„Mich zu verlieren / Bin ich da“. Über Selbstverlust und Welterfahrung in der Moderne

„Mich zu verlieren / Bin ich da“. Über Selbstverlust und Welterfahrung in der Moderne

Organisatoren
DFG-Graduiertenkolleg 1608 „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung“, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.05.2019 - 11.05.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Donata Weinbach, Germanistik/Literaturwissenschaft, Universität Bremen

Radikale Erfahrungen der Selbstentfremdung standen im Zentrum einer interdisziplinären Tagung, die vom 9. bis 11. Mai 2019 an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg stattfand. Phänomene wie rituelle Besessenheit, Selbstauflösung in der Menschenmasse, Selbstaufgabe in der Liebe, psychotische Selbstlosigkeit, religiöse Trance oder das Sich-Verlieren in einer fremden Kultur gehörten zum anvisierten Themenfeld, das durch die Schlagworte Selbstverlust und Passivität abgesteckt wurde. Damit wurden bisherige Forschungen des gastgebenden DFG-Graduiertenkollegs „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung“ kontrastiert, die in praxistheoretischer Perspektive unterschiedliche Weisen der Subjektkonstitution erörtern.

Die im Tagungstitel aufgegriffenen Verse der Dichterin Ilse Schneider-Lengyel, „Mich zu verlieren / Bin ich da“ umspannen das Verhältnis zwischen Selbst und Welt sowie Selbstermächtigung und Selbstverlust, das von den Beitragenden aus Literaturwissenschaft, Soziologie, Philosophie und Ethnologie immer wieder neu befragt wurde. Angeregt durch phänomenologische und kulturwissenschaftliche Perspektiven einer noch jungen Passivitätsforschung warfen die Veranstalter grundlegende Fragen zum Verhältnis von Selbst und Welt unter dem Vorzeichen einer Verlusterfahrung auf: Wie lässt sich die Beziehung eines Selbst zur Welt beschreiben, wenn die Subjektseite dieser Beziehung sich in Auflösung erfährt? Und inwiefern sind Ohnmachtserfahrungen von Passivität und Selbstverlust in der Moderne virulent, einer Epoche, die Subjektivität zumeist entlang von Aktivität und Produktivität bestimmte?

In ihrem Einführungsvortrag stellten die Organisatoren BJÖRN BERTRAMS (Oldenburg) und ANTONIO ROSELLI (Magdeburg) theoretische Überlegungen zum Selbstverlust in der Moderne an. Entgegen der in der abendländischen Philosophie lange vorherrschenden Vorstellung einer gesicherten Subjektivität als Voraussetzung für jeglichen Weltbezug sei die Moderne gerade durch die Störungen des Selbst-Welt-Bezugs gekennzeichnet. Als eine Variante dieser Störungen komme der Selbstverlust in zwei unterschiedlichen Ausprägungen in Betracht: als Verlust des Selbst an die wahrgenommene (im-)materielle Umgebung oder als Verlust des Selbst an eine übergeordnete Größe, wie etwa ein soziales Kollektiv oder eine spirituelle Sphäre. Im Anschluss an die theoretische Konturierung des Phänomenbereichs wurde anhand des kulturanthropologischen und religionssoziologischen Diskurses des 20. Jahrhunderts der wissenschaftliche Zugang zu solchen Phänomenen problematisiert. Die Vortragenden gingen dabei von einem „Nullpunkt“ der Selbstbestimmung aus, der in der Ethnologie mit ihrer methodischen Betrachtung von Riten, Trancezuständen und Ähnlichem einem sozialen Dispositiv angehöre, in dem Selbstverlust als Möglichkeit institutionalisiert sei. Als Kontrapunkte zu einer auf Handlung fokussierten modernen Soziologie wurden Erörterungen von Besessenheit und Ergriffenheit präsentiert, wie sie etwa der Ethnologe Wilhelm Emil Mühlmann oder der Religionshistoriker Karl Kerényi anstellten. Kerényi zufolge sei beispielsweise ein „ekstatisches Selbstsein“ eine zentrale Voraussetzung, um eine spezifische – auch vergangene – Welt zu erfahren. Die Erfahrbarkeit solcher Welten und die Grenzen dieser Erfahrbarkeit wurden im Rahmen der Tagung aufgezeigt und diskutiert.

Einen radikalen Selbstverlust zeigte MARIO GRIZELJ (München) anhand des von Michel de Certeau besprochenen Falls der besessenen Nonnen von Loudun in den 1630er-Jahren. Er betrachtete zum einen das Verhalten der Nonnen, deren Besessenheit insbesondere durch Sprachverlust und Konvulsionen gekennzeichnet war, zum anderen erläuterte er den anschließenden exorzistischen Diskurs von Medizinern, Politikern und Theologen. Dieser Diskurs, weil und indem er benenne, verstelle den Zugang zum unbestimmten Anderen. Grizelj lieferte eine grundlegende Präsupposition, die es bei den Versuchen, das Phänomen des Selbstverlusts zu fassen, mitzudenken galt: Selbstverlust als ein Phänomen existentieller Alteritätserfahrung mit einer Grammatik zu konfrontieren, bedeute, dieses Andere, indem über es gesprochen wird, als Anderes einzuhegen, also seine Alterität zu vermindern. Eine Repräsentation des radikal Anderen im Besessenheitsdiskurs sei also unmöglich – ebenso unmöglich wie eine Selbstpräsenz in der Selbstverlusterfahrung der besessenen Ordensschwestern.

ELISABETH HEYNE (Dresden) stellte anhand von Roger Caillois’ Récit du délogé einen literarischen Erkenntnismodus vor, der sich jenseits der Binarität von aktiv-rationaler Welterfassung und passiv-irrationaler Selbstauflösung bewegt. In Caillois’ Erzählung wird das Bewusstsein des Ich-Erzählers vom Bewusstsein einer Muschel infiltriert, die sich einem Parasiten ähnlich an seinen Körper heftet. Damit literarisiere Caillois die Frage nach dem Sitz des Bewusstseins. Den Selbstverlust verstand Heyne hier als Dissoziation um den Preis des Selbst-Bewusstseins. Der Zugewinn aber sei die Möglichkeit einer Erkenntnis, die außerhalb binärer Modelle eine Dezentrierung des Menschen versuche, bei der zwischen Bewusstsein und singulärem Individuum getrennt werden könne.

JOACHIM FISCHER (Dresden) deklinierte mithilfe von Helmut Plessners philosophischer Anthropologie ausgewählte menschliche Passivitätsphänomene wie die Atmung, die Verdauung und den Schlaf. Selbstverlust wurde von ihm als zentraler Bestandteil einer vita passiva erfasst, der eine „Seinsschichtung“ der soziokulturellen Lebenswelt vorausgehe, bestehend aus vita passiva, vita activa und vita contemplativa. Dabei bildeten die Beispiele nicht-willentlicher Körperbewegungen Belege für einen passiven Ursprung aller Rhythmuserfahrung der soziokulturellen Lebenswelt. Fischer betonte, dass es sich bei dem „Erleiden“ des Atmens, Gebärens oder Sterbens um Beispiele für einen immer schon bestehenden Selbstverlust in der Figur der Widerfahrnis handele.

Der Philosoph MARTIN METTIN (Oldenburg) schloss in pointierter Weise an Joachim Fischers Beitrag an und kontrastierte die phänomenologische Anthropologie mit der negativ-historischen Anthropologie Ulrich Sonnemanns. Im Zentrum des Vortrags stand die „aktiv-passive“ Qualität des Hörens: Widerfahrnismomente seien nicht allein von Passivität gekennzeichnet, sondern enthielten intentional-aktive Aspekte, wie beispielsweise das Hinhören. Anhand von Kafkas literarischer Bearbeitung des Odysseus-Mythos eruierte Mettin die Verfestigung des Sehsinns als Instrument subjektiver Souveränität: Entgegen dem fixierenden Blick einer visuellen Erkenntnismodalität, auf die moderne Rationalität traditionell abhob, sei im Hören der Zugriff auf ein Unverfügbares erhalten geblieben, das Mettin am Beispiel des Hörens in der Psychoanalyse und im Werk Sonnemanns ausbuchstabierte.

Der Ethnologe VOLKER GOTTOWIK (Frankfurt am Main) stellte zwei unterschiedliche Konzepte des Selbstverlusts als Selbstentfremdung vor, die beide eine Angleichung an das Fremde und die damit verbundene Überschreitung eigenkultureller Regeln zugrunde legten. In dem Erfahrungsbericht Keep the River on Your Right (1969) des Ethnologen Tobias Schneebaum werde eine der radikalsten Formen der Annäherung an das Fremde dokumentiert: Schneebaums homosexuelle Kontakte zu den Harakmbut und die Teilnahme an einem anthropophagen Mahl bei seinem Aufenthalt in Peru legte Gottowik als einen Selbstverlust aus, den er als eine temporäre Entbindung von Werten und Normen der eigenen Gesellschaft interpretierte und zugleich als einen Zugewinn von Handlungsoptionen. Eine andere Form des Selbstverlusts skizzierte Gottowik auf der Basis seiner eigenen ethnologischen Forschung in Yogyakarta (Java) anhand des dort von muslimischen Pilgern durchgeführten rituellen Geschlechtsverkehrs (ritual seks). In beiden Fällen würden durch einen mimetischen Prozess Freiräume innerhalb einer Gesellschaft geschaffen, die das Handlungsspektrum der betreffenden Akteure um transgressive Elemente erweitern und den kulturellen Selbstverlust vorläufig positiv besetzen.

Bei ROSA EIDELPES (Konstanz/Berlin) ging es um eine methodisch herbeigeführte Selbstentfremdung, wie sie von einer „alternativen Ethnologie“ (Fritz Kramer) der 1970er- und 1980er-Jahre praktiziert wurde. Eidelpes präsentierte die Gedanken jener am Rand der bundesdeutschen Universitäten entstandenen ethnologischen Subkultur, in der sich unter anderem Fritz Kramer, Thomas Hauschild, Hans-Jürgen Heinrichs und Hans Peter Duerr bewegten. Ein Ziel sei es gewesen, das „skandalöse Ich“ (Heinrichs) westlicher Subjektivität in einer Entfremdung zweiter Stufe aufzuheben. Herbeizuführen wäre diese Entfremdung durch das Studium fremder Kulturen. Die Selbstentfremdung konnte so einer Selbstermächtigung dienen: Die transgressiven Elemente, die Gottowik mit Schneebaum als einen Zugewinn an Handlungsmöglichkeiten eingeordnet hatte, wurden in der Tradition dieser ethnologischen Strömung immer schon als potentielle Selbsterweiterung des ethnologischen Subjekts denkbar. Die „alternative Ethnologie“ stelle in affektiver, erkenntnistheoretischer und ästhetischer Hinsicht ein Projekt der Selbsttransformation dar und übersteige darin jene Tradition, in der das Fremde ein Spiegel des Selbst sei.

Eine gänzlich andere Lesart von Selbstverlust schlug KATHRIN BUSCH (Berlin) vor. Selbstverlust werde in unserer Gegenwart als eine stark heroische Figur gedeutet, in der die letztlich ermächtigende Selbstüberschreitung im Vordergrund stehe. Busch nahm kontrastierend die Figur der Selbstunterschreitung in den Blick, wie schon Foucault sie in seinen letzten Vorlesungen am Beispiel der Kyniker beschrieb. Drei Fälle des „unterbietenden“ Selbstverlusts standen im Fokus: das poetische Unvermögen Antonin Artauds, der Anfang der 1920er-Jahre mit seinen Gedichten dem ästhetischen Anspruch der Nouvelle Revue Française nicht genügen konnte, jedoch für die Gedichte als Zeugnisse einer Zerrüttung des Denkens plädierte; Chris Kraus’ Roman I Love Dick (1997), die autobiographisch von der Selbstaufgabe im Verliebtsein erzählt; und Paul B. Preciados Erfahrungsbericht Testo Junkie (2008) über den Selbstversuch mit synthetischem Testosterongel, der einem Drogenexperiment nahekommt. Anhand dieser Fallbeispiele, bei denen der Selbstverlust gerade nicht in die Selbstermächtigung münde, gelang es Busch, eine dezidiert passivitätstheoretische Perspektive geltend zu machen.

HÉLA HECKER (Oldenburg) richtete ihren Blick mit Hannah Arendts Begriff der Person auf die Beziehung des Selbst zur Welt. Das Selbst komme bei Arendt erst durch die Liebe zur Welt zu sich. Ausgegangen werde dabei von einem apriorischen Verlorensein des Selbst. Erst mit der amor mundi sei das möglich, was das Subjekt zur Person und damit politisch mache. Hecker fasste das Selbst somit als immer schon verloren, bis es jene Verlorenheit in der Selbstpolitisierung aufhebe.

Auch SANDRA JANSSEN (Karlsruhe), die sich theoretischen Konzepten des totalitären Subjekts widmete, betrachtete das Subjekt als selbst-loses Subjekt im Arendtschen Sinne. Sie zeichnete die Selbstlosigkeit als eine Denkfigur der 1930er- und 1940er-Jahre zwischen Psychopathologie und politischer Totalitarismustheorie nach. Im Zentrum stand dabei die Frage, inwiefern die Selbstlosigkeit in der damaligen psychologischen Theoriebildung (Minkowski, Lersch, Sartre) strukturell angelegt sei. So zeigte Janßen den Selbstverlust als einen Ich und Welt verbindenden Dynamismus, bei dem im einen Fall das Ich aus sich heraus (Angst), im anderen über sich hinaus (Ekstase) getrieben werde. Das Ich oszilliere in einer Rolle zwischen Passivität und Allmacht, welche in direktem Zusammenhang zum totalitären Denken stehe. Der Idee des Selbstverlusts komme darin ein notwendiger Platz zu.

ROSEMARY SNELLING (Bochum) erörterte im Rekurs auf Carlo Levis literarische Darstellung von Lukanien das ethnographische Schreiben zwischen den Polen eines persönlichen Selbstverlusts auf der einen und einer poetischen Selbstermächtigung und Aneignung der Fremde auf der anderen Seite. Sie ging dabei von Levis Kunsttheorie aus, die auf eine ideale Weltaneignung ziele, in der Freiheit immer nur ein Freisein innerhalb der passioni als anthropologisch festgelegter Grenzen möglich sei. Snellings Schilderung von Levis Fokus auf die sinnliche Wahrnehmung in Literatur und Ethnographie, hinter der der Wahrnehmungsvorgang selbst zurücktrete, verwies damit indirekt auf literarische Beispiele, die von den Organisatoren eingangs ausgestellt worden waren, wie z. B. Walter Benjamins fiktiver Dialog Der Regenbogen (1915), in dem die Protagonistin Margarethe in einem Traum „keine Sehende“ mehr war, sondern nur noch „Sehen“, oder Heynes Auseinandersetzung mit dem Protagonisten Caillois’, dessen Bewusstsein zu dem der Muschel wird.

ULRICH VAN LOYEN (Siegen) schloss an den Gedanken von passiver Selbstermächtigung als Beitrag zur Moderne an und rekonstruierte die Geschichte eines Besessenheitskultes in Serradarce, Kampanien. Nach dem Unfalltod des jungen Alberto Gonnella 1956 wurde seine Tante von dessen Geist ergriffen, der sich fortan in ritueller Manier regelmäßig durch sie artikulierte und damit den Anlass für eine parakatholische Wallfahrt stiftete. An dieses Phänomen, unter anderem dokumentiert durch den Film Nascita di un culto (1968) von Luigi Di Gianni, richtete van Loyen die Frage, inwiefern statt der vielzitierten arretratezza (Rückständigkeit) des Mezzogiorno ein eigenständiger Modernisierungsaspekt beispielhaft sichtbar werde. Seine Interpretation des Besessenheitskultes machte ein Spannungsverhältnis von Allgemeinheit und Exklusivität deutlich: Eine Frau spreche und werde gehört, weil durch sie jemand spreche, der über allen Zweifel erhaben sei. Er sei wiederum über allen Zweifel erhaben, weil er in dieser Frau spreche. Besessenheit sei in diesem Fall, so van Loyen, ein legitimer Weg zur Subjektivierung einer Person.

MARTIN TREML (Berlin/Wien) führte durch den Bilderatlas Mnemosyne, den Aby Warburg bei seinem Tod 1929 hinterließ und in dem er Bildmaterial aus Hoch- und Populärkultur gesammelt hatte. Diese Sammlung bildete einen umfangreichen transhistorischen Katalog an visuellen Leidensausdrücken, den von Warburg sogenannten „Pathosformeln“. Treml richtete seinen Fokus auf die Tafel 73 und ordnete diesen Teil des Bilderatlas in eine Tradition ein, die Selbstverlust und Weltgewinn miteinander verbinde. Der Bilderatlas sei nicht nur Divinationsinstrument, sondern auch Mittel einer Ekstasetechnik.

Der Soziologe THOMAS ALKEMEYER (Oldenburg), Sprecher des Graduiertenkollegs „Selbst-Bildungen“, begegnete jener von Bertrams und Roselli geäußerten Skepsis gegenüber einer das Subjekt als Agens setzenden wirkmächtigen Theorietradition und verortete den Selbstverlust innerhalb soziologischer Praxistheorie. Selbstverlust fasste Alkemeyer in dem Sinn, dass ein leibliches Selbst in einer vielfachen Vermitteltheit berührt werde, die sich in ihrer Fülle seiner Kontrolle entziehe. Er beschrieb den Selbstverlust praxistheoretisch als situative „Entfähigung“ durch „Unpassung“, zugleich wies er aber auch auf Selbstverlustsituationen hin, in denen eine perfekte Synthese zu bestehen scheine und das Subjekt seine Ichhaftigkeit gegen eine kollektive Erfahrung eintausche (wie z. B. bei der euphorischen Menschenmenge im Fußballstadion).

Eine besondere Rahmung erfuhr die Tagung durch den Beitrag PETER BRAUNs (Jena), der im Podiumsgespräch mit JAN GERSTNER (Bremen) sein neues Buch über die Ethnologin, Fotografin und Dichterin Ilse Schneider-Lengyel präsentierte, aus deren Gedicht Der Rebellen Ahn der programmatische Titel der Tagung hervorgegangen war. Eine ganz eigene Sprache für den Phänomenbereich des Selbstverlusts fand zudem der Künstler ANDREAS TÖPFER (Berlin), dessen im Programmheft abgedruckte Zeichnungen als Kommentare zu einzelnen Beiträgen gelesen werden konnten, in denen sich die TeilnehmerInnen der Tagung (wieder-)finden und gleichermaßen verlieren konnten. Die sich auftuenden Konfliktlinien der verschiedenen Perspektiven auf das Phänomen des Selbstverlusts (etwa zwischen Phänomenologie und Dekonstruktion) wurden von Organisatoren, Beitragenden und Teilnehmenden immer wieder schlüssig zusammengeführt. Ein derzeit entstehender Tagungsband wird den Erkenntnisgewinn der Diskussion dokumentieren.

Konferenzübersicht

Björn Bertrams (Oldenburg), Antonio Roselli (Magdeburg): Einführung: Selbstgewinn und Selbstverlust. Dezentrierungen der Subjektivität im Diskurs der Moderne

Erste Sektion: Selbstverlust als anthropologische Grunderfahrung

Joachim Fischer (Dresden): Exzentrische Positionalität: vita passiva, vita activa, vita contemplativa

Martin Mettin (Oldenburg): Zur Dialektik von Rezeptivität und Spontaneität bei Ulrich Sonnemann

Zweite Sektion: Technik und Praxis des Selbstverlusts

Volker Gottowik (Frankfurt am Main): Sexuelle Transgression und Selbstverlust: Ethnologische Perspektiven

Mario Grizelj (München): „Man spricht mich.“ Die Überdeterminiertheit des Selbstverlusts bei den besessenen Nonnen von Loudun

Abendveranstaltung im Wilhelm 13 (Literaturhaus Oldenburg)

Peter Braun (Jena): „Mich zu verlieren / Bin ich da“. Über Selbstverlust und Welterfahrung im Werk von Ilse Schneider-Lengyel. Buchpräsentation und Gespräch mit Jan Gerstner (Bremen)

Dritte Sektion: Selbstverlust als Wissensform

Kathrin Busch (Berlin): Selbstverlust als Wissensform. Ästhetiken radikalisierter Sensibilität

Elisabeth Heyne (Dresden): Muschel sein. Experimentelle Dissoziation als Erkenntnismodus bei Roger Caillois

Rosemary Snelling (Bochum): Carlo Levis Lukanien als Ort des Selbstverlustes und Möglichkeit der produktiven Selbstermächtigung

Vierte Sektion: Politik und Ethik des Selbstverlusts

Héla Hecker (Oldenburg): Amor mundi. Hannah Arendts Antwort auf Weltverlust

Sandra Janßen (Karlsruhe): „Selbstlosigkeit“ zwischen Mystik, Psychologie und Totalitarismus. Zu einer Denkfigur der 1930er- und 1940er Jahre

Thomas Alkemeyer (Oldenburg): Selbst-Bildung durch Selbstverlust? Über Resonanz, (Ent-)Subjektivierung und Macht in sozialen Relationen

Fünfte Sektion: Transformationen des Selbstverlusts

Martin Treml (Berlin/Wien): Passio als Leid und Leidenschaft. Aby Warburgs Bilderatlas

Ulrich van Loyen (Siegen): Stimme werden, Stimme haben. Trance und Autorisierung in einem kampanischen Kult zwischen 1968 und heute

Rosa Eidelpes (Konstanz/Berlin): Über Ethnologie und Selbst-Entfremdung