Die Stadtpfarrkirchen Sachsens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

Die Stadtpfarrkirchen Sachsens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (ISGV). Dresden; Katholische Akademie des Bistums Dresden-Meißen
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.06.2011 - 01.07.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Robert Mund, Stadtarchiv Dresden

Das Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (ISGV) veranstaltete am 30. Juni und 1. Juli 2011 in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen einen Workshop, der unter dem Titel „Die Stadtpfarrkirchen Sachsens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit“ im Haus der Kathedrale in Dresden stattfand.

Ziel der interdisziplinär angelegten Veranstaltung, an welcher neben Historikern auch Theologen, Kunsthistoriker und Musikwissenschaftler teilnahmen, war es, die Pfarrkirchen der zahlreichen und typologisch vielgestaltigen Städte Sachsens in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken sowie den Stand und die Perspektiven der Forschung festzuhalten. Denn obwohl die mittelalterliche und frühneuzeitliche Pfarrei seit längerer Zeit von Seiten der Wissenschaft rege Aufmerksamkeit erfährt, ist für den sächsischen Raum doch noch ein erheblicher Forschungsbedarf festzustellen. Im besonderen Fokus stand dabei die Bedeutung der Pfarrei in der Reformationszeit.

Der Workshop wurde durch Grußworte von CLEMENS MAAß, Direktor der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen, und WINFRIED MÜLLER, Direktor des ISGV und Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden, welcher den erkrankten ENNO BÜNZ, Geschäftsführender Direktor des ISGV, vertrat, eröffnet.

Die von FRANK METASCH moderierte erste Sektion befasste sich mit den Pfarr- und Stadtkirchen und ihrer Verankerung in der Stadt. ULRIKE SIEWERT (Dresden) untersuchte in diesem Zusammenhang die Pfarrkirchenverhältnisse in Dresden. Sie zeigte, wie die ehemalige Nikolaikirche der Kaufmannssiedlung durch die starke Verehrung der Kreuzreliquie im 14. Jahrhundert einen Patroziniumswechsel erfuhr und in der Folge die Frauenkirche als ältere und eigentliche Pfarrkirche der Stadt immer stärker im religiösen Leben der Stadt verdrängte. Schließlich wurde sie zum Zeitpunkt der Einführung der Reformation auch offiziell zur Pfarrkirche erhoben.

Im zweiten Vortrag der Sektion widmete sich JULIA SOBOTTA (Marburg) dem Erwerb des Nominationsrechts über die Zwickauer Marienkirche durch den Stadtrat. Sie legte dar, dass die Bemühungen des Rats, dieses Recht von dem Kloster Eisenberg zu erwerben, erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts nach jahrelangen Verhandlungen mit dem Kloster und der römischen Kurie von Erfolg gekrönt waren. Sobotta sah im Vorgehen des Zwickauer Rats Parallelen zu Vorgängen in Coburg, wo sich der Rat ähnlicher Verhandlungsstrategien bedient hatte. Anhand einer Untersuchung des sozialen und familiären Umfeldes Zwickauer Ratsmitglieder konnte Sobbota enge Verbindungen nach Coburg nachweisen. Dies führte sie zu dem Schluss, dass der Zwickauer Rat bei seinen Verhandlungen auf Erfahrungen der Coburger Bürgerschaft zurückgriff.

Die anschließende zweite Sektion, moderiert von MATHIAS KÄLBLE, richtete den Blick auf die Stadtkirchen in der Oberlausitz. Die Thematisierung der Patronatsherrschaft des Görlitzer Rats erfolgte durch CHRISTIAN SPEER (Halle / Dresden). Hierbei wurden die Bemühungen der Bürgerschaft, das Patronatsrecht über die Kirche St. Peter und Paul zu erhalten, erläutert. Diese hatte gegen Ende des 14. Jahrhunderts die ältere Nikolaikirche außerhalb der Stadt als Pfarrkirche abgelöst – ein Prozess, der Assoziationen mit dem Übergang der Pfarreirechte von der Dresdner Frauenkirche auf die Kreuzkirche weckte. Speer verdeutlichte anhand des Görlitzer Beispiels das Überdauern mittelalterlicher Rechtsstrukturen bis in die Neuzeit, wobei er den zeitlichen Bogen bis 1920 zog, als die Stadt die Patronatsrechte an die Gemeinde „zurückgab“.

Mit den Veränderungen der Innenräume Oberlausitzer Pfarrkirchen in der Reformationszeit beschäftigte sich anschließend KAI WENZEL (Görlitz). Während sich die vorangegangenen Referate jeweils auf das Verhältnis zwischen Pfarrkirche und Rat in einer einzelnen Stadt konzentriert hatten, erweiterte Wenzel die Perspektive und legte überblicksartig für die Kamenzer Marienkirche, die Zittauer Johanniskirche und die Bautzner Petrikirche dar, wie sich die Einführung der Reformation auf die Bildprogramme von Kanzel, Taufstein und Altar ausgewirkt hatte. Dabei verdeutlichte er, dass die Ausstattung der Kirchen als Mittel zur Demonstration des neuen Glaubens genutzt wurde.

Der Abendvortrag von ARND REITEMEIER (Göttingen) beschloss den ersten Tag des Workshops. Im Fokus stand die Verankerung der städtischen Pfarrkirche im Alltag der Bewohner der spätmittelalterlichen Stadt. So erläuterte Reitemeier ausgehend von den die Silhouette der Stadt prägenden Glockentürmen die Vielfalt der visuellen und akustischen Wahrnehmungen der Stadtkirchen, bevor er die Kirchenräume in ihrer Funktion als Treff- und Kommunikationsmittelpunkte beleuchtete. Dass Kirchen einen wichtigen Bezugspunkt sozialer Gruppen darstellten, erschloss sich deutlich aus den Beispielen von Gräbern auf dem Kirchhof oder im Inneren der Gebäude, welche der Memoria der Familien dienten, der Teilnahme der Menschen an Messen und Prozessionen sowie dem Bruderschaftswesen. Zum Schluss seines Vortrags thematisierte der Referent die finanziellen Probleme der Pfarrkirchen, die am Ende des Mittelalters zu immer höheren Defiziten geführt hatten.

Am zweiten Tag des Workshops befasste sich die erste Sektion mit dem Bau und der Ausstattung von Kirchen. SABINE ZINSMEYER übernahm für diesen Teil die Moderation. Zunächst referierte STEFAN BÜRGER (Dresden) über den Pfarrkirchenbau der obersächsischen Spätgotik. Die Vielfalt der Bautypen der sächsischen Kirchen wurde aufgezeigt, indem die verschiedenen Formen der einzelnen Elemente wie Langhaus, Chor und Turm detailliert darstellt und die Entwicklung der Gewölbestrukturen vom 15. Jahrhundert bis in die 1520er-Jahre nachgezeichnet wurden. Anhand des Steintyps der Fassaden verdeutlichte Bürger dabei den Zusammenhang zwischen Baumaterial und --geschwindigkeit. Aus der Präsentation wurde ersichtlich, dass sich die Bauherren der städtischen Pfarrkirchen am Beispiel der fürstlichen Kirchenbauten orientierten.

Der im Anschluss vorgesehene Beitrag von ENNO BÜNZ (Leipzig) zum Thema „Ausstattung sächsischer Stadtpfarrkirchen im Spiegel der Schriftquellen“ fiel krankheitsbedingt aus. Der Vortrag von HEIKO JADATZ (Leipzig) über spätmittelalterliche Kirchenausstattungen und deren Veränderungen in der Reformationszeit beendete die Sektion. Jadatz erläuterte am Beispiel von Altären und Kanzeln, welche Auswirkungen die Reformation auf die Bildprogramme in Kirchenräumen hatte. Einen besonders eindrücklichen Fall stellt in diesem Zusammenhang die Nikolaikirche von Geithain dar, wo der Rat in den 1590er-Jahren die Arbeiten am Gewölbe einstellen ließ und sich stattdessen der Ausgestaltung der Kirche mit Altar, Taufstein und Kanzel widmete. Jadatz unterstrich, dass sich weder in Martin Luthers Programm zur Reformierung der Kirche noch in den evangelischen Kirchenordnungen eine klare Positionierung hinsichtlich der Ausstattung der Kirchengebäude finden lässt.

In der von MAIKE GÜNTHER moderierten Sektion wurde abschließend das religiöse Leben in den Pfarrkirchen thematisiert. Dabei untermauerte VITUS FROESCH (Mönchengladbach) mit seinem Beitrag über das geistliche Musikleben im mittelalterlichen Dresden eindrücklich den interdisziplinären Charakter der Veranstaltung, indem er seinen Ausführungen zur Pflege der Musik an den Dresdner Kirchen und Kapellen ausgewählte musikalische Klangbeispiele an die Seite stellte. Er unterstrich die Bedeutung der Kreuzkirche für das Musikleben im spätmittelalterlichen Dresden und verwies zugleich auf die spärliche Überlieferung schriftlicher Quellen zu diesem Thema. Im letzten Vortrag des Workshops widmete sich STEFAN DORNHEIM (Erlangen / Dresden) Grundsteinlegungszeremonien und Turmknopffesten lutherischer Kirchen in der Frühen Neuzeit. Er stellte die religiöse, erinnernde und identitätsstiftende Funktion solcher Rituale heraus und erläuterte die hohe Bedeutung, welche der Wahl des Orts und des Zeitpunkts des Baubeginns beim Errichten eines kirchlichen Gebäudes zukam. Ausführlich schilderte Dornheim anhand von Quellen wie Zeitkapseln, Festschriften und Predigten die Grundsteinlegung für die Dresdner Frauenkirche vom 16. August 1726 und verglich diese mit der Gründung der Regensburger Dreifaltigkeitskirche am 4. Juli 1627.

Zum Abschluss des Workshops erfolgte durch Ulrike Siewert ein Resümee, in dem sie die einzelnen Vorträge und die Ergebnisse der Diskussionen zusammenfasste. Letztlich zeigte der Workshop durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit sinnvolle und lohnenswerte Ansätze für die Untersuchung der „Stadtpfarrkirchen Sachsens im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit“ im Hinblick auf deren Vergleichbarkeit und kontextuelle Vernetzung. In der Folge erhofft man sich somit weitere forschungsintensive und lehrreiche Impulse von Seiten der verschiedenen Wissenschaftszweige.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Pfarr- und Stadtkirchen und ihre Verankerung in der Stadt

Ulrike Siewert (Dresden): „ad honorandam salutiferam crucem“. Von der Nikolaikirche der Kaufmannssiedlung zur Dresdner Stadtpfarrkirche

Julia Sobotta (Marburg): Zwickau, Rom und das Kloster Eisenberg. Der Erwerb des Nominationsrechtes über die Marienkirche durch die Stadt Zwickau

Sektion II: Die Stadtkirchen in der Oberlausitz

Christian Speer (Halle / Dresden): Die Patronatsherrschaft des Görlitzer Rates vom Mittelalter bis in die Neuzeit. Ein „Instrument von langer Dauer“

Kai Wenzel (Bautzen): Spuren der Veränderung. Die Ausstattungen Oberlausitzer Stadtpfarrkirchen im Zeitalter der Reformation

Abendvortrag

Arnd Reitemeier (Göttingen): Mitten im Alltag. Städtische Pfarrkirchen und ihre Gemeinden im späten Mittelalter

Sektion III: Kirchenbau und Kirchenausstattung

Stefan Bürger (Dresden): Was für ein Typ? Der Pfarrkirchenbau der obersächsischen Spätgotik

Enno Bünz (Leipzig): Die Ausstattung sächsischer Stadtpfarrkirchen im Spiegel der Schriftquellen

Heiko Jadatz (Leipzig): „… dann drei altaria on bild genug seind“. Die Veränderung spätmittelalterlicher Kirchenausstattungen durch die Wittenberger Reformation

Sektion IV: Religiöses Leben in den Pfarrkirchen

Vitus Froesch (Mönchengladbach): Geistliches Musikleben im mittelalterlichen Dresden

Stefan Dornheim (Erlangen / Dresden): Rituale der Gründung, Vollendung und Erneuerung. Grundsteinlegungs- und Turmknopffeste lutherischer Kirchen in der Frühen Neuzeit


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