrale Figur Ludwig Natorps geknüpft waren. Gleichzeitig wurde in seinem Vortrag deutlich, welchen Beitrag die Schule im Prozess der Herausbildung neuer nationalstaatlicher Gebilde leistete, ein Aspekt, der auch im Vortrag von PETER VOSS (Luxemburg) anhand der Luxemburger Primarschule stark betont und herausgearbeitet wurde. LUCIEN CRIBLEZ (Zürich) zeigte auf, dass das Wachstum und die Restrukturierung der Bildungsverwaltungen in den Kantonen Zürich und Bern in den 1960er- und 1970er-Jahren wider Erwarten nicht im Gleichschritt mit der damaligen Bildungsexpansion einhergingen. Vielmehr ortete er die Ursache darin, dass von der Verwaltung zahlreiche neue, planende und steuernde Aufgaben übernommen wurden, die auf ein verändertes Verständnis der Aufgaben und Funktionen der Bildungsverwaltung deuteten. Der entscheidende Einfluss der gewählten Forschungsperspektive bei Untersuchungen zu Verwaltungsreformen wurde im Beitrag von ANNE BOSCHE (Zürich) deutlich. Während sie in ihrem Beitrag nach der Rolle unterschiedlicher Akteure bei der Umsetzung von Schulreformen fragte, wurde in der anschließenden Diskussion deutlich, dass eine Perspektive, die die Reform als Prozess ins Zentrum stellt, eine interessante Alternative zur differenzierten Betrachtungsweise einzelner Akteure und deren Interaktionen darstellen könnte.

Im letzten Teil der Veranstaltung wurde die ‚Behörde’ ins Zentrum gerückt und eine Annäherung an deren Verortung im Mehrebenen- und Mehrfachakteursystem versucht. In seinem Beitrag prägte MORITZ ROSENMUND (Zürich/Wien) diesbezüglich den Begriff der Grenzbearbeitung und fragte nach den Grenzen der jeweiligen Akteure: Wo hört die Institution ‚Schule’ auf, und wo beginnt der Kontext, die ‚Gesellschaft’? Die Schulaufsichtsbehörde würde, so Rosenmund, oft eine Mittlerrolle einnehmen. Es sei jedoch nicht klar, wie sie diese Rolle ausübe, wenn sie zum einen aus Laien aus den Reihen der Gesellschaft zusammengesetzt werde und zum anderen auf Informationen des Systems selber angewiesen sei, um ihren Aufgaben nachzukommen. Es müsse vor diesem Hintergrund geprüft werden, ob Schulaufsichtsbehörden die ursprünglich für sie vorgesehenen Funktionen der Steuerungs-, Legitimations- und Kontrollfunktion überhaupt ausüben könnten oder ob ihnen nicht eher eine reine Beobachtungs- und Legitimationsfunktion zukomme. Im Zusammenhang mit der Informationsbeschaffung war eine von ANDREA DE VINCENTI-SCHWAB und NORBERT GRUBE (beide Zürich) im letzten Beitrag der Tagung aufgeworfene Frage zentral. Sie machten anhand ihrer Arbeit zur Schulaufsicht zwischen 1771 und 1840 deutlich, dass die Rolle der Wissenschaft im Rahmen der Informations- und Legitimationsbeschaffung im Bildungswesen geklärt werden müsse, da die Verwaltung ihre Informationen zunehmend nicht mehr direkt aus dem Schulfeld, sondern aus der Bildungsforschung beziehe.

Mit der Frage der Rollenklärung und der Frage nach den Adressaten der Wissenschaft (die Verwaltung? die Schule? die Lehrpersonen? die Behörden?) wurde einerseits der Bogen zum Begriff der Adressaten, dem ersten Block der Tagung, geschlagen, andererseits wurden damit auch die thematischen Grenzen der Tagung erkennbar. Untersuchungen zu weiteren Akteuren, wie beispielsweise der Bildungsforschung im Kontext der verwalteten Schulen oder aber auch der Eltern, der Schülerinnen und Schüler, der Privatschulen sowie von Stiftungen oder internationalen Institutionen fehlten. Eingelöst wurde allerdings der Anspruch einer historischen Auslegeordnung zum Thema, indem die Beiträge, in denen entsprechende historische Fakten und Konstellationen dargestellt wurden, das jeweilige Verwaltungsverständnis anschaulich illustrierten und zahlreiche Anregungen zu einer vertieften Auseinandersetzung boten. Einzelne Beiträge, die sich nicht auf historische Fakten berufen konnten, vermochten in diesem Zusammenhang nur wenig neue Aspekte aufzuzeigen.

Insgesamt überzeugte der Themenbereich der Adressaten am wenigsten. Das Spezifische dieses eigenen Blocks wurde in den Beiträgen nur wenig herausgearbeitet und konkretisiert. Die Frage, was ‚Verwaltung’ im engeren Sinn zum jeweiligen Zeitpunkt alles umfasste und beinhaltete, diese Frage wurde insbesondere von MICHAEL GEISS (Zürich) anhand der Reformen der badischen Bildungsadministration nach 1860 aufgeworfen. Er forderte in seinen Ausführungen, dass zunächst geklärt werden müsse, worin sich die Verwaltung von Schule von der Verwaltung anderer Institutionen unterscheide, bevor weitere Schlüsse gezogen werden könnten.

Worin allerdings das Spezifische der Verwaltung einer Schule besteht, das wurde im Rahmen der Tagung nicht weiter ausgeführt. Ein Grund dafür dürfte in der disziplinären Verortung der Tagungsbeiträge liegen. Ökonomisch fundierte Beiträge aus dem Bereich des Public Managements hätten dem an der Tagung geführten Diskurs diesbezüglich sicherlich entsprechende Impulse gegeben. Es bleibt somit zu wünschen, dass zukünftig der Diskurs zur verwalteten Schule nicht nur aus erziehungswissenschaftlicher und historischer Perspektive geführt wird, sondern dass dazu auch Beiträge anderer Disziplinen eingeladen werden.

Konferenzübersicht:

Michael Geiss (Zürich): Begrüssung, thematische Einführung

1. Block: Adressaten der Bildungsverwaltung

Thomas Brüsemeister (Giessen): Schule und Bildungsmanagement

Roman Langer (Linz): Robota! Intentionale Strategien der gegenwärtigen OECD-weiten Reformen des Schulsystems und transintentionale Selbstorganisations-Mechanismen des Schulsystems laufen auf die Einrichtung undemokratischer Agenturen flexibler Disziplinierung hinaus

Joachim Scholz (Wuppertal): Verwaltungsreform und Modernisierungsleistungen im brandenburg-preußischen Elementarschulwesen 1806-1827

2. Block: Reformen

Wolfgang Böttcher (Münster): Verwaltung gegen Pädagogik? Zur Kritik des „managerialen“ Prinzips der Rechenschaftslegung

Anne Bosche (Zürich): Vollziehen oder Gestalten? Die Rolle von unterschiedlichen Akteuren bei der Umsetzung von Schulreformen

Lucien Criblez (Zürich): Die Restrukturierung der Bildungsverwaltung im Zuge der Bildungsexpansion – am Beispiel der Schweizer Kantone Zürich und Bern in den 1960er- und 1970er-Jahren

Peter Voss (Luxembourg): Das Schulgesetz von 1843 oder die „Wiedergeburt“ der Luxemburger Primarschule

Michael Geiss (Zürich): Das Stottern der Verwaltung. Reformen der badischen Bildungsadministration nach 1860

3. Block: Behörden

Andreas Hoffmann-Ocon (Basel): Steuerungsversuche staatlicher und kommunaler Schulaufsichtsbehörden zwischen Konflikt und Kooperation in deutschen Bildungsräumen des 19. Jahrhunderts

Karin Manz (Zürich): Von einer Art Tagsatzung zur ein-flussreichen Institution im Bildungswesen – zur Organisationsentwicklung der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) nach 1968

Moritz Rosenmund (Wien / Zürich): Mehr als bloss Kontrolle des Lehrpersonals und der Bildungsstätten

Norbert Grube und Andrea De Vincenti-Schwab (beide Zürich): Schulaufsicht zwischen pastoraler Inspektion und behördlicher Administration: Strukturen, Planungen und Praktiken 1771-1840

Andrea De Vincenti-Schwab (Zürich): Abschluss der Tagung


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