Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus. Arab Encounters with National Socialism

Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus. Arab Encounters with National Socialism

Organisatoren
Forschungsgruppe „Arabische Welt und Nationalsozialismus“ am Zentrum Moderner Orient (ZMO)
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.09.2002 - 18.09.2002
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Von
René Wildangel, berlin

Internationale Konferenz am Zentrum Moderner Orient (ZMO) Berlin vom 17. - 18. September 2002

Das Thema „Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus“ war Gegenstand eines internationalen Workshops, der am 17. und 18. September am Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin stattfand. Organisiert wurde die Tagung von der am ZMO angesiedelten Forschungsgruppe „Arabische Welt und Nationalsozialismus“ 1, die sich seit 2 Jahren intensiv um die Aufarbeitung eines Themas bemüht, das nicht nur im historischen Sinne eine Forschungslücke in der Rezeptionsgeschichte des Nationalsozialismus darstellt, sondern dem auch angesichts seiner aktuellen Bezüge eine besondere Relevanz in einer oft polemisch geführten politischen Debatte zukommt. Gerade aufgrund der Emotionalität und Verunsicherung in der derzeitigen öffentlichen Wahrnehmung von Islam und „Islamismus“ und der entsprechenden medialen und wissenschaftlichen Aufbereitung, die islamische Fundamentalismen gelegentlich in den historischen bzw. pseudohistorischen Kontext totalitärer und faschistischer Bewegungen gerückt hat - bis hin zum neuen Kampfbegriff des „Islamofaschismus“ 2 – scheint eine solche Versachlichung der Diskussion dringend geboten.
Durch ihre zum Teil jahrelange Beschäftigung mit der Thematik verbunden mit einer umfangreichen Auswertung von zeitgenössischen arabischen Quellen versuchten die Teilnehmer der Konferenz deshalb stärker den historischen Kontext in den Blick zu nehmen und so einen differenzierteren Zugang zur Fragestellung zu ermöglichen.
In mehreren Beiträgen wurde deutlich, dass bestehende Narrative der arabischen/ muslimischen Welt als „traditionell“ anfällig für faschistische oder nationalsozialistische Ideologien und Antisemitismus oft ein zu eindimensionales Bild zeichnen. Zwar gab es Araber, die im Zweiten Weltkrieg den Krieg der Achsenmächte und damit auch deren menschenverachtende Ziele unterstützten. Aber in mehreren Beiträgen wurde deutlich, dass in der arabischen Welt jenseits von Sympathie oder Begeisterung auch kritische Distanz und Ablehnung gegenüber den radikalen europäischen Bewegungen existierte. Zudem erlebten viele Araber in unterschiedlichen Zusammenhängen den Zweiten Weltkrieg als Opfer. Die Geschichte der nordafrikanischen Kolonialsoldaten, die als „Kanonenfutter“ im Kampf gegen Nazideutschland verheizt wurden, ist ebenso vergessen wie die Einzelschicksale von Arabern und Muslimen, die in deutschen Konzentrations- und Kriegsgefangenenlagern ums Leben gekommen sind.
Auch solche systematisch vergessenen Erfahrungen zurück in den Erinnerungshorizont zu holen ist eine Voraussetzung, um ein differenzierteres Bild von der arabischen Begegnung mit Nationalsozialismus und Faschismus zu etablieren. Bedeutend ist die Analyse und Einordnung im Gesamtzusammenhang, um historische Schieflagen, die nicht selten von aktuellen Bezügen und kollektiven Bildern überlagert sind, zu verhindern.
Insgesamt elf Vorträge versuchten auf der Tagung am ZMO dazu einen Beitrag zu leisten.

Den Anfang machte Jamaa Baida (Universität Muhammad V., Rabat), der sich mit der Rezeption des Nationalsozialismus in der marokkanischen Presse zwischen 1933-1945 beschäftigte. Seine Auswertung machte deutlich, dass große Teile der traditionell deutsch-freundlichen marokkanischen Elite auch dem NS-Regime mit Sympathien begegneten.
Von der marokkanischen Nationalbewegung wurde die deutsche Diktatur in erster Linie als politische Gegenkraft zur Kolonialmacht Frankreich gesehen. Die ideologischen Grundlagen des Nationalsozialismus wurden dagegen kaum reflektiert und hatten keinen Einfluss auf Marokkos Gesellschaft und politische Kultur. Mehr aus strategischen Gründen wurde von Führern der Nationalbewegung wie Brahim El Ouzzani, Chef des „Bureau de la Défense Nationaliste Marocain“, und in entsprechenden nationalistischen Publikationen Sympathie für den deutschen „Führer“ und das neue Deutschland geäußert, was von der deutschen Vertretung in Marokko mit dem Versuch der Verbreitung von Propaganda in arabischer Sprache unterstützt wurde. Als Marokko nach der französischen Niederlage von 1940 von dem Vichy-freundlichen General Noguès geführt wurde, nahm in der französischen Zone auch die pro-nazistische Propaganda in der Presse zu. Gelegentlich wurde der Nationalsozialismus trotzdem abgelehnt, so zum Beispiel in der Zeitung al-Wahda al-Maghribiyya, die in der von Spanien besetzten Nordzone erschien und in einem Artikel vom August 1940 Deutschland als „rassistische Nation“ charakterisierte, die „die Weltherrschaft erlangen“ wolle. Das oft zitierte Interpretationsmuster „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, das arabische Sympathien für den Nationalsozialismus mit dem Kampf gegen die Kolonialmächte erklärt, trifft für den Fall Marokko im Gegensatz zu anderen Regionen im wesentlichen zu. Dass dieses Schema aber oft zu kurz greift, um arabische Erfahrungen und Wahrnehmungen zu erklären, machten andere Beiträge deutlich:

Ebenfalls anhand der zeitgenössischen Presse analysierte Israel Gershoni (Universität Tel Aviv) die Reaktion der ägyptischen Zeitung „Al-Hilal“ auf den Nationalsozialismus und insbesondere den deutschen Antisemitismus. Gershoni wies zunächst auf das heute weitverbreitete Bild eines „pro-faschistischen Ägypten“ der 30er und 40er Jahre hin, das auch in der wissenschaftlichen Wahrnehmung weitgehend von der nationalistischen Bewegung „Masr al-Fatat“ (Junges Ägypten) bestimmt ist. Trotz der offensichtlichen Anleihen bei den europäischen faschistischen Bewegungen, im wesentlichen in Form von propagandistischen Elementen wie Uniformen, Fahnen und Aufmärschen, war diese Bewegung aber kaum ideologisch geprägt und konnte auch keine breite Massenbasis in Ägypten gewinnen. Der Antisemitismus der europäischen Vorbilder wurde ebenfalls nicht übernommen. Am Beispiel der Zeitschrift al-Hilal machte Gershoni deutlich, dass im Fall Ägyptens die Politik und Ideologie des Nationalsozialismus in der intellektuellen Öffentlichkeit darüber hinaus kritisiert und verurteilt wurde. Das Magazin al-Hilal lehnte insbesondere den totalitären Charakter, die rassistische Ideologie und die imperialistischen Ambitionen der deutschen und italienischen Diktatur ab. Die Zeitschrift, die am Vorabend des zweiten Weltkrieges über eine nicht geringe Auflage von 40.000 Exemplaren verfügte, lieferte vor allem der gebildeten Mittelschicht in den Städten detaillierte Informationen über die Entwicklungen in Europa, im Besonderen über die große Not der dortigen jüdischen Gemeinde und den modernen Antisemitismus, der scharf verurteilt wurde.

Mitglieder einer gebildeten und politisch informierten „New Middle Class“ stellte auch Peter Wien (ZMO Berlin) in seinem Beitrag über den Irak in den Mittelpunkt. Die Journalisten und Politiker Rufa‘il Butti und Yunis Sab‘awi deutete er als typische Vertreter einer neuen irakischen Generation, die sich vor allem in der Abgrenzung zum vorwiegend pro-britischen irakischen Establishment totalitären Ideen zuwendeten und sie unter der jungen irakischen Elite verbreiteten. Allerdings kamen die geistigen Vorbilder aus unterschiedlichen Hintergründen: Wenn es zum Beispiel um die Vorstellung eines „starken Führers“ ging, war die irakische junge Elite in ihrer Theorie stark von Nietzsches Vorstellung des „Übermenschen“ beeinflusst, während in der Praxis vor allem Kemal Atatürk und die jungtürkische Bewegung als Vorbild einer nationalen Renaissance (Nahda) angesehen wurden. Eindruck machten dagegen eher Organisationsformen und Propaganda der europäischen Bewegungen, die z.B. von der paramilitärischen Jugendbewegung „Futuwa“ im Irak kopiert wurden. Die neuen Autoritarismen in Europa wurden vor allem als modernistische Projekte wahrgenommen, die auch für den als „veraltet“ empfundenen Irak als Vorbild möglich schienen. Sab’awi rückte auch die Hitlerdiktatur in diesen Zusammenhang und fertigte schon 1933 die erste Übersetzung von Hitlers „Mein Kampf“ ins Arabische an. Aus dem umfangreichen von Wien analysierten Material, vor allen den irakischen Zeitungen, wurde dagegen deutlich, dass die Ideologie des Nationalsozialismus sehr oberflächlich rezipiert und meist auf den Gedanken des „starken Führers“ reduziert wurde.

Im Fall der arabischen Palästinenser, mit dem sich René Wildangel (ZMO Berlin) auseinander setzte, wird die Begegnung mit dem Nationalsozialismus in der Regel auf die Episode des „Großmufti von Jerusalem“ Hajj Amin al-Husaini, der sich seit 1942 in Deutschland aufhielt und für die Achsenmächte propagandistisch tätig war, begrenzt. Ähnlich wie im ägyptischen Fall wurde daraus in der populären Darstellung oft eine Kollaboration „der Palästinenser“ mit dem Nationalsozialismus insgesamt. Der Vortrag nahm die öffentliche Meinung der Kriegsjahre 1939 bis 1945 in den Blick und zeigte dagegen, dass viele Araber in Palästina das NS-Regime aus einer völlig anderen Perspektive erlebten. Während radikalere Politiker wie Hajj Amin al-Husaini zum Teil schon vor Kriegsbeginn von der Mandatsmacht Großbritannien aus Palästina verwiesen worden waren, leisteten vor allem politisch moderatere Araber in der Verwaltung, in der Polizeitruppe und in der gegen die Achse gerichteten Kriegspropaganda mit England ihren Dienst. In arabischen Zeitungen und Flugschriften während des Zweiten Weltkrieges findet sich in diesem Umfeld auch scharfe Kritik an der deutschen Diktatur. Im kaum beachteten Arbeitermilieu, in den Kriegsjahren als einer Periode massiver Industrialisierung entstanden, waren arabische Palästinenser direkt mit Nachrichten über die Verbrechen des Nationalsozialismus konfrontiert, die zum Beispiel der „Hashomer Hazair“ in arabischsprachigen Flugblättern zu verbreiten suchte. Dass solche Informationen durchaus wahrgenommen wurden, zeigt die dezidiert anti-deutsche Ausrichtung neuer Organisationen wie der „National Liberation League“ (NLL), die nach 1943 entstanden, aber durch die politischen Entwicklungen der Nachkriegszeit auch in der Geschichtsschreibung weitgehend in Vergessenheit gerieten.

Stärker ideologisch geprägt war das Gedankengut Antun Saades, des späteren Führers der SSNP (Syrische Sozialistisch-Nationale Partei). Christoph Schumann (Universität Erlangen-Nürnberg) setzte sich in seinem Beitrag mit der Frage nach der Rezeption faschistischer Gedankenwelt während Saades frühem Exil in Sao Paulo auseinander. Anhand autobiographischer Aufzeichnungen und früher Texte zeigte Schumann, aus welchen Bausteinen sich Saades politische Ideologie zusammensetzte. Diese frühen Artikel und Aufsätze seit 1920 wiesen aber keine direkten Referenzen zum europäischen Faschismus auf, sondern versuchten durch einen betonten Patriotismus besonders die ideologische Zersplitterung der Exilaraber in Südamerika zu überwinden. Nur ein starker Nationalismus konnte in Saades zu dieser Zeit stark von darwinistischen Ideen beeinflussten Sicht das Überleben im vermeintlichen „Kampf der Nationen“ sichern.

Driss Maghraoui (Universität al-Akhawayn, Ifrane, Marokko) präsentierte in seinem Vortrag über die „Marokkanischen Kolonialtruppen und die anti-Nazi Propaganda während des zweiten Weltkrieges“ umfangreiches Material, darunter Propagandaschriften und Zeitungen, die speziell für den Kampf gegen Deutschland erstellt wurden und die Kolonialtruppen auf die französische Sache einschwören sollten. Während die Begegnung mit dem Nationalsozialismus nicht auf ideologischer Ebene stattfand, wurde sie für die Kolonialsoldaten zu einer realen Erfahrung extremer Brutalität in den Kämpfen gegen einen schemenhaft in der Propaganda gezeichneten Gegner. Dass der Krieg in dieser Propaganda als „Krieg für die Zivilisation“ und die Freiheit erschien, wodurch die alliierte Perspektive auf die Kolonialsoldaten übertragen und absolute Opferbereitschaft eingefordert wurde, hatte nach dem Krieg eine fast zynische Konnotation: Die Leistungen der Kolonialtruppen, die an zentralen Kampfhandlungen teilgenommen hatten (z.B. der Befreiung Marseille), wurden systematisch verschwiegen, für die Erfahrungen der Überlebenden gab es keinerlei Raum; sie wurden ganz von den Bildern des siegreichen, „freien“ (weißen) Frankreich überlagert.

Dass unser historisches Bild von der arabischen Begegnung mit dem Nationalsozialismus noch immer lückenhaft ist, machte danach auch Gerhard Höpp (ZMO Berlin) mit seinem Vortrag über die vergessenen arabischen Opfer deutlich. Während das kollektive Bild der Thematik, wie in mehreren Beiträgen angedeutet, oft von einer „arabischen Kollaboration“ mit dem Nationalsozialismus ausgeht, sind Araber als Opfergruppe im kollektiven Geschichtsbewusstsein überhaupt nicht präsent. Gerhard Höpp versuchte deshalb die Bandbreite dieser verdrängten arabischen Leidenserfahrungen in die Erinnerung zurückzuholen: Sie umfassen rassistische Übergriffe in Deutschland und Österreich, die Internierung zu Kriegsbeginn, die Haft in Kriegsgefangenenlagern, den Einsatz als Zwangsarbeiter bis hin zu arabischen KZ-Opfern. Mittels aufwendiger Forschung ermittelte Gerhard Höpp insgesamt 350 arabische Häftlinge in verschiedenen deutschen Konzentrationslagern. Die Einbringung von arabischen Opfererfahrungen ist ein Hinweis auf die oft zu starre Dichotomie von „Tätern“ und „Opfern“, die oftmals erst im Zusammenhang mit den politischen Entwicklungen konstruiert wurde. Arabische Protagonisten standen im Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten.

Als Beispiel für einen insgesamt unkritischen Apologeten des Nationalsozialismus präsentierte Lutz Rogler (ZMO Berlin) den ägyptischen Philosophen Abd ar-Rahman Badawi. Er charakterisierte Badawi anhand dessen Autobiographie als einen Denker, der stark von der deutschen Philosophie, insbesondere von Nietzsche geprägt war, der nach 1933 aber nicht die Fatalität der nationalsozialistischen Ideologie erkannte. Badawi war auch aufgrund eines eigenen Aufenthaltes in München stark vom Nationalsozialismus beeindruckt, dessen radikalen Nationalismus er als Modell für den arabischen Unabhängigkeitskampf sah. Mit der Analyse der Erinnerungen Badawis leitete der Beitrag auch über zum letzten Teil der Konferenz, der sich mit der aktuellen Dimension des Themas auseinander setzte.

Stefan Wild (Universität Bonn) verfolgte zunächst die konkrete Geschichte der Verbreitung eines antisemitischen „Klassikers“ in der arabischen Welt: der „Protokolle der Weisen von Zion“. Die ursprünglich in Russland formulierte und während der NS-Zeit in Deutschland in einer Ausgabe Alfred Rosenbergs populäre antisemitische Hetzschrift zirkuliert in der arabischen Welt heute in hohen Auflagen. Schon 1921 wurde die wahrscheinlich erste Übersetzung im Mandatsgebiet Palästina angefertigt. Interessant ist aber, dass die Schrift, die das antisemitische Klischee der „jüdischen Weltverschwörung“ propagiert, zu diesem Zeitpunkt im Gegensatz zu den meisten europäischen Ländern und Amerika – wo sie mit Henry Ford einen prominenten Propagandisten hatte - keinerlei Verbreitung fand. Bis 1948 wurden die arabischen Versionen der Protokolle, die alle von christlichen Arabern angefertigt wurden, in der arabischen Welt völlig ignoriert. Erst nach der Gründung des Staates Israel und der Zuspitzung des Nahostkonfliktes wurden die Protokolle breiter rezipiert und von prominenten Persönlichkeiten, wie dem ägyptischen Literaten al-Aqqad als historische Quelle gelobt. Darstellungen der Fälschungsgeschichte der Protokolle, wie sie z.B. schon 1948 durch Muhammad Fuad Sukri vorgelegt wurde, konnten dagegen in der zunehmend vergifteten Atmosphäre des Palästinakonfliktes kaum noch Gehör finden.

Götz Nordbruch (Middle East Media Research Institute, MEMRI, Berlin) machte dann in seinem Beitrag über „aktuelle Debatten über den Nationalsozialismus“ deutlich, dass in den ägyptischen Medien revisionistische und antisemitische Anschauungen heute in ähnlicher Weise verbreitet sind und zur politische Instrumentalisierung benutzt werden. Ägyptische Zeitungen und Fernsehsendungen greifen regelmäßig auf entsprechende Literatur, von den „Protokollen“ bis hin zu Holocaust-Leugnern wie Roger Garaudy oder David Irving, zurück. Es sind dagegen nur wenige bekannte arabische Intellektuelle, die nicht nur diese Geschichtsmythen zurückweisen, sondern auch auf die katastrophalen Folgen von deren Verbreitung für die eigene politische Kultur, sowie für die Außenwahrnehmung der arabischen Welt durch den Westen hinweisen.

Dass dieses Schweigen und die Popularität von antisemitischer Literatur mehr mit der aktuellen politischen Situation als der erlebten Vergangenheit zu tun hat, betonte nochmals Karin Joggerst (FU Berlin) in ihrem Vortrag über „Getrennte Welten – Getrennte Geschichte(n)“ über die politische Bedeutung von Erinnerungskultur im israelisch-palästinenischen Konflikt. Der Nationalsozialismus ist in diesem Zusammenhang auf beiden Seiten ein Feld, das von den jeweiligen Opfer- und Leidenserfahrungen überlagert und im politischen Kontext bewusst erinnert bzw. instrumentalisiert wird. Während auf israelischer Seite die Shoa zu einem zentralen Identitätspfeiler des jüdische Staates geworden ist, schien zugleich die arabische Welt in der Leugnung oder Verschweigung insbesondere der nationalsozialistischen Judenvernichtung eine notwendige Strategie zu sehen, um das eigene erfahrene Leid in den Vertreibungen nicht ins Vergessen geraten zu lassen. Schließlich leistete dieser gegenseitige „Wettlauf“ im Anerkennen und Verweigern der jeweils anderen historischen Erfahrungen einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Sprachlosigkeit und Gewaltfixierung des Konfliktes.

Insgesamt gab die Bandbreite der Vorträge und des präsentierte Materials einen Eindruck von der Komplexität des Themas, das von der Konferenz erstmals in dieser konzentrierten Form aufgegriffen wurde. Die verschiedenen Beiträge machten dabei deutlich, dass sich die „Begegnung“ der Araber mit dem Nationalsozialismus auf unterschiedlichen Ebenen abspielte und regional jeweils eng mit dem historischen Kontext und den spezifischen Interessen der Akteure verknüpft war. Bemerkenswert ist, dass gleich mehrere Beiträge auch auf eine kritische Wahrnehmung des NS seitens der arabischen Welt hinwiesen, was in der Regel in historischen und populären Darstellungen der Thematik nicht erwähnt wird.
In den Diskussionen waren sich die anwesenden Wissenschaftler aus den Fachbereichen Islamwissenschaft, Geschichte, Politikwissenschaften und Soziologie einig, dass die historische Erforschung der arabischen Begegnung mit dem Nationalsozialismus auch in Hinblick auf aktuelle Diskussionen einen wichtigen Themenkomplex darstellt. Auf noch bestehende Forschungslücken, zum Beispiel im Fall Syriens und des Libanon, wurde hingewiesen. In einem Forschungsband sollen 2003 die Beiträge zusammengefasst und zugleich die aktuelle Forschungssituation dokumentiert werden.

Anmerkungen:

1 „Erlebnis und Diskurs - zeitgenössische arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Erinnerungskultur“ im Internet unter www.zmo.de (Projekte)
2 Benutzt z.B. von Christopher Hitchens, Francis Fukuyama, Daniel Pipes

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René Wildangel, M.A.
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