Unterwegs im Namen der Religion II: Wege und Ziele in vergleichender Perspektive – das mittelalterliche Europa und Asien

Unterwegs im Namen der Religion II: Wege und Ziele in vergleichender Perspektive – das mittelalterliche Europa und Asien

Organisatoren
Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung, Universität Erlangen-Nürnberg; Fundacion de San Millàn de la Cogolla
Ort
San Millán de la Cogolla
Land
Spain
Vom - Bis
16.11.2014 - 18.11.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Hans-Christian Lehner, Internationales Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung,Universität Erlangen-Nürnberg

Das im nordspanischen San Millán de la Cogolla gelegene Ensemble um die beiden Klöster San Millán de Yuso und San Millán de Suso wurde im Jahre 1997 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Kostbare Kodizes, wertvolle Gemälde sowie eine kunsthistorisch bedeutsame Architektur tragen zur besonderen Bedeutung des Ortes bei. Als Wallfahrtsstätte ist der Ort durch die hier aufbewahrten Reliquien des Hl. Aemilianus sehr beliebt. Darüber hinaus ist das Kloster aus sprachwissenschaftlicher Sicht von großer Bedeutung, entstand doch hier mit den sogenannten „Glosas Emilianes“ der erste westaragonesische Text, der einen Vorläufer des Spanischen darstellt.

In diesem Ambiente wurde vom Internationalen Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung der Universität Erlangen-Nürnberg und der Fundacion de San Millàn de la Cogolla unter Leitung von Klaus Herbers (Erlangen), Carlos Alvar (Madrid) und Angél Goméz Moreno (Madrid) eine dreitägige Konferenz ausgerichtet, die sich unter dem Titel „Unterwegs im Namen der Religion“ mit Wegen und Zielen des Pilgerns befasste. Inhaltlich stellte die Veranstaltung eine Anknüpfung und Fortführung der Tagung „Unterwegs im Namen der Religion. Pilgern als Form von Kontingenzbewältigung und Zukunftssicherung in den Weltreligionen“ dar, die 2011 in Erlangen stattgefunden und breit gefächert die fünf Weltreligionen hierzu vergleichend thematisiert hatte. Der seinerzeit festgestellten Vielfalt der Dimensionen des Pilgerns wurde sowohl durch eine Historisierung der Perspektive als auch durch eine gezielte Fokussierung auf das mittelalterliche Europa und Asien Rechnung getragen.

In ihrem Einführungsvortrag am Abend des ersten Konferenztages analysierte FELICITAS SCHMIEDER (Hagen) die Rolle von Pilgerschaft, Heiligtümern und Anbetung auf lateineuropäischen mittelalterlichen Weltkarten (Mappae Mundi). Dabei wurde die Aufmerksamkeit insbesondere auch auf die Botschaften der Kartenmacher, deren politische Agenda (Wiedererlangung ehemals christlicher Gebiete), die Art der Darstellung fremder Stätten wie z. B. Mekka sowie die Funktion der Weltkarte als Weltchronik gelenkt. In Anlehnung an den von der Bibelexegese bekannten mehrfachen Schriftsinn machte Felicitas Schmieder diese Deutungsmöglichkeiten auch für die Interpretation einer Weltkarte nutzbar, indem sie den Literalsinn auf die graphischen Aspekte, den typologischen Sinn auf die Repräsentation von Heilsgeschichte auf der Karte, den anagogischen Sinn auf die eschatologischen Aspekte der Darstellung sowie den moralischen Sinn auf die christlichen Aufgaben, etwa der Erinnerung durch den Besuch der Apostelgräber, bezog.

Der zweite Konferenztag begann mit der von Klaus Herbers moderierten Sektion zu Pilgerwegen. Im ersten Beitrag erörterte BRUNO JUDIC (Tours) mögliche Pilgerrouten zum Grab des Hl. Martin in Tours, da die mittelalterlichen Quellen bis zum Bericht des Hieronymus Münzer von 1493 hierüber keine genauen Angaben liefern. Sehr gut dokumentiert hingegen sind die westlichen Pilgerstrecken ins Heilige Land, die DAVID JACOBY (Jerusalem) im Anschluss überblickshaft in ihrer Entwicklung vom 11. bis 15. Jahrhundert vorstellte. Besonders unterstrichen wurde die zunehmende Dominanz des Seeweges, die sich sehr gut am Bau größerer Schiffe und am Wettbewerb der Mittelmeerhäfen um die Gunst der Pilger erkennen lasse. Mit der Via Francigena und der Via Teutonica rückte RENATO STOPANI (Florenz) zwei bedeutende Pilgerwege nach Rom in den Blick. Stopani erläuterte die unabhängige Entwicklung beider Straßennetze, die sich erst bei Montefiascone, 100 km nördlich von Rom, vereinten. Den Pilgerweg als Lockmittel für ritterliche Ambitionen interpretierte SANTÍAGO GUTIÉRREZ GARCÍA (Santiago de Compostela) am Beispiel des mythischen Paso Honroso vom Sommer 1434, als alle nach Santiago de Compostela pilgernden Ritter vom Leoneser Suero de Quiñones zum Duell herausgefordert wurden. Der Weg sei somit von den hier besprochenen Reisenden gleichermaßen als Ritter und als Pilger aus sowohl Frömmigkeit als auch Ehre betreffenden Motiven aufgenommen worden. Die übrigen Vorträge der Sektion rückten in erster Linie Texte zu Pilgern und Reisen in den Fokus: LUIS ALBURQUERQUE GARCÍA (Madrid) wies auf den Unterschied zwischen Reiseberichten und anderen literarischen Beschreibungen von „Realität“ hin; JOAQUÍN RUBIO TOVAR (Madrid) strich am Beispiel der Übersetzungen von John Mandevilles „Libro de las Maravillas“ die unterschiedlichen Interpretationsansätze der Übersetzer heraus; ebenfalls auf die Intention der Verfasser wies SANTIAGO LÓPEZ MARTÍNEZ-MORÁS (Santiago de Compostela) bei seiner Erläuterung der Modifikationen des Weges in der „Entrée d’Espagne“, jener Adaption des Pseudo-Turpin-Textes, hin.

Die folgende kürzere Sektion zu Pilgerzielen wurde geleitet von Carlos Alvar. Im ersten Vortrag beschäftigte sich JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) mit der heiligen Stadt Rom als Pilgerziel. Viele Motive trugen zur Attraktivität dieses Ortes bei, zu denen stets auch die (antiken) Hinterlassenschaften gezählt hätten. Am Beispiel von S. Giovanni in Laterano und S. Pietro in Vaticano wurde der Wettbewerb um eine Vorrangstellung und die Gunst der Pilger in Rom dargestellt, der sich etwa in der gezielten Aufwertung von Reliquien und dem Einsatz des Ablasses manifestiert hätte. Die Auswirkungen von Konkurrenzsituationen auf das Pilgerwesen skizzierte auch ANDREAS HOLNDONNER (Erlangen) am Beispiel des Grabes des Apostel Jakobus. So sei die dorthin führende Pilgerfahrt aufgrund der Rivalität der Erzbistümer Toledo und Santiago de Compostela für politische Zwecke genutzt und vereinnahmt worden. Der Beitrag von MICHELINA DI CESARE (Rom) zu Jerusalem und dem Felsendom als christliches Pilgerziel musste aufgrund einer kurzfristigen Erkrankung der Referentin entfallen, eine schriftliche Version wurde jedoch ausgegeben und diskutiert. Den Bogen von Europa nach Ostasien spannte anschließend ISAAC DONOSO (Alicante), der Quellenbelege für Reisen aus dem islamischen al-Andalus nach China und Indien analysierte und als Pilgerfahrten interpretierte. Damit war der Blick auf Ostasien gelenkt und im abschließenden Vortrag dieser Sektion stellte ANDREAS BERNDT (Erlangen) die Wohnorte von Drachengottheiten als Pilgerziele im spätkaiserzeitlichen Shanxi vor. Die Wallfahrer hätten von dort Wasser geholt und es zu den in den Siedlungen gelegenen Altären der Drachengottheiten gebracht. Durch den Eintritt des Wassers sei gleichsam auch ein göttlicher Geist in die religiöse Gemeinschaft gebracht worden.

Obgleich die historische Pilgerforschung stets auf Pilgerberichte angewiesen ist und diese somit selbstverständlich auch in den ersten beiden Sektionen Eingang in die Untersuchungen fanden, wurde die Literatur der Pilger im abschließenden Teil der Tagung unter Moderation von Ángel Gómez Moreno nochmals gesondert in den Fokus gerückt. Im ersten Vortrag stellte PHILIPP MAAS (Wien) den Gründungsmythos einer heiligen Stätte an einem südasiatischen Pilgerweg vor, von dem das große Sanskrit-Epos „Mahābhārata“ berichtet. Asketische Kraft sei durch die Bereitschaft, sich der dortigen Hitze auszusetzen, dem Karma zugeführt worden, genauso, wie es in der Erzählung der mythische König Samoka vollziehe. Schnittpunkte zwischen sakralen und weltlichen Wegen im Zusammenhang mit koreanischen Reiseberichten des 15. bis 18. Jahrhunderts zeigte MARION EGGERT (Bochum) auf. In diesen Texten können trotz deren anders gelagerten Fokus einige Elemente des Pilgerns ausgemacht werden, auch wenn es fraglich bleiben muss, inwieweit es sich dabei um westliche Interpretation handelt. Eindeutiger konnte dies JONATHAN PATRICK SELL (Madrid) beantworten, der anhand von drei englischen Reiseberichten aus der Zeit um 1600 zeigen konnte, wie Tropen des Pilgerns zur Formulierung politischer Anliegen benutzt worden seien. ADELINE RUCQUOI (Paris) beleuchtete die vielfältige Literaturproduktion zur Pilgerfahrt ans Grab des Apostel Jakobus, die zwischen dem späten 11. und dem 12. Jahrhundert einen Höhepunkt erlebte und zwischen religiösen sowie politischen Kontexten changierte und dementsprechend zu verstehen sei. Im letzten Vortrag der Tagung zeichnete MARCO PICCAT (Triest) die literarische Stilisierung Karls des Großen zu einem Pilgerkaiser, etwa im Rolandslied, sowie die Verbreitung dieses Bildes nach.

In der Abschlussdiskussion wurde über die transkulturellen und transdisziplinären Vergleichsmöglichkeiten diskutiert. Angeregt wurde ein Format, in dem gemeinsam einschlägige Texte zum Pilgern gelesen werden könnten.

Als Ergebnis der Konferenz ließe sich festhalten, dass der Aspekt des Pilgerns in vielen Fällen von anderen Komponenten begleitet wurde, der Pilger mithin nicht ausschließlich ein Pilger war und er seine Pilgerfahrt nicht alleinig aus religiösen Motiven unternahm. Entsprechend war auch für die Literaturproduktion eine Vielfalt von Intentionen maßgeblich, weshalb auch Quellen großen Aufschluss über das Pilgerwesen geben können, die auf den ersten Blick nicht thematisch einschlägig zu sein scheinen.

Die Tagung wurde durch ein gediegenes Rahmenprogramm begleitet: Das direkt am Tagungsort gelegene Kloster Yuso mit der Kirche, dem berühmten Altarbild des Hl. Aemilianus in der Schlacht von Hacinas, den in kostbaren Schreinen verwahrten Reliquien des genannten Heiligen und seines Lehrers Felix sowie der beeindruckenden Bibliothek wurde besichtigt. Eine Exkursion führte zu dem auf einem Hügel über der Ortschaft gelegenen Kloster Suso, wo der aus dem 11. Jahrhundert stammende Sarkophag des Hl. Aemilianus in Augenschein genommen werden konnte. Zudem wurde am Ende der Tagung eine Führung durch die nahegelegene Bodega Muga angeboten.

Konferenzübersicht:

Klaus Herbers (Erlangen) / Carlos Alvar (Madrid), Begrüßung

Festvortrag
Felicitas Schmieder (Hagen), ‘Here Many Sarracen Pilgrims Wander to Mekka‘ – on the Role of Pilgrimage, Shrines and Worshipping on Latin-European Medieval World Maps

Sektion I: Pilgerwege

Bruno Judic (Tours), Saint Martin de Tours

David Jacoby (Jerusalem), Evolving Routes of Western Pilgrimage to the Holy Land, 11th – 15th Century: an Overview

Joaquín Rubio Tovar (Madrid), Los viajes de Mandeville en la España del siglo XVI

Renato Stopani (Florenz), Via Francigena

Santiago Gutiérrez García (Santiago de Compostela), Caminos de la aventura y la espiritualidad. Viajeros, caballeros y devotos en el Paso Honroso de Hospital de Órbigo

Luis Alburquerque García (Madrid), El descubrimiento del otro y los viajes del descubrimiento

Santiago López Martínez-Morás (Santiago de Compostela), La conquista del Camino de Santiago en L'Entrée d'Espagne (s. XIV)

Sektion II: Pilgerziele

Jochen Johrendt (Wuppertal), Rom als Pilgerziel

Michelina Di Cesare (Rom), The Dome of the Rock in Jerusalem as a Medieval Christian Pilgrimage Site

Andreas Holndonner (Erlangen), Politisches Pilgern? Das Jakobusgrab in den Auseinander-setzungen zwischen Compostela und Toledo im 12. Jh.

Andreas Berndt (Erlangen), Wallfahrten in der chinesischen Provinz – Rituale des Wasserholens im Shanxi der späten Kaiserzeit

Isaac Donoso (Alicante), Viajeros andalusíes en Asia oriental

Sektion III: Pilger und Reiseliteratur

Philipp Maas (Wien), Pilgrimage in Indian Literature

Marion Eggert (Bochum), Intersections of Sacral and Other Ways in Korean Mountain Excursion Records of the 15th–18th Century

Jonathan Patrick Sell (Madrid), Early Modern Travel as Pilgrimage, Passion and Martyrdom

Adeline Rucquoi (Paris), Early Medieval Pilgrimage Literature

Marco Piccat (Triest), Rome, Jerusalem and Santiago: the Legend of Charlemagne, Pilgrim Emperor

Klaus Herbers (Erlangen) / Angel Goméz Moreno / Carlos Alvar (Madrid), Abschlusslesung


Redaktion
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