Vorchristliche Religion der Slawen im frühen und hohen Mittelalter

Vorchristliche Religion der Slawen im frühen und hohen Mittelalter

Organisatoren
Mittel- und Ostdeutscher Verband für Altertumsforschung e.V.; West- und Süddeutscher Verband für Altertumsforschung e.V.
Ort
Chemnitz
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.03.2016 - 01.04.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Klammt, mainzed - Mainzer Zentrum für Digitalität in den Geistes- und Kulturwissenschaften

Im Rahmen der 22. Jahrestagung des Mittel- und Ostdeutschen Verbandes für Altertumsforschung e.V. und zugleich 83. Verbandstagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung e.V. hat in Chemnitz eine Sektion zur Archäologie der Slawen stattgefunden. In der mittlerweile zum siebten Mal gehaltenen Sektion wurde Vorträge zum Schwerpunktthema „Vorchristliche Religion der Slawen im frühen und hohen Mittelalter“ sowie aktuellen Themen aus der Forschung gehalten.

Neue Bodenfunde, Innovationen im Bereich der naturwissenschaftlichen Analysen, veränderte Paradigmen und komparative Ansätze wandeln das Forschungsfeld stetig. Besonders deutlich wird diese Transformation am Schwerpunktthema. Religion ist in der Sektion im Zusammenhang mit den Schwerpunkten „Wandel um 1000“ (2009) und „Transformation im 12./13. Jahrhundert“ (2010) zwar thematisiert worden, doch war hier stets die Christianisierung in ihrem unterschiedlichen Verlauf als Teil der sozio-kulturellen und politischen Veränderungen betrachtet worden. In der Archäologie insgesamt sind jedoch Religion, Kult und Ritual seit etwa 10-15 Jahren wieder verstärkt in den Fokus gelangt. Entsprechend interessant ist es, zu überprüfen, welche Impulse sich daraus für die Archäologie des Früh- bis Hochmittelalters im östlichen Mitteleuropa ergeben und auch ob sie einen genuinen Beitrag zu dem neu belebten Forschungsfeld liefern kann. Ein erster Schritt zur Beantwortung dieser Fragen soll die Zusammenschau anlässlich der Sektion sein.

Eingeleitet wurde das Schwerpunktthema mit einem interdisziplinären Beitrag (Archäologie, Theologie und Religionswissenschaft), der die Verwendung von Begriffen wie „Religion“, „Tempel“ und „heilig“ in archäologischen und historischen Untersuchungen kritisch betrachtet. Diese objektsprachlichen Bezeichnungen enthalten ein christlich-geprägtes Vorverständnis, das weder dem Begriffsverständnis der mittelalterlichen Berichte entspricht, noch als Analyseinstrumentarium zur Beschreibung einer außerchristlichen Religion geeignet ist. ANNE KLAMMT, PETER MEYER (beide Mainz) und MIRKO ROTH (Marburg) empfahlen Archäologinnen und Archäologen daher die transparente Referenzierung der verwendeten Begriffe. Im Anschluss stellte FELIX BIERMANN (Göttingen) ein umfassendes Spektrum der archäologischen Quellen im Nordwesten des westslawischen Gebiets und ihre Verknüpfung mit der schriftlichen Überlieferung vor. Er wies dabei auf eine oftmals hohe Passung der Bodenfunde mit den zeitgenössischen Berichten hin, die nahelege, dass den Chronisten zwar die Zusammenhänge unverstanden geblieben sein mögen, Einzelnes aber genau beobachtet worden sei.

ANDREJ PLETERSKI (Ljubljana) entwickelte als einziger auf der Tagung ein komplexes Modell einer slawischen Kosmologie. Als wesentliches Zeugnis dienten ihm die Säule aus dem Zbruzc und die „Bamberger Götzen“. In der anschließenden Diskussion wurde insbesondere die Frage nach der Echtheit des noch immer singulären Monuments aus dem Zbrucz kontrovers diskutiert. Keine Lösung für dieses Problem bringt auch eine 1998 entdeckte und von NAD‘A PROFANTOVA (Prag) vorgestellte Steinstele aus Stara Kourim. Sie endet in vier, in verschiedene Richtungen blickende einfache menschliche Köpfe, weitere Gesichter sind auf etwa halber Höhe eingeschnitten. Als weiteren besonders erwähnenswerten Befund stellte Profantova ein in ein normales Grubenhaus eingebautes Miniaturgrubenhaus in der bekannten frühslawischen Siedlungsagglomeration Roztoky vor.

Die Frage nach Kultstätten und Sakralbauten nahmen UWE MICHAS (Berlin) und FRED RUCHHÖFT (Greifswald) in ihren Vorträgen auf. Im Burgwall Spandau hat die weitere Auswertung der Befunde ergeben, dass ein als Unterteil eines anthropomorphen Holzbildnisses („Götterfigur“) diskutierter achteckiger Pfahl in seiner Deutung ebenso unsicher ist, wie die Ansprache des zugehörigen Baukomplexes als Rundtempel. Kaum weniger kompliziert ist die Lage in Arkona, wo die Ergebnisse der laufenden Rettungsgrabungen keine Bestätigung für den von P. Herfert herausgestellten Tempelbefund erbrachten, allerdings Pfosten eines großen hallenartigen Grundrisses westlich der bekannten Fundhäufungen/Deponierungen. Dieser neu nachgewiesene Bau stimmt aber, darauf wies der Ausgräber Ruchhöft hin, nicht mit der Beschreibung des Tempels bei Saxo Grammaticus überein.

In einem zweiten Vortrag setzte sich Biermann mit den Funden menschlicher Überreste in Siedlungen und Burgen der Slawen auseinander. Die kritische Auswertung der Fundkontexte führte ihn zu Deutungen der verschiedenen Funde von Skeletten und Skelettteilen als einerseits Opfer von Gewalt innerhalb und zwischen den Gruppen andererseits in selteneren Fällen als Zeugnis ritueller Tötungen oder auch der bewussten Deponierung und Zurschaustellung von Skelettteilen.

Der Rekonstruktion von religiösen und sozialen Ritualen und Zeichenträgern widmeten sich JOACHIM HENNING (Frankfurt), PAWEŁ SZCZEPANIK (Torun) und MICHAEL SCHIRREN (Stralsund). Henning entwarf anhand der Funde von Pflugteilen im Umfeld slawischer Burgen in Verbindung mit den Mythen um Przemysl und Piast einen slawischen Brauch des rituellen Pflügens der Herrschaft. Szczepanik stellte eine Gruppe von Messerscheidenbeschlägen zusammen, die in Verwandtschaft zu dem bekannten „Götterbildbeschlag“ aus Oldenburg/Starigard stehen. Die bemerkenswerten Objekte sind auch in Kammergräbern in Polen gefunden worden, die zuletzt als skandinavische Bestattungen diskutiert wurden. Anklänge eines skandinavischen Bildmotivs, mehr aber noch die Verwandtschaft zur Toreutik der Romanik kann Schirren für die kleine mit einer Tülle versehene Figur von Gatschow, Vorpommern, herausstellen. Er deutete dieses Stück, zu dem es inzwischen einen weniger gut erhaltenen Parallelfund gibt, vorsichtig als Würdezeichen nach Art eines Amtsstabes.

Zeichenträger einer religiösen zugleich aber auch sozialen Botschaft sind Kreuzanhänger und Enkolpien. DRAHOMÍRA FROLÍKOVÁ-KALISZOVÁ (Prag) gelang es überzeugend die Verbreitung verschiedener Typen von Kreuzanhängern der großmährischen Zeit mit den unterschiedlichen Missionen und politischen Einflussnahmen zu verbinden. Dagegen handelt es sich bei der Vorderseite eines ostkirchlichen Enkolpions des 11./12. Jahrhundert, das ALEXANDER SAKUTH (Göttingen) vorstellte, an seinem Fundort im nördlichen Mecklenburg um ein Einzelstück. Interessant ist, dass sich in dieser Region offene Siedlungen mit einem bemerkenswerten Fundinventar häufen, der auf einen gewissen sozialen Status im Umfeld des Burgwalles im heutigen Reric hindeutet.

Einen stärker sozialhistorischen Ansatz verfolgten auch JAN FROLIK und SOŇA HENDRYCHOVÀ (beide Prag). Jan Frolik stellte die Ergebnisse einer multidisziplinären Untersuchung der Gräberfelder von Prag heraus, wobei er die Befunde der Isotopenanalyse der Skelettreste mit den Ergebnissen zum Produktionsaufwand der Schmuckstücke in den Gräbern verglich. Vorsichtig deutete er einen erhöhten Anteil von Fisch in der Nahrung auf einem der Gräberfelder als Hinweis auf die Einhaltung christlicher Fastenvorschriften. Unter den Schmuckgegenständen finden sich auf den Prager Nekropolen der Przemysliden-Zeit ansonsten keine eindeutig christlichen Symbole. Hendrychová wertete zwei große Gräberfelder des 9. Jh. aus Großmähren aus, deren Belegungsintensität und die Qualität vieler Bestattungen, das Vorhandensein eines Zentralortes erzwingt. Diesen vermutete sie im Bereich des Benediktinerstiftes Rajhrad.

Nekropolen als Orte der Erinnerung und des kulturellen Gedächtnis hat KATEŘINA TOMKOVÁ (Prag) untersucht und eine Entwicklung von den außerchristlichen Grabhügeln, über frühe christliche Bestattungen mit einfachen nicht beschrifteten Gräbern hin zu Memorialgräbern in Kirchen beobachtet. Tomková verband so in der Archäologie meist unter den Aspekten der Brüche betrachtete Quellen miteinander.

Dem Nachleben und der Faszination der „heidnischen“ Götter nahmen sich INGO PETRI (Berlin) und KATRIN FREY (Prenzlau) an. Ingo Petri diskutierte die vierköpfige, bärtige Verzierung einer spätmittelalterlichen Handfeuerwaffe aus Vorpommern als mögliche Reminiszenz an ältere Darstellungen von slawischen Gottheiten. Katrin Frey befasste sich dagegen mit absichtsvollen Fälschungen der Neuzeit, wie den Prillwitzer Idolen. Hier wurde auch die Stele aus dem Zbrucz (siehe oben) nochmals diskutiert.

Das Schwerpunktthema hat eine Fülle von neuem Material erbracht. Auffallend war, dass insgesamt eine vorsichtige Deutung überwog und einer gegenüber der älteren Forschung skeptischere Einschätzung gegenüber den Fundstücken und Befunden überwiegt. Zugleich gewinnt die Untersuchung jener Hinterlassenschaften von religiösen Handlungen und Ritualen an Bedeutung, die sich nicht in den schriftlichen Berichten widerspiegeln. Vielversprechend sind auch komparative Ansätze, wie der von Tomková gewählte. Insgesamt aber, auch das hat die weite Streuung der Beiträge gezeigt, fehlt es noch an systematischen übergreifenden Untersuchungen, die eine Anknüpfung an die aktuelle Diskussion zur Archäologie der Religionen ermöglicht. Das Potential dafür ist vorhanden.

Konferenzübersicht:

Schwerpunktthema

Anne Klammt (Mainz)/ Peter Meyer (Mainz)/ Mirko Roth (Marburg): Befund Religion – an den Dingen, in den Köpfen
Felix Biermann (Göttingen): Vorchristliche Glaubensvorstellungen der Nordwestslawen und ihre Konfrontation mit dem Christentum
Andrej Pleterski (Ljubljana): Strukturelle Verwirklichung des slawischen Altglaubens
René Bräunig (Berlin): Ein neu entdeckter altslawischer Brunnen mit Schädeldeponierung aus Berlin- Biesdorf, sowie Nachweise agrarischer Konzepte anhand der Makroreste aus Biesdorf und Marzahn
Uwe Michas (Berlin): Hinweise auf vorchristliche Religion auf dem Burgwall Spandau
Joachim Henning (Frankfurt): Deposite von hölzernen Hakenpflügen bei slawischen Burgwällen – Überlegungen zu möglichen rituellen Hintergründen
Felix Biermann (Göttingen): Gewalt, Kult, Sonderbestattung? Menschliche Knochen aus slawischen Siedlungszusammenhängen
Fred Ruchhöft (Greifswald): Mythos Arkona
Michael Schirren (Stralsund): Der Griff an den Bart ... Die Gatschower Götterfigur und ihre Verwandten
Paweł Szczepanik (Torun): Early Medieval Bronze Sheaths with Zoo- and Anthropomorphic Ornamental Fittings from Poland – mythical Pictures and their Content
Alexander Sakuth (Göttingen): Ein ostkirchliches Enkolpion in Mecklenburg-Vorpommern
Ingo Petri (Berlin): Eine Triglav-Darstellung aus dem Spätmittelalter?
Katrin Frey (Prenzlau): Der „Wendengötze von Weggun“ – zur neuzeitlichen Fälschung frühgeschichtlicher Kultobjekte im nordostdeutschen Gebiet
Drahomíra Frolíková-Kaliszová (Prag): Crosses as proof of the Christianisation in Great Moravia
Nad’a Profantová (Prag): New archaeological evidences of traces of pagan rituals in Bohemia
Kateřina Tomková (Prag): Imprint of the commemeration of the dead in Early Medieval Bohemia
Jan Frolík (Prag): Prague Castle cemeteries in the early Middle Ages. Attempt to social interpretation
Soňa Hendrychová (Prag): Zwei großmährische Gräberfelder in Rajhrad und Rajhradice
Cecila Hergheligiu (Berlin): Ramutten – ein wiederentdecktes mittelalterliches Gräberfeld im Memelland. Studien zur materiellen Kultur im westbaltischen Raum

Aktuelles aus der Forschung

Jens Schneeweiß (St. Petersburg): Aktuelle archäologische Forschungen zu den frühen Slawen am Pripjat, Weißrussland
Jasper von Richthofen (Görlitz): Hacksilberschätze in der Oberlausitz – Überlegungen zur Herkunft des Silbers im frühmittelalterlichen Ostmitteleuropa
Andreas Kieseler (Breslau): Die Eisenschüsseln vom sog. Schlesischen Typ im westslawischen Raum – ein Überblick zu Verbreitung, Datierung und Funktionsdeutung
Ottilie Blum (Berlin): Neue Grabungsbefunde vom mittelalterlichen Burgwall Hildagsburg bei Wolmirstedt
Thomas Kinkeldey (Grimmen): Der slawische Burgwall von Repten (Niederlausitz) – Bebauung, Nutzung und Funktion
Normen Posselt (Göttingen): Mittel- und spätslawische Siedlungsfunde von Wodarg, Lkr. Mecklenburgische Seenplatte
Philipp Roskoschinski (Berlin): Bewaffnung und Rüstung auf dem Gebiet des Liutizenbundes vom 10. bis 12. Jahrhundert
Bettina Jungklaus (Berlin): Slawen in Potsdam – Ergebnisse der anthropologischen Untersuchungen an den Skeletten vom Gräberfeld Brauerstraße
Marlies Konze (Schwerin), Die slawischen Burgen unter dem Schweriner Schloss – eine Zwischenbilanz


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