Die offene Verfassung. Das Grundgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 75 Jahren

Die offene Verfassung. Das Grundgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 75 Jahren

Veranstalter
Dr. Frieder Günther, Institut für Zeitgeschichte München − Berlin; Prof. Dr. Marcus M. Payk, Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg; Dr. Magnus Koch/Dr. Meik Woyke, Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung, Hamburg
PLZ
22043
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
14.03.2024 - 15.03.2024
Deadline
16.10.2023
Von
Frieder Günther, Institut für Zeitgeschichte München - Berlin

Call for Papers für einen Workshop zum Grundgesetzjubiläum, 14./15. März 2024, Hamburg

Die offene Verfassung. Das Grundgesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 75 Jahren

Als der Parlamentarische Rat im Jahr 1948/49 das Grundgesetz erarbeitete, wäre eine Geltungsdauer von mehr als 75 Jahren kaum vorstellbar gewesen. Mit einer längeren Gültigkeit der zunächst als Provisorium konzipieren Verfassung rechneten damals nur die Wenigsten. Auch inhaltlich fielen die ersten Reaktionen verhalten, teilweise sogar entschieden kritisch aus. Die Relevanz des an vielen Stellen offen formulierten Verfassungstextes für das politische Leben der Bundesrepublik war darum gerade in den Anfangsjahren unsicher und umstritten. Es sollte einige Zeit dauern, bis das Grundgesetz zu einem normativen Projekt im westdeutschen Selbstverständnis avancierte und jene breite Anerkennung fand, die ab den 1970er Jahren etwa im Begriff des „Verfassungspatriotismus“ greifbar wurde. Seit den 1980er Jahren hat das Lob für die „beste Verfassung, die Deutschland je hatte“, sprunghaft zugenommen und ist spätestens nach der Jahrtausendwende in eine beträchtliche Überhöhung eingemündet, die auch populärkulturelle Formen nicht mehr scheut.

Der 75. Jahrestag der Verfassungsarbeiten im Parlamentarischen Rat bietet einen geeigneten Anlass, über Beständigkeit, Akzeptanz und Wandel des Grundgesetzes in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nachzudenken. Auf einem Workshop am 14./15. März 2024 wollen wir dazu einschlägige jüngere Forschungsarbeiten diskutieren und uns insbesondere mit den Ambivalenzen, inneren Widersprüchen und ungeplanten Entwicklungstendenzen der westdeutschen Verfassungsordnung auseinandersetzen. Anstatt die gerade Linie einer Erfolgsgeschichte zu ziehen, welche das Grundgesetz als gelungene Lernerfahrung aus Krieg und Diktatur begreift und in ihm ein feststehendes, immer weiter entfaltetes normatives Programm erblickt, interessieren uns vorrangig Kontingenz und Offenheit der historische Entwicklung. Wie wurde das Grundgesetz zu dem, was es heute ist? Wann und auf welche Weise war es in der bundesdeutschen Geschichte überhaupt von sichtbarer Relevanz? In welchen Situationen entwickelten die abstrakten Prinzipien und normativen Begriffe des Verfassungsrechts eine politische Kraft und wurden für wen handlungsbestimmend? Wer nahm in gesellschaftlichen Konflikten auf Bestimmungen des Grundgesetzes Bezug, auf welche Weise geschah dies und welche Rückwirkungen auf ein öffentliches Verfassungsverständnis ergaben sich daraus? Was passierte im uneinsehbaren Innenraum der Verfassungsrechtsprechung und welche Interessen kamen dabei zum Ausdruck? Wie verhielt sich die disziplinäre Hegung und Interpretation des Grundgesetzes durch die Rechtswissenschaft zu anderen Formen des Umgangs mit der Verfassungsordnung? Wie wirkte die allmähliche populärkulturelle Stilisierung des Grundgesetzes zum Kern einer deutschen Nachkriegsidentität auf seinen normativen Gehalt zurück? Inwiefern lassen sich Phänomene des Konstitutionellen jenseits einer Geschichte des Verfassungsrechts und der politischen Institutionen überhaupt sichtbar machen?

Zur Teilnahme an dem Workshop sind Interessierte aller Disziplinen eingeladen, die über Entstehung und Anwendung, Ausdeutung und Aneignung des Grundgesetzes aus einer historischen Perspektive nachdenken möchten. Als Themenfelder seien beispielhaft genannt:

- Entstehung des Grundgesetzes und einzelner Regelungen im Parlamentarischen Rat;
- Debatte und Umsetzung von Verfassungsänderungen/-ergänzungen;
- Einrichtung, Struktur, Arbeitsweise und Entwicklung einzelner Verfassungsorgane und ihr jeweiliges Verfassungsverständnis (z.B. zur Stellung des Bundespräsidenten);
- Rolle des Bundesverfassungsgerichts und einzelner Urteile;
- das Grundgesetz in den deutsch-deutschen Beziehungen und der Vereinigung 1990;
- Tendenzen der Staatsrechts- und Verfassungsrechtslehre;
- Genese und Entwicklung dogmatischer Grundfiguren in ihren politischen und gesellschaftlichen Kontexten;
- individuelle Akteure und Institutionen (z.B. Medien) als Verfassungs(mit)gestalter;
- Verflechtungen von Bundes- und Landesverfassungsrecht, Völkerrecht und Europäischem Recht;
- das Grundgesetz als „Exportartikel“ und globale Marke;
- öffentliche, populärkulturelle oder künstlerische Bezugnahmen auf das Grundgesetz und insbesondere die Grundrechte zwischen Sakralisierung und Veralltäglichung.

Wir bitten um die Einreichung von Beitragsvorschlägen (max. zwei Seiten) und eines knappen wissenschaftlichen Lebenslaufs (max. eine Seite) bis zum 16. Oktober 2023 an die Organisatoren guenther@ifz-muenchen.de und payk@hsu-hh.de.

Kontakt

Dr. Frieder Günther, guenther@ifz-muenchen.de
Prof. Dr. Marcus M. Payk, payk@hsu-hh.de

Redaktion
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Deutsch
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