Im Rahmen der 2. Jahrestagung der Kulturwissenschaftlichen Gesellschaft zum Thema „Migration und Europa in kulturwissenschaftlicher Perspektive“ konzentriert sich die Sektion „Transkulturelle Lebenswelten“ auf „Diversität“ im Spannungsverhältnis zwischen Praktiken und normierten Standards: je sichtbarer Diversität in europäischen Gesellschaften wird, desto mehr zeigt sich die Tendenz, diese politisch, wissenschaftlich, künstlerisch usw. zu normieren. Dabei verbreiten sich u. a. durch Diskurse, institutionelle Texte, Kunstwerke, mediale und alltagskulturelle Praktiken verschiedene, oft miteinander in Konflikt stehende Darstellungen von dem, was Diversität ist oder sein soll.
In künstlerischen Projekten wird kulturelle Diversität beispielsweise vor allem entlang von zwei „Strömungen“ kuratiert: Auf der einen Seite werden in interkultureller Strategie verschiedene, als abgrenzbar gedachte, nationalbezogene Kunstformen präsentiert, der tolerante Austausch propagiert und das Kennenlernen „fremder Kulturen“ gefeiert. Thematisch liegt der Fokus u. a. auf „migrantischen Kunstformen“ oder Migrationsgeschichten. Auch wird hier häufig als multikulturelle Strategie die kulturelle Teilhabe unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen, in diesem Falle die von Menschen mit Migrationshintergrund – und neuerdings von Geflüchteten – gefordert und dadurch kulturelle Diversität mit nationaler/ethnischer Heterogenität gleichgesetzt. Dem gegenüber stehen transkulturelle, postmigrantische, kosmopolite oder postkoloniale kuratorische Strategien, die neokolonialistische oder eurozentristische Strukturen der Repräsentation zurückweisen, die Dichotomie von „Europa versus den Rest“ versuchen aufzubrechen, oder intendieren, die postmigrantische Diversität als Normalität zu etablieren. Hier liegt der thematische Fokus explizit nicht auf der geografischen Herkunft der Künstler_innen, sondern vielmehr auf der Verflechtungsgeschichte spezieller Kunstformen, auf aktuellen Entwicklungen in den zeitgenössischen Künsten oder beispielsweise auf einem ortlosen „Third Space“ der Hybridität (Homi k. Bhabha), womit einem dynamischen, dekonstruktivistischen Kulturbegriff Rechnung getragen wird.
Verschiedene Visionen zeigen sich ebenfalls im Umgang mit sprachlicher Diversität: Wenn in Europa Mehrsprachigkeit gefördert werden soll, welche Sprachen sollen als Europäisch gelten, bzw. welche Sprachen sollen generell in Europa gelehrt und gelernt werden? Hierbei konkurrieren National- und Regionalsprachen, als europäisches Kulturerbe, mit als „nicht europäischen“ geltenden Sprachen - z. B. Chinesisch -, die gute Arbeitschancen versprechen, und weiteren Sprachen, die zwar territorial gesehen als nicht europäisch zählen, die aber mittlerweile in Europa von zahlreichen Bürger_innen gesprochen werden (z. B. Arabisch oder Türkisch).
Das Panel nimmt sich vor, solche und weitere Darstellungen in deren vielfältigen Kontexten kritisch zu hinterfragen und zu vergleichen, um die Entwicklungen verschiedener Kulturen der Diversität in Europa zu beleuchten. Dabei soll Europa nicht bloß als territoriale Entität, sondern in all seinen internen (regionalen, lokalen, städtischen, nationalen...) sowie externen (globalen, migrantischen, translokalen usw.) Ausgrenzungsprozessen gesehen werden. Europa kann insofern auch außerhalb seiner territorialen Grenzen (z. B. als Ziel oder Traum oder medial vermittelter Ort) in vielfältigen transkulturellen Lebenswelten gesehen werden.
Dabei kann durchaus Transkulturalität selbst als begriffliches Konzept kritisch erörtert werden, z. B. im Fall von kuratorischen Ansätzen, die sich als transkulturell präsentieren, bei denen aber neokolonialistische oder eurozentristische Machtstrukturen am Werke sind.
Damit hängt die Frage zusammen, ob sich „gute oder bessere“ Umgänge mit kultureller Diversität aus kulturwissenschaftlicher Sicht aufzeigen lassen, und in welcher Form eine Übertragung solcher wissenschaftlicher Ergebnisse in die Praxis zu leisten wäre.