Zwischen Sacrum und Profanum. Sakrale Topografie der Stadt in Mitteleuropa

Zwischen Sacrum und Profanum. Sakrale Topografie der Stadt in Mitteleuropa

Organisatoren
Polnische Historische Mission / Stadtarchiv Würzburg / Nikolaus-Kopernikus-Universität Toruń / Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Ort
Würzburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2016 - 20.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Oskar Ters, Sozialgeschichte, Universität Wien

Die Stadt bildete seit jeher ein eigenes Universum für ihre Bewohner. Die architektonische Beschreibung ihrer Örtlichkeiten folgte den Erwartungen des Stadtgründers, der späteren Stadtherren und der städtischen Eliten. Eine sehr wichtige Rolle spielten oft bereits bei der Entstehung einer Stadt und in ihrer weiteren Entwicklung sakrale Gebäude, vor allem Kirchen und Klöster. In den Stadtgrundriss wurde zum Beispiel im Mittelalter gern ein durch die Kirchen gebildetes Kreuz komponiert, die „in modum S. Crucis" gebaut wurden – ein „Kirchenkranz" entstand, der den Bewohnern den Beistand Gottes sichern sollte und auch zu einem wichtigen Element der Stadtbefestigung werden konnte. Die Städte dehnten sich in der Folge mehr oder weniger in die erwarteten Richtungen hin aus. Das führte oft zur Verschiebung des Stadtzentrums, so dass sich einige geistliche Bauten nicht mehr im Zentralbereich befanden. Andere ursprünglich am Rande lokalisierte Gebäude, wie zum Beispiel Klöster der Bettelorden, konnten dagegen topografisch „avancieren". Die Konzepte der Stadtplanung haben in den Jahrhunderten die jeweilige Situation aufgenommen und nach unterschiedlichen Regeln versucht, die alte und neue Bebauung zu verbinden.

Ziel der Tagung war es, die Gründung und Entwicklung der Städte in Mitteleuropa in Hinblick auf die Rolle der sakralen Gebäude und Orte darzustellen. Im Besonderen sollten die überregionalen und transkulturellen Faktoren der geistlichen auf die Entwicklung der Städte beleuchtet werden.

Im Eröffnungsvortrag führte ANDRZEJ RADZIMIŃSKI (Toruń) detailliert in die Entwicklung der Stadt Thorn im Mittelalter ein. Dabei verwies er auf die Wichtigkeit der unterschiedlichen Orden, welche sich in Thorn angesiedelt hatten und ihre Aufgaben in der Bevölkerung. Als wichtigsten Unterschied präzisierte er den abstrakten Einfluss des Deutschen Ordens verglichen mit dem bürgernahen der Bettelorden. Ab dem 14. Jahrhundert übernahm der Stadtrat Thorns jedoch die Stadtplanung und der Deutsche Orden trat in den Hintergrund. Doch auch der Stadtrat selbst geriet mit Fortgang der Geschichte immer mehr unter den Einfluss des Culmer Bistums.

Danach begann der erste Themenblock mit dem Titel Kirchenplanung in der Stadt. Der Begriff „Topographie“ wurde von MAREK SŁON (Warszawa) in Frage gestellt und das Thema auf den Begriff „Raum“ eingeschränkt, der durch etwas Göttliches definiert sei. Selbiger sei messbar, vor allem wegen der Reliquien, welche in einer Stadt vorhanden waren. Mittels Prozessionen wurden diese präsentiert und griffen in die sakrale Veränderung der Stadt ein, womit es keine allgemeine sakrale Topographie einer Stadt gegeben haben konnte. Der Kontakt mit Gott innerhalb einer Stadt kann demnach auch nicht wissenschaftlich definiert werden. Zwar wurde in den bildlichen Quellen des Mittelalters die Stadt auf die sakralen Gebäude reduziert, wie u.a. Słon anhand der Gemälde Schedels erörterte, doch muss die sakrale Topografie auf mehrere Dimensionen ausgelegt werden und darf nicht auf die Räume an sich beschränkt sein. Die orthodoxen geographischen sakralen Räume Warschaus waren dann im anschließenden Vortrag Gegenstand von PIOTR ZUBOWSKI (Wrocław). Er zeigte geschichtliche Veränderungen der orthodoxen Kirchen während des Ersten Weltkriegs auf und bot damit einen zeitlich und räumlich stark eingegrenzten Topos. Auch JAN SALM (Łódź) blieb in dieser Zeit und erörterte, dass bis zu einhundertfünfzig Kirchen während des Ersten Weltkriegs in Schlesien ganz oder teilweise zerstört worden waren. Die neuen Kirchen sollten Elemente enthalten, die Ostpreußen als eigene sakrale Region charakterisierten. Mit Beispielen für Allenburg, Soldau und andere wurde diese Entstehung eines sakralen Raumes unterlegt.

Der anschließende Themenblock hatte die Symbiose von Kirche und Stadt im Mittelalter als Thema. NATHALIE KRUPPA (Göttingen) zeigte den Ausbau der Bischofsstadt Hildesheim zu einer Heiligen Stadt mit Beginn im 10. Jahrhundert bis zur Schließung des Kirchenkranzes im 12. Jahrhundert. Kruppa war wichtig zu betonen, dass einst außerhalb der Stadt gelegene sakrale Gebäude, später in den Kirchenkranz eingebunden wurden. Die Kirchen des Kranzes spielten für die Leichenprozessionen ab dem 10. Jahrhundert eine bedeutende Rolle, womit sie an die These Słons anschloss, dass die Topographie nicht alleine räumlich gesehen werden darf. LESZEK ZYGNER (Ciechanów) versuchte mittels der Entstehung der Stadt Płock zu zeigen, dass heutige sakrale Bauten nicht von Beginn an diese Bedeutung hatten.

Der dritte Themenblock umfasste die Sakraltopographie unter dem Vorzeichen frühneuzeitlicher Konfessionalisierung. WOLFGANG WÜST (Erlangen – Nürnberg) stellte klar, dass es keine klaren Trennlinien zwischen Sacrum und Profanum bis hin ins 18. Jahrhundert gegeben haben konnte, da keine geschlossene Grundherrschaft bestanden hatte. Er berief sich auf Reiseliteratur und andere Aufzeichnungen, welche diese nicht normierte Topografie aufzeigten. So konnten eigentlich bestehende innerstädtische Grenzen von „Touristen“ ohne Probleme überschritten werden. Am Beispiel Augsburg konnte Wüst mittels Feuerschutzbestimmungen und Ungeldbelegen die Zerrissenheit der sakralen und profanen Topografie verdeutlichen. In Augsburg verfielen diese Grenzen dann jedoch mit der Reformation, wie auch die Gebäude darin. THOMAS RICHTER (Aachen) griff das Thema der Reformation auf und hob die einstige Bedeutung der Grenzstadt Vaals hervor. Er verdeutlichte die Vielzahl der unterschiedlichen Gebetshäuser mehrerer Konfessionen in diesem kleinen Ort, der sich mit der Rekatholisierung Aachens als Rückzugsort der Protestanten Aachens anbot. Die von Richter so genannte „Sonntagsmigration“ fand durch Aachener Protestanten zum Messgang nach Vaals statt. Die einzige Kirche in Vaals wurde somit anfangs für drei Konfessionen bespielt, bis sie sich ab dem 17. Jahrhundert in mehrere Gebäude aufspaltete. Konträr dazu zeigte IRMA KOZINA (Katowice), dass Katowice erst im 19. Jahrhundert von Privatunternehmern als Stadt der Industriellen Revolution gegründet worden war. Die Straßen der Stadt wurden einem astronomischen Observatorium nachempfunden und das Zentrum abseits der Kirchen und der Synagoge neu geplant. Die Gründer der Stadt und die späteren Stadträte waren Freimaurer, deren Loge sich gegenüber des Rathauses befand. Diese Loge war dann auch das sakrale Zentrum der Stadt, was Kozina aber erst im Zuge ihrer Forschungen herausgefunden hatte.

Der Abendvortrag von CASPAR EHLERS (Frankfurt) begann mit einer Definition der Rechtsräume und bot einen Überblick der Forschung beginnend von den Civitates bis hin zur „Ottonischen Stadt“. Als eines von drei Beispielen dafür diente Würzburg, das sich als planmäßige Anlage einer Bischofsstadt mit römischen Elementen entwickelte. Als zweites Beispiel lieferte Ehlers Gandersheim als eine Spiegelung der Innen- und Außenstadt. Drittens führte er Gelnhausen als Königspfalz an, welche jedoch nicht als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Stadt fungierte. Aufbauend darauf folgten seine Thesen für die planmäßige Entwicklung der Stadt: Bei geistlichen Städten lag der Marktplatz im Zentrum, ganz zentral lag die Kirche. In der Stadt selbst entstand eine Sakraltopographie. Daraufhin entstanden Quartiere und das präsente Umland wie Adelshöfe, Klosterhöfe usw. Das tatsächliche Umland wurde durch Ummauerung abgeschottet.

Der zweite Tag der Tagung begann mit dem Themenblock: Klöster als Städteplaner. Als Ausgangspunkt seiner Forschung wählte THOMAS KÜNTZEL (Stuttgart) Naumburg an der Saale. Dessen Stadtplanung entsprach Hameln an der Weser, welches nach dem Prinzip von Horní Dvořiště geplant wurde. Nach Küntzels These erfolgte die Ausrichtung der Stadt nach den Sonnenaufgängen zu Ostern. Mit dieser Berechnung kann die Absteckung der Straßen von Hameln nachgezeichnet und somit die Gründung der Stadt erwiesen werden. Hameln wurde somit von den Fuldaer Mönchen nach Vorbild Roms geplant. Mittels des Wasserlaufs und des Straßenverlaufs wurde der Vergleich mit Rom erbracht. Mit dieser Theorie Küntzles könnte die Gründung der meisten Städte erforscht werden. Der Franziskanerorden als Stadtplaner war für MARCIN MUSIAŁ (Wrocław) Thema. Dieser Grundthese ging Musiał, ausgehend von der Chronica des Bernardo Sannig, nach. Mittels einer Sammlung von Grundstücken, die vom Konvent in Schlesien benutzt wurden, konnte nachvollzogen werden, dass die Klöster zwar immer am Stadtrand lagen, jedoch immer innerhalb der Stadtmauer. Mit den Jesuiten befasste sich SUSANNE LANG (Darmstadt) und präsentierte den Gründer der Jesuiten Ignatius von Loyola als „Inszentrumstrebenden“. Mit den Beispielen Rom und Molsheim versuchte sie die Bautätigkeiten des Ordens zu verdeutlichen.

Der Themenblock Kirchen und Klöster in Polen und Österreich schloss an und führte weitere Orden ein. So wurde die Lebensgeschichte des Bruno von Köln als Gründer der Kartäuser von RAFAŁ WITKOWSKI (Poznań) nachgezeichnet, um auf den sakralen Topos der ersten Klostergründungen in der Steiermark abseits der Städte einzugehen. Im Mittelalter wurden die Klöster dann näher an der Stadt oder sogar in der Stadt gebaut. Witkowski betonte die Wichtigkeit des Ordens für die Entwicklung der Rosenkranzgebete und die reich ausgestatteten Bibliotheken, was Übertritte von Mönchen aus anderen Orden hervorrief. Mit dem Barnabitenorden komplettierte OSKAR TERŠ (Wien) diese Schiene und verfolgte die Entstehung St. Michaels zu Wien von den mittelalterlichen Ursprüngen bis zu den Josephinischen Dekreten. Neben der Bedeutung der Kirche wurde auch die Wichtigkeit des Friedhofes als sakral-profanes Mischterritorium um die Kirche betont. Mit Wegfall desselben verarmte die Kirche im 16. Jahrhundert, bis zur Übernahme des Barnabitenordens im Zuge der Gegenreformation. Mittels Erd- und Gruftbestattungen gelang es dem Orden nicht nur die katholischen Traditionen zu verfestigen, sondern er verhalf der Kirche auch zu Vermögen. MARIA CIEŚLA (Warszawa) wandte sich dann wieder dem Profanem, genauer der Stadt Słuck als Handels- und Gewerbezentrum zu. In der Stadt lebten Bürger mehrerer Konfessionen, hauptsächlich jedoch Orthodoxe, was die Stadt in mehrere sakrale Abschnitte aufteilte. Im 16. Jahrhundert siedelten sich Juden an, der jüdische Anteil weitete sich mit dem 17. Jahrhundert immer mehr aus, bis er an die 40% der Bevölkerung erreichte. Trotz der klaren Trennlinien in der Aufteilung der Stadt, sei es laut Cieśla dennoch nicht möglich Traditionen herauszufiltern.

Der letzte Themenblock lautete Ereignisse und Transformationen in welchem KATEŘINA PRAŽÁKOVÁ (České Budějovice) die Konfessionsanschläge in Krakau erläuterte. In schonungsloser Abfolge zeigte sie die Angriffe im 15. Jahrhundert zwischen Katholiken und Protestanten, nachdem die Calvinisten und Lutheraner einen Friedhof und ein Gebetshaus erworben hatten. Die Taten der Katholiken wurden als Glaubensakt inszeniert, während die Protestanten persönlichen Schaden zufügen wollten. Durch König Stephan Báthory kehrte unter Ankündigung der Todesstrafe Ruhe ein, bis das protestantische Zentrum während eines Stadtfestes unter Abwesenheit des Königs und mit jesuitischer Beteiligung endgültig zerstört wurde. Unter Transformationen definierte CHRISTOFER HERMANN (Gdańsk) Bischöfe oder Orden als Bauherren im Ostseeraum, welche jedoch nur bei Kathedralen aktiv waren. Sonst waren es Landesherren oder Adelige um sich eine Familiengrabstätte zu errichten. Die städtischen Pfarrkirchen wiederum lagen in der Hand der Bürgerschaft. Der Kirchenbau sollte nur den Bürgern zugutekommen und die Stadt wegen des Baus der Kirche florieren. Im Laufe der Jahrhunderte entstanden deswegen aber permanente Streitigkeiten zwischen Pfarrer und Kirchenvätern bezüglich der Kompetenzen und Finanzen. Abschließend ermittelte HELMUT FLACHENECKER (Würzburg) die Veränderung der Natur durch den Menschen, sowohl profan als auch sakral nach der Gegenreformation. Mittels der Landschaft sei es sichtbar, ob man sich auf katholischen oder protestantischen Gebiet befände. Bildstöcke sollen auf den Reisenden einwirken und gehören heute zu einer als „schön“ definierten Landschaft. Bildstöcke symbolisierten hauptsächlich Marienfrömmigkeit, welche vom Laienvolk hergestellt und finanziert wurden. Gleiches gälte für Kreuzigungsgruppen, sie entstanden im 18. Jahrhundert und wurden wiederum von den Bürgern aufgestellt. Solche Kreuzigungsszenen konnten jedoch auch die Rivalität von zwei Bistümern aufzeigen.

In Anbetracht der breitgesteckten Fülle an Themen dieser Tagung zu sakraler und profaner Stadtplanung, blieb letztlich die Erkenntnis, dass tiefer und spezieller geforscht werden muss. Vor allem die eigentliche Definition von „sacrum“ und „profanum“, wie sie in den unterschiedlichen Beiträgen ausgelegt wurde, verdiente eine genauere Differenzierung. In einer Publikation der historischen polnischen Mission werden die Beiträge dieser Tagung veröffentlicht werden.

Konferenzübersicht:

Andrzej Radzimiński (Toruń): Die Pfarrkirche St. Johannes in der sakralen Topographie der Stadt Thorn im Mittelalter

Halina Manikowska / Marek Słoń (Warszawa): Über zwei Dimensionen hinaus. Die sakrale Topographie nach innen und nach oben

Piotr Zubowski (Wrocław): Sacrum oder profanum? Problem des russisch-orthodoxen Sakralbaus in Warschau in der Zeit der Zweiten Polnischen Republik (1918-1939)

Jan Salm (Łódź): Neue Kirchen in der städtischen Landschaft Ostpreußens (1918-1945)

Nathalie Kruppa (Göttingen): Rund um den Mariendom. Der Hildesheimer Kirchenkranz im Mittelalter

Leszek Zygner (Ciechanów): Sakrale Topografie der mittelalterlichen Płock

Wolfgang Wüst (Erlangen-Nürnberg): Drei Städte und ihre geistlichen Immunitäten - Augsburg, Bamberg und Regensburg nach der Reformation

Thomas Richter (Aachen): Zehn Häuser und fünf Kirchen. Zur Sakraltopografie der Siedlung Vaals vor den Toren der Reichsstadt Aachen (1649-1802)

Irma Kozina (Katowice): Die Sakraltopographie einer Stadt im 19. Jahrhundert. Das oberschlesische Kattowitz und seine ersten Kirchen

Caspar Ehlers (Frankfurt): Rechtsräume in der Stadt

Thomas Küntzel (Stuttgart): Mönche als Stadtplaner? Hochmittelalterliche Stadtgründungen zwischen profanen und sakralen Konzeptionen

Marcin Musiał (Wrocław): Die Kirchen und Klöster der Franziskaner-Reformaten in dem neuzeitlichen Stadtraum in Schlesien. Bedeutung und Grenzen des franziskanischen Sakralraums

Susanne Lang (Darmstadt): Jesuiten im Zentrum - die Bautätigkeit der Jesuiten als Prozess der Visualisierung und Codierung von städtischen Bezugsräumen

Rafał Witkowski (Poznań): Kontemplatives Kloster in der spätmittelalterlichen Stadt

Oskar Terš (Wien): Vom Rand in den Grund. Der Bedeutungswandel der Hofpfarrkirche St. Michael für die Wiener Gesellschaft zwischen Renaissance und Barock

Maria Cieśla (Warszawa): Cerkiew, Zbór, Synagoga, Kościół - über den sakralen Raum der Stadt Słuck im 17. und 18. Jahrhundert

Kateřina Pražáková (České Budějovice): Der Kampf um sakralen Raum in Krakau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Christof Hermann (Gdańsk) Kirchenväter und Kirchenstiftungen

Helmut Flachenecker (Würzburg): Sacrum und Profanum im Umland

Andrzej Radzimiński (Toruń): Kollektives Gedächtnis und historische Erinnerung. Über die Gründe für das Vergessen der Vergangenheit