Töten und getötet werden. Perspektiven auf Körper im Kampf im Mittelalter

Töten und getötet werden. Perspektiven auf Körper im Kampf im Mittelalter

Organisatoren
Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.04.2015 - 18.04.2015
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Von
Dominik Schuh, Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Während der menschliche Körper in den letzten Jahrzehnten in verschiedenen Bereichen der geistes- und kulturwissenschaftlichen Forschung als Forschungsobjekt an Prominenz gewonnen hat – insbesondere in der Betrachtung der Geschlechterforschung –, erscheint der Bereich des militärischen Körpereinsatzes vor allem in der Mediävistik noch weitgehend unerforscht. Ansetzend an der Dichotomie von Körper-Haben und Leib-Sein sollte daher geprüft werden, in welches Verhältnis mittelalterliche Kämpfer sich zu ihrem Körper setzten. So wurde beispielsweise gefragt, welche Bedeutung und welcher Wert der Beherrschung des eigenen Körpers sowie der körperlichen Unversehrtheit zugemessen wurden; welche leiblichen Erfahrungen Kämpfer im Verlauf ihres Lebens und im Besonderen in gewalttätigen Auseinandersetzungen machten und wie sie diese äußerten und deuteten; inwiefern gezielt und systematisch auf einen idealen Kämpferkörper hingewirkt wurde, welche Techniken zur Formung und Erhaltung eines kampftüchtigen Körpers zum Einsatz kamen und wie mit nicht länger kampftüchtigen Körpern verfahren wurde.

Die Schwerpunkte der Tagung lagen damit auf vier eng miteinander verbundenen Themenfeldern mit einer je spezifischen Perspektive auf die Körper der Kämpfer: Die Formung und Vorbereitung des Körpers für den Kampf, verschiedene Praktiken des Körpereinsatzes in konkreten Kampfhandlungen und die körperlichen Folgen gewalttätiger Auseinandersetzungen in Form von Verletzung und Tötung sowie der Umgang mit diesen Folgen. Im Rahmen der dreitägigen Veranstaltung präsentierten zehn Referentinnen und Referenten Beiträge, die eine zeitliche Spannbreite vom 4. bis zum 16. Jahrhundert abdeckten und sich geographisch von der oströmisch/byzantinischen Herrschaft im Osten bis nach Katalonien im Westen bewegten.

In der Einführung wies der Gastgeber JÖRG ROGGE (Mainz) auf die Bedeutung spezifischer Erzählmuster für die Darstellung kämpferischer Aktivitäten hin und stellte ein potenziell weit verbreitetes Muster als Beispiel voran. Rogge erläuterte dazu anhand von Quellenberichten aus den schottisch-englischen Auseinandersetzungen des 14. und 15. Jahrhunderts, dass die Erzählung von Kämpfern, die erlittene Verletzungen ignorierten und diesen zum Trotz weiter erfolgreich am Kampfgeschehen teilnahmen, der Repräsentation von Tapferkeit und Widerstandskraft dienen konnte. Im weiteren Verlauf der Tagung konnte dieses Muster in verschiedenen Beispielen über den Betrachtungszeitraum verteilt verifiziert werden. War damit ein erstes Exempel für den Umgang mit Wirkungen auf den kämpfenden Körper gegeben, so erörterte GUIDO M. BERNDT (Erlangen) im folgenden Beitrag vor allem den aktiven Einsatz dieses Körpers. Am Beispiel Theoderichs – und anderer gotischer Warlords – verdeutlichte er, wie diese durch den Nachweis persönlicher Gewaltfähigkeit die Führungsposition in einer Kriegergruppe erlangen und sichern konnten. Die Beweiskraft des Körpers stand auch im nachfolgenden Beitrag BOGDAN-PETRU MALEONS (Iaşi) im Fokus der Betrachtung. Am Beispiel des Umgangs mit Widersachern der byzantinischen Herrscher zwischen dem 4. und 8. Jahrhundert zeigte Maleon auf, wie die Entfernung von Körperteilen zur Kennzeichnung gesellschaftlichen Ausschlusses genutzt wurde und welche Bedeutung die Zurschaustellung der körperlichen Überreste – insbesondere von Köpfen bzw. Gesichtshaut – hingerichteter Gegner für die herrschaftliche Repräsentation besaß.

IAIN MCINNES (Inverness) erörterte anhand erzählender Quellen zum englisch-schottischen Konflikt an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert, welche Gewalteinwirkungen auf Körper stattfanden und welche Folgen sie zeitigten. So ließe sich festhalten, dass – von einzelnen Episoden der Schilderung übermenschlicher Leistungen abgesehen – eine Reihe von Darstellungen des Verletzens und Verletzt-Werdens als Ausdruck verbreiteter Kampffolgen gedeutet werden können. Neben der häufigen Erwähnung von Verletzungen im Gesichtsbereich – insbesondere der Augen – durch Pfeilbeschuss hob McInnes hervor, dass „Feldärzte“ wahrscheinlich öfter zum Einsatz kamen als bislang vermutet – hier ließen sich anhand der Darstellung erfolgreicher und erfolgloser Behandlung von Kampfverletzungen weitere Forschungen anschließen. Waren damit Kampfwirkungen auf die aktiv Beteiligten in den Blick geraten, so folgte mit dem Beitrag von TREVOR RUSSELL SMITH (Leeds) eine Betrachtung des Umgangs mit Nicht-Kombattanten. Smith schloss aus dem Schriftverkehr verschiedener Kämpfer des Hundertjährigen Krieges, dass versucht wurde, Gewalt gegen Nicht-Kämpfer über eine Umdeutung ihres Status zu Kämpfern zu legitimieren, indem sie als Unterstützer des jeweiligen Gegners oder Aufrührer gegen die eigene Herrschaft präsentiert wurden. IASON-ELEFTHERIOS TZOURIADIS (Leeds) stellte den primär textlichen Belegen seiner Vorredner bildliche Repräsentationen kämpfender Körper gegenüber. Die Untersuchung von Schlacht- und Kämpferdarstellungen des frühen 16. Jahrhunderts lege nahe, so Tzouriadis, dass im betrachteten Zeitraum ein Interesse an zunehmend realistischen, die Folgen von Gewalthandlungen drastisch in den Blick rückenden Darstellungen bestand. Die folgende Diskussion zeigte eine weitere Funktion des Kämpferkörpers auf, so ließ sich an Söldnerdarstellungen nachvollziehen, wie der „Marktwert“ des jeweiligen Kämpfers durch Kleidung und Ausrüstung nach außen hin sichtbar gemacht werden sollte.

ERIC BURKART (Dresden) erläuterte anhand der überlieferten Fechtbuch-Manuskripte, die dem Fechtmeister Hans Talhofer zugeschrieben werden, kommunikative Strategien der Vermittlung kämpferischen Fachwissens. Dabei hob er insbesondere die Bedeutung verschiedener Verschlüsselungstechniken in Versen und Bildern hervor und zeigte anhand von Beispielen die genutzten Vermittlungsformen, die eine Betrachtung des Kämpfens als Kulturtechnik nahelegten. Über die behandelten Techniken der Körperformung hinaus, kam dabei auch die Möglichkeit zur Sprache, den Besitz von Fechtbüchern als Mittel der Repräsentation eigener Kampffähigkeit nutzbar zu machen. Der Beitrag von DANIEL JAQUET (Genf) widmete sich ebenfalls den in Fechtbüchern repräsentierten Praktiken, fokussierte jedoch eine spezielle Form des Kampfes: Den rituellen Zweikampf. Beginnend mit der Darstellung der in der Überlieferung weit verbreiteten Formen körperlicher Ertüchtigung (Steine werfen, Springen, Laufen, Ringen), erläuterte Jaquet die üblicherweise im Zeitraum von sechs Wochen zu bewältigenden Trainingsschritte vor der Austragung gerichtlicher Zweikämpfe. An mehreren Beispielen verdeutlichte er die Bedeutung des sozialen Status (vor allem Stand und Geschlecht) für die legitime Anwendung bestimmter Kampftechniken und sprach sich dafür aus, auch die Überlieferung zu Gerichtskämpfen zwischen Männern und Frauen nicht als reine Fiktionen abzutun.

GIULIA MOROSINI (Padua) widmete sich den Folgen gewalttätiger Auseinandersetzungen und der Frage, wie Condottieri im Italien des späten 14. bis zum frühen 16. Jahrhundert mit diesen Folgen umgingen. Am Beispiel von Braccio de Montone, Sigismondo Pandolfo Malatasta, Giovanni de Medici zeigte sie auf, wie Verletzungen, Narben oder der Verlust von Körperteilen nutzbar gemacht wurden, um die Beherrschung kämpferischer Fähigkeiten und die Erfüllung kämpferischer Tugenden nachzuweisen. Dabei spielte die Fähigkeit zur Beherrschung des eigenen Körpers, z.B. hinsichtlich des Nicht-Zeigens von Schmerzen, eine wesentliche Rolle. Der Körper des Kämpfers rückte so deutlich als Zeichenträger in den Blick. ALISTAIR MACDONALD (Aberdeen) warf die Frage auf, ob sich verschiedene Grade von Brutalität in der Kriegführung im Zuge der englisch-schottischen Konflikte des 14. und 15. Jahrhunderts feststellen ließen. Der insbesondere in der älteren Forschung häufig vertretenen Annahme, es seien z.B. ethnisch geprägte Formen der Kriegsführung festzustellen, stellte MacDonald eine kritische Quellenanalyse gegenüber, die verdeutlichte, dass Muster des Erzählens spezifischer Kriegshandlungen zunächst auf ihre darstellerische Funktion zu prüfen seien. Abschließend plädierte MacDonald für eine differenzierte Betrachtung verschiedener Gewaltpraktiken, die eine Reihe von Faktoren beachtet – so ethnische Zugehörigkeit, Religion, biografischer Hintergrund der AkteurInnen, Stand, Geschlecht.

Im letzten Beitrag der Tagung richtete JUDITH MENGLER (Mainz) den Blick auf die grundlegenden Bedürfnisse kämpfender Körper. Anhand der Crònica des Ramon Muntaner stellte sie Überlegungen zum Versorgungsbedarf spätmittelalterlicher Kämpfergruppen sowie zu den verschiedenen logistischen Möglichkeiten der Heeresversorgung – von der Mitführung der Versorgungsgüter, über den Einkauf bis zur Plünderung vor Ort – vor.

Nach einer kurzen Zusammenfassung der Tagungsbeiträge stellte DOMINIK SCHUH (Mainz) eine Skizze für die Verknüpfung der thematischen Schwerpunkte (Körperformung, Körpereinsatz und Verletzung im Kampf, Tötung) vor. So kam der Kämpferkörper selbst im Rahmen der Tagung im Wesentlichen in drei Perspektiven in den Blick: Als Instrument des Kämpfers, als Ressource bzw. Einsatz, der im Kampf zu riskieren ist, und als Zeichenträger, als Beweismittel für Kampffertigkeit und -erfahrung. Erik Burkarts Vorschlag, von einer Kulturtechnik des Fechtens zu sprechen, folgend erscheine es sinnvoll, so Schuh, diese Verwendungsweisen des Körpers als Praktiken einer Kulturtechnik des Kämpfens insgesamt aufzufassen. Die Rede von einer Kulturtechnik verdeutliche, dass es sich um ein Bündel von Praktiken handle, die sozial eingebunden und je kulturspezifisch ausgeprägt und vermittelt würden. Als Bestandteile einer solchen Technik könnten die Fähigkeit, anderen Gewalt zuzufügen, wie die Fähigkeit, Gewalt anderer (klaglos) zu erleiden, erfasst und mit je spezifischen Idealen und Tugenden der jeweiligen Gesellschaft – wie Stärke, Gewandtheit, moralische Urteilsfähigkeit, Tapferkeit, Widerstandskraft, etc. – in Beziehung gesetzt werden. Eine umfassende Betrachtung kämpfender Körper müsse darüber hinaus Praktiken mitdenken, die nur mittelbar dem Kampfgeschehen zugehören, so wäre der Umgang mit Verletzungen und die Bedeutung von Versorgung und Regeneration weitergehend zu untersuchen, aber auch die „Kunst des guten Sterbens“ könnte eine spezifische, kämpferische Ausprägung besitzen.

Insgesamt zeigten die Beiträge der Tagung auf, dass sich eine Reihe von (narrativen) Mustern der Repräsentation kämpfender Körper in den Quellen identifizieren lassen, die geeignet sind Einblicke in den Umgang mit organisierter wie individueller Gewaltausübung zu liefern. Dabei wurde jedoch immer wieder deutlich, dass Aussagen über eigen-leibliche Erfahrungen, über eigenes Gewalterleben schwer auszumachen sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei um das Ergebnis einer gewissen ‚Schweigsamkeit‘ kämpfender Männer – so kam im Rahmen der Tagung wiederholt die Bezeichnung als „silent men“ für die betrachteten Personen auf. Inwiefern diese Schweigsamkeit nicht nur den eigenen, männlichen Körper der behandelten Autoren betrifft, sondern darüber hinaus den Blick auf Frauenkörper im Kontext des Kämpfens versperrt, konnte – mit Ausnahme des Beitrags von Daniel Jaquet – ebenso wie die zeitgenössische Kritik kämpferischer Praktiken leider nur gestreift werden.

Konferenzübersicht:

Jörg Rogge (Mainz), Opening Speech

Chair: Thomas Scharff (Braunschweig)

Guido M. Berndt (Erlangen), Bedrohen, Verletzen, Töten. Über individuelle und kollektive Gewaltpraktiken gotischer Warlords und ihrer Kriegergruppen

Bogdan-Petru Maleon (Iaşi), The torture of bodies in Byzantium after the battles (sec. IV-VIII)

Chair: Martin Kaufhold (Augsburg)

Iain MacInnes (Inverness), ‘Pierced by a lance through his mouth to his brain’: the experience and depiction of battlefield injury in Anglo-Scottish warfare, 1296-1403

Trevor Russell Smith (Leeds), Willing Body, Willing Mind: Morally Killing Non-Combatants during the Hundred Years War

Iason-Eleftherios Tzouriadis (Leeds), Wars bloody, long, and violent: The iconography of injury and death during the Italian Wars

Chair: Christine Reinle (Gießen)

Eric Burkart (Dresden), Body Techniques of Combat. The Depiction of a Personal Martial Arts System in the Fight Books of Hans Talhofer (1443-1467)

Daniel Jaquet (Genf), Six weeks to prepare for combat. Instruction and practices from the Fight Books at the end of the middle ages, a note on ritualised single combats

Giulia Morosini (Padua), The link between physical pain and military boldness as it was interpreted in Italy during the XV century

Alistair MacDonald (Aberdeen), Two Kinds of War? Brutality and Atrocity in Later Medieval Scotland

Chair: Jörg Rogge (Mainz)

Judith Mengler (Mainz), Logistics and Food Supply in the Crònica of Ramón Muntaner

Dominik Schuh (Mainz), Summary and Conclusions

Final Discussion


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