Reformation, Migration und religiöse Pluralisierung: Politik und Praktiken religiöser Koexistenz - Jahrestagung der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen 2017

Reformation, Migration und religiöse Pluralisierung: Politik und Praktiken religiöser Koexistenz - Jahrestagung der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen 2017

Veranstalter
Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen in Kooperation mit dem Projekt "Freiheitsraum Reformation" und der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Oldenburg
Veranstaltungsort
Kulturzentrum PFL Oldenburg, Peterstraße 3, 26121 Oldenburg
Ort
Oldenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.05.2017 - 13.05.2017
Von
Dagmar Freist

Seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert wurde Europa maßgeblich von Reformationsbewegungen und Prozessen der religiösen Pluralisierung geprägt, deren Auswirkungen das alltägliche Zusammenleben in vielen Regionen ebenso erschütterten und veränderten wie die zeitgenössischen politischen Gefüge auf internationaler Ebene. Migration war in diesem Kontext zugleich Impuls und Konsequenz. Angestoßen durch die gezielte Anwerbung von Fachkräften zogen Wirtschaftsmigranten quer durch Europa und stießen vielerorts Pluralisierungsprozesse an; andere flohen vor den verheerenden Religionskriegen, die im 16. und 17. Jahrhundert viele Gegenden verwüsteten. Ein Beispiel ist die Stadt Emden, deren Bevölkerungszahl sich im 16. Jahrhundert verdoppelte durch den Zuzug niederländischer Exulanten, Menschen Calvinistischen Glaubens, die vor der Inquisition in den spanischen Niederlanden und den Religionskriegen in ihrer Heimat flohen. Dazu kamen marginalisierte oder verfolgte religiöse Minderheiten wie Juden oder Mennoniten, die selbst in Friedenszeiten nur gegen Schutzgeld und Auflagen ein befristetes Aufnahmerecht in deutschen Territorien erhielten und so verstärkt begannen, ihre Zukunft im entstehenden Kolonialgefüge der Frühen Neuzeit zu suchen. Religiös motivierte Auswanderung betraf auch die sich im Zuge der Pluralisierungsbewegungen wandelnde Missionslandschaft. Vom dänischen Christiansfeld beispielsweise reisten Herrnhuter Brüder und Schwestern aus diversen nordeuropäischen Regionen aus, um in den entlegensten Ecken der Welt ihrem Missionsauftrag zu folgen.
Sowohl für diejenigen Menschen, denen Migration zum Alltag wurde, als auch für die, mit denen sie im Laufe ihrer Wanderungen, in der neuen oder temporären Heimat zusammenlebten, bedeutete die Konfrontation mit fremden Glaubenssystemen und Praktiken oftmals ein beständiges Herausfordern und Hinterfragen der eigenen Weltordnung. Fremde Kleidung, Rituale, Klänge, Lieder, Umgangsweisen wurden zur offenen Provokation und Erschütterung scheinbar allgemeingültiger Gewissheiten, sowohl im engen Raum frühneuzeitlicher europäischer Städte als auch in den wenig urbanisierten Räumen Südamerikas oder Asiens. Die resultierenden Irritations- und Reibungsmomente konnten ebenso zu Konflikten führen wie zu Umdeutungen und Anpassungen der eigenen Überzeugung oder Modifikation der eigenen Praktiken.
Ziel der Konferenz ist es, sich in drei Sektionen mit dem umfangreichen Themenkomplex Reformation, Religiöse Pluralisierung, Migration und Praktiken religiöser Koexistenz zu beschäftigen. Als Jahrestagung der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen in Kooperation mit dem BKM geförderten Projekt Freiheitsraum Reformation, das 2017 unter dem Jahresthema „Religiöse Pluralisierung. Region und Welt“ steht, lenkt die Konferenz den Blick bewusst auf eben diese Verflechtung von Region und Welt. Regional- und Landesgeschichte wird dabei nicht auf territoriale Begrenzungen beschränkt, sondern in einer Rekonzeptualisierung regionalgeschichtlicher Forschung in größere raum-zeitliche Zusammenhänge eingeordnet.
Die erste Sektion nimmt diese Themen für das Heilige Römische Reich mit einem regionalen Schwerpunkt auf die Nordwestregion in den Blick. Hier geht es vor allem um verschiedene Praktiken religiöser Koexistenz in religiös-konfessionell gemischten Regionen. Die zweite Sektion fokussiert auf die Folgen von und die Umgangsweisen mit Migration und religiöser Pluralisierung. Während sich die ersten Beiträge der zweiten Sektion auf einzelne Migranten und ihren Einfluss auf theologische Fragen, auf die materielle Kultur oder die Entwicklung der Kirchenmusik beziehen, geht es im zweiten Teil dieser Sektion am Beispiel von (Exulanten)Städten um Umgangsweisen mit Migration und religiöser Pluralisierung. Der Fokus liegt hier auf Nordeuropa. Die dritte Sektion schließlich interessiert sich für globale religiöse Verflechtungsprozesse und Mission auf dem amerikanischen Kontinent und in Asien.

Programm

Donnerstag 11. Mai 2017
10.00-13.00 Uhr Ausschuss-Sitzung der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen
Mittagspause
14.15 Uhr Begrüßung und Einführung
Begrüßung: Henning Steinführer, Vorsitzender der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen
Grußwort: Petra Averbeck, Bürgermeisterin der Stadt Oldenburg
Einführung: Dagmar Freist, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Sektion I: Reformation, Pluralisierung und Praktiken religiöser Koexistenz
14.45-15.30 Uhr
Regime religiöser Koexistenz am Beispiel Westfalens, David Luebke, Eugene/Oregon, USA
15.30-16.15 Uhr
Praktiken religiöser Koexistenz im Fürstbistum Osnabrück, Dagmar Freist, Universität Oldenburg
16.15-16.45 Uhr Kaffeepause
16.45-17.30 Uhr
Religiöse Koexistenz und politische Kommunikation in der Grafschaft Baden (1531-1712), Daniela Hacke, FU-Berlin

18.30 Öffentliches Podium Erinnerungskultur und Geschichtswissenschaft
2017 steht (beinahe) deutschlandweit im Zeichen des großen „Reformationsjubiläums“. Das Datum, der örtliche Fokus und das Corporate Design der längst begonnenen Feierlichkeiten sowie ein großer Teil der inhaltlichen Gestaltung richten sich dabei an der Persönlichkeit und dem Ereignis aus, die sich in der deutschen Erinnerungskultur stabil als Auslöser und Träger der Reformation halten: Martin Luther und sein vermutlich legendenhafter Thesenanschlag zu Wittenberg im Oktober 1517. Trotz allen Widerspruchs von Repräsentanten nicht-lutherischer protestantischer Religionen, die sich für einen geringeren Schwerpunkt auf Luther und eine sichtbarere Inkludierung anderer, ebenso zentraler Reformationspersönlichkeiten etwa in das Logo oder die Namensgebung der Feierlichkeiten einsetzten, liegt der Fokus der Erinnerung doch weiterhin hauptsächlich auf wirkmächtigen Narrativen, die um die Figur Luther entstanden sind und nach wie vor in Schulbüchern, Denkmälern, Reiseführern etc. perpetuiert werden. Die Beständigkeit dieser Reformationsgeschichte(n) weist deren identitätsstiftendes Potential aus: „Ich stehe hier und kann nicht anders“, Luther als heroischer Einzelkämpfer, der ohne Rücksicht auf persönliche Nachteile für seinen Glauben einsteht – ein kollektives Identifikationsangebot innerhalb einer nationalen Geschichtsschreibung, in der nur noch verhältnismäßig wenige solcher Momente überlebt haben. Das Reformationsjubiläum und die Art, wie es begangen wird, laden ein, erneut das Verhältnis von Erinnerungskultur und Geschichtswissenschaft in Deutschland in den Blick zu nehmen.

In dieser Podiumsdiskussion am ersten Konferenztag setzen sich Prof. Dr. Dr. h.c. Aleida Assmann (Universität Konstanz), Prof. Dr. Lucian Hölscher (Universität Bochum/Universität Münster), Dr. Thies Gundlach (Vizepräsident Kirchenamt der EKD) und Prof. Dr. Dagmar Freist, (Universität Oldenburg, Leitung Freiheitsraum Reformation) mit den gesellschafts- und kirchenpolitischen Herausforderungen des Erinnerns, des Vergessens und der Rolle der Geschichtswissenschaft für die Gestaltung und Kritik von Erinnerungskultur auseinander.
Im Gespräch mit: Prof. Dr. Achatz von Müller, Universität Lüneburg / Universität Basel

Anschließender Empfang durch den Oberbürgermeister der Stadt Oldenburg Jürgen Krogmann

Freitag, den 12. Mai 2017
Sektion II: Migration und Religiöse Pluralisierung
9.30-10.15 Uhr
Geistliche als Migranten in Norddeutschland, Arnd Reitemeier, Universität Göttingen
10.15-11.00 Uhr
Orgeln und Konfessionen: Impulse des 17. Jahrhunderts aus der Weser-Ems-Region, Konrad Küster, Universität Freiburg
11.00-11.30 Uhr Kaffeepause
11.30-12.15 Uhr
Crossing borders: the migration of sacred music in northern Europe, 1580-1720, Stephen Rose, London
Mittagspause 12.30-13.30 Uhr
13.30-14.15 Uhr
War, Migration and the Politics of Religious Pluralism, Wayne te Brake, New York
14.15-15.00 Uhr
Exulantenstädte als Inbegriff der Toleranz? Religiöse Koexistenz und Konflikt in Glückstadt und Friedrichstadt, Justus Nipperdey, Universität des Saarlandes
15.00-15.30 Uhr Kaffeepause
15.30-16.15 Uhr
Migration und Praktiken religiöser Koexistenz in der Herrlichkeit Gödens und der Herrschaft Jever, Antje Sander, Schlossmuseum Jever
16.15-17.00 Uhr
(K)ein sicherer Hafen? - Migrantinnen in Emden, Raingard Esser, Universität Groningen

17.30-18.30 Uhr Begleitprogramm. Wir bitten um Anmeldung!
1. Stadtführung, Dr. Jörgen Welp, Oldenburgische Landschaft
2. Führung durch das Stadtmuseum - historische Villa
3. Führung durch das Stadtmuseum – Sonderausstellung „Höchste Eisenbahn“

Abendprogramm 19.30 Uhr, Lamberti-Kirche Oldenburg
„Der Disput oder Wie die Reformation nach Oldenburg kam“
Theaterstück der Kulturetage Oldenburg, gefördert von der Oldenburgischen Landschaft, in Kooperation mit der St. Lamberti Kirche und der Universität Oldenburg

Samstag 13. Mai 2017
9.00-10.45 Uhr Mitgliederversammlung der Historischen Kommission Niedersachsen und Bremen
10.45-11.15 Uhr Imbiss und Kaffee / Getränke
Sektion III: Migration, Mission und Globale Verflechtungen
11.15-12.00 Uhr
Protestantische Begegnungen: Lutherische Pastoren und religiöser Pluralismus in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts, Mark Häberlein, Universität Bamberg
12.00-12.45 Uhr
Surinam-Zeist-Herrnhut-Pennsylvania: Zum Wechselspiel lokaler Praktiken und globaler Missionspolitik am Beispiel der Herrnhuter Surinammission im 18. Jahrhundert, Jessica Cronshagen, Universität Oldenburg
12.45-13.30 Uhr
Translating Christianity? Jesuiten in der Welt und die Pluralisierung des tridentinischen Katholizismus, Antje Flüchter, Universität Bielefeld
(Ende 13.45 Uhr)

Die Anmeldung wird bis zum 21. April an die Geschäftsstelle (Am Archiv 1, 30169 Hannover) oder per E-Mail (hist.komm@nla.niedersachsen.de) erbeten.
Es wird ein Tagungsbeitrag von 15 € (ermäßigt für Schüler und Studenten 8 €) erhoben.
Wir bitten Sie, den Betrag bis zum 21. April auf das Konto der Historischen Kommission bei der Nord/LB Hannover IBAN: DE50 2505 0000 0101 0295 44 unter Angabe des Verwendungszwecks „Jahrestagung 2017“ zu überweisen.
Bitte verwenden Sie die Anmeldekarte mit weiteren Informationen zum Begleitprogramm, die Sie unter http://www.historische-kommission.niedersachsen.de/startseite/aktuelles_veranstaltungen/jahrestagung_mitgliederversammlung/jahrestagung-und-mitgliederversammlung-113688.html finden. Unter diesem Link erreichen Sie auch das Buchungsformular, mit dem Sie Ihr Hotel in Oldenburg reservieren können.

Kontakt

Nicolas Rügge
Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen e.V.
Am Archiv 1, 30169 Hannover
0511 120-6629
0511 120-6681
hist.komm@nla.niedersachsen.de

http://www.historische-kommission.niedersachsen.de