Alleinsein im Altertum. Antike Vorstellungen und Erfahrungen von Menschenscheu, Isolation und Einsamkeit

Alleinsein im Altertum. Antike Vorstellungen und Erfahrungen von Menschenscheu, Isolation und Einsamkeit

Veranstalter
Dr. Rafał Matuszewski, Universität Salzburg
Veranstaltungsort
Edmundsburg (Europasaal), Mönchsberg 2, Salzburg
Ort
Salzburg
Land
Austria
Vom - Bis
23.04.2020 - 24.04.2020
Deadline
10.10.2019
Von
Rafał Matuszewski

Über 7,6 Milliarden Menschen bevölkern derzeit die Erde. Anfang 2019 waren es rund 83 Millionen Menschen mehr auf dem Planeten als ein Jahr zuvor. Paradoxerweise, je enger es auf der Welt wird, desto einsamer und isolierter fühlt man sich. Europäische Statistiken schlagen diesbezüglich Alarm: Nach einer Studie des Eurostat fühlen sich sechs Prozent der europäischen Bevölkerung über 16 Jahren alleingelassen. Im Kampf gegen dieses folgenreiche Phänomen wurde in Großbritannien 2018 sogar eine Staatssekretärin für Einsamkeit (Minister for Loneliness) ernannt. Alleinsein kann allerdings nicht nur als ein stets tragischer Zustand erlitten werden, sondern kann bisweilen auch als eine heil- und lustvolle Erfahrung gesucht, aktiv initiiert und genossen werden. Diese ambivalente Betrachtungsweise und Bewertung der Einsamkeit ist – wie das Phänomen selber – freilich kein Novum.

Das griechisch-römische Altertum bietet ein breites Spektrum an Ansichten, Vorstellungen, Vorurteilen, Theorien und Phantasien über das Alleinsein. Die Palette an Informationen zu Einsamkeitswahrnehmungen und -formen, an Isolationszielen und -zuständen, die in diversen Quellen des Altertums bezeugt sind, ist vielschichtig: Sie reicht von der wegbereitenden Auffassung des Aristoteles vom Menschen als ein von Natur aus soziales Lebewesen (und damit von der Absonderung als widernatürliche Anomalie) über die Aufforderungen – wie Epikurs lathe biosas – zum Leben "im Verborgenen", zurückgezogen von der Welt, bis hin zur effektvollen, quasi-schauspielerischen, da Unmengen von Schaulustigen anziehenden Einsamkeit etlicher Asketen, wie jene des Simeon Stylites. Alleinsein ist aber nicht gleich Alleinsein. Die innere, introvertierte Einsamkeit Mark Aurels war in jeder Hinsicht anders als die reale, durch relegatio erzwungene Einsamkeit Ovids. Auch die freiwillige Absonderung, wie die der christlichen Anachoreten und Eremiten, war verschiedentlich motiviert und nahm unterschiedliche Zwischenformen an. Für Athanasius etwa bedeutete die Einöde einen Ort, in den sich die Steuereintreiber niemals verirren. Soziale Isolation als Weg zu Gott, als Weg zu sich selbst, als Weg zur Steuerumgehung, als Zuflucht vor politischer Verfolgung. Genauso divers wie die Motive und Ziele konnten die Wahrnehmungen, Erfahrungen und Vorstellungen vom Alleinsein sein. Die Zeiten des exilium konnten wie die Epidemieperioden als Einsamkeitszeiten wahrgenommen und gefürchtet werden, die Wälder, Berge, Sümpfe und Meeresküsten als Einsamkeitsorte angesehen und (auf)gesucht werden, manche Wildtiere wie etwa die Wölfe – das Wort leitet sich wohl von wargus ab, der latinisierten Form des germanischen vargr/Verbannter – als Sinnbild der Absonderung konzipiert werden. Antike Mythen thematisieren die Einsamkeit von Menschen (man denke an Narziss, Bellerophon, Hermaphroditos, Sisyphos usw.), auch der öffentliche Diskurs bietet vielfältige Informationen, Deutungen und Bewertungen, die einer näheren wie differenzierten Betrachtung bedürfen und die solche Fragen erlauben wie: Wozu (ver)führt Einsamkeit? Zur Gottesnähe und Erlösung, zur Verzweiflung und zum Selbstmord, zum Erfinden und zur Selbsterkenntnis, zum Irrsinn und zur Glückseligkeit? Wie wurden Misanthropen und die mit-sich-allein lebenden Menschen, wie beispielsweise der sprichwörtliche Menschenhasser Timon von Athen, perzipiert und rezipiert? Bedeutete die Lösung aus der Bindung an die Gesellschaft immer den sozialen Tod? Welche Strategien der Einsamkeitsbekämpfung und Integrationsunterstützung gab es in der Antike? Welche gesellschaftlichen Folgen gingen mit den Tendenzen zu Vereinzelung und Individualisierung einher? War die Idee der Selbstgenügsamkeit des Einzelnen stets als Wunsch- oder auch als Schreckbild konzipiert? Worin bestanden die Vorteile, Gefahren, Risiken und der Nutzen des Alleinseins? Diesen und weiteren Fragen möchte sich das 2. Salzburger Frühlingssymposium widmen.

Mögliche Themengebiete umschließen:

- Räume und Orte der Einsamkeit
- Zeiten des Alleinseins und der Isolation
- Solitäre Freuden, Lüste und Erlebnisse
- Einsamkeit und Menschenscheu im Mythos
- Erfahrungen von Menschenscheu, Isolation und Solitüde
- Vorstellungen von Anthropophobie, Zurückgezogenheit und Einsamkeit
- Soziale Wahrnehmungen von Misanthropie, Absonderung und Einsamkeit
- Formen und Ausprägung von Alleinsein, Menschenscheu und Isolation
- Menschenabneigung als rhetorisches Argument und Topos
- Ideengeschichtliche, semantische, ethische (u.ä.) Dimensionen der Begrifflichkeit (eremia, apanthropia, misanthropia, anachoresis, solitudo usw.)
- Licht- und Schattenseiten des Alleinseins
- Zusammenhänge und Verflechtungen zwischen Einsamkeit und Bestrafung; Asozialität; Individualismus; Freiheitsideal (eleutheria/libertas); Ideal der Autarkie (autarkeia); Ideal der Ruhe und des Indifferentismus (hesychia/tranquillitas, apragmosyne); Melancholie (akedeia/acedia) usw.
- Einsamkeit aus gesellschaftsstruktureller Perspektive (Einsamkeit der Sklaven, Einsamkeit der Freien usw.)
- Alleinsein aus der Altersperspektive (einsame Kinder, einsame Erwachsene, einsame Greise)
- Alleinsein aus der Gender-Perspektive (einsame Frauen, einsame Männer)

Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch. Für jeden Vortrag sind 20 Minuten plus 10 Minuten Diskussion vorgesehen. Die Tagung richtet sich an Forscherinnen und Forscher der Altertumswissenschaften aller Disziplinen. Bitte senden Sie uns ein kurzes Abstract mit Titelvorschlag (max. 300 Wörter) und einen knappen akademischen Lebenslauf bis zum 10. Oktober 2019 an rafal.matuszewski@sbg.ac.at

Eine Kostenbeteiligung erfolgt vorbehaltlich der Finanzierung. Eine Publikation der Beiträge der Tagung ist geplant.

Programm

Kontakt

Rafał Matuszewski

Universität Salzburg, FB Altertumswissenschaften, Residenzplatz 1, A-5020 Salzburg
+43 662 8044 4701

rafal.matuszewski@sbg.ac.at

http://sfs.sbg.ac.at/