Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft
1./2. Dezember 2005
im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main (ISG)
Tagung des Netzwerks Reichsgerichtsbarkeit in Zusammenarbeit mit dem ISG und der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung
Ziel der Tagung ist es, Strukturen und Entwicklungen des römisch-deutschen Reichs in der Frühen Neuzeit als einer von Vielfalt, Komplementarität und Widersprüchen gekennzeichneten Rechts- und Gerichtslandschaft herauszuarbeiten. Im Mittelpunkt steht mit der Reichsstadt Frankfurt ein konkretes Segment der vielschichtigen Rechts- und Gerichtslandschaft des Alten Reichs.
Die Frühe Neuzeit hatte zwar die Pluralität mittelalterlicher Rechtsordnungen und die personal bestimmten Partikularrechte zum Teil hinter sich gelassen, die Entwicklung hin zum modernen Staat, zur exklusiven Geltung positiven Rechts und zu klar geordneten Zuständigkeiten der Foren war jedoch noch nicht abgeschlossen. Die rechtshistorische Forschung hat bislang der Vielschichtigkeit der Rechtsnormen, den fließenden Grenzen dessen, was als justiziabel erschien und den sich überlappenden Zuständigkeiten verhältnismäßig wenig Rechnung getragen. Anstatt die Spezifität der frühneuzeitlichen Rechts- und Gerichtslandschaft herauszuarbeiten, blieb der Zugriff der Forschung dem mit der Enstehung des frühmodernen Staates und seinen Normsetzungs- und Rechtsprechungskompetenzen verbundenen Forschrittsparadigma verpflichtet. Auch wenn die Untersuchungen zur höchsten Gerichtsbarkeit die Wirksamkeit von Reichshofrat und Reichskammergericht unterstrichen hat, bleiben zahlreiche Fragen offen. Forschungsdesiderate bestehen, was die horizontale und vertikale Verzahnung bzw. Abgrenzung lokaler, territorialer und imperialer Rechts- und Gerichtslandschaften angeht.
Für die Tagung wurde die Reichstadt Frankfurt nicht nur wegen der Überlieferungsdichte und ihrer Bedeutung ausgewählt, sondern vor allem, da sich in ihr die Vielfältigkeit der Gerichts- und Rechtslandschaft des Alten Reichs mit ihren Überlappungen, Widersprüchen und Osmosebeziehungen wie in einem Mikrokosmos verdichtet.
Verschiedene Herangehensweisen sind denkbar, um Aspekte der Geschichte der Gerichtslandschaft Frankfurts herauszuarbeiten. Mit Hilfe des Konzepts der „Justiznutzung“ lässt sich die Pluralität der Foren, seien es Gerichte oder Herrschaftsträger oder Mischungen aus beiden, aus der Perspektive des Klägers verdeutlichen. Mit welchen Streitgegenständen wandte sich wer bei einer Auseinandersetzung mit welchem Gegner an welches Forum?
Ein weiterer Ansatz könnte dahin gehen, die Auswirkungen der Konkurrenz von Herrschafts- und Jurisdiktionsrechten zu untersuchen. In welchen Konstellationen von Personen- und Streitgegenständen treten die verschiedenenen für die Gerichts- und Rechtslandschaft konstitutiven Ebenen – Kaiser und Reich, Oberrheinischer Reichskreis, Stadt, Korporationen – zueinander in Konkurrenz, wann wirkten sie zusammen?
Welche Bedeutung kam personalen Partikularrechten zu? Zu denken ist etwa an die Teilnehmer der Wahl- und Krönungstage, der Messen, an Angehörige von Immunitäten und Besitzer von Privilegien wie das Domstift, der Deutsche Orden oder die Juden.
Ausgangspunkt von Überlegungen können auch der Prozessgegenstand bzw. bestimmte Lebenssachverhalte sein, beispielsweise Wechselprozesse oder Zensurstreitigkeiten. Hier wäre auch an die Verschiebung der Grenzen von Zuständigkeiten, etwa zwischen weltlicher und kirchlicher Gerichtsbarkeit, oder an Verschiebungen der Zuständigkeiten zwischen Stadt und Korporationen, zu denken.
Auch die Foren bieten sich als Ansatz an. Welche Foren waren kompetent für welche Personen, für welche Gegenstände? Wie waren sie besetzt und wie hingen sie untereinander zusammmen? Lassen sich eingespielte Instanzenzüge feststellen? Von besonderem Interesse dürfte hier die Frage nach den Vorinstanzen reichsgerichtlicher Entscheidungen sein, nach städtischen Gerichten und auswärtigen Juristenfakultäten.
Zur Vertiefung der Themen können auch Vorschläge für vergleichende Untersuchungen berücksichtigt werden, etwa Frankfurt mit einer anderen Reichsstadt oder die Gerichtsbarkeit mit der anderer Messestädte.