Adel, Burg und Herrschaft an der „Grenze“. Österreich und Böhmen. Interdisziplinäre und grenzüberschreitende Tagung

Adel, Burg und Herrschaft an der „Grenze“. Österreich und Böhmen. Interdisziplinäre und grenzüberschreitende Tagung

Organisatoren
Klaus Birngruber, Institut für Österreichische Geschichtsforschung/Institut für Geschichte, Universität Wien; FWF-Projekt „Adel, Burg und Herrschaft im Unteren Mühlviertel“
Ort
Freistadt
Land
Austria
Vom - Bis
26.05.2011 - 28.05.2011
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Von
Herwig Weigl, Institut für Österreichische Geschichtsforschung / Institut für Geschichte, Universität Wien

Das Oberösterreichische Landesmuseum in Linz verwahrt die Sammlung des fleißigen Heimatforschers Alfred Höllhuber (gest. 2008), der in jahrzehntelangen Geländebegehungen im Unteren Mühlviertel (Oberösterreich nördlich der Donau) zahlreiche Burgställe lokalisiert und Kleinfunde aufgelesen hat. Die Aufarbeitung des Materials erfolgt derzeit in Kooperation des Museums mit dem Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Neuzeit des Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Krems und wird von historischer Seite durch ein am Institut für Österreichische Geschichtsforschung verankertes Projekt beim österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung begleitet, das die Bewohner der Burgen und festen Sitze aus niederem, ministerialischem Adel in den Blick nimmt. Im Zuge dieses vor dem Abschluss stehenden Projekts fand die Tagung in Freistadt (Oberösterreich) statt, deren Ziel die Positionsbestimmung der Zusammenarbeit zwischen Mittelalterarchäologie und textbasierter historischer Forschung war. Ein zentrales Anliegen war es auch, die Welt nicht in der Tradition landesgeschichtlicher Forschung am weggerosteten Eisernen Vorhang und der nach wie vor bestehenden Sprachbarriere enden zu lassen, sondern den Dialog mit den tschechischen KollegInnen zu suchen, um die Spezifika der jeweiligen Adels- und Burgenforschung und deren Forschungstraditionen herauszuarbeiten, die beiderseits wahrgenommene Grenze zu überschreiten und diese, nicht nur durch die Anführungszeichen im Tagungstitel, zu hinterfragen.

Der Tagungsort Freistadt, seit seiner Entstehung im 13. Jahrhundert ein Zentrum des Handels mit Böhmen und mitten im Untersuchungsgebiet gelegen, war dafür prädestiniert und erlaubte auch Exkursionen zu Burgställen in der näheren Umgebung und ins tschechische Tabor mit seiner eindrucksvollen, von Rudolf Krajíc (České Budějovice) betreuten und vorgestellten Sammlung zur spätmittelalterlichen Sachkultur. Kleineren böhmischen Anlagen waren auch die Poster-Präsentationen von MICHAEL RYKL (Praha) und FILIP KASL (Plseň) gewidmet. Der öffentliche Abendvortrag von KARL BRUNNER (Wien) bot ein buntes Kaleidoskop zu Burgen, ihrem Sitz im Leben und ihrer Rezeption von der mittelalterlichen Malerei und Literatur bis zur touristischen Vermarktung und der Spielzeugkiste der Enkel.

Für das anlassgebende Projekt eröffneten KLAUS BIRNGRUBER (Reichenthal/Wien) und CHRISTINA SCHMID (Krems) die Tagung mit einer methodischen Einführung und problematisierten von historischer und archäologischer Seite den Begriff des (niederen) Adels, seine Feststellbarkeit in Schriftquellen und Sachobjekten und die Möglichkeit, die meist auf Zeugenlisten in Urkunden beschränkten Nennungen mit den im Gelände erhaltenen Anlagen in Bezug zu setzen. Trotzdem könne man die sich wandelnde Struktur der Adelslandschaft im untersuchten Gebiet und die Entwicklung der Sitze in großen Zügen skizzieren. Die Grenze bilde sich im Aktionsradius der Niederadeligen wie auch in manchen archäologischen Befunden ab, während sie für den in Konnubium stehenden herrenmäßigen Adel keine Rolle spiele.

FRANZ-REINER ERKENS (Passau) zeichnete die Aktivitäten der Bischöfe von Passau nördlich der Donau nach, wo sie ihre Herrschaft erst nach dem Gewinn des Zugriffs auf die Abtei Niederburg etablieren konnten, und zeigte das Kräftespiel zwischen den Bischöfen und ihren Ministerialen einerseits und den großen bayerisch(-österreichisch)en und böhmischen - namentlich Rosenberg - Adelsfamilien andererseits, in das sich seit dem späteren 13. Jahrhundert zunehmend die Herzoge von Österreich drängten. Eine wichtige Rolle habe die Verfügung über die Burgen gespielt, um die die Akteure mit wechselndem Erfolg und verschiedenen Methoden rangen. ROMAN ZEHETMAYER (St. Pölten) fand im östlich angrenzenden Niederösterreich nördlich der Donau eine etwas bessere Quellenlage vor und konnte die wohl als niederadelig zu verstehenden Klientelen (milites proprii) einiger mächtigen Adels- und Ministerialenfamilien, die sie zur Erschließung des Landes einsetzten und deren Sitze ihre Einflusszonen definierten, schon vor der Mitte des 12. Jahrhunderts festmachen. Dieser Einzugsbereich und die Bindung der Herren an die österreichischen Fürsten habe zur allmählichen Festigung der Grenze beigetragen.

In das Spätmittelalter und teilweise in den städtischen Bereich führte der folgende Tagungsteil. ELISABETH GRUBER (Wien) zeigte anhand des Tagungsortes Freistadt das Interesse der Landesfürsten an der Befestigung der Stadt, die durch wirtschaftliche Privilegien gefördert, aber auch finanziell genutzt wurde. Die in die Ringmauer einbezogene, doch von der Stadt durch einen Graben getrennte Burg diente darüber hinaus als Herrschaftszentrum und um 1400 als einer der Witwensitze der Herzogin Beatrix. Die städtische Oberschicht, die mit ihrem Besitz ins Umland ausgriff, habe sich vor allem dann dem Niederadel annähern können, wenn sie auch landesfürstliche Ämter versah. Darüber hinaus sei es auch dem Stadtrat mittels seiner Verwaltung der dem Spital und den Altarstiftungen gewidmeten Güter möglich gewesen, städtischen Einfluss am Land zu etablieren. Mit der Burg von Krumau/Český Krumlov stellte ZLATA GERSDORFOVÁ (Praha) eine, freilich viel größere, Stadtburg auf der anderen Seite der Grenze vor, die, wie sie im Gegensatz zur königs-zentrierten älteren tschechischen Forschung vertrat, die Herren von Rosenberg ab dem 13. Jahrhundert zum repräsentativen Sitz ausbauen liessen. Neue Baubefunde würden überdies die Genese des Burgkomplexes anders erscheinen lassen als bisher angenommen.

Auch ROBERT NOVOTNÝ (Praha) wandte sich dagegen, dass Großburgen in Böhmen eine Sache des Königs gewesen seien und die großen Adeligen sie erst sekundär in die Hand bekommen hätten. Mit dem Schwerpunkt wiederum auf rosenbergischen Burgen unterstrich er deren herrschaftsdemonstrierende Funktion gegenüber der nur militärischen. Als optische Signale und als Zentrum für die auf verschiedene Weise eingebundene und kooperierende Klientel hätten sie das Umland auch symbolisch beherrscht. Als die Rosenberger mit dem böhmischen Adel gegen die Verbrennung des Jan Hus protestierten, hätten sie auf ihren zentralen Burgen jeweils hunderte von Mitsieglern versammeln können. In dieselbe Kerbe schlug aus der Sicht der Archäologie und Bauforschung Jan KLÁPŠTĚ (Praha), der den adeligen Burgenbau in Böhmen von seinen frühesten Spuren, die am ehesten noch in Kirchenbauten zu fassen sind, bis ins spätere Mittelalter in seinen Erscheinungsformen vorstellte. Dabei betonte auch er die Schwierigkeit, die Befunde und die Schriftquellen in Beziehung zu setzen, und die Notwendigkeit, die keineswegs nur in Böhmen etablierten, interpretationsleitenden Forschungstraditionen zu überwinden, was nur in gemeinsamer Arbeit mit grenzüberschreitenden Perspektiven möglich sein würde. Auch LIBOR JAN (Brno) focht seinen Strauß mit der traditionellen tschechischen Forschung aus, wandte sich gegen ein auf den König zentriertes Bild, ohne diesen wegerklären zu wollen, und zeigte ein differenziertes Bild der Interaktion zwischen König und Adel. Gerade in Grenzregionen und Kolonisationsgebieten seien sowohl königliche Großburgen als auch eigenständige adelige Herrschaftskomplexe, teils in Konkurrenz, teils kooperierend, festzustellen, und böhmische und mährische Herren kolonisierten von Norden im heute österreichischen Mühl- und Waldviertel. Der aus Eigengut, Lehen verschiedener Herren und Pfandschaften zusammengesetzte Besitz des böhmischen Adels scheint diesen in sein mitteleuropäisches Ambiente zu integrieren.

VILÉM KNOLL (Plseň) präsentierte in einer Fallstudie, der aufgrund einer Absage das Oberpfälzer Gegenstück leider abhanden gekommen war, das Egerland als Burgenlandschaft mit zahlreichen Ministerialensitzen. Die Stadt Eger/Cheb habe dann zahlreiche der Anlagen durch Kauf – seitens der Stadt oder durch reiche Bürger – oder Eroberung gewonnen oder sich durch Offenhausverträge gesichert und damit Territorialbildung betrieben, was aber eher durch das Nutzen von sich bietenden Gelegenheiten als durch zielstrebige Politik geschehen sei. Das habe zum Abkommen vieler Anlagen, die nicht mehr benötigt wurden, geführt. PETR CHOTĚBOR (Praha) versuchte die tschechische Terminologie und Typologie nach Bauform und Funktion der befestigten Sitze in deutscher Sprache mit (repräsentativer) „Burg“ und (bescheidenerer) „Feste“ wiederzugeben, diskutierte mit vielen Beispielen die Kriterien der Zuordnung und räumte große Unschärfen ein, die nicht nur auf den zeitgenössischen Sprachgebrauch, sondern auch auf Bestrebungen der Besitzer von „Festen“, mit architektonischen Elementen einer „Burg“ zu prunken, zurückzuführen seien. Soziale und ständische Grenzen und Möglichkeiten würden sich zeigen, wenn städtische Patrizier oder hussitische Truppenführer ihre Sitze erbauten.

Das letzte Referat führte noch einmal die Schwierigkeit, aber auch die Notwendigkeit der Kooperation zwischen den Disziplinen vor Augen und relativierte schlagend die Relevanz der Frage nach der Grenze. SABINE FELGENHAUER-SCHMIEDT (Wien) stellte die von ihr flächenhaft ergrabene Burgsiedlung Sand in einer Schlinge des heutigen Grenzflusses Thaya und die Befunde in der nahe gelegenen Burg Raabs an der Thaya vor. Während die Befunde von Sand aus dem 10. Jahrhundert deutlich nach Norden und auf ein vom Wald geprägtes Umland, also Kolonisation, wiesen, wurde das nunmehr seit dem 11. Jahrhundert baulich nachweisbare Raabs letztlich zur österreichischen Burg. Die Erforschung zeitgleicher Siedlungen, teils mit Bauwerken mit Befestigungselementen, im Umfeld stehe noch am Anfang, doch zeichne sich eine Erschließung der Siedlungslandschaft bereits ab. Die Schriftquellen geben nur schwer interpretierbare und daher viel interpretierte Hinweise, aber vom herkömmlichen Bild einer Erschließung von der Donau aus, das sie nicht einmal nahelegen, sollte man abkommen.

Der Dialog zwischen der tschechischen und der deutschsprachigen Forschung, der hier in produktiver Weise stattfand, sollte sich auch weiterhin nicht darin erschöpfen, dass die tschechischen KollegInnen in ihren auf Deutsch gehaltenen Referaten unbefangen die deutschen und die Deutschsprachigen ebenso selbstverständlich (auch) die tschechischen Ortsnamen verwendeten. Aus der Sicht des Berichterstatters profitierten vor allem Letztere vom Austausch, da die tschechischen ForscherInnen die deutschsprachige Literatur kennen, was man umgekehrt sicher nicht behaupten kann. Doch scheint angesichts der innertschechischen Diskussionen, die auch auf der Tagung angesprochen wurden, die Kommunikation über die Grenze hinweg und das Entdecken gemeinsamer Fragen und Strukturen über die sonst drohende Nabelbeschau hinwegzuhelfen. In Österreich wiederum wird man die Erschließung der nördlichen Landesteile durch den böhmischen Adel ernster nehmen und die tradierte Vorstellung einer geradlinigen Süd-Nord-Kolonisation bis zum „Erreichen“ der Grenze deutlicher entsorgen müssen. Zwar vertritt niemand mehr die Meinung, dass Slawen es nötig hätten, sich von ordentlichen Deutschen kolonisieren zu lassen, aber unausgesprochen darauf zurückgehende Vorstellungen geistern noch herum.

Auch der Dialog zwischen Geschichtsforschung und Archäologie, der früher manchmal in gegenseitigen Forderungen bestand, ist mit der vorsichtigen Suche gemeinsamer Schnittmengen deutlich weiter gekommen, was auch an der umsichtigen Auswahl der ReferentInnen und vielleicht am wissenschaftlichen Binnenklima des Projektteams liegt. Dass die „Grenze“ sich auch für das Mittelalter nicht aufgelöst hat, wird man in Kauf nehmen, aber für präzisere Vergleiche der Verhältnisse auf ihren beiden Seiten und das Aufbrechen eingefahrener Konzepte durch die Beobachtung des Gegenübers ist die Zeit reif.

Konferenzübersicht:

Klaus Birngruber/Christina Schmid: Adel, Burg und Herrschaft im unteren Mühlviertel (gemeinsam mit Alice Kaltenberger und Thomas Kühtreiber)

Franz-Reiner Erkens: Bischöfliche Herrschaft im Nordwald. Der Passauer Bischöfe herrschaftliche Präsenz im Norden der Donau

Roman Zehetmayer: Die Struktur des Adels im Wald- und nördlichen Weinviertel in der frühen Babenbergerzeit (bis um 1150)

Elisabeth Gruber: Das last uns pey tag und pey nacht wissen. Der Landesfürst, seine Burg und seine Stadt. Burg und Stadt Freistadt zwischen Landesherrschaft, Adel und Bürgerschaft

Zlata Gersdorfová: Die Anfänge der Burg Krumau in Böhmen. Die Burg als Symbol der Macht und Ausdruck von Kulturtransfer

Robert Novotný: Die Rosenberger und der südböhmische Niederadel. Zur Rolle der Herrschaftsburgen in den Beziehungen zwischen den Patronen und ihrer Klientel

Karl Brunner: Die Burgen – das Land – und Wir

Jan Klápštĕ: Adel, Burg und Herrschaft – eine ewig strittige Problematik der böhmischen Mediävistik?

Libor Jan: Zur Frage der Entstehung des böhmisch-mährischen Adels und der Entstehung großer Herrschaftskomplexe in Grenzgebieten

Vilém Knoll (gem. Tomáš Karel): Burgen im Land zwischen Böhmen und dem Reich. Sitze der Ministerialen von Eger in bauhistorischer, verwaltungsmäßiger und rechtlicher Sicht

Petr Chotĕbor: Befestigte Sitze des Niederadels in Böhmen: Festen und Kleinburgen

Sabine Felgenhauer-Schmiedt: Herrschaftszentren und Adelssitze des 10.–13. Jahrhunderts im nördlichen Waldviertel: der Beitrag der Archäologie

Begleitend: Posterpräsentation

Michael Rykl (Praha): Cuknštejn und Sudkův Důl. Baugestalt von zwei Festen in Südböhmen um 1490 und ihr folgender Wandel

Filip Kasl (Plseň): Small Feudal Settlements and Their Relation to Mining of Mineral Resources in the West of Bohemia


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