Strukturbildungen in langfristigen Konflikten des Spätmittelalters (1250–1500)

Strukturbildungen in langfristigen Konflikten des Spätmittelalters (1250–1500)

Veranstalter
Klara Hübner, Masaryk-Universität Brünn/Brno CZ (Institut für Historische Hilfswissenschaften und Archivwesen)
Ausrichter
Institut für Historische Hilfswissenschaften und Archivwesen
Veranstaltungsort
Arna Novaka 1
Gefördert durch
GAČR-Exzellenzcluster „From Performativity to Institutionalization: Handling Conflict in the Late Middle Ages (Strategies, Agents, Communication)“ (Nr. 19-28415X)
PLZ
60200
Ort
Brno
Land
Czech Republic
Vom - Bis
09.12.2021 - 10.12.2021
Von
Heinrich Speich, Department of Auxiliary Historical Sciences and Archive Studies, Masarykova Univerzita Brno

Die vermeintlich moderne Kategorie des perpetuierten Konfliktes soll für das Mittelalter über seine zeitspezifischen Phänomene – mittels Einzelstudien, oder strukturellen Aspekten – herausarbeitet und methodisch verwertbar gemacht werden.

Inhalte:

1. Dynamik von Krise, Krieg und Konflikt in Terminologie und politischer Praxis
2. Ordnende und ordnungsgefährdende Konflikte
3. Lebenswelten in Zeiten des institutionalisierten Konfliktes
4. Historiographischer Umgang

Strukturbildungen in langfristigen Konflikten des Spätmittelalters (1250–1500)

Konflikte sind eine anthropologische Gestaltungskonstante, die Staaten, Nationen, Gesellschaften allerdings auch ideelle Entitäten formt. Bis heute beherrscht Ihre Untersuchung allerdings die Analyse des kurzfristigen kriegerischen Konflikts. Die Spezifika langfristig ungelöster Konflikte und ihre strukturellen Folgen sind bis heute deutlich weniger stark erforscht, denn sie beruhen auf einer langsameren und wechselvollen Entwicklungsdynamik, die mit den üblichen Kategorien von Prävention, Ursache, Verlauf und Wirkung nur bedingt fassbar ist. Während in kurzen Konflikten oftmals Eskalation und deren Auflösung im Vordergrund stehen, wechseln sich in langfristig ungelösten Konflikten „heiße“ Phasen mit solchen des Stillstandes ab. Zu den Merkmalen langwieriger Konflikte gehört nämlich ein ideeller Basiskonflikt, der sich mit den gängigen Instrumenten der Politik (d.h. Gewalt, Recht und Diplomatie) nicht auflösen lässt. Dadurch wird er nicht nur in die Länge gezogen, sondern auch stabilisiert. Letzteres hat Folgen für die oftmals vielschichtigen Vernetzungen der Streitparteien, die somit gezwungen werden, den ‚Konsens auf niedrigsten Niveau‘ zu suchen: Die Aufrechterhaltung der ökonomischen, sozialen und politischen Ordnung macht die Entwicklung von „Umgehungskreisläufen“, d.h. konfliktspezifischen Institutionen und Instrumenten zu einer Frage des Überlebens und wirkt nach dessen Beendigung auch auf seine praktische und diskursive Verarbeitung ein. Die komplexe Gemengelage langfristiger Konflikte spielgelt vor allem im Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts wieder, hat allerdings auch vormoderne Vorläufer: etwa den Dreißigjährigen Krieg im 17. oder den 100-jährigen Krieg im 14. und 15. Jahrhundert. In der Vormoderne treten die skizzierten Begleiterscheinungen langfristig ungelöster Konflikte am häufigsten im Zusammenhang mit konfessionellen Auseinandersetzungen zutage. Bereits eine ihrer ältesten Manifestationen, die Hussitische Revolution in Böhmen, die mit den Basler Kompaktaten 1436 den Zustand eines perpetuierten Konflikts erreichte, weist zahlreiche der besagten Charakteristika auf: Eine ideologisch fundierte und somit unüberwindbare Verhärtung zwischen der katholischen Seite und ihren hussitischen Gegenspielern; mehrere erfolglose und kostspielige Ketzerkreuzzüge die eine Atempause auf beiden Seiten dringend nötig machen; politische und persönliche Netzwerke zwischen den Eliten Zentraleuropas, die über den konfessionellen Graben hinweg Bestand haben; der Schutz der wirtschaftlichen Interessen in den betroffenen Regionen sowie Institutionen, die innovative Kompetenzen entwickeln – z.B. der Böhmische Landtag, welcher zum Wahlgremium für den ‚Hussitenkönig‘ Georg von Podiebrad wurde.

Das Ziel der Tagung besteht darin, die vermeintlich moderne Kategorie des perpetuierten Konfliktes für das Mittelalter fruchtbar zu machen, indem man seine zeitspezifischen Phänomene – mittels Einzelstudien, oder strukturellen Aspekten – herausarbeitet und methodisch verwertbar macht. Zur inhaltlichen Orientierung dienen die folgenden Teilbereiche:

1. Die Dynamik von Krise, Krieg und Konflikt in Terminologie und politischer Praxis, deren Interpretation nicht nur der jeweiligen Machtkonstellation oder der Intensität des Konflikts unterlag, sondern auch den zeitspezifischen Medien oder den persuasiven Absichten der involvierten Parteien.
2. Die ordnenden und ordnungsgefährdenden Aspekte perpetuierter Konflikte, die stets mit langfristigen Unsicherheiten, Fragilisierungen und Verschiebung bestehender politischer und ökonomischer Machtverhältnisse einhergehen wobei sich die neue Ideologie als stabilisierende Alternative mit einem eigenen diskursiven Raum anbietet.
3. Die Lebenswelten in Zeiten des institutionalisierten Konfliktes, welcher den Akteuren ein hohes Maß an politischer, sozialer oder ökonomischer Versatilität abverlangt, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit eröffnet, zum Broker zwischen den Parteien zu werden oder über konfessionelle Grenzen hinweg Instrumente und Institutionen umzudeuten oder neue anzuregen.
4. Der historiographische Umgang mit langfristig ungelösten Konflikten im Mittelalter sowie die spätere Transformation der darin erwähnten Narrative und Diskurse, die in der Moderne etwa zur Konstruktion nationaler Sonderfälle benutzt wurden.

Die Tagung findet im Rahmen des GAČR-finanzierten Exzellenzclusters „From Performativity to Institutionalization: Handling Conflict in the Late Middle Ages (Strategies, Agents, Communication)“ (Nr. 19-28415X, web: http://cms.flu.cas.cz/conflicts/) statt, an welcher sowohl das Prager Mittelalter-Zentrum (CMS) und das Brünner Institut für Historische Hilfswissenschaften und Archivstudien (ÚPVH) von der hiesigen Masaryk-Universität, beteiligt sind. Virtueller Tagungsort ist die Masaryk-Universität in Brünn (CZ); zur methodischen Vorbereitung haben die Referentinnen und Referenten ihre Beiträge bereits im Frühling 2021 präsentiert und konnten so die Leitfragen anhand der ganzen Beiträge schärfen. Die Beiträge werden publiziert.

Teilnahmelink Zoom (mit der Bitte um Anmeldung, dann senden wir das Passwort zu): https://cesnet.zoom.us/j/92821349236?pwd=eGQ0MmMzS3hPOFA4YjQ0bzZ4d0RqZz09.

Meeting ID: 928 2134 9236

Programm

Donnerstag, 09. Dezember 2021

Sektion I: Konfliktsysteme

Moderation: Pavlína Cermanová (Prag)

10:00 Uhr Klara Hübner (Brno)/Pavel Soukup (Prag): Einführung / Ůvod

11:00–12:00 Uhr Jean-Marie Moeglin (Paris): Der Hundertjährige Krieg als ewige Suche nach einem unmöglichen Frieden

12:00–13:30 Uhr Mittagspause

13:30–14:30 Uhr Christina Lutter (Wien ) Konflikt und Allianz. Muster von Zugehörigkeit im spätmittelalterlichen Wie

14:30–15:30 Uhr Sita Steckel (Münster/Westfalen): Diversi et adversi: The cultural productivity of conflict and competition among medieval religious „orders“

15:30–16:00 Uhr (Kaffee)pause

Sektion II: Recht im Konflikt

Moderation: Andreas Zajic (Wien)

16:00–17:00 Uhr Christian Jaser (Berlin): Köln contra Köln - Bann und Interdikt im Kontext eines erzbischöflich-städtischen Langzeitkonflikts (1250–1500)

17:00–18:00 Uhr Alexandra Kaar (Wien): Das antihussitische Handelsverbot als Beispiel für Strukturbildungen in der hussitischen Kontroverse

18:00–19:00 Uhr Abendpause

19:00–20:00 Uhr Martin Wihoda (Brno): War es gefährlich, um 1120 in Böhmen Chronist zu sein? (Abendvortrag)

Moderation: Přemysl Bar (Brno)

Freitag 10. Dezember 2021

09:00–10:00 Uhr Martin Kintzinger (Münster/Westfalen): Der Diskurs der Intellektuellen und die Entstehung des Völkerrechts

10:00–11:00 Uhr Claudia Garnier (Vechta): Konfliktaustrag und spätmittelalterliche (Ex)Kommunikationsräume: das Beispiel der Kölner Erzbischöfe im 13. und 14. Jahrhundert

11:00–11:30 Uhr (Kaffee)pause

Sektion III. Konfliktkommunikation und Ordnungssicherung

Moderation: Robert Novotný (Prag)

11:30–12:30 Uhr Christine Reinle (Giessen): Bedrohungskommunikation im Umfeld der Hussitenkriege

12:30–14:00 Uhr Mittagspause

14:30–15:30 Uhr Julia Burkhardt (München): Geliebte Feinde. Legitimationsstrategien, Aushandlungsmechanismen und Deutungsmuster des Konflikts zwischen Friedrich III. und Matthias Corvinus

15:30–16:30 Uhr Uwe Tresp (München): Der lange Schatten des Kaisers. Das konfliktreiche Nachleben von Maßnahmen Kaiser Karls IV. zu Friedenssicherung und Herrschaftsausbau

16:30–17:00 Uhr (Kaffee)pause

17:00–18:00 Uhr Petr Elbel (Brno): Zusammenfassung und Schlussdiskussion

Kontakt

Anmeldungen:
Heinrich Speich
E-Mail: 243104@mail.muni.cz

Inhalte:
Klara Hübner
E-Mail: 239147@mail.muni.cz

http://cms.flu.cas.cz/conflicts/