Werkstattgespräch Lehre in der Technik- und Wissenschaftsgeschichte

Werkstattgespräch Lehre in der Technik- und Wissenschaftsgeschichte

Organisatoren
Markus Popplow, Fachgebiet Technikgeschichte, Technische Universität Berlin; Beate Ceranski, Geschichte der Naturwissenschaften und Technik, Universität Stuttgart; Friedrich Steinle, Fachgebiet Wissenschaftsgeschichte, Technische Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.03.2015 - 06.03.2015
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Von
Hagen Schönrich, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Das in gemeinsamer Initiative des Fachgebietes Technikgeschichte der Technischen Universität Berlin und des Fachverbandes Wissenschaftsgeschichte organisierte Werkstattgespräch knüpfte nach einer mehrjährigen Pause wieder an die Tradition regelmäßiger Treffen zum Austausch über die Lehre in der Wissenschafts- und Technikgeschichte an. Im Namen der Veranstalter begrüßte Marcus Popplow die Teilnehmerinnen und Teilnehmer und betonte zugleich die Wichtigkeit eines solchen strukturierten Erfahrungsaustausches. Umso erfreulicher waren die gute Resonanz auf den call for papers und die hohe Teilnehmerzahl.

Die erste Sektion eröffnete HENDRIK EHRHARDT (Berlin) mit der Vorstellung des an der Technischen Universität Berlin für Erstsemester konzipierten Seminars „Einführung in die Technikgeschichte“. Dabei gab er nicht nur Einblicke in die Interessen der Berliner Studierenden und stellte Überlegungen zur Motivation derselben an, sondern zeigte exemplarisch an einigen Themen und Aufgaben auch Ziele und Problemstellungen seiner Lehrveranstaltung. Diese Anregungen entfalteten in der anschließenden Diskussion sofort ihre Wirkung. Zahlreiche Wortmeldungen zu verschiedensten Themen der Lehre verdeutlichten den Gesprächsbedarf der Anwesenden. Viele angesprochene Aspekte wurden durch den zweiten Vortrag weitergeführt und ergänzt. SONJA PETERSEN (Stuttgart) stellte darin ganz konkret ihr über mehrere Semester erprobtes Einführungsseminar zur Kulturgeschichte der Technik vor. Die Anwesenden durften im Detail mitverfolgen, welche Inhalte mit Hilfe welcher Texte vermittelt werden, und welche Aufgaben und Anforderungen damit verknüpft sind. Dieser präzise Input ermöglichte in den nachfolgenden Gesprächen immer wieder die Frage nach konkreten Texten, welche für die Vermittlung elementaren Wissens geeignet seien. FABIAN KRÄMER (München) rundete die einführende Sektion mit einem Vortrag aus Sicht der Wissenschaftsgeschichte ab. Auch er thematisierte anhand eines konkreten Seminarplans Problemstellungen und Anforderungen eines wissenschaftshistorischen Einführungskurses. Die anschließende Diskussion kreiste vor allem um das im weiteren Verlauf der Tagung immer wieder aufgegriffene Thema der vielfach ungeliebten, aber oftmals notwendigen Referate.

Als Abschluss jeder Sektion hatten die Veranstalter übergreifende Gruppendiskussionen geplant. In kleineren Gruppen wurden dazu Themen der Sektion besprochen und anschließend vorgestellt. Aus den lebhaften Gesprächen lassen sich zwei Themenblöcke hervorheben. Zum einen stand die ganz grundsätzliche Frage im Raum, in welchem institutionellen Umfeld überhaupt gelehrt wird. Wie ist der einzelne Lehrstuhl, beziehungsweise das Institut, im universitären Gefüge angebunden, wie groß ist die Nähe – sowohl inhaltlich, wie auch geografisch – zur allgemeinen Geschichtswissenschaft? In Teilen darauf aufbauend, ergab sich der zweite Themenkomplex. Hier wurde die Frage diskutiert, wie mit der, in den bisherigen Vorträgen auch immer wieder angesprochenen, Heterogenität der Studierenden – welche besonders in einführenden Lehrveranstaltungen gegeben zu sein scheint – umzugehen sei. Das implizierte beispielsweise Fragen der Motivierung von Studierenden für das eigene Fach, aber auch die konkrete Ausgestaltung unterschiedlicher Leistungsanforderungen.

Die zweite Sektion eröffneten DAVID KELLER und CORNELIUS BORCK (beide Lübeck) mit einem Vortrag zum neuorganisierten Psychologiestudium an der Universität zu Lübeck. Im dortigen Curriculum wurde das Modul „Geschichte, Theorie und Ethik der Psychologie und Psychotherapie“ als Pflichtmodul im Bachelorstudium verankert, was so in dieser Form einmalig in Deutschland ist. In den jeweiligen Lehrveranstaltungen des Moduls werden die Studierenden der Psychologie mit genuin geisteswissenschaftlichen Formen der Wissensvermittlung konfrontiert. Die dadurch vielfach entstehende Irritation wird dabei ganz bewusst als ein Hinterfragen des eigenen Faches und der zukünftigen Arbeit ausgelöst. MATTHIAS HEYMANN (Aarhus, DK) berichtete anschließend von seinen Lehrerfahrungen aus Dänemark. Hier besteht die Besonderheit, dass landesweit die sogenannten Philosophy of Science-Kurse für alle naturwissenschaftlichen und technischen Studiengänge im Bachelor verpflichtend sind. Seine Studierenden sind also dezidiert keine Geisteswissenschaftler und müssen dennoch verpflichtend entsprechende Lehrveranstaltungen besuchen. Auch hier stellte sich wieder die Frage, wie fachfremde Studierende für das jeweilige Fach motiviert werden können und wie geisteswissenschaftliche Inhalte und Fragen beispielsweise angehenden Ingenieuren vermittelt werden können. Heymann präsentierte hierfür verschiedene hochschuldidaktische Methoden, welche – das zeigte die anschließende Diskussion deutlich – auf breites Interesse der Gesprächsteilnehmerinnen und -teilnehmer stießen.

Im anschließenden Vortrag berichteten DÉSIRÉE SCHAUTZ und ELSBETH BÖSL (beide München) über ihre Lehrveranstaltungen im Rahmen der School of Education der Technischen Universität München und des Munich Center for Technology in Society. Besonders aus dem letztgenannten erwächst auch in der Lehre eine Konzentration auf Felder der reflexiven Wissenschafts- und Technikforschung. Die teilweise sehr breiten Kursthemen aus dem Bereich Wissenschaft, Technik und Gesellschaft sind nur zum Teil historisch ausgerichtet. Neben den bereits angesprochenen Problemfeldern – darunter unter anderem unzureichende Kenntnisse historischer Arbeitstechniken oder eine verzerrte Vorstellung von Geschichtswissenschaft – hoben die Referentinnen auch die Möglichkeiten und Chancen eines solchen interdisziplinären Kontexts hervor. So bildet beispielsweise das Fachwissen der Studierenden aus den MINT-Fächern einen wertvollen Input für die Lehrveranstaltungen. Die Sektion abschließend verdeutlichten GISELA BÖCK (Rostock) und RENATE TOBIES (Jena) aus der Perspektive ihrer jeweiligen Fächer – der Chemie- beziehungsweise Mathematikgeschichte – noch einmal die Schwierigkeiten der Vermittlung von wissenschaftshistorischen Inhalten für angehende Naturwissenschaftler und Mathematiker. Die Gruppendiskussion stand deshalb folgerichtig unter der Frage, wie es sich mit der Lehre von Wissenschafts- und Technikgeschichte in fremden Curricula verhält, welche Besonderheiten hier zu beachten sind, welche Probleme und Konflikte es gibt, aber eben auch welche Chancen dadurch entstehen. Ein Ergebnis, auf das die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich einigen konnten, war die Prämisse, dass die Lehrenden der Wissenschafts- und Technikgeschichte fachfremde Studierende immer wieder mithilfe historischer Methoden „positiv irritieren“ sollten um sie so zum Nachdenken über die (fach)eigenen Selbstverständlichkeiten anzuregen.

Den zweiten Tag eröffnete SUSAN SPLINTER (München) mit einem Erfahrungsbericht zum Thema objektorientierte Lehre. In ihren Seminaren an unterschiedlichen Universitäten mit verschiedenen Gruppen von Studierenden standen häufig Objekte im Zentrum der Betrachtung. Dafür bezog sie Museen und Universitätssammlungen in ihre Lehre mit ein. In der sich anschließenden Diskussion ging es darum, wie objektorientierte Lehre konkret funktionieren kann. Inwieweit ist auch naturwissenschaftlich-technisches Wissen für eine umfassende Quellenkritik der Objekte nötig? ARNE SCHIRRMACHER (Berlin) vertiefte das Thema in seinem Vortrag weiter. Das Projekt „Vielfalt der Wissensformen“ der Humboldt Universität Berlin bietet in einer Art modernisiertem Studium Generale objektorientierte Lehrveranstaltungen für alle Studierenden der Universität an. Anhand seiner in diesem Rahmen durchgeführten Lehrveranstaltungen fragte Schirrmacher ganz offensiv, was eigentlich objektorientiere Lehre kennzeichne und welche Vorteile sie gegenüber traditioneller Lehre bringe? Als ein Zwischenfazit kann hier gezogen werden, dass objektorientierte Lehre einerseits als ein Reflexionsangebot sehr attraktiv gestaltet werden kann, darüber hinaus aber auch den Studierenden ermöglicht, eigene Themen, zum Teil auch mit starker Forschungsorientierung, zu bearbeiten.

DANIELA ZETTI und ONUR ERDUR (beide Zürich) berichteten vom webbasierten Einführungskurs Technikgeschichte, der bereits seit längerer Zeit an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich etabliert ist. Den Platz der traditionellen Vorlesung übernimmt dabei eine sogenannte Webclass, die sich neben zwei Präsenzsitzungen durch längere Online-Phasen auszeichnet, in denen die Studierenden ausgewählte Aufsätze und Quellentexte im dafür bereitgestellten Forum diskutieren. Dazu erhalten sie in ihrer jeweiligen Forumsgruppe verschiedene „Rollen“ und agieren im Disput entsprechend. Ein virtueller Rundgang durch die verwendeten E-Learning-Plattformen führte den Anwesenden vor Augen, wie strukturiert und ertragreich Blended-Learning-Angebote sein können. Die größten Vorteil sahen Zetti und Erdur in dem schlichten aber entscheidenden Fakt, dass die Studierenden im Verlauf des Semesters beständig eigene Beiträge produzieren und mit diesen nicht nur vor den Dozenten, sondern auch vor ihren Kommilitonen bestehen müssen. In Anlehnung an den berühmten Turing-Test begann KÄRIN NICKELSEN (München) anschließend ihren Vortrag mit der Frage, wie wir aktiv fragend einen Wissenschaftshistoriker erkennen könnten. Dahinter stand der weiterführende Gedanke, ob es so etwas wie den „Kern“ des Faches, sozusagen ein verbindliches Wissen und Können überhaupt gibt? Nickelsen stellte dazu das maßgeblich von ihr und ihren Mitarbeitern neugestaltete Curriculum der Wissenschaftsgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München vor, in dem ganz gezielt auch ein wissenschaftshistorischer Kanon vermittelt werden soll. Die anschließende Diskussion zeigte die Brisanz des Themas: Besteht überhaupt die Notwendigkeit eines festen Curriculums? Ist ein fester Kanon überhaupt erstrebenswert? Viele Diskutanten meinten, dass gerade so kleine Fächer wie die Technik- aber auch die Wissenschaftsgeschichte sich ihre Breite sowie ihre Methoden- und Theorievielfalt in Lehre und Forschung bewahren sollten.

Auch die von Friedrich Steinle geleitete Abschlussdiskussion griff dieses Themenfeld noch einmal auf und fragte, ob eine eindeutigere Bestimmung der fächereigenen Identität notwendig sei. Mehrheitlich wurde auch hier wieder für eine Offenheit der Fächer plädiert. Weiterhin wurde die Etablierung einer Plattform für den Austausch von Lehrmaterialien, besonders für die Wissenschafts- und Technikgeschichte, angeregt. Insgesamt erfuhr das Berliner Werkstattgespräch eine überaus positive Resonanz. Der Austausch über Themen der Lehre in der Wissenschafts- und Technikgeschichte ist gelungen und sollte, da waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, verstetigt werden: Auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr in Göttingen.

Konferenzübersicht:

Sektion 1: Einführungen

Hendrik Ehrhardt (Berlin), Einführung in die Technikgeschichte – oder die Frage, wie man Studienanfänger für das Fach begeistert

Sonja Petersen (Stuttgart), Proseminar Methode und Theorie: Einführung in die Kulturgeschichte der Technik

Fabian Krämer (München), Studierende an die Wissenschaftsgeschichte heranführen: Wissenschaftshistorische Proseminare unter dem Dach eines Historischen Seminars

Sektion 2: Wissenschafts- und Technikgeschichte in Curricula der Objektdisziplinen bzw. interdisziplinärer Studiengänge

David Keller/Cornelius Borck (beide Lübeck), Psychologie, anders betrachtet. Potenziale und Herausforderungen der Einbindung historischer Wissenschaftsforschung in das Psychologiestudium

Matthias Heymann (Aarhus, DK), Wie können wir Studierende der Naturwissenschaften sinnvoll unterrichten: Erfahrungen aus Dänemark

Désirée Schautz/Elsbeth Bösl (beide München), Vermittlung von Wissenschafts- und Technikgeschichte im interdisziplinären Kontext an der TU München

Gisela Böck (Rostock)/Renate Tobies (Jena), Wissenschaftsgeschichte in naturwissenschaftlichen Studiengängen. Konzeptionelle Überlegungen und Fallbeispiele aus Mathematik und Chemie

Sektion 3: Objektorientiertes und elektronisch unterstütztes Lehren & Lernen

Susan Splinter (München), Objekte – Möglichkeiten und Grenzen bei der Vermittlung wissenschaftshistorischer Kenntnisse

Arne Schirrmacher (Berlin), Vielfalt der Wissensformen? Probleme und Chancen objektorientierter Lehre für interdisziplinäre Lehrveranstaltungen

Daniela Zetti/Onur Erdur (beide Zürich), Einführung in Themen und Arbeitsweisen der Technikgeschichte in webbasierten und -gestützten Lernumgebungen

Kärin Nickelsen (München), Was sollen sie wissen? Was sollen sie können? Neue und alte Herausforderungen an ein Curriculum der Wissenschaftsgeschichte


Redaktion
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