7. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Goettingen veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Stadtarchiv Celle und dem Deutschen Historischen Institut Paris
AUFRUF ZUR ANMELDUNG UND THEMENABRISS
"Erziehung und Bildung bei Hofe"
Celle, 23. bis 27. September 2000
Wenn Bourdieu wirklich mit seiner Beobachtung recht hat, dass nicht erstaunlich sei, dass sich etwas aendere, sondern vielmehr der Erklaerung beduerfe, weshalb sich etwas gleich bleibe, dann ist es an der Zeit, dass die Residenzen-Kommission sich um die "soziale Reproduktion" kuemmert, mit anderen Worten um Erziehung und Bildung bei Hofe.
Es sei daher vorgeschlagen, das Gesamtthema in einem Dreischritt zu behandeln, der auch den drei Sitzungen am Montag vormittag, Dienstag vormittag und Dienstag nachmittag die Ueberschrift geben koennte:
1. Sozialer Wandel oder soziale Reproduktion? Pagenerziehung bei Hofe
Jeder kennt die Figur des (zumeist schoenen und von der Koenigstochter oder gar Koenigin insgeheim geliebten) Pagen, aber eine angemessene Untersuchung des Pageninstituts und der Edelknabenerziehung bei Hofe gibt es nicht, wie ueberhaupt mittelalterliche Adelserziehung ein wenig bestelltes Feld ist. Dabei ist die Sache von hoechster Bedeutung fuer die Entstehung und Bewahrung von Loyalitaeten, die der naechsten Generation zugute kommen sollen - was natuerlich nicht immer glueckt. Nachdem wir die Frauen bei Hofe behandelt haben, waeren jetzt die Kinder oder wenigstens Jugendlichen an der Reihe. Was voraussetzt, dass wir ueber Theorie und Praxis der Altersstufen unterrichtet werden. Weniger als Sonder- denn als Kernfall hat die Prinzenerziehung zu gelten, denn in der Regel wird der Thronfolger zugleich mit einer Gruppe von adligen Altersgenossen aufgezogen, die spaeter seine "natuerlichen" Raete sind. Ab wann gibt es Erziehung von jungen Edelleuten, die nicht seiner Umgebung angehoeren? Und wo werden diese jungen Leute untergebracht?
2. Konkurrenz oder Symbiose? Geistliches und weltliches Wissen bei Hofe
Dass klerikales und saekulares Wissen gemeinsam die ritterlich-hoefische Kultur hervorgebracht haben, ist allgemein bekannt. Dennoch sind beide Bereiche nicht schlichtweg identisch geworden, was schon daran sichtbar wird, dass dem Fuerstensohn noch lange (wie lange?) sowohl ein geistlicher als auch ein weltlicher Erzieher an die Seite gestellt wird. Unzweifelhaft gibt es hier Konkurrenz und Komplementaritaet. Der unterschiedlichen geistlichen, rechtlichen, weltlichen Gelehrsamkeit bis hin zum heraldischen Wissen um Wappen, Ritual und Zeremoniell wird nachzugehen sein. Auch wurde den "Freien Kuensten" (ab wann?) eine eigene "Hofeskunst" entgegengestellt, die noch im 18. Jahrhundert dazu fuehrte, dass die besonders adlige Universitaet Goettingen, wie viele andere Erziehungsinstitute auch, sich ihre Fecht-, Tanz- und Reitmeister hielt (die Universitaets-Reithalle wurde erst in den 1960er Jahren abgerissen und musste einem Sparkassenbau weichen). Physisches Training (nicht umsonst ist Sport im engeren Sinne urspruenglich eine aristokratische Angelegenheit), literarische und kuenstlerische "Bildung", Geistesgegenwart, Redekunst und Geschick im geistvollen Gespraech sind fuer den Edelmann bei Hofe ebenso unentbehrlich wie alles Gesellschaftliche ueberhaupt bis hin zur Faehigkeit, gelegentlich ein Lied zu singen, die Laute zu schlagen, eine Geschichte zu erzaehlen (oder vorzulesen, was zu den Bibliotheken hinfuehrt) und mit den neuen Spielkarten Tarock zu spielen - oder aber kunstvoll eine Lanze zu brechen und die Jagdbeute weidgerecht zu zerwirken. Wie wurde das alles gelernt und vermittelt? Wie war der Stellenwert all dieser Wissensbestaende? Und wie steht es mit der sozialen Bedeutung des Fachwissens im engeren Sinne?
3. Tradition oder Innovation? Der Hof als Ort des Alten und des Neuen
Die Erziehung und die Bildung bei Hofe standen damit in einer evidenten Spannung. Einerseits war hoefische "Bildung" unterscheidender Besitz und Standesausweis. Mit dem Kavalier entstand das Gegenbild des nur seine Fachwelt kennenden Pedanten. Der Hof ist notwendig zu weiten Teilen ein Ort der Gegenwart des legitimierenden Alten, was auch den Besitz der neuen "Antiken" einschloss. Andererseits ist er aber auch ein Zentrum technischer, kuenstlerischer, modischer Innovation. Es ist also zu fragen, was, spaetestens im Zeitalter des Humanismus und der auch im Reich sich ausbreitenden Universitaeten, anders wurde. Sicherlich hat der zunehmend selbstbewusste Staat die Gewichte zugunsten des Fachwissens verschoben. Aber bis zu welchem Grade? In diesem Zusammenhang wird zu beobachten sein, wie die verschiedenen Hoefe zur "Kavalierstour" stehen, die gerade im 16. Jahrhundert eine neue Quantitaet und damit Qualitaet erhaelt.
Hiermit wird zur Anmeldung bei dem soeben skizzierten Versuch aufgerufen, sowohl zur Teilnahme als Diskutant als auch zur Unterbreitung von Vortragsvorschlaegen. Da der Ablauf dem nunmehr schon bewaehrten Muster folgen wird: Einfuehrungsvortrag am Samstagabend, Exkursion am Sonntag, Symposium am Montag und Dienstag, Abreise am Mittwoch, ein Nachmittag aber der Diskussion des geplanten Handbuches vorbehalten sein soll, haben wir diesmal Platz fuer 10-12 Referate von 30 Minuten Dauer; moeglich sind auch Kurzmitteilungen von 15 Minuten Dauer, was die Zahl der Interventionen erhoehen koennte. Wir werden sicher nicht alle Angebote unterbringen koennen, zumal im Zweifelsfall die Waage sich zugunsten des juengeren Forschers neigen soll. Dies nur als vorauseilende Entschuldigung, wenn guter Wille nur mit der Aufforderung zur Teilnahme als Diskutant honoriert werden sollte. Wir hoffen auf moeglichst viele Angebote, versehen mit einem Resuemee (das evtl. spaeter im Tagungsheft abgedruckt wird), das nicht nur in deutscher, sondern auch, dem kuenftigen Vortrag entsprechend, in franzoesischer und englischer Sprache abgefasst werden darf. Denn das Thema soll, wie bisher auch, vergleichend behandelt werden. Dies nicht nur hinsichtlich der Laender, sondern auch der Disziplinen: Neben den Historikern sind, wie stets, besonders die Literaturwissenschafter und die Kunsthistoriker aufgefordert.
Die Anmeldefrist endet bei der Kieler Arbeitsstelle am 1. September 1999.
gez. Werner Paravicini, Paris.