Räume des Anomischen

Räume des Anomischen

Veranstalter
Prof. Dr. Anna-Bettina Kaiser / Dr. Benjamin Lahusen, Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltungsort
Humboldt-Universität zu Berlin, Festsaal, Luisenstr. 56, 10115 Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.06.2018 - 08.06.2018
Von
Benjamin Lahusen, Juristische Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin

Das Recht der Moderne ist, seinem Anspruch nach, omnipräsent. Die Französische Revolution, der Zusammenbruch des philosophisch fundierten Naturrechts und die mit der Aufklärung einhergehende Säkularisierung verlangten nach einem neuen normativen System, um das menschliche Miteinander zu regeln. Diese Aufgabe nahm, in zunehmend exklusiver Zuständigkeit, das Recht wahr. Mit seiner kontinuierlichen Positivierung verlor es zwar seine Wahrheitsfähigkeit, gewann aber im Gegenzug die Möglichkeit, auf alle erdenklichen Fragen eine Antwort zu geben, bis es sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch der Staat selbst gefallen lassen musste, gegebenenfalls vom Recht korrigiert zu werden. Gleiches Recht für alle, das war das zentrale Versprechen des Rechtsstaats.
Die Verheißung, die darin lag, ist im 20. Jahrhundert mehr und mehr als Zumutung wahrgenommen worden. Schon nach dem Ersten Weltkrieg wuchs das Unbehagen an den Verfahren des Rechts, die zu behäbig und zu umständlich seien, um auf substantielle Herausforderungen der Gesellschaft angemessen reagieren zu können. Zugleich wurden individuelle Entfremdungserscheinungen zum Ausgangspunkt einer Kritik am Recht überhaupt, dessen juristische Verarbeitung als technisch-doktrinäre Engführung wahrgenommen wurde, die eine in der Gesellschaft angeblich ursprünglich vorhandene rechtliche Empfindsamkeit notwendig verletzen müsse.
Gegenwärtig haben diese Formen der Kritik wieder starken Zulauf. Der Traum vom Durchregieren ist heute so mächtig wie die Utopie einer Gesellschaft, die ihre Konflikte ohne juristische Mediatisierung lösen kann; an die Suspension ganzer Rechtsgebiete im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus hat man sich beinahe schon gewöhnt. Die Tagung möchte dies zum Anlass nehmen, die Grenzen des Rechts und die Räume der Anomie einer näheren Inspektion zu unterziehen: Unter welchen Bedingungen gesellschaftliche Krisen dem Recht Anpassungsleistungen abverlangen; welche Widerstände das Recht seiner eigenen Suspension entgegenbringt; ob eine Welt ohne Recht juristisch noch verarbeitet werden kann; welches Maß an Normalität Recht voraussetzt; wie das Individuum auf Erfahrungen der Rechtlosigkeit reagiert – diesen und anderen Fragen werden wir anhand von kurzen Vorträgen aus juristischer, historischer, soziologischer, politischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive nachgehen.

Die Teilnahme ist frei. Aus organisatorischen Gründen wird um eine Anmeldung unter sekretariat.kaiser@rewi.hu-berlin.de gebeten.

Programm

Donnerstag, 7. Juni 2018

13.45: Begrüßung und Einführung

14.00–16.00: Die Ordnung des Anomischen
Benjamin Lahusen, Berlin: Der Stillstand der Rechtspflege
Christoph Möllers, Berlin: Die Grenzen des Rechts
Nicolas Bertrand, Langenstein-Zwieberge: Die Ordnung der Gewalt in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern

16.30–18.30: Jenseits des Rechts
Svenja Bethke, Leicester: Überleben und Normalität im nationalsozialistischen Ghetto? Die Funktion des Rechts in einer Zwangsgemeinschaft
Jochen Bung, Hamburg: Die Kriminologie des Ausnahmezustandes
Martin Löhnig, Regensburg: Die ‚Stunde Null’

19.00 Abendvortrag
Horst Bredekamp, Berlin: Bild – Zeit – Recht

Freitag, 8. Juni 2018

9.00–10.30: Recht und Gewalt
Bernd Greiner, Hamburg: Terror
Jasper Finke, Edinburgh: Selbstverteidigung gegen nichtstaatliche Akteure

11.00–13.00: Irritationen
Daniel Damler, Frankfurt am Main: Synästhetische Normativität und Anomie
Steffen Augsberg, Gießen: Normalität und Normativität
Peter Collin, Frankfurt am Main: Recht im Ersten Weltkrieg

14.00–16.00: Die Grammatik des Ausnahmezustandes
Anna-Bettina Kaiser, Berlin: Die Suspension der Rechtsordnung im Ausnahmezustand
Tristan Barczak, Münster: Die Antizipation des nicht Antizipierbaren – Zur risiko- und gefahrvorbeugenden Vergesetzlichung des Ausnahmezustands
Anja Mihr, Berlin: Internationales Menschenrecht in der Übergangsjustiz

Kontakt

Dr. Benjamin Lahusen
benjamin.lahusen@rewi.hu-berlin.de

http://lahusen.rewi.hu-berlin.de/
Redaktion
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Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
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