Tiere und Hexen – Animal Turn in der Hexenforschung

Tiere und Hexen – Animal Turn in der Hexenforschung

Organisatoren
Arbeitskreis für Interdisziplinäre Hexenforschung
Ort
Weingarten
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2019 - 28.09.2019
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Von
Anne Diblik, Geschichtliche Landeskunde, Universität Trier; Anne Sauder / Kim Sandra Schulz, Frühe Neuzeit, Universität des Saarlandes

Wie WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken) in seiner Einführung zur Tagung erläuterte, erwuchs die Frage nach der Verbindung von Hexen und Tieren aus der Beobachtung, dass erstere auf Bildern nur selten alleine dargestellt wurden, sondern in Begleitung von Eseln, Ziegen, Hasen und anderem tierischen Beiwerk, dessen Bedeutung in vielen Fällen noch ungeklärt ist. Handelt es sich um dekorative oder symbolische Tiere, Alter Egos, verwandelte Hexen oder um verkleidete Dämonen? Wird den Tieren eine eigene Agency zugesprochen oder sind sie Werkzeuge oder gar Opfer der dargestellten Hexen? Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, wurden 22 Forscherinnen und Forscher verschiedener Fachrichtungen und Länder (Argentinien, Dänemark, England, Frankreich, Italien, Österreich, Schottland, Schweden, Spanien, Ungarn, USA und Deutschland) eingeladen, ihre Ergebnisse zu präsentieren. Im gemeinsamen Ideen- und Thesenaustausch erlangten sie dabei nicht nur ein besseres Verständnis für die Bedeutung des Tieres im Hexenglauben, sondern vermittelten einen fundierten, breiten Überblick über die divergierenden, durchaus ambivalenten Dimensionen magischer und teuflischer Tiere sowie deren Wahrnehmung in Mittelalter sowie Neuzeit.

Die erste Sektion, die sich mit anthropologischen Grundlegungen beschäftigte, begann mit dem Vortrag eines der Gründungsmitglieder des Arbeitskreises. Unter dem Titel „Alter Ego-Vorstellungen, Tierverwandlungen und Hexerei in Lateinamerika“ erläuterte IRIS GAREIS (Frankfurt am Main) Aspekte des lateinamerikanischen Schamanismusglaubens, des Nagualismus, und dessen inhärenten Tiervorstellungen. Nagualismus gehört zu den grundlegenden Vorstellungen traditioneller Kulturen weltweit – auch in Europa. Gareis bezog sich auf den je nach Ethnie divergenten Glauben an ein tierisches Alter Ego und erklärte, wie dieser im Zuge der Kolonialisierung mit dem Hexenglauben verknüpft wurde. Der zweite Vortrag stammte von ÉVA PÓCS (Budapest), die das so genannte „Double Being“ in ungarischen Hexereivorstellungen aufzeigte. Die Hexe könne, wie der Teufel, ihren eigenen Körper verlassen und von einem Tier Besitz ergreifen. Diese Vorstellung war bis ins 17. Jahrhundert hinein lebendig und lässt sich in verschiedenen Prozessakten nachweisen. Ein Phänomen, für das bisher noch kein dokumentarischer Beleg gefunden wurde, präsentierte PETRA SCHAD (Markgröningen). In ihrer in den letzten Jahren angelegten Datenbank erfasst die Archivarin Katzenmumien, die in den Zwischenböden diverser Häuser gefunden wurden. Schad geht davon aus, dass die Katzenkörper zum Schutz vor Hexen und Dämonen sowie Feuer und Blitzschlag am späteren Fundort abgelegt wurden. Aufgrund der fehlenden schriftlichen Nachweise bot dieses Thema Raum für spekulative Überlegungen auf Grundlage vergleichbarer Phänomene, an denen sich das Plenum lebhaft beteiligte. Den Abschluss des Abends bildete der Vortrag von JOHANNES DILLINGER (Oxford / Mainz), der über den Zusammenhang von Hexen und Drachen anhand von Prozessbeispielen aus dem Alten Reich referierte. Eine seiner Thesen war, dass das Halten einer magischen Drachenkreatur als Symbol für maßlose persönliche Bereicherung gewertet wurde.

Die zweite Sektion befasste sich unter dem Leitmotiv „mediävistische Mären“ mit der Literatur des Mittelalters und wurde eröffnet von STEPHANIE MÜHLENFELD (Frankfurt am Main) mit einem Vortrag über exotische Tiere und deren Verbindung zu Magie, Zauberei und heilkundlichem Wissen in der mittelalterlichen Literatur. Der Papagei komme zwar als magisches Tier in Erzählungen vor, seine Symbolik sei jedoch seit dem 11. Jahrhundert mit der Heilsgeschichte in Verbindung gebracht worden, was eine negative Konnotation weitestgehend verhindert habe. Christa AGNES TUCZAY (Wien), legte unter dem geänderten Titel „Tiermenschen, Menschentiere und Schlagenfeen. Tierverwandlungsdiskurse in der mittelalterlichen Erzählliteratur“ vornehmlich am Beispiel des Heldenepos Wolfdietrich dar, wie die Tierverwandlung und der Kontakt zum Dämonisch-Wilden zur Probe des Helden werden konnte. Außerdem erläuterte sie die dämonischen Aspekte der Schlangenfee- bzw. Melusine-Narrative bzw. der Erzählungen um die Schwanenjungfrau. FRANK FÜRBETH (Frankfurt) stellte überraschenderweise fest, wie verhältnismäßig selten Mensch-Tier-Verwandlungen in der deutschen Literatur des Mittelalters vorkommen, wahrscheinlich weil – so die These – die Metamorphose weder unterhaltsame noch lehrreiche Elemente für die Zeitgenossen bot.

Die Sektion „Dämonologie und Religion“ eröffnete ISMAEL DEL OLMO (Buenes Aires, Argentinien), der die Bedeutung von Tieren (insbesondere die von Dämonen besessenen Schweine im Land der Gadarener) in der Bibel und deren nachfolgende Exegese untersuchte. Demnach benötigte der Teufel (bzw. seine Dämonen) immer göttliche Erlaubnis, um Materie zu besetzen. Auch FABRIZIO CONTI (Rom) beschäftigte sich mit Tieren im christlichen Kontext und mit dem Zusammenhang zwischen Tieren, Hexerei und Ketzerei. Er erläuterte die Aspekte anhand ausgewählter dominikanischer und franziskanischer Predigten, die zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert in Italien entstanden waren. PETER MARIO KREUTER (Regensburg) widmete sich der Frage „Wie viel Tier ist im Vampir?“ auf der Grundlage seiner Feldforschungen in Rumänien. Dabei entlarvte er moderne Zuschreibungen wie die Fledermausverwandlung des Vampirs als westliches Konstrukt des 19. Jahrhunderts. Den letzten Teil der Sektion übernahm ERIKA MÜNSTER-SCHRÖER (Ratingen), die auf den Zusammenhang zwischen Tier, Magie und Teufel in Johann Weyers „De Praestigilis daemorum“ einging. Demnach wurden den Tieren in ihrer Funktion als Nützlinge und Schädlinge unterschiedliche Funktionen in Weyers Schrift zugeordnet.

Die Sektion „Tierverwandlungen“ begann mit einer kooperativen Präsentation von ALEKS PLUSKOWSKI (Reading) und WILLEM DE BLÉCOURT (London). Pluskowski zeigte mittels zahlreicher archäologischer Funde aus der Zeit vor der Christianisierung die skandinavischen Einflüsse auf das Werwolfmotiv, die vornehmlich auf der Tierverkleidung im Kontext kriegerischer Rituale (Wikinger, Berseker) beruhten. Die Darstellungen und Verkleidungen zeigen den tief verwurzelten Glauben an die Verbindung zwischen Kriegern und Wölfen bis hin zu der Überzeugung, im Kampf fände eine tatsächliche Verwandlung statt. Damit lieferte Pluskowski wichtige Vorinformationen für den Vortrag Willem de Blécourts. Dieser konzentrierte sich auf das Auftauchen des Werwolfmotivs in mittelalterlichen Quellen (mithin vor den frühneuzeitlichen Werwolfprozessen), wobei ihn vor allem die Bedeutung des Mondmotives interessierte. Im Anschluss präsentierte ANDER BERROJALBIZ (Durango) frühe Hexenprozesse aus Navarra (1370), die bisher noch nicht detailliert untersucht worden sind. Es stellte sich heraus, dass bestimmte Komponenten des Hexenglaubens wie beispielsweise die Tierverwandlung, deren Auftauchen bisher in die 1420er-Jahre datiert worden war, bereits in den vorgestellten Fällen des 14. Jahrhunderts zu finden sind. Mit seiner Forschung verschiebt Berrojalbiz den bisherigen chronologischen Rahmen der Hexenforschung und gibt Anlass zu weiteren Untersuchungen vor dem bisher vermuteten Beginn der Hexenverfolgungen. LIZANNE HENDERSON (Glasgow) erläuterte die Rolle von Gestaltwandlern und magischen Tieren in Hexenprozessen und Volksglauben Schottlands. Sie konzentrierte sich auf die vermeintliche Verwandlung von Hexen in milchstehlende Hasen. MARYSE SIMON (Strasbourg) referierte über tierische Körper in lothringischen Hexereiprozessen. Dabei sprach sie die vermeintliche Nutzung von Tieren als Speise bei Hexensabbaten, als Zutat für Schadenszauber und als sexuelle Interaktionspartner an.

ROCHELLE ROJAS (Kalamazoo) berichtete über die religiöse, kulturelle und toxikologische Rolle der Kröte im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Anhand eines spanischen Prozesses aus dem 16. Jahrhundert entwickelte sie die These, dass die Verbindung zwischen Kröten und giftmischenden Hexen aus einer Mischung von Volksglauben, dämonologischen Traktaten sowie biologischen Eigenschaften der Kröte entstanden war. MARIA TAUSIET (Madrid) stellte in ihrem Vortrag zu Kröten und Fledermäusen in spanischen Hexenprozessen aus gendertheoretischer Sicht fest, Kröten seien stets mit dem Weiblichen und der bösen Seite von Hexerei assoziiert worden, während Fledermäuse, denen nachgesagt wurde, sie könnten besondere Kräfte verleihen, mit dem Männlichen verknüpft wurden. Den Abschluss des dritten Tages bildete der Abendvortrag von RITA VOLTMER (Trier), die unter anderem aufgrund neuer Forschungen die Annahme, schädigende Tiere (meist Schweine, die ein Kind verletzt oder getötet haben sollten) seien als vermenschlichte Angeklagte in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Prozessen förmlich vor Gericht gestellt worden, als Konstrukt des 19. Jahrhunderts hinterfragte. Darüber hinaus beschäftigte sich der Vortrag mit jenen Unzuchtsdelikten, in denen Tiere als Sexualobjekte gedient hatten und die nach bzw. mit der Hinrichtung der verurteilten (überwiegend männlichen) Täter gleichfalls getötet wurden. Sie hob die konfessionellen Unterschiede bei der Verfolgung von Bestialität hervor und machte auf deren spezifische publizistisch-mediale Verarbeitung aufmerksam, auch in Verknüpfung mit dem Hexereidelikt.

Am letzten Tag wurden erneut dämonische Tiere vorgestellt, die der Hexe angeblich hilfreich zur Seite gestanden haben sollen. Den Anfang machte JAMES SHARPE (York) mit einem Vortrag zum außerordentlich komplexen Phänomen des englischen familiar spirit, der erstmals in Hexenprozess-Pamphleten des Jahres 1566 erwähnt wird. Diese dämonischen Kreaturen in Tiergestalt übernahmen forthin die Rolle des Verführers und Helfers in zauberischen Taten, die vorher dem Teufel zugesprochen worden war. Sharpe erläuterte seine höchst plausible Theorie, wonach zunächst die so genannte Geneva-Bible (1560) den Begriff der spirits benutzte. Damit wurde ein framework geboten, das unter anderem die Hexen-Pamphlete spezifisch füllen konnten. TOMMY KUUSELA (Uppsala) veranschaulichte anhand verschiedener Malereien aus schwedischen Kirchen das Motiv der Milch stehlenden Hexe, die gemeinsam mit oder in Gestalt von verschiedenen magischen Tieren aufgetreten sein soll (darunter auch als Hase). Zum Abschluss hörten die Teilnehmer den Vortrag von MARIA ØSTERBY ELLEBY (Odense), die über den letzten dänischen Hexenprozess gegen die vermeintliche Hexe Anne Palles berichtete, der mit einem Todesurteil endete. Palles soll der Teufel in Form einer schwarzen Katze namens Puus zur Seite gestanden haben.

Die aufschlussreiche, interdisziplinäre Tagung korrigierte alte Vorstellungen und präsentierte neue Forschungen. Darüber hinaus hat die Tagung gezeigt, dass in Spätmittelalter und Neuzeit Tiere in verschiedenster Weise ein integraler Bestandteil magico-religiöser / dämonologischer Vorstellungen gewesen sind, mithin auch im Volksglauben und in den Hexereivorstellungen. Dies ist in Anbetracht der engen Verbindung zwischen Mensch und Tier sowie der bedeutsamen Stellung von Tieren in den Lebens- und Arbeitszusammenhängen der agrarisch geprägten Frühen Neuzeit freilich wenig verwunderlich. Im jeweiligen rechtlichen, sozialen, politischen und religiösen Kontext bleibt zu überprüfen, wie das Tier angeblich in Erscheinung trat. Sicher muss ein Unterschied gemacht werden zwischen der jeweiligen Stellung des Tieres (Insekt? Säugetier?) in der „chain of being“. Galt die Kreatur als ein „normales“ Tier oder als Dämon in Gestalt eines Tieres, somit nur als die Illusion eines echten Tieres? Wurde dem Tier eine Agency zugesprochen oder ging diese vom Teufel aus? Wie konnte der Mensch zwischen teuflischer Illusion und animalischer Materialität unterscheiden? Welche Rolle spielen Kategorien wie Erfahrung oder Emotion im Umgang mit dem nicht-menschlichen Tier? Diesen und weiteren Fragen müssen zukünftige Forschungen nachgehen. Erinnert sei daher an den thematisch offenen Workshop des AKIH vom 20. bis zum 22. Februar 2020, wo etablierte Wissenschaftler und Nachwuchsforscher ihre aktuellen Projekte aus dem Bereich der Magie- und Hexenforschung vorstellen werden.

Konferenzübersicht:

PETRA STEYMANS-KURZ (Stuttgart): Begrüßung

WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken): Einführung

Sektion 1: Anthropologische Grundlegungen

IRIS GAREIS (Frankfurt am Main): Alter Ego-Vorstellungen, Tierverwandlungen und Hexerei in Lateinamerika

ÉVA PÓCS (Budapest): Second Body, Helping Spirit, or Something Else? Hungarian Witch Animals 1520-2012

PETRA SCHAD (Markgröningen): Katzenmumien als Abwehrzauber – archäologische Befunde und schriftliche Quellen

JOHANNES DILLINGER (Oxford / Mainz): Hexen und Drachen

Sektion 2: Mediävistische Mären

STEPHANIE MÜHLENFELD (Frankfurt am Main): Schön, klug, magisch. ‘Exotische’ Tiere im Kontext von Magie, Zauber und heilkundlichem Wissen

CHRISTA AGNES TUCZAY (Wien): Von der Schlagenfee zur dämonischen Geliebten. Tierverwandlungsdiskurse in der mittelalterlichen Erzählliteratur

FRANK FÜRBETH (Frankfurt am Main): Mensch-Tier-Verwandlungen in der deutschen Literatur des Mittelalters

Sektion 3: Dämonologie und Religion

IDEL OLMO (Buenes Aires): Pigs, Serpents, and Demons: Uses of Possessed Biblical Animals in Early Modern Europe

FABRIZIO CONTI (Rom): Between the Religious and the Devilish. Animals and Their Significance in Witchcraft and Beyond

PETER MARIO KREUTER (Regensburg): Wieviel Tier ist im Vampir? Ein kritischer Blick auf die Bedeutung von Tieren im volkstümlichen Vampirglauben

ERIKA MÜNSTER-SCHRÖER (Ratingen): Rattenfänger, schwarzer Hund und schwache Frau. Tier, Mensch und Teufel … in Johann Weyers „De Praestigiis daemonum“

Sektion 4: Tierverwandlungen

ALEKS PLUSKOWSKI (Reading): The Pre-Christian Origins and the Legacy of Werewolves in Nothern Europe

WILLEM DE BLÉCOURT (London): Can Geography replace History? Medieval Werewolves mapped out

ANDER BERROJALBIZ (Durango): The Sorcery Trial against Pes de Guoythie and Condesse de Beheythie (Lower Navarre, years 1370). Metamorphosis into Animals, Child-killing and „Boquelane“

LIZANNE HENDERSON (Glasgow): „I sall goe intill ane haire“. Shapeshifters and Magical Hares in Scottish Witchcraft and Folk Belief

Sektion 5: Hexerei und Tiere im Strafprozess

MARYSE SIMON (Straßburg): The Use and Abuse of Animals in Witchcraft. Flesh and Sexual Bodies

ROCHELLE ROJAS (Kalamazoo): Plenæ veneficiorum. Toads and Witchcraft in Premodern Europe

MARIA TAUSIET (Madrid): Dressed Toads & dead Bats. Gendered Magic in Early Modern Spain

RITA VOLTMER (Trier): Mörder, Verführ(t)er, Gefäß des Teufels. Das Tier in europäischen Strafverfahren

SHARPE (York): The English Animal Familiar. Towards an Ideological Framework

TOMMY KUUSELA (Uppsala): Milk Hares and Troll Cats. Stealing Milk with the Help of Supernatural Creatures

MARIA ØSTERBY ELLEBY (Odense): A Cat Called Puus – The Devil in the Guise of a Household Pet. The late Witch Trials in Denmark and the Role of Diabolic


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