Zwischen Tauwetter und neuem Frost: Entstalinisierungskrise 1956 und die Folgen

Zwischen Tauwetter und neuem Frost: Entstalinisierungskrise 1956 und die Folgen

Organisatoren
Institut für Zeitgeschichte München-Berlin Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.10.2006 - 28.10.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Susanne Muhle, Münster

Zum 50. Jahrestag der ungarischen Herbstrevolution 1956 veranstalteten die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) und das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin eine internationale Tagung zum Thema: „Zwischen Tauwetter und neuem Frost – Entstalinisierungskrise 1956 und die Folgen.“ Mit Blick auf das Jahr 1956 sollten die unter dem Begriff der „Entstalinisierung“ subsumierten und 1956 kulminierten (krisenhaften) Entwicklungen in den Ostblockstaaten betrachtet werden. Diese vergleichende Perspektive orientierte sich an der leitenden Fragestellung nach dem Wandel kommunistischer Herrschaftsstrukturen nach Stalin.

Schlüsseljahr 1956

In ihren Begrüßungsworten betonten Hans Altendorf (Berlin), Direktor bei der BStU, und Horst Möller (München), Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin die weitreichende Bedeutung der Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU und den besonderen Charakter des Jahres 1956 als Schlüsseljahr. In Anlehnung an Toqueville gab Möller zu Bedenken, dass das Tolerieren von Reformbestrebungen und die Lockerung von Repressionen für totalitäre Systeme am gefährlichsten sei, wie die Ereignisse 1956 gezeigt hätten.
Diesen Aspekt veranschaulichte Bernd Bonwetsch (Moskau) in seinem Einführungsvortrag über die politischen Hintergründe der Entstalinisierung in der Sowjetunion und ihre Auswirkung auf die imperiale Politik Moskaus. Der Machtkampf im Kreml nach dem Tod Stalins und die in diesem Rahmen instrumentalisierte Entstalinisierung (unter Berija 1953 und Chruschtschow 1956) habe für die Satellitenstaaten einen größeren Handlungsspielraum geschaffen. Die Entwicklungen in Polen und Ungarn offenbarten den sowjetischen Machthabern jedoch die Gefahren einer gelockerten Einflussnahme und gaben den Entstalinisierungsgegnern Auftrieb, so Bonwetsch. Zudem habe Moskau angesichts der Krise in Ägypten auch vor den westlichen Gegnern keine Schwäche zeigen wollen. Vor diesen Hintergründen habe Chruschtschow sich zur militärischen Intervention in Ungarn als Machtdemonstration entschieden.
Als zentrales Ereignis der Entstalinisierungskrise habe Budapest 1956 den sowjetischen Machthabern gezeigt, dass genuine demokratische Prozesse unter Kontrolle gehalten werden müssen, resümierte auch Jan Foitzik (Berlin) in einem zweiten Einführungsvortrag. Als Ursachen der Entstalinisierungskrise nannte Foitzik die Machtrivalitäten im Kreml, den dramatisch schlechten Lebensstandard und die Massenrepression in den Ostblockstaaten. In der Folge sei das kommunistische Herrschaftssystem in Ostmitteleuropa jedoch nahezu unangetastet geblieben. Allerdings hätten die Ereignisse mittelfristig autonome gesellschaftliche, politische und kulturelle Prozesse in Gang gesetzt und zur nationalen Diversifizierung des Ostblocks geführt.

Satellitenstaaten in der Krise?

Eine detaillierte Auseinandersetzung mit den nationalen Entwicklungen und Konsequenzen der Entstalinisierung in den Ländern Polen, Ungarn, Tschechoslowakei und DDR erfolgte im ersten Panel.
Mark Kramer (Cambridge) fokussierte in seinem Vortrag über „Poland and the Crisis with the Soviet Union 1956“ die Auswirkungen der Chruschtschow-Rede, die in den antikommunistisch und antisowjetisch geprägten Posener Aufstand mündeten. Hinsichtlich der sowjetischen Haltung zu den Vorgängen in Polen betonte Kramer – entgegen bisheriger Annahmen – die Parteinahme Moskaus für Gomulka im Vorfeld seiner Wahl zum Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP). Von ihm habe man sowohl die Durchsetzung sowjetischer Ansprüche als auch die Wiederherstellung der sozialen Ordnung in Polen erhofft. Das drohende militärische Eingreifen der Sowjetunion nach Enttäuschung dieser Erwartungen habe Gomulka nur durch Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Warschauer Pakt und der sowjetischen Herrschaft verhindern können. Zumal zeitgleich die revolutionären Entwicklungen in Ungarn in den Vordergrund gerückt seien.
Die revolutionäre Zielrichtung sei dem spontanen Volksaufstand in Ungarn durch die Forderungen der Budapester Studenten nach einer direkten, „sozialistischen“ Demokratie verliehen worden, so Laszlo Varga (Budapest). Alle Forderungen der Revolution seien aber nach der blutigen Niederschlagung und dem anschließend durchgesetzten Kádárismus unverwirklicht geblieben. Allerdings seien den Ungarn im Rahmen einer „selektiven Ent-Totalisierung“ Möglichkeiten eröffnet worden, die den Bürgern in anderen Ostblockstaaten verwehrt blieben, wie beispielsweise das Recht auf eine unpolitische Privatsphäre.
Im Gegensatz zu Polen und Ungarn kam es in der Tschechoslowakei nicht zur offenen Krise der kommunistischen Herrschaft, wie die Ausführungen von Jiri Pernes (Prag) deutlich machten. Einen Grund dafür sieht Pernes in der positiven Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen Lage in der Tschechoslowakei in den Jahren 1953-1956, die das dortige kommunistische Regime stabilisierte. Nach Chruschtschows Rede seien zwar auch Forderungen nach einem größeren Maß an Demokratie und persönlicher Freiheit artikuliert worden, diese seien aber nicht antikommunistisch und antisowjetisch konnotiert gewesen. Das Ziel war hier, so Pernes, nicht der Sturz der kommunistischen Regierung, sondern ihre Verbesserung.
Die doppelte Herausforderung, die dem SED-Regime aus der Chruschtschow-Rede und den Krisen in Polen und Ungarn erwuchs, zeichnete Hermann Wentker (Berlin) in seinem Vortrag nach. Auf die Gefährdung der eigenen Herrschaft habe die DDR-Führung einerseits mit Maßnahmen der Abschottung und Abschreckung, andererseits mit sozialpolitischen Zugeständnissen reagiert. Letztendlich habe die in Ungarn gewaltsam beendete Entstalinisierungskrise jedoch eine stabilisierende Wirkung für das SED-Regime gehabt: Innenpolitisch habe sie Ulbrichts Machtposition gestärkt, außenpolitisch zum Aufstieg der DDR als Stabilitätsfaktor im Ostblock geführt.

Internationale Dimensionen

Den Blick auf die internationalen Dimensionen der Entstalinisierungskrise eröffnete Winfried Heinemann (Potsdam) mit seinen Ausführungen über die Entwicklung der Blockkonfrontation. Mit Verweis auf die Ereignisse in Polen und Ungarn sowie auf die Suez-Krise als ausschlaggebende Momente konstatierte er, dass sich die Sowjetunion wie die USA 1956 auf die Verhinderung einer Erosion ihres jeweiligen Bündnissystems konzentrierten. Zumal die Entstehung der Blockfreienbewegung die Neutralität als Alternative zur Blockzugehörigkeit wieder stärker in die Diskussion gebracht habe.
Einen interessanten Aspekt der amerikanischen Liberation Policy im Jahre 1956 beleuchtete Bernd Stöver (Potsdam) anhand des Beispiels Radio Freies Europa (RFE). Dieser antikommunistische Sender habe es sich zum Ziel gesetzt, durch das Anfachen interner Konflikte in Ostblockstaaten die kommunistische Einflusssphäre zu destabilisieren. So habe das RFE auch in Ungarn ein Klima geschaffen, das die Aufständischen bestärkte und auf westliche Unterstützung hoffen ließ, auch wenn sich keine direkten Aussagen diesbezüglich fänden.
Dass die Reformbewegungen in Polen und Ungarn keine handfeste Unterstützung aus dem Westen erhalten haben – aus Rücksicht auf die Interessen der Hegemonialmächte (Sicherung des Status quo) und den eigenen Konflikten der westlichen Allianz (Suez-Krise) –, veranschaulichte Hanns Jürgen Küsters (Sankt Augustin). Im Hinblick die Deutschlandpolitik bilanzierte er, dass unbeeinflusst von der Entstalinisierungskrise der im Herbst 1955 eingeschlagene deutschlandpolitische Kurs beibehalten wurde.

Repression im Wandel

Der Frage nach dem Wandel der Repressionssysteme im Zuge der Entstalinisierungskrise wurde mit Blick auf die Schwerpunkte politische Strafverfolgung und geheimpolizeiliche Apparate erörtert.
Im Themenkomplex zur politischen Strafverfolgung machte Andreas Hilger (Hamburg) auf die systemstabilisierende Motivation der sowjetischen Entstalinisierungspolitik aufmerksam, die neben eng begrenzten Reformen eben auch Kontinuitäten in der Strafverfolgung aufweise. Als einschneidende Korrekturen ließen sich zwar die Abkehr von der stalinistischen Massenrepression, die Entlassungs- und Rehabilitierungspolitik sowie die Neugliederung der Sicherheitsapparate verzeichnen. Allerdings zeige sich auch ein rascher Rückgriff auf repressive Methoden in der SU und den Ostblockstaaten angesichts der aufkeimenden öffentlichen Kritik an den Machthabern.
Die Rehabilitierungspolitik als eine Maßnahme der Entstalinisierung veranschaulichte Pavel Palecek (Prag) am Beispiel der Tschechoslowakei. Nach Darstellung der fünf wesentlichen Rehabilitierungswellen (seit 1955 bis heute) stellte er angesichts ihres selektiven Charakters und der mäßigen Erfolge fest, dass immer noch tausende Opfer des Kommunismus in der Tschechoslowakei nicht voll rehabilitiert seien.
Tobias Wunschik (Berlin) erläuterte die Folgewirkungen des „Tauwetters“ auf die Haftpraxis in der DDR. Nach seiner Bewertung trugen die positiven Veränderungen bei den Haftbedingungen eher kosmetischen Charakter und führten nicht zu einer nachhaltigen Verbesserung. Anhand der Konflikte zwischen Gefängnisverwaltung und Staatsanwaltschaft (als Strafvollzugsaufsicht) um Milderungen im Strafvollzug und der Besuche westlicher Delegationen in DDR-Haftanstalten verwies Wunschik auf die Grenzen des Reformwillens, der lediglich durch kurzfristige, atmosphärische Einflüsse gekennzeichnet war.
Welche Elemente eines Wandels gab es in den geheimpolizeilichen Apparaten? Lukasz Kaminski (Warschau) legte dar, dass die Ereignisse 1956 die bereits bestehende Krise im polnischen Staatssicherheitsapparat verschärften und zur völligen Desorientierung führten. In der Öffentlichkeit schon seit längerem diskreditiert und nach Angliederung an das Innenministerium in seiner Größe sowie seinen repressiven Methoden eingeschränkt sei der Staatssicherheitsapparat Ende des Jahres 1956 nahezu paralysiert gewesen. Erst im Laufe der Jahre habe er wieder an Bedeutung gewonnen, aber nie wieder seine Ausmaße von 1953 erreicht.
Für die Ausrichtung des Ministeriums für Staatssicherheit in der DDR 1956 vermerkte Roger Engelmann (Berlin) einen Paradigmenwechsel unter Ulbrichts Direktive, der eine „ideologische Aufweichung“ im Innern als neue Feindmethode mit großem Gefahrenpotential für das kommunistische Machtsystem konstatierte. Dem neuen Feindbild der „politisch-ideologischen Diversion“ entsprechend sei die präventive Überwachung der eigenen Bevölkerung ins Zentrum der MfS-Tätigkeit gerückt und habe zum enormen Ausbau des Staatssicherheitsapparates geführt.
Die ungarische Staatsschutzbehörde (ÁVH) charakterisierte Bernd-Rainer Barth (Berlin) als eine Art Privatpolizei Rákosis (Generalsekretär der kommunistischen Partei und bis 1953 Ministerpräsident Ungarns), die unter seinen Vorgaben zu einem äußerst brutalen Terrorapparat avancierte. Dementsprechend habe sich die Wut der Aufständischen 1956 insbesondere gegen die ÁVH gerichtet. Dieser Hass habe sich nicht nur in der (am vehementesten artikulierten) Forderung nach sofortiger Auflösung des Apparates, sondern auch in Lynchjustiz geäußert.
Die Nachwirkungen der Ereignisse in Ungarn auf die geheimpolizeiliche Arbeit in den Ostblockstaaten demonstrierte Georg Herbstritt (Berlin) anhand eines Objektvorgangs des MfS mit dem Decknamen „Balkan“. Aufgabe und Ziel dieses Objektvorganges seien die Überwachung südosteuropäischer, insbesondere ungarischer Emigranten und Bekämpfung ihrer Organisationen in Westdeutschland gewesen. Diesen Einsatz deutet Herbstritt als eine Art Amtshilfe im Dienste der „Bruderstaaten“, da man den gesamten Ostblock bedroht gesehen habe.

Gesellschaftliche Dimensionen der Entstalinisierungskrise

Im Mittelpunkt der letzten beiden Panel standen innergesellschaftliche Akteure und Vorgänge im Krisenjahr 1956.
Ehrhart Neubert (Erfurt) beschäftigte sich mit der Frage nach einem Paradigmenwechsel in der Systemgegnerschaft nach 1956. Die Niederschlagung des Juni-Aufstandes 1953 in der DDR habe die Erfolglosigkeit eines offenen Massenprotests gezeigt und zur Resignation geführt, sodass es 1956 nicht zu einer Mobilisierung der Gesamtgesellschaft in der DDR gekommen sei. Im Nachhall der Chruschtschow-Rede habe sich vielmehr eine andere Form des Widerstands formiert: die Opposition auf legalem (systemimmanenten) Weg, die größtenteils an sozialistische Ideen gebunden geblieben sei.
In diesem Zusammenhang richtete Guntolf Herzberg (Berlin) den Blick auf Schriftsteller und Wissenschaftler in der DDR und ihre Haltungen in der Zeit der Entstalinisierung. Diese hätten zwar Kritik und Forderungen geäußert, sich aber schon mit minimalen Korrekturen zum Schweigen bringen lassen. Ein engmaschiges Netz aus institutionellen Zwängen, direkter politischer Einflussnahmen und Kontrollen, aber auch eigener Überzeugung vom Sozialismus habe bei ihnen unabhängiges Denken größtenteils unterdrückt.
Auch Matthias Braun (Berlin) konstatierte in seiner Untersuchung zur grenzüberschreitenden Wirkung des ungarischen Petöfi-Clubs, dass die Idee des sozialistischen Staates in den Reihen der intellektuellen Dissidenz der DDR unangetastet blieb. Eine politische Debatte wie im Petöfi-Club habe in Künstlerkreisen nur in wenigen und sehr kleinen Gruppen stattgefunden. Währenddessen habe die Deutsche Akademie der Künste, in der die intellektuelle Elite des Landes versammelt war, eine Auseinandersetzung mit den Ereignissen in Ungarn und Polen weitgehend vermieden.
Auch Robert Havemann, dem sich Bernd Florath (Berlin) in seinem Vortrag widmete, habe lange Zeit an einer Bindung an das kommunistische Regime festgehalten. Trotz dieser Parteitreue habe Havemann aber 1956 unter Einfluss des „Tauwetters“ in einer Stellungnahme zum Charakter des Meinungsstreits in der Wissenschaft geäußert, dass dieser der Suche nach Wahrheit diene, daher offen sein müsse, und nicht von der Partei entschieden werden könne. Solche Denkfiguren trugen den Keim seines späteren Zerwürfnisses mit der SED in sich.
Das Verhalten der Arbeiter in der Tschechoslowakei und DDR analysierte Peter Heumos (München) in vergleichender Perspektive. Dabei hob er als wesentlichen Unterschied die starke Stellung der Betriebsräte hervor, die in der Tschechoslowakei Schutz vor zentralistischen Eingriffen und Repressionen (z. B. hinsichtlich geplanter Disziplinierungsmaßnahmen gegen Streikende im Juni 1953) boten.
Eine Disziplinierungsstrategie des SED-Regimes gegenüber der eigenen Bevölkerung skizzierte Christian Sachse (Berlin) in seinem Vortrag „Militarisierung trotz Tauwetter. Zur gesellschaftlichen Funktion der Wehrerziehung in der DDR“. Die Jahre 1952 bis 1961 bezeichnete Sachse als erste Phase der Militarisierung der DDR, in der wehrerzieherische Programme der Transformation ziviler in militäraffine Strukturen dienten. Seit Ende der 1960er Jahre sei die Wehrerziehung schließlich Bestandteil eines langfristigen Sozialisationsprogramms geworden.
Dierk Hoffmann (Berlin) regte in seinem Vortrag an, die Entstalinisierung auch als einen sozioökonomischen Prozess zu betrachten. Die zahlreichen Konflikte nach Stalins Tod hätten den Machthabern in den Ostblockstaaten die herrschaftsstabilisierende Potentiale der Sozialpolitik vor Augen geführt. In der Folge reagierten sie mit einem Ausbau der sozialen Sicherungssysteme, wie Hoffmann exemplarisch anhand der staatlichen Altersversorgung in der Sowjetunion, Polen und der DDR zeigte.

Kommunismus nach Stalin

Der Grundfrage der Tagung nach Zäsuren und Änderungen im Kommunismus nach den Ereignissen des Jahres 1956 widmete sich das Schlusspodium unter Moderation von Thomas Großbölting (Berlin), an dem Jan Foitzik, Mark Kramer, Walter Süß (Berlin) und Lazlo Varga teilnahmen. Dabei herrschte Einigkeit über die weitreichenden Impulse der Entstalinisierung(-skrise), die das kommunistische Herrschaftssystem in den Ostblockstaaten veränderten. So sprachen Foitzik und Varga im Fall Ungarn von einer markanten Zäsur 1956, auch wenn es, wie Varga hervorhob, nach Niederschlagung der Revolution zur Restauration des kommunistischen Regimes gekommen sei. Als eine gravierende Veränderung betonten alle Podiumsteilnehmer die Abkehr vom willkürlichen Massenterror, der die stalinistischen Jahre geprägt hatte. Süß machte hierbei auf den Charakter der Entstalinisierung als Modernisierungsprozess aufmerksam, der auch die Formalisierung und Rationalisierung der Repression beinhaltet habe.

Das breite Spektrum der Vorträge ermöglichte einen vergleichenden Blick auf die Ereignisse und Ausprägungen der Entstalinisierungskrise in den Ostblockstaaten sowie auf die verschiedenen Interdependenzen im kommunistischen Herrschaftsbereich. Dabei wurde die Anregung der Veranstalter, die Entstalinisierung(-skrisen) in einem Zeitraum von 1953 bis 1968 zu betrachten, leider nicht durchgehend aufgegriffen. Die Tagungsbeiträge verdeutlichten jedoch die höchstens begrenzte Reformfähigkeit des kommunistischen Herrschaftssystems; sein Garant blieb letztlich die sowjetische Armee. Reformbestrebungen stießen an systemimmanente und machtstrategische Grenzen, sodass neben einzelnen Veränderungen zahlreiche Kontinuitäten zu verzeichnen waren. Trotz des insgesamt eher restaurativen Ausgangs der Entstalinisierungskrise steht im Ergebnis neben der Abkehr vom stalinistischen Massenterror auch ein Gewinn an (begrenzter) Souveränität und innenpolitischen Handlungsspielräumen für die sowjetischen Satellitenstaaten.


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger