Zwischen Revolution und Restauration. Kultur und Politik 1789-1848 im Spiegel des Films. 30. Internationaler Filmhistorischer Kongress

Zwischen Revolution und Restauration. Kultur und Politik 1789-1848 im Spiegel des Films. 30. Internationaler Filmhistorischer Kongress

Veranstalter
CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmforschung e.V. und Bundesarchiv in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg und Kommunales Kino Metropolis
Veranstaltungsort
Gästehaus der Universität, Rothenbaumchaussee 34, 20148 Hamburg / Metropolis-Kino, Kleine Theaterstr. 10, 20354 Hamburg
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2017 - 26.11.2017
Von
Erika Wottrich

Die Epoche zwischen Französischer Revolution 1789 und der Restauration der »Alten Ordnung« nach dem Scheitern der demokratischen Revolutionen 1848 bewegte Zeitgenossen wie auch Künstler und Literaten späterer Jahre. Sie schwankten in ihrem Engagement für die demokratische Ordnung, wandten sich enttäuscht durch die Auswüchse des revolutionären Terrors ab oder wurden durch die Zensur der zumeist reaktionären Regime in den europäischen Monarchien in ihrer Entfaltung behindert. Das spiegelt sich in den Werken von revolutionären Autoren wie Georg Büchner; Heinrich Heine verzagte im revolutionären Paris an der deutschen Gegenwart, Schiller und Goethe entwickelten sich vom jugendlichen Sturm & Drang (Werther) zu Vertretern des höfischen Establishments. Bei den Autoren der Romantik finden sich christlich-feudale Verklärung der Vergangenheit (Brentano, Fouqué) genauso wie die düster-geheimnisvollen Brechungen der damaligen Gegenwart (E. T. A. Hoffmann, Tieck). Ähnliche Entwicklungen finden sich in europäischen Ländern, z.B. in der schwarzen Romantik englischer Aristokraten (Shelley, Byron) oder der nationalen »Wiedergeburt« der tschechischen Kultur im repressiven k.u.k.-Reich.
Die Werke und Biografien dieser Künstler wurden immer wieder von Filmschaffenden genutzt, um ihre eigene Realität unter den unterschiedlichsten Regimen (Monarchie, Republik, Diktatur) zu reflektieren. Dabei dienten die Vorlagen »klassischer Literatur« häufig auch als Absicherung, um die Zensur zu umgehen und eigene Probleme »im Kostüm« darzustellen. So spiegeln die Filme häufig die Zerrissenheit zwischen Kultur und Politik. cinefest und Filmhistorischer Kongress reflektieren damit in doppelter Brechung die filmischen Bearbeitungen künstlerischer und literarischer Werke einer politisch bewegten Zeit.

Beim 30. Internationalen Filmhistorischen Kongress werden einige der thematischen Schwerpunkte vertieft. Ein Überblickspanel macht mit den kulturellen und politischen Besonderheiten der Epoche vertraut. Am Beispiel von Manfred Noas NATHAN DER WEISE wird das Motiv der »doppelten Brechung« verdeutlicht: Ein Stück, im 18. Jh. geschrieben, befasst sich mit einem Ereignis aus dem 12. Jh. und wird im 20. Jh. verfilmt, dabei nehmen die Bearbeitungen Bezug auf die jeweilige Gegenwart.
Im zweiten Panel wird ein Blick auf Bernhard Sinkels TAUGENICHTS (1977/78) geworfen, dessen Interpretation der literarischen Vorlage aus der deutschen Spätromantik die Gegenwart des Deutschen Herbsts spiegelt. Es wird untersucht, wie die Werke des bedeutenden tschechischen Romantikers Karel Hynek Mácha (1810-1836) von Filmmachern in Neuinterpretationen verarbeitet werden.
Im nächsten Panel werden unterschiedliche Verfilmungen des gleichen Werks analysiert, insbesondere von Goethes »Die Leiden des jungen Werthers«; ebenso Interpretationen der Klassiker in den 1960er Jahren, die einen deutlichen Gegenwartsbezug aufweisen. Der Vergleich von WOZZECK (SBZ 1947, Georg C. Klaren) und BEGEGNUNG MIT WERTHER (D-West 1948/9, Karl-Heinz Stroux) veranschaulicht die Befindlichkeiten im besetzten Nachkriegs-Deutschland.
Inwieweit Leben und Werk der Dichter zur national(istisch)en Erbauung genutzt wurden, wird in einem weiteren Panel erörtert. Dabei wird aufgezeigt, wie der Dichter Theodor Körner, berühmt für seine Lieder in den antinapoleonischen »Befreiungskriegen«, sich zu einem nationalistischen Film-Mythos entwickelte. Ein Vergleich der Bearbeitungen von Schillers »Wilhelm Tell« (1804) zeigt die Brisanz des Stückes in verschiedenen politischen Systemen.
In einem Panel über die DEFA wird untersucht, wie DDR-Filmschaffende klassische Stoffe im historischen Gewand nutzten, um über ihre eigene Gesellschaft und deren Ungerechtigkeiten zu reflektieren. Ein weiterer Vortrag beschäftigt sich im Kontext der Romantik-Skepsis der DDR-Germanistik mit der Verfilmung von E. T. A. Hoffmanns »Das Fräulein von Scuderi« (1954/55, Eugen York).
Im abschließenden Panel wird der eigenwillige Umgang mit einer historischen Figur anhand von Peter Brooks Adaptation von Peter Weiss' Theaterstück »Marat/Sade« dargestellt sowie die wiederholte Beschäftigung Andrzej Wajdas mit der Phase von der Französischen Revolution bis zur Restauration 1848 untersucht.

Der 30. Internationale Filmhistorische Kongress ist integraler Bestandteil des XIV. cinefest – Internationales Festival des deutschen Film-Erbes (18. – 26.11.). Er wird am Abend des 22.11.2017 im Metropolis-Kino eröffnet. Während der Veranstaltung werden auch die Willy Haas-Preise für eine bedeutende internationale Publikation (Buch und DVD) verliehen sowie der Reinhold Schünzel-Preis, Ehrenpreis für langjährige Verdienste um die Pflege, Bewahrung und Verbreitung des Film-Erbes. Die Vorträge des Kongresses finden vom 23. – 25.11., jeweils von 9.30 – 16.00 Uhr, im Gästehaus der Universität statt. Referenten und Teilnehmer aus dem In- und Ausland vertiefen in Vorträgen und Diskussionen (Kongress-Sprachen: Deutsch oder Englisch) das Thema des Festivals in sechs thematisch abgestimmten Panels. Ab 17.00 Uhr laufen im Metropolis-Kino die Filmvorführungen, die die Vorträge ergänzen.
Die Vorträge des Kongresses werden in überarbeiteter Form in einem CineGraph Buch veröffentlicht.

Für die Teilnahme am Kongress ist eine vorherige Akkreditierung erforderlich.
Anmeldung: http://www.cinefest.de/d/akkreditierung.php

Weitere Informationen auch unter: http://www.cinefest.de

Programm

Metropolis-Kino (Kleine Theaterstr. 10)
17:00 DIE BESTEIGUNG DES CHIMBORAZO (DDR/BRD 1988/89, Rainer Simon), 97 min
Gast: Rainer Simon
In Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg

20:00 Kongress-Eröffnung mit Gästen
Verleihung des Reinhold Schünzel-Preises und der Willy Haas-Preise
ANEKDOTE AUS DEM LETZTEN PREUSSISCHEN KRIEGE (D 1995, Zoltan Spirandelli), 8 min
DENK ICH AN DEUTSCHLAND IN DER NACHT ... DAS LEBEN DES HEINRICH HEINE (D 2005/06, Gordian Maugg), 60 min

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Donnerstag, 23. November 2017

Gästehaus der Universität (Rothenbaumchausee 34)

09:30 Begrüßung

09:45 – 12:30 Panel 1: ÜBERBLICK

Sarah Goeth, Hamburg: "Zwischen Revolutionsetüden und politischer Apathie. Zum Verhältnis von Kunst und Politik zwischen 1789-1848"

Heike Klapdor, Berlin: "'Theaterfeuer, das keine Pfeife Tabak anzündet' – Manfred Noas Lessing-Film NATHAN DER WEISE (1922)"

14:00 – 16:00 Panel 2: ROMANTIK

Milan Klepikov, Prag: "'Spiel mir nicht das Lied vom Tod'. Karel Hynek Mácha oder Die umstrittene Verwendbarkeit des tschechischen Byron im Kino"

Jan Henschen, Erfurt: "Taugenichts 1978: Von Eichendorffs Romantik zu Deutschland im Herbst"

Metropolis-Kino

14:30 DURCH DIE WÄLDER, DURCH DIE AUEN (BRD 1956, G.W. Pabst), 97 min

17:00 NATHAN DER WEISE. DIE ERSTÜRMUNG JERUSALEMS (D 1922, Manfred Noa), 131 min.
Einf.: Heike Klapdor

19:30 VIDÍŠ-LI POUTNÍKA … (CS 1966, Jiří Gold, Vladimír Skalský), 13 min
ZÁCHVĚV STRACHU (BEBENDE ANGST) (CS 1983/84, Jarolsav Soukup), 95 min, OmU.
Einf.: Milan Klepikov

21:30 LENZ (BRD 1969-71, George Moorse), 130 min
Einf. Michael Töteberg

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Freitag, 24. November 2017

Gästehaus der Universität

09:30 – 12:30 Panel 3: REFLEKTIONEN

Daniel Jonah Wolpert, Cambridge: "The Author and his Corpse: German Classical Culture in the Cinema of Occupied Germany"

Michael Töteberg, Hamburg: "Büchner, Kleist, E.T.A Hoffmann: Unsere Zeitgenossen. Die Aneignung klassischer Literatur durch den Neuen Deutschen Film"

14:00 – 16:00 Panel 4: NATIONALISMUS

Evelyn Hampicke, Berlin: "Gedichte kann man nicht verfilmen. Theodor Körner - vom 'Sänger der Nation' zum nationalistischen (Film-) Mythos"

Brigitte Braun, Vallendar/Koblenz: "'Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern'. Schillers 'Wilhelm Tell', die Politik und der Film"

Metropolis-Kino

17:00 THEODOR KÖRNER (D 1932, Carl Boese), 94 min
Einf.: Evelyn Hampicke

19:30 LE ROMAN DE WERTHER (FR 1938, Max Ophüls), 85 min, OmU
Einf.: Heike Klapdor

21:00 DURCH DIESE NACHT SEHE ICH KEINEN EINZIGEN STERN (D 2004/05, Dagmar Knöpfel), 112 min
Gast: Dagmar Knöpfel

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Samstag, 25. November 2017

Gästehaus der Universität

09:30 – 11:30 Panel 5: DEFA

Anett Werner-Burgmann, Berlin: "'Kino ist fast notwendig verbunden mit Gegenwart': Die DEFA-Klassikerverfilmungen der 1970/80er Jahre"

Günter Dammann, Hamburg: "Die DEFA wagt sich an einen Autor der Romantik. DAS FRÄULEIN VON SCUDERI (Eugen York, 1955) als Koproduktion DDR/Schweden"

13:00 – 15:00 Panel 6: MONUMENTE

Michael Girke, Herford: "De Sade, eine Filmkarriere oder Dialog mit dem grausamen Partner"

Thomas Brandlmeier, München: "Revolution und Restauration in der polnischen Literatur und im polnischen Film"

15:15 – 16:00 Abschlussdiskussion

Metropolis-Kino

17:00 HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN (D 1916, Richard Oswald), ca. 70 min
Musikbegleitung: Marie-Luise Bolte

18:30 DAS FRÄULEIN VON SCUDERI (DDR/SE 1954/55, Eugen York), 99 min
Einf.: Günter Dammann

20:30 HEINRICH (BRD 1976/77, Helma Sanders-Brahms), 133 min
Gäste: Hannelore Hoger (angefragt), Grischa Huber

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Sonntag, 26. November 2017

Altonaer Museum (Museumstr. 23)

11:00 CASPAR DAVID FRIEDRICH – GRENZEN DER ZEIT (BRD 1985/86, Peter Schamoni), 84 min
Filmvorführung im Rahmen des Begleitprogramms zur Ausstellung
"Melbye. Maler des Meeres" (20.9.2017 - 4.2.2018)

Metropolis-Kino

14:30 GOTHIC (GB 1986, Ken Russell), 87 min, DF
Einf.: Volker Hummel
In Kooperation mit Bizarre Cinema

17:00 JUWELEN (SENSATION IM DIAMANTEN-CLUB) (AT 1929, Hans Brückner), ca. 70 min stumm
Musikbegleitung: Duo WeberWendt

19:00 LOTTE IN WEIMAR (DDR 1974/75, Egon Günther), 124 min
DCP-Premiere
Mit Gästen

21:30 CARDILLAC (BRD 1968, Edgar Reitz), 97 min
Einf.: Günter Dammann

Kontakt

Erika Wottrich
Swenja Schiemann

CineGraph - Hamburgisches Centrum für Filmfoschrung e.V.
Schillerstr. 43
22767 Hamburg
+49(0)40-352194
+49(0)40-345864
kongress@cinegraph.de

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