Die imperiale Geschichte Russlands steckt voller Widersprüche. Es ist eine Geschichte von gewaltvoller Expansion und friedlicher Kolonisation, von brutaler Eroberung und gewaltfreier Landnahme, von tolerantem Zusammenleben und erbarmungsloser Unterdrückung. Im Resultat imperialer Ausdehnung lebten auf russländischem Territorium zahlreiche Ethnien, Religionen sowie Konfessionen, die miteinander auskommen mussten. Die Geschichte des Reiches begann nicht erst mit der Krönung des Zaren Peters I. zum russländischen Kaiser 1721 und endete nicht mit dem Sturz der Monarchie und der kommunistischen Oktoberrevolution. Auch davor und danach war das Russländische Reich eine wehrhafte und ambitionierte Macht, die eine meistens mehr, seltener weniger bedeutende Rolle im Weltgeschehen spielte. Zu den Kontinuitäten russischer Geschichte zählte spätestens seit Beginn des 17. Jahrhunderts ein strenger Zentralismus. Ausnahmslos alle Fäden der Macht schienen in der Zentrale, also in der jeweiligen Hauptstadt, bei den Regierenden zusammenlaufen. Zentrale Machtausübung bot offenbar die Garantie, den zentrifugalen Herausforderungen des polyethnischen Gemeinwesens und den Bedrohungen der Welt gerecht zu werden. Sie allein galt als fortschrittlich. Jede Form von Dezentralisierung, selbst Föderalismus, wurde hingegen als Schwächung und somit als Bedrohung für die Integrität des Landes wahrgenommen.
In einer solchen Konstellation kam naturgemäß der Hauptstadt eine enorme Bedeutung zu. Zu ihr führten alle Wege, von ihr gingen alle Entscheidungen aus. Hier existierten räumlich und politisch all jene Institutionen, die legislative, exekutive und judikative Macht im Staate ausübten. St. Petersburg war zwischen 1712 und 1918 jene Stadt, die diese Institutionen beherbergte. Zarenpaläste, Ministerien, der Staatsrat, die obersten Organe der russisch-orthodoxen Kirche, Militärkasernen, die Stadthäuser der einflussreichsten Adelsgeschlechter legen hiervon Zeugnis. Sie waren miteinander verbunden. Die Akteure trafen sich, sie kommunizierten auf verschiedenste Weise. Kuriere eilten durch die Stadt, in politischen Salons fielen Entscheidungen, und seit der zweiten Hälfte 19. Jahrhunderts verbanden Telegrafen- und Fernsprechleitungen die Akteure in den Institutionen. Die verschiedenen Kommunikationsstränge erzeugten einen spannungsgeladen politischen Raum, in dem sich wie in einem Prisma die Ereignisse im Imperium spiegelten. Die Topographie dieses politischen Raumes ist der Gegenstand der Sommerschule.
Die Nationale Forschungsuniversität „Higher School of Economics“ (HSE) gehört zu den Elitehochschulen der Russischen Föderation. Ihr Sitz ist Moskau, sie besitzt auch Filialen (Campus) in St. Petersburg, Nizhnij Novgorod und Perm. 1992 von Wirtschaftswissenschaftler aus dem Umfeld der Wirtschaftsreformer um den damaligen Minister Egor Gaidar gegründet, entwickelte sie sich rasch zu einer der führenden Universitäten Russlands mit sozial- und geisteswissenschaftlichem Profil, die sich durch Liberalität, Forschungsorientierung und Weltoffenheit auszeichnet. Die Higher School of Economics verfügt über eine konsequente Internationalisierungsstrategie, die die Gewinnung von Spitzenforschern aus dem Ausland einschließt. Ort der Sommerschule ist der 1998 gegründete Campus der Hochschule in St. Petersburg und das Department für Geschichte, das 2012 entstand.
Zielgruppe: Für die Sommerschule können sich Studierende deutscher Hochschulen der Geistes- und Sozialwissenschaften aller Studiengänge bewerben. Studierende anderer Hochschulen, soweit sie die deutsche und englische Sprache beherrschen, sind ebenfalls willkommen. Die Leitung der Sommerschule strebt an, Studierende der Higher School of Economics in die Sommerschule zu integrieren.
Bewerbung: Studierende, die den Wunsch haben, an der Sommerschule der Higher School of Economics, Campus St. Petersburg teilzunehmen, senden ein Motivationsschreiben sowie den ausgefüllten Fragebogen an Dr. Dietmar Wulff (dwulff@hse.ru). Weitere Informationen befinden sich auf der Seite des „Go-East“-Programms des DAAD und der Sommerschule.
Anforderungen: Es werden keine Kenntnisse der russischen Sprache vorausgesetzt. Alle Vorträge, Seminare sowie die Exkursionen werden in Deutsch oder Englisch angeboten. Grundkenntnisse der russischer Geschichte und Gegenwart sind wünschenswert.
Kursgebühren/Bezuschussung/Visum: Für die Teilnahme an der Sommerschule werden Gebühren in Höhe von 1200,- € erhoben. In dieser Gebühr sind die Kosten für alle Seminare und Vorträge, für den Russischunterricht, für alle Exkursionen sowie für Unterbringung und Verpflegung enthalten. Die Unterbringung erfolgt in im Stadtgebiet in zweckmäßigen Zweibettzimmern mit eigenem Sanitärtrakt.
Die Kursgebühren umfassen nicht die Kosten für die Hin- und Rückreise, Krankenversicherung und etwaige Visagebühren. Die von der Universität ausgewählten BewerberInnen erhalten von der Universität eine schriftliche Zusage, mit der sie sich im Rahmen des Programms „Go East“ beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) um ein Stipendium bewerben können. (E-mail: rechtmann@daad.de; http://goeast.daad.de). Es wird geprüft, ob die Sommerschule eine begrenzte Anzahl eigener Stipendien zur Verfügung stellen kann. Nach der Zusage durch die Leitung der Sommerschule erhalten alle TeilnehmerInnen eine offizielle Einladung durch die HSE. Mit dieser Einladung kann bei einem Konsulat der Russischen Föderation in Deutschland ein Visum beantragt werden, das in der Regel kostenfrei ist. In Ausnahmefällen kann die Einreise auch mit einem normalen Touristenvisum erfolgen.