Collecting Loss – 2. Jahrestagung des GRK 2227 „Identität & Erbe“

Collecting Loss – 2. Jahrestagung des GRK 2227 „Identität & Erbe“

Veranstalter
DFG-Graduiertenkolleg 2227 „Identität & Erbe“, Bauhaus-Universität Weimar/TU Berlin
Veranstaltungsort
Bauhaus-Universität Weimar
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.05.2018 -
Deadline
25.05.2018
Von
Simone Bogner

Collecting Loss
2. Jahrestagung des GRK 2227, 16.-17. November 2018, Bauhaus-Universität Weimar

Es ist die der Abwesenheit von Menschen, Dingen, Orten oder Symbolen innewohnende Spannung, die den Verlust als gemeinschaftsfördernde Kraft bedeutsam macht. Zugleich scheint es, so Aleida Assmann, „ungleich schwerer, Lücken, Leerstellen und Abwesenheiten zu speichern als die Erfahrung einer Präsenz“ (Assmann, 2006). Insbesondere die sich gegenwärtig etablierenden Technologien verheißen die Möglichkeit, die Welt vollständig zu dokumentieren. Nichts ginge verloren. Das wäre dann, wenn es denn technisch machbar wäre, das wertungsfreie Totalarchiv, in dem sich niemand zurechtfinden würde. Dem entgegen steht die Idee des wertenden Archivs, das sich definitionsgemäß durch Auswahl, Exklusion und somit durch bewusste Entsorgung konstituiert.

Die 2. Jahrestagung des Graduiertenkollegs „Identität & Erbe“ fragt unter dem Titel „Collecting Loss“ danach, ob und, falls ja, wie Verlust gesammelt und aufbewahrt und wie Absenz gezeigt werden kann. Um den vielfältigen Dimensionen des Verlierens und Verlorengehens sowie den dagegen gerichteten Praktiken des Sammelns, Speicherns und Zeigens nachzugehen, soll insbesondere das Verhältnis zwischen den Begriffen und Konzepten des Verlusts, des Archivs, des Erbes und der Identität befragt werden.

Mit Foucault lässt sich die Kulturtechnik des Archivierens bzw. das Archiv als „Aussagesystem“ begreifen, welches nicht nur auf das verweist, was zu einer bestimmten Zeit gesagt und gedacht wurde, sondern zugleich auf die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten dieser Aussagen. Zentrale Gemeinsamkeit aller Archive ist ihre ordnende Systematik. Die archivierende Praxis des Sammelns und Aufbewahrens ist ein Auswahlprozess, der vielfältigen und nicht zuletzt politischen Implikationen folgt. Dazu gehören notwendigerweise auch das Nicht-Aufbewahren („Kassation“)und die Regulierung und Kontrolle des Zugangs zum Archiv. Das Archiv wird zum zentralen Faktor der Sicherung von Deutungshoheit. „Show Me Your Archive and I will Tell You Who Is In Power“, so bringt es das Projekt „Kiosk Gallery“ auf den Punkt. Innerhalb dieses konzeptuellen Rahmens wird sich die Tagung folgenden Themenbereichen widmen – und lädt hierzu zu Beiträgen ein:

1. Gewaltsam herbeigeführte Verluste können in der Gemeinschaft der Beraubten lange Zeit nachhallen. Ein Verlust wird innerhalb der Gemeinschaft nicht vergessen, er wird im kommunikativen Gedächtnis lebendig gehalten und durch schriftliche/sprachliche oder nicht-sprachliche Übermittlung über Generationen hinweg weitergegeben. Traumatische Verlusterfahrungen, etwa die durch die Genozide des 20. Jahrhunderts ausgelösten, werden präsent gehalten um derartige Verbrechen zukünftig abzuwenden, aber auch um die Traumata der Opfer weiterhin bearbeiten zu können. Voraussetzung hierfür ist jedoch die Möglichkeit, persönlich oder kollektiv Verlust überhaupt artikulieren zu können oder zu dürfen. Denn es gilt auch: Wenn etwas verlorengeht, das uns nicht wertvoll erscheint, werden wir den Verlust als solchen nicht adressieren. Es wäre aber denkbar, dass Andere andere Werturteile fällen und vermissen werden, was uns nichts wert ist. Es geht also um den sozialen Rahmen des Verlusterlebens, der jeweils zu präzisieren ist: Aktives Erinnern, aktive Verhinderung des Erinnerns und passives Vergessen sind keine frei wählbaren Optionen. Welche unterschiedlichen Funktionen und Bedeutungen kommen hier dem Archiv zu?

2. Stuart Hall zufolge geht die Behauptung von Identitätsverlust(en) in gegenwärtigen Gesellschaften mit einer Flexibilisierung und Vervielfältigung von Identitätsangeboten einher (Hall, 1994). Sind Archive demnach beliebige Baukästen für Identität(en)? Inwieweit können durch Archive neue Identitätsangebote geschaffen bzw. bestehende Identitätsangebote verändert werden, und durch wen werden die Angebote geschaffen? Können neue Archive erschaffen werden, oder geht es darum, bestehende Archive zu transformieren und zu aktualisieren?

3. Derzeit sehen wir uns systematischen Zerstörungen von Kulturgütern gegenüber, die medial und diskursiv in beispielloser Genauigkeit dokumentiert werden. Wiederaufbaupläne für die jeweils erwarteten Nachkriegszeiten erheben den Anspruch, diese Verluste zu ‚heilen’. Diese Behauptungen werfen mehrere Fragen auf: Wie können materielle und soziale Verluste bewertet werden? Wer bewertet die Verluste und wer bewertet welche Verluste wie? Wie werden die Verluste materieller Kulturgüter sowie die Rekonstruktionsangebote medial vermittelt, und welchen Einfluss auf den Diskurs hat die Art der medialen Vermittlung? Wie werden die Verluste von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wahrgenommen, zum Beispiel von Exilgemeinschaften, Forscherinnen oder Künstlerinnen? Wie werden Verluste dokumentiert, und wer archiviert sie? Wer betreibt die Archive, wem gehören sie? Welches Potenzial haben partizipative Archive und Community-Archivar*innen, um den Standpunkt und die Stimmen marginalisierter Gruppen widerzuspiegeln?

4. Mit der Organisation des gesammelten Materials soll das Archiv die Welt repräsentieren: Es gibt „kein Archiv ohne Draußen“ (Derrida, 1997), und umgekehrt gilt, dass alles, was sich in der Welt befindet, im Archiv einen Stellvertreter haben soll. Das Archiv sorgt dafür, dass die Dokumente nicht verlorengehen, und Archivare /Archivarinnen entwickeln operative Verfahren, um diese zu sichern Wenn zum Draußen des Archivs aber auch der Verlust gehört, wenn er in der Welt stattfindet, wo im Archiv ist dann der Platz für das Verlorene? Was nicht da ist, kann nicht aufbewahrt werden. Oder? Ist das dem Vergessen und Verschwinden entgegenarbeitende Archiv mit Verlust inkompatibel? Wie lässt sich das Zusammenspiel zwischen dem Informationsgehalt und den Speicherungsprozessen des Archivs verstehen? Wie werden das Verlorengehen und der Verlust als Thema Archiv gedacht und praktiziert? Wie wird mit Verlust innerhalb des Archivs bzw. mit Lücken im Archiv umgegangen? Und was bedeutet der Verlust eines Archivs insgesamt?

5. Nichtwissenschaftliche – wie künstlerische und filmische – Zugänge zur Sichtbarmachung von Verlust erweitern die Semantik und Pragmatik des Erinnerns um Aspekte der Empathie und Emotionalität. Im Fokus konzeptueller künstlerischer Arbeiten steht darüber hinaus häufig die Befragung von Archiven und deren Objektivität. Der Akt des Dokumentierens kann über das Sammeln und Speichern hinaus Erzählen auslösen, historische Momente audiovisuell erlebbar machen, Marginalisiertes in die Öffentlichkeit bringen und auf diese Weise andere Narrationen aktivieren. Wie können solche Vorgänge in einer wissenschaftlichen Analyse erfasst und bewertet werden? Wie verhalten sich wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Praktiken des Sammelns und Speicherns zueinander? Wo verläuft die Grenze zwischen nichtwissenschaftlicher und wissenschaftlicher Archiv-Analyse, und auf welch unterschiedliche Weise bedient man sich dabei der Archive? Wie sehen die dokumentarischen Strategien von ephemeren künstlerischen Arbeiten aus, und wie wird diese dem bewusst Ephemeren der Arbeiten entgegenarbeitende Permanenz reflektiert?

Wir suchen Beiträge, die sich mit den dargelegten Fragen und Thesen kritisch auseinandersetzen. Aufgrund der eingehenden Vorschläge werden Sektionen gebildet, welche die einzelnen Thematiken zu übergeordneten Fragestellungen bündeln. Wir streben einen aktiven Austausch unter den Teilnehmenden an und freuen uns daher über Einreichungen aus unterschiedlichen Forschungszugängen.

Beiträge sollen eine Redezeit von 20 Min nicht überschreiten. Abstracts (300 Wörter) und CV werden bis zum 25. Mai 2018 per Email erbeten an Simone Bogner, cfp[at]identitaet-underbe.org. Über die Aufnahme in das Programm werden die Referent*innen am 18. Juni 2018 informiert. Deadline für die Abgabe der Papers ist der 19. Oktober 2018.

Die Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch. Reisekostenzuschüsse können begrenzt gewährt werden.

Programm

Kontakt

Simone Bogner
TU Berlin, Fak. VI, Institut für Stadt- und Regionalplanung, Graduiertenkolleg "Identität und Erbe"
Hardenbergstr. 40a
10623 Berlin
Mail: cfp(at)identitaet-und-erbe.org

http://www.identitaet-und-erbe.org/?p=1369#more-1369
Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Englisch, Deutsch
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