Zwischen Image und Aufklärung: Public Relations, Wirtschaftsjournalismus und Unternehmen im Deutschland des 20. Jahrhunderts

Zwischen Image und Aufklärung: Public Relations, Wirtschaftsjournalismus und Unternehmen im Deutschland des 20. Jahrhunderts

Organisatoren
Bernhard Dietz / Eva-Maria Roelevink / Tanjev Schultz, Gutenberg Workshop; Arbeitskreis für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte e.V. (AKKU)
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2019 - 16.11.2019
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Von
Johannah Weber, Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Die interdisziplinär zwischen Geschichts- und Kommunikationswissenschaften ausgerichtete Tagung des Gutenberg Workshops und des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte e.V. (AKKU) widmete sich dem Spannungsfeld von Public Relations, Wirtschaftsjournalismus und Unternehmen im 20. Jahrhundert. Die Untersuchung der konkreten PR-Strategien von Unternehmen und industriellen Verbänden, eine kritische Geschichte des Wirtschaftsjournalismus sowie deren wechselseitige Beziehung zueinander bilden ein Desiderat in der Forschung.

Zum Auftakt sprach VOLKER BERGHAHN (New York) über das Verhältnis von Wirtschaftspresse und industriellen Spitzenverbänden in der Bundesrepublik zwischen 1960 und 1996. In vergleichender Perspektive betrachtete er die Wende zum Neoliberalismus in Deutschland und im anglo-amerikanischen Raum. Während diese in den USA bereits in den 1980er-Jahren erfolgte, war der Sozialstaat in Westdeutschland stärker verwurzelt. Die Soziale Marktwirtschaft wies bis in die 1990er-Jahre eine gewisse Resistenz gegenüber dem anglo-amerikanischen Kapitalismus auf und sowohl westdeutsche Industrielle als auch Wirtschaftsjournalisten standen ihm tendenziell ablehnend gegenüber. Ein Zusammenrücken von Spitzenverbänden und Wirtschaftsjournalismus fand erst in den 1970er- und 1980er-Jahren statt. Während die Verbände vorher noch Versuche einer direkten Einflussnahme auf die Politik bevorzugten, wählten sie nun zunehmend den „Umweg“ über die Öffentlichkeit.

Im ersten Schwerpunkt der Tagung standen begriffliche und konzeptuelle Fragen der strategischen Kommunikation im Vordergrund. GÜNTER BENTELE (Leipzig) skizzierte die sachlich-begriffliche Entwicklungsgeschichte von Propaganda und Public Relations aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. Seit dem Ersten Weltkrieg und dann vor allem im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus geriet die Verwendung des Begriffes Propaganda in Verruf. Die praktische Bedeutung von Propaganda deckte sich vor der Etablierung dieser negativen Konnotation jedoch mit dem, was später neutraler unter dem Begriff Öffentlichkeitsarbeit gefasst wurde. Bentele ordnete sowohl Public Relations als auch Propaganda dem Typus der öffentlichen Kommunikation zu, in der der Modus der Persuasion stark ausgeprägt ist. Für die Bestimmung des Verhältnisses der beiden Begriffe plädierte er dafür, Propaganda als Teilbereich der Public Relations einzuordnen.

Aus systemtheoretischer Perspektive betrachtete PETER SZYSZKA (Hannover) die Typen strategisch-persuasiver Kommunikation als Versuch der bewussten Einflussnahme. Er hob ebenfalls die negative Konnotation des Propagandabegriffs hervor, die zu der Verwendung einer Vielzahl von Ersatzbegriffen führte; sachlich war allerdings oft dasselbe gemeint. Szyszka unterschied drei Formen der strategisch-persuasiven Kommunikation mithilfe eines historisch-funktionalen Modells. Propaganda zielt demzufolge auf Macht durch Diskreditierung, Werbung zielt auf Anreize bzw. Aufwertung durch erkennbare Überzeichnung, und PR-Arbeit zielt auf Meinungsbildung mittels einer „Fürsprecher-Kommunikation“ ab.

Den Schwerpunkt der zweiten Sektion bildete der Umgang verschiedener Akteure mit neuen und veränderten (Wirtschafts-)Öffentlichkeiten. Ausgehend von der Beobachtung, dass sich die Unternehmen seit den 1950er-Jahren in der Defensive befanden, beschäftigte sich BERNHARD DIETZ (Mainz) mit der Gründung und Entwicklung des Deutschen Industrieinstituts (DII), dem er eine doppelte Funktion zuwies: zum einen die Gestaltung von Binnenöffentlichkeit, zum anderen die Einwirkung auf die Wirtschaftsöffentlichkeit. Die als defensiv eingeschätzte Position der Unternehmer begründete eine zunehmend koordinierende Öffentlichkeitsarbeit auf Verbandsebene. Antiliberale Konzepte von Öffentlichkeit wichen dabei moderneren Konzepten der Public Relations.

TIM SCHANETZKY (Jena) verdeutlichte, welche Anstrengungen die BASF unternahm, um aus der von ihm ebenfalls diagnostizierten gesellschaftspolitischen Defensive herauszutreten und die Deutungshoheit im öffentlichen Raum zurückzuerlangen. Dies zeigte er am Beispiel des Umgangs der BASF mit dem Dokumentarfilm „Rote Fahnen sieht man besser“. Der Film thematisierte die Stilllegung des Krefelder Werks der Phrix AG 1970/71 kritisch aus der Sicht der Entlassenen. Nur zwei Jahre zuvor war das in eine wirtschaftliche Schieflage geratene Unternehmen von der BASF übernommen worden. Die Stoßrichtung des Filmes wurde als Niederlage für die Unternehmerseite wahrgenommen. Es folgten gezielte Versuche, den Film zu deskreditieren und seine Verbreitung zu verhindern bzw. einzuschränken.

MARCEL SCHMEER (Bochum) setzte sich mit dem Wandel der PR-Arbeit der Polizei auseinander. Damit ging es um einen staatlichen Akteur, der sich in den 1960er- und 1970er-Jahren durch die gesellschaftlichen Liberalisierungsprozesse mit einer neuen Öffentlichkeit konfrontiert sah. Die Ambivalenz der Polizei als Sicherheitsproduzent einerseits und als Unsicherheitsquelle andererseits sollte aufgelöst werden. Dafür holte sich die Polizei professionelle Expertise, und zwar aus der Schweiz. Durch neue Formen der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sollte das Bild der Polizei als „Gewaltorganisation“ von einem positiven Image abgelöst werden.

Die Außendarstellung (der eigenen Geschichte) von Unternehmen und deren Wandel in verschiedenen Kontexten standen in der dritten Sektion der Tagung im Fokus. THOMAS IRMER und JULIANA RAUPP (beide Berlin) befassten sich mit der Bedeutung der Unternehmensgeschichte und des jeweiligen historischen Kontextes für die externe Kommunikation der AEG. Die Art und Weise, wie das Unternehmen mit seiner eigenen Geschichte umging, war untrennbar mit dem politischen Rahmen verbunden. Im Nationalsozialismus wurde die Geschichte der AEG vor allem als Geschichte der technischen Innovationen geschrieben. Die wirtschaftliche Entwicklung und die jüdische Herkunft des Unternehmensgründers Emil Rathenau traten hinter dieses Narrativ zurück. Erst in den 1980er-Jahren fand ein gezielter Rückgriff auf die Gründergeschichte statt, auch um die Beziehungen zu Israel positiv zu beeinflussen.

FABIAN ZIMMER (München) legte dar, dass die im Nationalsozialismus zum Ausbau der Wasserkraft gegründete Bayerische Wasserwerke AG (Bawag) bereits in den frühen 1950er-Jahren mit einer zunehmend kritischen Öffentlichkeit und dem Protest von Naturschützern konfrontiert war. Als Reaktion auf die öffentliche Kritik setzte das Unternehmen auf ein besonderes Medium der externen Unternehmenskommunikation: den Industriefilm. Die Bawag ließ mehrere Filme produzieren, die den Kraftwerksausbau des Lech propagierten, indem sie explizit auf Narrative des Naturschutzes zurückgriffen. Als PR-Instrument schien der Film das geeignete Mittel zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung und zur Werbung um öffentliches Vertrauen.

Über die Professionalisierung des historischen Unternehmensimages bei Krupp in der Nachkriegszeit sprach EVA-MARIA ROELEVINK (Mainz). Carl Hundhausen stieß als Leiter einer neu gebildeten Werbeabteilung im Unternehmen einen signifikanten Wandel der Öffentlichkeitarbeitsarbeit an. Er löste die Unternehmensgeschichte aus der Sphäre der Unternehmerfamilie, wo sie traditionell angesiedelt war, und fixierte fünf Leitlinien, an denen künftig alle PR-Maßnahmen Krupps ausgerichtet wurden. Ein zentrales Moment dabei war der Fokus auf die Vergangenheit, also auf die Geschichte und die Tradition des Unternehmens. Hundhausens Strategie ging – zumindest bis in die 1960er-Jahre – auf: die Deutungshoheit in der Öffentlichkeit über die Geschichte Krupps lag bei Krupp selbst.

Die Beschäftigung mit dem bislang wenig beachteten Forschungsfeld, das die strategische Kommunikation und Interaktion zwischen Unternehmen, Verbänden und Wirtschaftsjournalisten bzw. weiter gefasst der Wirtschaftsöffentlichkeit in den Fokus rückt, erscheint lohnenswert. Aus verschiedenen Perspektiven wurde deutlich, dass eine Neuausrichtung und Professionalisierung der strategischen Kommunikation und Interaktion unter dem Eindruck einer sich wandelnden Öffentlichkeit und Presselandschaft seit den 1950er Jahren erfolgte. Der politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Rahmen übte einen erheblichen Einfluss auf die (öffentliche) Deutung und Legitimation der eigenen Identität bzw. Geschichte aus. Insgesamt erwies sich der interdisziplinäre Austausch zwischen Geschichts- und Kommunikationswissenschaft als gewinnbringend. Begriffliche, konzeptuelle sowie historische Fragestellungen und Befunde zeigten sich als überaus anschlussfähig.

Konferenzübersicht:

Keynote
Volker Berghahn (New York): Wirtschaftsjournalismus, industrielle Spitzenverbände und die Wende zum Neoliberalismus, 1960-1996

Sektion: Von der Propaganda zur strategischen Kommunikation?

Günter Bentele (Leipzig): Public Relations und Propaganda. Eine sach- und begriffsgeschichtliche Entwicklungsgeschichte vor allem im 19. und 20. Jahrhundert

Peter Szyszka (Hannover): Typen strategisch-persuasiver Kommunikation: eine historisch-funktionale Analyse

Sektion: Neue Öffentlichkeit – Neue Wirtschaftsöffentlichkeit(en)?

Tim Schanetzky (Jena): Unternehmerische Wege aus der gesellschaftspolitischen Defensive: „Rote Fahnen sieht man besser“

Marcel Schmeer (Bochum): Öffentlichkeitsarbeit für das Gewaltmonopol. Polizei, Public Relations und die Produktion innerer (Un-)Sicherheit seit den 1960er-Jahren

Bernhard Dietz (Mainz): „Generalstab unternehmerischer Öffentlichkeitsarbeit“? Das Deutsche Industrieinstitut (1951-1973)

Sektion: Image oder Aufklärung?

Thomas Irmer (Berlin) / Juliana Raupp (Berlin): „Aus Erfahrung gut“ – Zur Rolle von (Unternehmens-)Geschichte in der Unternehmenskommunikation vor, während und nach der NS-Zeit. Das Beispiel des Elektrounternehmens AEG (1883-1996)

Fabian Zimmer (München): Energie-Öffentlichkeiten im Spiegel des Industriefilms. Das Beispiel der Wasserkraft, ca. 1930-1960

Eva-Maria Roelevink (Mainz): Krupp und die Professionalisierung des historischen Unternehmensimages zwischen 1945 und 1968