Das Reich der Vandalen und seine Vorgeschichte(n)

Das Reich der Vandalen und seine Vorgeschichte(n)

Organisatoren
Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Institut zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens (IEMAN) in Paderborn
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
14.01.2005 - 15.01.2005
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Von
Manuel Koch, Universität Paderborn

Am 14. und 15. Januar 2005 fand in Wien ein vom Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und vom Institut zur Interdisziplinären Erforschung des Mittelalters und seines Nachwirkens (IEMAN) in Paderborn veranstalteter Workshop mit dem Titel "Das Reich der Vandalen und seine Vorgeschichte(n)" statt. Das Ziel dieser Veranstaltung, die neben dem Engagement der beiden genannten Institutionen durch die Unterstützung aus Mitteln des neue gegründeten Wittgenstein-Projekts (das aus der Verleihung des gleichnamigen österreichischen Wissenschaftspreises an Walter Pohl hervorgegangenen ist) möglich wurde, war es, einer international und interdisziplinär zusammengesetzten Gruppe von Wissenschaftlern die Möglichkeit dazu zu bieten, den aktuellen Forschungsstand zur Vandalenforschung zu präsentieren und zu diskutieren.

Um die Tagung in ihrem inhaltlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext erscheinen zu lassen, zunächst einige einleitende Worte: Jene Epoche, in der sich der Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter vollzog, wird in der deutschen Wissenschaftssprache traditionell als "Völkerwanderungszeit" bezeichnet. Das Bild von riesigen Menschenzügen, die quer durch Europa wanderten, welches dieser Begriff suggeriert, basiert auf dem lange währenden Verständnis dieser Epoche: Aus den Berichten vor allem römischer Historiographen und mit Hilfe vermeintlich dazu korrespondierender archäologischer Funde rekonstruierte man die Wanderbewegungen einzelner und von der Wissenschaft als germanisch klassifizierter Völker, wie beispielsweise der Goten, Franken, Langobarden oder Vandalen, an deren Ende in einigen Fällen die Gründung eines selbständigen (germanischen) Königreiches auf dem Boden des ehemaligen Weströmischen Reiches stand. Als verbindendes Element dieser Menschengruppen, im Laufe ihrer oft Jahrzehnte und manchmal Jahrhunderte währenden Wanderschaft, wurde dabei ihre ethnische Abstammung erachtet. Dem beinahe idyllisch unmutenden Bild von der Völkerwanderung setzten die Wissenschaftssprachen der romanischen Länder das Bild einer barbarischen Invasion entgegen (z. B. grande invasion, invasión bárbara usw.). Aus dieser Perspektive erschien die Zeit vom 3. bis 6. Jahrhundert n.Chr. als eine Periode des Niedergangs und der Zerstörung der antiken Welt. Trotz dieser grundsätzlich verschiedenartigen Akzentsetzungen hat sich im Falle der Vandalen durch den sogenannten "Vandalismus" auch in der deutschen Sprache bis heute das sprichwörtliche Bild von blinder Zerstörungswut festgesetzt. Sollten wir bei den Vandalen also tatsächlich von einer wilden Horde wütender Plünderer ausgehen können? Die gerade skizzierte dualistische Auffassung dieser Epoche ist in der modernen wissenschaftlichen Auseinandersetzung seit einer Reihe von Jahren zugunsten einer anderen Perspektive aufgegeben worden: Mit dem Titel "The Transformation of the Roman World" wurde ein mittlerweile abgeschlossenes wissenschaftliches Großprojekt der European Science Foundation zur "Völkerwanderungszeit" bezeichnet und gleichzeitig ist damit ein neues Verständnis von den Strukturen jener Zeit zum Ausdruck gebracht worden. Die Transformation, d.h. die allmähliche und von einer Vielzahl von Faktoren abhängige Veränderung der spätantiken römischen Welt, ist an die Stelle des Untergangs bzw. der Eroberung getreten.

Im Rahmen dieser neuen wissenschaftlichen Entwicklungen bietet die Geschichte der Vandalen und ihres im Norden Afrikas gegründeten Reiches in mehrfacher Hinsicht ein sehr interessantes Forschungsfeld. Für die Mehrzahl der anderen gentes (wie Goten, Franken etc. mit dem Quellenbegriff heutzutage in der Forschung bezeichnet werden, um die mit inadäquaten Konnotationen belasteten Begriffe wie "Volk" oder "Stamm" vermeiden zu können) sind etwa seit den 1980er Jahren Untersuchungen erschienen, welche ihre Geschichte im Lichte der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse darstellen. Besonders durch das Wirken der Wiener Schule der Historischen Ethnographie sind Fragen zur ethnischen Identität dieser gentes aufgeworfen worden. Während die Quellen für eine ganze Reihe anderer gentes auf diese und andere Fragen hin neuerlich untersucht worden sind, ist das Standardwerk für die Vandalenforschung noch immer die 1955 erschienene Monographie "Les Vandales et l'Afrique" des französischen Historikers Christian Courtois. In seiner Darstellung der vandalischen Geschichte erscheinen die Vandalen noch immer als ein Volk, dessen Ursprünge in einer fernen Vergangenheit, vielleicht in Skandinavien, lagen und dessen Identität sich durch eine einheitliche ethnische Abstammungsgeschichte definierte. Nachdem über einen langen Zeitraum hinweg Stillstand auf dem Feld der Vandalenforschung herrschte - der wohl auch dadurch zu erklären ist, dass keine der modernen Nationen, im Gegensatz zu anderen Beispielen, das "Erbe" der Vandalen für sich in Anspruch nimmt und entsprechende Forschungen förderte - , erfreut sich dieses Thema in neuester Zeit wieder größeren Interesses. Dokumentiert wird dies beispielsweise durch die Ausstellung "Die Vandalen: Die Könige - Die Eliten - Die Krieger - Die Handwerker" in Bevern im Jahre 2003, durch das in Wien angesiedelte Projekt "Historische Ethnographie der Vandalen" und eben nun durch die ebenfalls dort abgehaltene Tagung.

Bei deren Konzeption legten die Veranstalter, namentlich Walter Pohl (Wien) und Jörg Jarnut (Paderborn) sowie deren jeweilige Mitarbeiter Roland Steinacher (Wien) und Guido M. Berndt (Paderborn), besonderen Wert auf eine interdisziplinäre und internationale Ausrichtung des Tagungsprogramms. So waren mit den 12 Archäologen und der gleichen Anzahl an Historikern insgesamt neun Nationen, von Polen bis Tunesien vertreten, womit gleichzeitig in etwa der geographische Raum umrissen ist, in welchem sich die Geschichte und die Vorgeschichte(n) des vandalischen Reiches lokalisieren lassen. Ein so breit gefächertes Forscherfeld konnte in der Vandalenforschung in dieser Form zum ersten Mal zusammengebracht werden.

Im Anschluss an die Begrüßung der Tagungsteilnehmer durch Herwig Wolfram (Wien) und Walter Pohl (Wien) stand der erste Tag ganz im Zeichen der Archäologie. Den Auftakt machte Peter W. Haider (Innsbruck), der in seinem Beitrag "'Vandalen' in Schlesien: Kulturkontakt, Kulturtransfer und Ethnogenese zwischen ca. 100 v. und 200 n. Chr." zunächst die Überlieferungszusammenhänge der frühen Schriftzeugnisse von Ptolemaios, Plinius, Strabo und Tacitus untersuchte, um dadurch Erklärungen für die teils widersprüchlichen Aussagen, besonders zum Verhältnis der Stammesverbände der Lugii und Vandili(i), finden zu können. Die Ergebnisse dieser Analyse verhalfen dazu, Fragen zu den Themen Kulturkontakt und -transfer innerhalb der bisher gängigen Interpretationen der Przeworsk-Kultur aufzuwerfen. Der folgende Vortrag von Andrzej Kokowski (Lublin, "Die Vandalen in Mitteleuropa") lieferte eine detaillierte Analyse der Przeworsk-Kultur und stand dabei unter der besonderen Fragestellung, wie jene archäologische Kultur sich ethnisch identifizieren lasse. Der Referent kam dabei zu dem Ergebnis, dass der archäologische Befund in den Randbereichen der Przeworsk-Kultur zwar nicht ganz eindeutig sei, ihr Kernbereich jedoch deutlich auf eine vandalische Besiedlung hinweise. Der gleichen Thematik stellte sich auch Florian Gauss (Freiburg i. Br., "Ein ethnographisches Bild? Die Definition und Abgrenzung der kaiserzeitlichen Przeworsk- und Wielbark-Kultur"). Durch seine vornehmlich statistische Untersuchung 'kulturdefinierender Merkmale' - wie sie die Archäologie zur Unterscheidung von Sachkulturen verwendet - der beiden genannten Kulturen, gelangte der Vortragende zu dem Ergebnis, dass eben jene Unterscheidungsmerkmale nur sehr ungenaue Kriterien liefern. Davon ausgehend regte er dazu an, dass die moderne Archäologie ihren Kulturbegriff grundsätzlich hinterfragen und die Möglichkeit einer ethnischen Identifizierung einer solchen Kultur zugunsten anderer Fragestellungen in Zweifel ziehen solle.

Wie durch die sehr lebhafte Diskussion im Plenum im Anschluss an diese Vorträge bestätigt wurde, hat die Tagung damit eine zentrale Diskussion der gegenwärtigen archäologischen Forschung aufgegriffen, die weit über das Feld der Probleme im Kontext der Vandalen hinausweist. Durch die fächerübergreifende Interdependenz dürfte die Auseinandersetzung darüber, inwieweit archäologische Funde (vor allem Grabbeigaben) die Möglichkeit zu einer ethnischen Identifikation ihrer Träger bzw. Besitzer zulassen, für alle von größtem Interesse sein, die sich mit Ethnizität in jener Epoche wissenschaftlich auseinandersetzen. Gestützt auf die Funde einiger charakteristischer Fibeln, die er der Przeworsk-Kultur zuordnete, versuchte Jörg Kleemann (Berlin) in seinem Beitrag "Vandals Went West" die vandalische Migration im Westen Europas zu belegen. Im Bemühen der archäologischen Forschungen, alternative Erkenntnisinteressen an die Untersuchung der Funde heranzutragen, hob Sebastian Brather (Freiburg i. Br., "Kleidung, Grab und Identität in Spätantike und frühem Mittelalter") hervor, dass Bestattungen vor allem als ein soziales Phänomen innerhalb einer Gruppe zu verstehen seien, das weniger Aufschluss über die ethnische Identifikation gebe, sondern Informationen zum sozialen Beziehungsgeflecht zwischen den Bestattenden, dem Bestatteten und dem Publikum liefern könne.

Joan Pinar und Gisela Ripoll (Barcelona, "The so-called Vandal Objects of Hispania") gingen der Frage nach, welche Aussagen sich aus archäologischer Sicht über den Aufenthalt der Vandalen auf der Iberischen Halbinsel machen lassen. Hervorgehoben wurde dabei einerseits, dass die wenigen archäologischen Funde, vornehmlich Fibeln und Gürtelschnallen, die bisher stets mit einer vandalischen Präsenz in Verbindung gebracht wurden, eine sehr dürftige Aussagebasis darstellen und diesen andererseits nicht per se eine ethnische Aussagekraft zukomme, sondern das Material erst durch die gemeinschaftliche Interpretation einer Gruppe eine ethnische Bedeutungsebene erhalte. Deswegen sei es für die Archäologie von großer Bedeutung, die einzelnen Funde viel genauer auf ihren jeweiligen archäologischen Kontext hin zu untersuchen, als das bisher geschehen sei. Auf Basis der gegenwärtigen Forschungsergebnisse falle es schwer, sich beispielsweise der Frage zu nähern, ob die Vandalen entweder kaum materielle Spuren hinterlassen haben oder ob diese denen der einheimischen Bevölkerung so ähnlich sind, dass sie nicht oder nur schwer zu unterscheiden sind.

Die drei folgenden Vorträge verlagerten das Problem der archäologischen Vandalenforschung von der Iberischen Halbinsel nach Nordafrika. Christoph Eger (Madrid, "Vandalisches Trachtzubehör? - Zur Herkunft, Verbreitung und Kontext ausgewählter spätantiker Schmuckformen in Nordafrika") hob hervor, dass Kleidung nicht grundsätzlich ein Zeichen ethnischer Identität sein müsse, dass ihr aber sehr wohl auch eine solche Aussagefunktion zukommen könne. Auf der Basis einer Untersuchung der Chronologie und Verbreitung einiger nordafrikanischer Fundstücke stellte der Referent die Frage, ob es sich bei den Kleidungsfunden um solche barbarischer (vandalischer) Herkunft handle oder ob jene Gruppe, die in den Quellen als Vandalen bezeichnet wurde, spätrömisch-frühbyzantinische Kleidung trug. Trotz der eingangs formulierten methodischen Einschränkungen kam Chr. Eger zu dem Ergebnis, dass es sich bei den angesprochenen Funden um vandalische Tracht handle. Ausgehend von der verschwindend kleinen Menge an archäologischen Funden, die ethnisch als vandalisch interpretiert werden könne, und auf Grundlage der neuen Perspektive der Archäologie auf den Einfluss ethnischer Identität auf die Sachkultur, sprach sich Philipp von Rummel (Freiburg i. Br.) in seinem Vortrag "Where have all the Vandals gone? Migration, Ansiedlung und Identität der Vandalen im Spiegel archäologischer Quellen aus Nordafrika" für eine neue Schwerpunktsetzung in der archäologischen Forschung aus: Von einer ethnisch distinktiv orientierten "Archäologie der Vandalen", die sich durch die archäologische Quellenbasis nicht begründen lasse, müsse die archäologische Forschung zu einer alle Lebensbereiche der Gesellschaft gleichermaßen untersuchenden "Archäologie des vandalischen Reiches" kommen, um die entsprechenden Quellen adäquat auswerten zu können.

Für die europäische Forschung von besonderem Interesse war der Beitrag "L'archéologie de l'époche vandale en Tunisie" von Aicha Ben Abed Ben Khader (Tunis) und Fathi Bejaoui (Tunis), da sie die Ergebnisse der verstärkten Bemühungen der tunesischen Archäologie um die Erforschung der Spätantike in ihrem Land präsentierten. Unter den vorgestellten Neufunden brachten zwei Inschriften, in denen König Gunthamund Erwähnung findet, durch ihren sehr weit südlich gelegenen Fundort neue Hinweise auf die Ausdehnung des vandalischen Einflussgebietes im Norden Afrikas. Alexandra Chavarría und Gian Pietro Brogiolo (Padua, "Barbarians and Villas from Vandals to Lombards. V-VIII c.") stellten in ihrem Beitrag einige Ergebnisse siedlungsarchäologisch orientierter Untersuchungen zur Völkerwanderungszeit vor. Besonders anhand der bisher besser erforschten Beispiele des Westgoten- und Langobardenreichs zeigten sie, welche wichtigen Erkenntnisse aus der Untersuchung der Siedlungsstruktur auf deren Kontinuität bzw. Diskontinuität hin die Archäologie auf diese Weise zur Untersuchung der Transformation der spätantiken Welt liefern könne. Für die Archäologie zur Vandalenzeit stehen hier noch weiterführende Untersuchungen aus.

Nach dem archäologisch dominierten ersten Konferenztag stellte der zweite die aktuellen Diskussionen der historischen Forschung in den Blickpunkt. Helmut Castritius (Braunschweig) beleuchtete zu Beginn "Das vandalische Doppelkönigtum und seine ideell-religiösen Grundlagen". Er stellte dabei heraus, dass es sich bei dem sogenannten Doppelkönigtum um eine Herrschaftsform handle, welche die Vandalen von beinahe allen anderen völkerwanderungszeitlichen gentes unterscheide. Dieses Phänomen sei jedoch nicht originär vandalisch, sondern gehe auf Beispiele aus anderen Zeiten und Kulturen zurück, welche die doppelte Anführerschaft der Vandalen in besonderer Weise ideell und religiös legitimiere. In der historischen Forschung ist vielfach versucht worden, einen Zusammenhang zwischen Religion und Ethnizität herzustellen. Andreas Schwarcz (Wien, "Religion und ethnische Identität im Vandalenreich. Überlegungen zur Religionspolitik der Vandalenkönige") zeigte für das Beispiel der Vandalen, dass es zwar gezielt repressive Maßnahmen der homöischen Staatskirche besonders gegen Menschen katholischen Glaubens gegeben habe, dass die Gründe dafür jedoch im Bestreben nach einer politischen Konsolidierung und nicht nach einer ethnischen Differenzierung zu suchen seien. Yves Moderan (Caen) konnte persönlich leider nicht teilnehmen, hatte dankenswerter Weise jedoch seinen Beitrag "Le plus délicat des peuples, et le plus malheureux: Vandales et Maures en Afrique", der von Gisela Ripoll verlesen wurde, zur Verfügung gestellt. Er zeigte darin auf, dass die bisher in der französischen Forschung vorgenommene strikte Unterscheidung zwischen Römern, Vandalen und Mauren in Nordafrika zugunsten einer Sichtweise aufzugeben sei, die sehr stark die Romanisierung dieser Gruppen in das Zentrum der Untersuchungen zu stellen hätte.

Besonders der Aspekt der Migration ist in der Wissenschaft oft stark durch Topoi beeinflusst worden, wie etwa jener der fortwährenden Suche nach Nahrung und Siedlungsland. In den Vorträgen von Javier Arce (Lille, "Vandals in Hispania: Impact, Activities, Identity") und Guido M. Berndt (Paderborn, "Gallia - Hispania - Afrika: Aspekte vandalischer Migration") wurde jedoch deutlich, in welch hohem Maße die Migrationsbewegungen der gens im Zusammenhang mit den noch immer fortwirkenden spätrömischen Strukturen standen. Im Falle der Migration in die Hispania waren sich beide Referenten darüber einig, dass die lukrativen Versprechungen des Usurpators Gerontius, dem die Vandalen in den politischen Wirren des frühen 5. Jahrhunderts in der Hispania militärisch beistehen sollten, viel eher als der Impuls zur "Wanderung" als etwa Nahrungsmangel oder die Suche nach Beute anzunehmen seien. Für die Hispania stellte J. Arce ferner heraus, dass es dort keine Anzeichen für jene sprichwörtlich "vandalische" Verwüstungen gegeben habe, sondern alles darauf hindeutet, dass die Vandalen sich innerhalb des bestehenden Systems etablierten. Mit Blick auf die erstaunliche Geschwindigkeit, mit welcher die Vandalen 429 nach dem Überbrücken der Meerenge im Norden Afrikas nach Hippo Regius gelangten, führte G. M. Berndt aus, dass dabei nicht von dem so oft angeführten "Marsch durch die Wüste" auszugehen sei, sondern dass die Vandalen diesen Weg ebenfalls mit dem Schiff bestritten hätten. Ferner hob der Referent hervor, dass die Migration für die Ethnogenese der Vandalen eine bedeutende Rolle gespielt habe, diese ihren Abschluss jedoch erst durch die besonderen Bedingungen der nordafrikanischen Reichsbildung habe finden können.

Die beiden abschließenden Beiträge suchten herauszuarbeiten, was sich hinter der Bezeichnung "vandalisch", wie das nordafrikanische regnum und seine gens betrachtet wurden, in den Quellen verbirgt. Besonders am Beispiel von Prokops Gotengeschichte konnte Alessandra Rodolfi (Parma, "Byzantine Propaganda and the Identity of Vandal Africa") nachweisen, dass ethnische Bezeichnungen in den byzantinischen Quellen als ein Teil der politischen Propaganda zu verstehen seien. Konkret habe die Betonung ethnischer Zuweisungen der Bevölkerung des regnum, als Römer bzw. Vandalen, je nach der Lage der diplomatischen Beziehungen zwischen Byzanz und dem Vandalenreich gewechselt. Im Anschluss an diesen interessanten Einblick in die byzantinische Wahrnehmung betonte auch Roland Steinacher (Wien, "Gruppen und Identitäten. Überlegungen zur Bezeichnung 'vandalisch'"), dass vandalische Identität als eine politisch-soziologische Größe und nicht als eine "völkische" greifbar werde. Er machte dabei deutlich, dass das Ethnikon "vandalisch" eine prestigeträchtige Interpretation erfuhr und als solche Eingang in die bestehenden Deutungsmuster der römischen Mittelmeerwelt erfuhr. Die ältere Forschung sei dabei zu sehr den ethnisch distinguierenden Deutungsmustern verhaftet gewesen, um zu erkennen, dass sich hinter dieser Bezeichnung Strukturen verbergen, die weitgehend mit römischen Traditionszusammenhängen vereinbar waren.

In seinem Schlusswort hob Jörg Jarnut (Paderborn) hervor, dass die in Ermangelung neuerer Arbeiten gleichen Zuschnitts noch immer maßgebliche Gesamtgeschichte der Vandalen von Ch. Courtois, mit ihrer trennenden Darstellung von ethnisch klassifizierten Gruppen wie Römern, Vandalen und Berbern dem heutigen Forschungsstand nicht mehr gerecht werde. Die Tagung habe vielmehr deutlich gezeigt, dass auch die Geschichte der Vandalen unter dem Blickwinkel der "Transformation of the Roman World" gesehen werden müsse. In diesem Transformationsprozess habe ein Ethnikon, wie etwa "Vandalen", keineswegs einen Widerspruch zu den spätantiken Strukturen dargestellt, sondern eine Kriegerelite wie die Vandalen, die zudem im Dienst des römischen Imperium standen, habe in diese spätrömische Gesellschaft eingegliedert werden können, ohne unüberbrückbare Widersprüche hervorzurufen.

Die Tagung kann für sich in Anspruch nehmen, einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet zu haben, die Forschung zur vandalischen Geschichte auf einem interdisziplinären und internationalen Niveau in wesentlichen Punkten vorangetrieben zu haben. Durch die Auswahl der Referenten ist es den Veranstaltern gelungen, die nach Nationen, Disziplinen und auch Wissenschaftsgenerationen getrennten Diskussionen, die oftmals gleichzeitig nebeneinander geführt werden, gewinnbringend zusammenzuführen. Denn neben den bereits angesprochenen Aspekten der internationalen und interdisziplinären Zusammensetzung des Teilnehmerfeldes, ist die Mischung aus jungen Nachwuchswissenschaftlern und arrivierten Forschungsgrößen im Rahmen dieser Tagung besonders hervorzuheben. Die von dem Workshop ausgehenden Impulse sollen der Forschung in Form eines noch in diesem Jahr erscheinenden Tagungsbandes zur Verfügung gestellt werden.


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