Materialität zählt – dieses Prinzip galt lange Zeit nicht für die Forschung der mittelalterlichen Siegelkultur in Europa. Vielmehr wurde das dreidimensionale, reproduzierbare Siegel prototypisch in wissenschaftlichen Katalogen erfasst und mittels fotografischer Wiedergabe zu einer zweidimensionalen Bild/Text-Komposition reduziert. Neue Forschungsansätze rücken die Aspekte der medialen Erscheinung und damit der Materialität von Siegeln als mittels Stempel in weiche Trägerstoffe wie Wachs oder Blei geprägte Medien wieder in den Mittelpunkt.
Der Workshop bildet den Abschluss eines interdisziplinären Forschungsprojekts zu auf den zahlreichen Abdrücken des Speyerer Stadtsiegels intentional hinterlassenen Fingerabdrücken. Vom 13. bis 18. Jahrhundert wurde fast immer nach demselben Muster auf deren Rückseiten ein menschlicher Zeigefinger dreimal in vertikaler Anordnung tief eingedrückt. Durch moderne Erfassung der originalen Überlieferung mittels 3D-Scans und einer daktyloskopischen Auswertung konnte nun untersucht werden, wann oder wo dieselben bzw. unterschiedliche Hände im Spiel gewesen waren. Dadurch können nun Muster der Partizipation an einem zentralen Rechts- und Bildgebungsakt einer mittelalterlichen Bürgerschaft erkannt und damit neue mediävistische Perspektiven eröffnet werden.
Auf dem Workshop werden die Ergebnisse dieses Projekts ebenso wie diejenigen weiterer aktueller Forschungsvorhaben internationaler Expertinnen und Experten vorgestellt. Ziel ist es, den aktuellen Stand der Forschung kritisch zu erfassen und künftige Forschungsperspektiven zu diskutieren.
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English version
Material matters – these have seldom been considered in research on seals and sealing in medieval Europe. Rather, the shape and the iconographic design of the seal as a prototype are often assumed all that is needed in works of sigillography, where, indeed, it is simply shown in two-dimensional photographs. Recent approaches, however, have paid new attention to the seal as an artifact, an impression made from a matrix in soft materials such as wax or lead.
The workshop marks the close of an interdisciplinary research project on the fingerprints made deliberately on the many surviving impressions of Speyer’s city seal. From the thirteenth to the eighteenth centuries, those responsible for using the Speyer city seal left three deeply impressed fingertips in a vertical arrangement on its reverse. Thanks to modern 3D-scanning and fingerprint analysis it has been possible to assess how far – and when – the same hands were at work. It is thus possible to work out patterns of participation in a central legal and civic ceremony in a medieval city, opening new perspectives for medieval studies.
The results will be presented at this workshop and related to most recent research by international experts in this field. The aim is to make a critical assessment of the current state of research and to discuss new perspectives for future work.
Die Teilnahme ist kostenfrei (begrenzte Teilnehmerzahl) / Participation is free of charge (limited number of participants).
Anmeldung / Registration: Astrid.Puckett@kunstgeschichte.uni-giessen.de