Verteidigungsstrategien in Hexereiverfahren

Verteidigungsstrategien in Hexereiverfahren

Organisatoren
Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart; Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH); Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsgeschichte und Rechtsphilosophie der Universität Bielefeld; Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Tübingen
Ort
Stuttgart-Hohenheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.02.2006 - 18.02.2006
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Von
Kathrin Mutterer

Das rechtsgeschichtlich ausgerichtete Schwerpunktthema stellte die Frage nach der Existenz und Funktion von Verteidigungsmöglichkeiten in den Hexereiprozessen der frühen Neuzeit und in diesem Zusammenhang auch die nach der Erkennbarkeit einer allgemeinen Verteidigungsstrategie.
Vorbereitet und geleitet wurde diese Tagung in Verbindung mit dem Arbeitskreis Interdisziplinäre Hexenforschung (AKIH) von Dieter R. Bauer (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Referat Geschichte), Prof. Dr. Wolfgang Schild (Universität Bielefeld, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Strafrechtsgeschichte, Rechtsphilosophie) und Prof. Dr. Sönke Lorenz (Universität Tübingen, Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften).

Die einführende Überlegung zum Tagungsthema oblag Wolfgang Schild (Bielefeld). Er stellte darin die These auf, dass die Annahme, es hätte nur Unrechtsverfahren gegeben, einer Überprüfung nicht standhält. Er forderte sowohl eine Problematisierung der Folter als Rechtsinstitution als auch eine weitere Differenzierung innerhalb der Hexenprozesse. Immer eingebettet in den Kontext des jeweils geltenden Rechts, muss gefragt werden, ob auch von Unrechtsverfahren gesprochen werden kann, wenn sich an gängiges Recht gehalten wurde. Im Bezug auf den Verteidiger stellte er folgende Überlegung in den Raum: Wenn die Official-, Instructions- und Wahrheitsmaximen gelten, das Recht folglich von der Wahrheit her gedacht wird, und das Ziel die Erforschung der Wahrheit um jeden Preis ist, ist dann das Amt des Verteidigers überhaupt denkbar, oder stört es im Gegenteil die Wahrheitsfindung? Übergreifend versuchte er einen Denkanstoß hinsichtlich eines strukturellen Vergleichs zwischen der heutigen Folterpraxis im Umfeld der Terrorismusbekämpfung und dem Delikt der Hexerei in der Neuzeit zu geben.

Karoline Kahl (Münster) legte in ihrem Beitrag Die Hexe und andere Verbrecher. Verteidiger vor dem Strafgericht Münster das Wirken von Verteidigern im Münster des 17. Jahrhunderts dar. Im Gegensatz zu anderen hier stattfindenden Prozessen war eine Verteidigung in Hexenprozessen die Ausnahme, in 29 Verfahren gegen insgesamt 40 Personen wurde einzig im Fall der Marie Eggers von 1630 ein Verteidiger tätig. Dies zeigt jedoch, dass die Hinzuziehung eines Verteidigers nicht grundsätzlich unmöglich war. Der namentlich nicht bekannte Verteidiger war wohl durch die Verwandten mit dem Fall betraut worden und verfasste einen einzigen vierseitigen Schriftsatz. Seine Verteidigungsstrategie war darauf aus, die Indizien zur Rechtfertigung der Folter zu entkräften. Dabei ging er von einem real existierenden Zauber- und Teufelsglauben aus und argumentierte im Rahmen dieses Glaubens, um die Unschuld seiner Mandantin zu beweisen. Diese Verteidigung zur Verhinderung der Folter war besonders effektiv, da somit die Indizien bereits für eine Folterung nicht ausreichten. Der Verdienst der Verteidigungsschrift war, dass Marie Eggers nicht der Tortur unterzogen und letztendlich freigelassen wurde.

Die Verteidigungsstrategien bei Hexereinanklagen in den Massenverfolgungen des Trierer, Luxemburger und Eifeler Raumes behandelte Rita Voltmer (Trier). In diesen Territorien blieb die verdachts- und prozesseinleitende Relevanz des Indizes der Besagung nahezu uneingeschränkt anerkannt. Die Verteidigungsstrategien mussten sich folglich zuerst auf die Entwertung solcher Bezichtigungen richten. Im Mittelpunkt der Verteidigung standen dabei folgende Argumente: Erstens, die Besagungen waren durch rechtsbrüchige Verfahrensführung zustande gekommen, zweitens, sie waren nachweislich aus Hass und Neid entstanden und stammten von Todfeinden der Bezichtigen. Drittens, den Besagungen war aus verschiedenen weiteren Gründen kein Glaube zu schenken, und viertens, das Gericht, bei dem die Besagung erfolgte, setzt sich aus des Amtsmissbrauchs und der Korruption verdächtigten Todfeinden des Bezichtigten zusammen. Sowohl die Rechtssprechung des Reichskammergerichts als auch die des Luxemburger Provinzialrates erkannte diese Argumente an. Zudem sah der Luxemburger Provinzialrat die Möglichkeit vor, „lettres de purge“ auszustellen, welche den Hexereiverdächtigten bereits im Vorfeld der Anklage die Möglichkeit eröffneten, sich von den Vorwürfen zu reinigen. Juristisch gebildete Verteidiger und Verteidigungsschriften in den Prozessen selbst waren dagegen eher selten.

Ralf-Peter Fuchs (München) dokumentierte den Wandel Vom Hexenprozess zur Schmähschrift. Überlegungen zur Ehre der Juristen im Fall Gebweiler/ Kaysersberg. Salome Gebweiler wurde 1579 in der elsässischen Reichsstadt Kaysersberg wegen Hexerei angeklagt. Nach ihrer Verhaftung leiteten die Verwandten umgehend einen Mandatsprozess vor dem Reichskammergericht und, als die Freilassung ausblieb, einen Nichtigkeitsprozess ein. Während dieser noch lief, verurteilte der Rat von Kaysersberg Salome Gebweiler 1580 zum Tod, wagte allerdings nicht, das Urteil zu vollstrecken. Diese Blockierung der Justiz half Salome Gebweiler nur bedingt, sie starb 1586 in der Haft. Der Reichskammergerichtsprokurator Johann Grönberger, Vertreter der Partei Gebweiler, leitete im Jahre 1583 ein Injurienverfahren ein, um im Gegenzug mit einer Rekonventionsklage des Rates zu Kaysersberg und des dortigen Syndikus Malchais von Rammingen, ebenfalls Reichskammergerichtsprokurator, bedacht zu werden. 1594 erging die Entscheidung des Reichskammergerichts, seine Injurienklage als unbegründet zu erklären. Die Rehabilitierung des Rates zu Kaysersberg war bereits 1588 erfolgt, indem die Nichtigkeitsklage abgeschmettert wurde. In diesem Urteil wurde der Ehrdiskurs rigoros ausgeschlossen und die Folterpraxis in Kaysersberg letztendlich für rechtens erklärt. Was zeigt, dass das Reichskammergericht keinesfalls durchgängig als Gegnerin der Hexenprozesse zu definieren ist.

Über Jan Mandelík Nežerka. Verteidigungsstrategie und –taktik eines der Hexerei beschuldigten untertanen Bauer in Böhmen am Anfang des 17. Jahrhunderts berichtete Petr Kreuz (Prag). Nežerka konnte trotz elfjähriger Verfolgung wegen Hexerei durch ortsansässigen Adel (1606-1617), in der er mindestens zweimal der Tortur erfolgreich widerstand, sein Leben und Eigentum retten. Der Prozess gegen Nežerka zeigt, wie sich auch eine Person niedrigeren Standes erfolgreich gegen die Hexereianklage wehren konnte und bietet eine breite Palette der Möglichkeiten, die ein böhmischer Untertan hatte, Rechtsschutz zu erlangen. Denn die Obrigkeit musste bei Kapitalverbrechen keineswegs den Gang vor das Stadtgericht gehen und konnte die Tortur gegen ihn oder die Verhaftung durchaus verhindern. In Extremfällen wie bei Nežerka, der sich des Schutzes seitens seiner Obrigkeit sicher sein konnte, lag die Entscheidung schließlich in den Händen der zuständigen obersten Landes-, bzw. Staatsbehörden. Die Verteidigung des Bauern Nežerka war durchaus aktiv angelegt, in der taktische Elemente und eine rasche intuitive Reaktion auf das Verhalten der Verfolger gegenüber einer langjährig durchdachte Strategie überwogen. Das markanteste Element der Verteidigungsstrategie Nežerkas war sein Bestehen auf dem „odvod neviny“, dem Unschuldsbeweis, das sich bis zum Ende durch sein Verfahren zog.

Zur Strafjustiz gehören gleichermaßen Schuldige und Unschuldige, Freisprüche und Verurteilungen. Dass dieses Legitimationsbedürfnis des Justizsystems von tatkräftigen Verteidiger genutzt werden konnte, zeigte Ulrich Falk (Mannheim) in Beobachtungen und Fragen eines Rechtshistorikers, anhand eines Hexenprozesses gegen die Schwestern Barbara Weitzel und Lena Schneider am Hohen Halsgericht zu Dillenburg von 1589/90. Juristischer Kern der rechtskundigen Verteidigung war der Vorwurf, dass die strafprozessualen Anforderungen nicht erfüllt seien. Zusätzlich versuchte er die Rechtswidrigkeit der Verhaftung und die Unglaubwürdigkeit der Besagungen bereits verbrannter Hexen zu belegen. Mit Kenntnis der Aktenlage konnte er nun auch die Glaubwürdigkeit der Zeugen direkt in Frage stellen und Neid und Verleumdung als mögliche Motive herausstellen. Durch ein weiteres Gutachten der Universität Marburg wurde ihm zwar eine hohe Bemühung bescheinigt, seine Argumente jedoch als nicht ausreichend belegt betrachtet. Als jedoch ein neuer, glaubwürdiger Zeuge sich für das Motiv des Neids aussprach, kamen die Gutachter, wie schon zuvor, zu einer Kompromissentscheidung und setzten nur eine Folter ersten Grades für die ältere der Schwestern fest. Indem sie diese überstand, reinigte sie sich vom bestehenden Tatverdacht und das Strafverfahren wurde mit der Freilassung beider Schwestern beendet.

Von einer allgemeinen Verteidigungsstrategie war man in den Hexereiprozessen der frühen Neuzeit noch weit entfernt. Sicher ist, dass die Hinzuziehung eines Verteidigers die Wahrscheinlichkeit, den Prozess lebend zu überstehen, erhöhte. Noch für das 16. und 17. Jahrhundert lässt sich ein nebeneinander von Rechtsgelehrten und Laien beobachten. Durch die Professionalisierung der Juristen und des Justizsystems geraten die Hexenprozesse immer mehr ins Wanken, aber gerade der Höhepunkt der Verfolgung fällt in die Zeit dieser Professionalisierung. Rechtsschriften wie die Carolina kannten zwar die Möglichkeit der Verteidigung, in der Realität war das Hinzuziehen eines Anwalts aber eher die Ausnahme.

Dass weder das Recht noch die Wissenschaft Schutz vor Wahnvorstellungen bieten und es oft einzelne Menschen wie Friedrich Spee sind, die gegen den Strom der Zeit für Wahrheit und Humanität eintreten, erzählte Hans Rädle (After) in seinem reich bebilderten abendlichen Vortrag: Recht und Wahn. Friedrichs Spees Kampf gegen den Hexenwahn und das Bild des ungerechten Richters.

Aus der Forschung:

Über den Zusammenhang zwischen Hexengesetzte[n] und symbolische[m] Strafrecht sprach Susanne Stöffel (Tübingen) und stellte sich dabei die Frage nach der Übertragbarkeit moderner Konzepte auf die Gesetzgebung der frühen Neuzeit. Zu den Kriterien und Fallgruppen, welche die moderne Gesetzgebungslehre zu dem Konzept des symbolischen Strafrechts entwickelt hat, lassen sich Entsprechungen bei frühneuzeitlichen Normen und Regelungen finden. Das bayerische Aberglauben- und Hexenmandat erweist sich beispielsweise als Kompromissgesetz, das mangels Veröffentlichung nicht umgesetzt wurde, dem aber durch regelmäßige Erneuerung und Erinnerung von Seiten der Obrigkeit über 200 Jahre hinweg symbolische Bedeutung zugemessen wurde. Gesetze der frühen Neuzeit hatten ohnehin eher den Charakter einer öffentlichen Willenserklärung in Form eines Aktes der Selbstdarstellung des Normgebers. Denn das Instrumentarium zu ihrer Durchsetzung fehlte häufig.

Abschließend sprach Johannes Dillinger (Trier) über _Hexen, Nazis und künstliche Kelten.
Erfundene Traditionen um einen magischen Ort_. Dieser Ort, der Hoxberg im Saarland, erschien in Hexengeständnissen aus der Region im 16. Jahrhundert häufig als Versammlungsort der Hexen. In den letzten Jahren wurde in populärwissenschaftlichen Publikationen und in Zeitungen immer wieder behauptet, es habe sich dort eine keltische Opferstätte befunden. Es kann jedoch gezeigt werden, dass die erste Nachricht über eine vorchristliche Kultstätte auf dem Hoxberg auf die Geschichte eines Lokalhistorikers von 1935 zurückgeht, der behauptete, dass sich ein germanisches Heiligtum auf dem Hoxberg befunden hätte. Nach Kriegsende wurde das germanische Heiligtum wurde nach Kriegsende zu einer ‚heidnischen’, in neuester Zeit zu einer keltischen Kultstätte umgedeutet, ohne dass die propagandistische Falschmeldung je inhaltlich überprüft worden wäre.


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