HT 2016: Mittelalterliche Stiftungen – eine Glaubensfrage? Indien und die übrige vormoderne Welt

HT 2016: Mittelalterliche Stiftungen – eine Glaubensfrage? Indien und die übrige vormoderne Welt

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.09.2016 - 23.09.2016
Url der Konferenzwebsite
Von
Joseph Lemberg, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Wie vermutlich kaum einer anderen Sektionleiter/in des diesjährigen Hamburger Historikertags ist es der Indologin ANNETTE SCHMIEDCHEN (Berlin) mit ihrem Panel gelungen, das Motto des Kongresses („Glaubensfragen“) mit dem diesjährigen regionalen Schwerpunkt („Indien“) in einer Sektion überzeugend zusammenzuführen. Unter dem Titel „Mittelalterliche Stiftungen – eine Glaubensfrage? Indien und die übrige mittelalterliche Welt“ trafen sich Indologen, ein Islamwissenschaftler, ein Byzantinist und eine Kirchenhistorikerin, um über religiöse Devianz und Ambivalenz im vormodernen Stiftungswesen zwischen Indien und Westeuropa zu diskutieren. Methodisch und teils auch personell knüpfte die Sektion dabei an das von Michael Borgolte geleitete ERC-Projekt „FOUNDMED – Stiftungen in mittelalterlichen Gesellschaften“ an der Humboldt-Universität zu Berlin an. Die transkulturellen Impulse dieses Projekts aufgreifend und sie fortentwickelnd, nahm Schmiedchens Historikertagssektion in gleich zweifacher Hinsicht eine transkulturelle Perspektive ein: Zum einen weil sie die Stiftertätigkeit selbst nach transkulturellen Prozessen befragte, insofern es nämlich darum ging zu verstehen, warum und in welchen Kontexten Stifter religiöse Gruppen begünstigen, deren Kult von dem des Stifters abweicht; zum anderen aber weil diese Frage zugleich in transkulturell vergleichender Perspektive erörtert wurde: von Indien – mit einem Seitenblick auf Kaschmir – über die muslimische Welt und Byzanz bis zum westlichen Europa der Reformationszeit.

In ihrer Einführung berief sich ANNETTE SCHMIEDCHEN auf ein mediävistisches, an der Überlieferung des lateinischen Westens gewonnenes Stiftungsmodell. Demnach unterscheiden sich Stiftungen von Schenkungen dadurch, dass das durch den Stifter bereitgestellte Grundstockvermögen eine ständig wiederholte und damit auf Dauer angelegte Gabe ermögliche, welche sich aus den Erträgen des Stiftungskapitals speise. Dabei folgen Stiftungen in der Regel einer durch den Stifter definierten Zweckbestimmung. Diese ist in den transzendenten Gesellschaften des mittelalterlichen Jahrtausends religiös, zumindest aber auf religiöse Sinngebung angewiesen. In den mittelalterlichen Stiftungskulturen zwischen Indien und Westeuropa sind es bei weitem nicht nur, aber häufig die für den kultischen Vollzug der Religion zuständigen Gruppen und Einrichtungen, zu deren Gunsten fromme Stiftungen ins Werk gesetzt werden. Wie aber ist vor diesem Hintergrund mit dem Befund umzugehen – so Schmiedchens zentrale Frage, um die die gesamte Sektion kreiste –, dass stiftende Könige und Fürsten in einer multireligiösen bzw. multikonfessionellen Umwelt nicht nur den eigenen Kult durch Stiftungen förderten, sondern in einem beachtlichen Ausmaß auch andere Kulte? Gerade im mittelalterlichen Indien pflegten Herrscher, ihre Zuwendungen breit zu streuen, um sie Brahmanen, hinduistischen Tempeln, buddhistischen Klöstern und jinistischen Einrichtungen zuteilwerden zu lassen. Mit herrscherlicher Toleranz oder der vermeintlichen Fluidität religiöser Grenzen im vorislamischen Indien, so die herkömmlichen Deutungen dieser Praxis, sei dies allein nicht zu erklären. Vielmehr müsse man einerseits die religiöse Orientierung eines stiftenden Herrschers ernst nehmen. Anderseits aber gehe mit dieser zugleich ein herrschaftliches Amtsverständnis einher, das darauf ziele, für die verschiedenen Glaubensvorstellungen eines Herrschaftsbereichs durch Stiftungen Patronage auszuüben und damit Herrschaft zu markieren.

Ganz in diesem Sinne konnte KATRIN EINICKE (Halle) in ihrem Vortrag auf der Grundlage von 3.700 Inschriften aus Nordindien die Streuung herrscherlicher Stiftungen an Brahmanen, hinduistische Tempel und buddhistische Klöster quantitativ erheben. Dabei wurde deutlich, dass – besonders im Mittelalter – die Brahmanen zu den bevorzugten Nutznießern herrscherlicher Stiftungen avancierten. Anhand der Widmungsformeln von circa 800 Urkunden arbeitete Einicke überdies die Motive der Stifter heraus: Die Herrscher hätten es als ihre vorrangige Pflicht angesehen, für ihre Untertanen zu sorgen; überdies seien aber auch die Hoffnung auf spirituelle Belohnung im Jenseits durch die Ansammlung von religiösem Verdienst und (vor allem in Stiftungen an brahmanische und hinduistische Empfänger) das Bemühen um Ruhm und Ansehen im Diesseits ausschlaggebend gewesen. Die Vorstellung, dass ein Stifter durch seine Wohltat Lohn im Jenseits erwerbe, wurde zwar allenthalben geteilt, wie der reiche Befund der Widmungsformeln zeige, habe aber in einer gewissen Diskrepanz zu den vereinzelten Aufforderungen normativer Texte gestanden, sich von der Gabe keine Gegenleistung zu erhoffen. In politischer Hinsicht seien Stiftungen im mittelalterlichen Indien zudem von zentraler herrschaftsstabilisierender Bedeutung gewesen. Sie bekräftigten die Legitimation des Herrschers; der Logik der Herrschaftsstabilisierung folgten auch und gerade dann Fürsten, wenn sie in neu eroberten Gebieten für lokale Götter stiften und damit ihren Patronats- und Herrschaftsanspruch unterstrichen.

Im Zentrum des Vortrags von WALTER SLAJE (Halle) standen die vielfachen Wechselbeziehungen, die sich anhand des Stiftungswesens im mittelalterlichen Kaschmir zwischen Buddhisten, Hindus und Muslimen beobachten lassen. Stiftungen des Adels im vorislamischen Kaschmir (vor dem 14. Jahrhundert) seien sowohl buddhistischen als auch brahmanisch-hinduistischen Gruppen zugutegekommen, und zwar unabhängig von den religiösen Neigungen des Stifters. Die hohe wechselseitige Akzeptanz zwischen Hindus und Buddhisten sei darauf zurückzuführen, dass beide Religionen aus Indien stammten, also nicht als fremd wahrgenommen wurden, und dass ihre Anhänger zentrale Glaubensgrundsätze teilten. An dieser multireligiös ausgerichteten Stiftungspraxis scheint sich auch nach dem Vordringen des Islam in Kaschmir vorerst wenig geändert zu haben. So bedachten muslimische Herrscher, Beamte und Adlige mit ihren Stiftungen in früherer islamischer Zeit, nämlich noch bis weit ins 15. Jahrhundert, nicht nur muslimische, sondern auch hinduistische und buddhistische Einrichtungen. Zwar sei es mit der Ausbreitung der Islam auch in beträchtlichem Maß zur Auflösung nicht-muslimischer Kultstätten gekommen. Entweihungen fanden jedoch schon in vorislamischer Zeit statt, etwa dann, wenn ein Fürst finanzielle Engpässe durch die Aneignung von Stiftungsgut ausgleichen wollte, auch dies zuweilen unabhängig von den religiösen Präferenzen des entweihenden Herrschers. Heikel waren derlei Desakralisierungsmaßnahmen hinduistischer Götterstatuen und Tempel durch einen Hindu-Fürsten nicht nur deshalb, weil der Fürst sich mit der Konfiskation von Stiftungsgut am „Eigentum der Götter“ bereicherte, sondern überdies, weil ein Götterbild als Aufenthaltsort der Gottheit angesehen wurde, der Gott also ausgetrieben werden musste, bevor das kostbare Material profanen Zwecken zugeführt werden konnte.

Als „Eigentum Gottes“ wurde Stiftungsgut auch im mittelalterlichen Islam konzipiert, wie IGNACIO SÁNCHEZ (Warwick) in seinem Vortrag darlegte. Am Beispiel der Überlegungen des islamischen Theologen Ibn Hanbal (gest. 855) diskutierte Sanchez die rechtliche, moralische und rituelle Relevanz des islamischen Modells der Stiftung, des waqf. Dessen Gestalt nämlich sei aufs engste mit dem Prinzip größter religiöser Gewissenhaftigkeit (wara) verknüpft, das vor allem bei solchen religiösen Gruppen anzutreffen sei, die ihr Handeln an einer besonders strengen Auslegung des islamischen Rechts orientieren; auch Ibn Hanbal und seine asketische Schule der Hanbaliten gehörten dazu. Nach Ibn Hanbal war es nicht zulässig, eine Erbschaft anzunehmen, wenn der Erbe nicht wusste, ob die Güter auf gerechtem Wege erworben worden, das heißt moralisch rein, waren. In einem solchen Fall habe Ibn Hanbal empfohlen, das Erbe in eine religiöse Stiftung einzubringen. Sanchez zeigt damit, wie hier Kapital durch einen überwölbenden religiösen Zweck, auf den die Stiftung zielt, vor den Verdikten religiösen Reinheitsdenkens gerettet wird: Es ist die Reinheit des Stiftungszwecks, die die Unreinheit der Stiftungsmittel überwindet. Ibn Hanbals ‚Skrupel aus dem Glauben’ werden durch eine ‚Lösung aus dem Glauben’ pariert und damit gleichsam aufgehoben. Erst vor diesem Hintergrund sei denn auch der Pragmatismus der zweiten Generation der Hanbaliten erklärbar. Während Hanbal und seine zeitgenössischen Anhänger sich selbst noch gesträubt zu haben scheinen, möglicherweise unrechtmäßig erworbene Mittel aus der Hand potentieller Förderer anzunehmen, habe die nachfolgende Generation dazu geneigt, sich auf die reinigende Wirkung der Stiftung zu verlassen – um als Günstlinge mächtiger Stifter eine bedeutende islamische Rechtsschule auszubilden.

ZACHARY CHITWOOD (Mainz) widmete sich in seinem Vortrag der Stiftertätigkeit byzantinischer Kaiser und Funktionsträger für nicht-orthodoxe Gemeinschaften. Diese erlaube, die verbreitete Auffassung von Byzanz als einer christlich-orthodoxen Einheitskultur in Frage zu stellen. So förderte das Kaiserpaar Justinian und Theodora im 6. Jahrhundert die missionarischen Aktivitäten syrisch-orthodoxer Christen, obwohl diese als Miaphysiten einen zentralen Grundsatz der griechischen Orthodoxie, die Zwei-Naturen-Lehre Christi, ablehnten. Theodora stiftete miapyhsitischen Syrern ein Kloster des Heiligen Sergios. Weitaus bedeutender noch als die Syrer waren bis zum Ende des 11. Jahrhunderts die Minderheiten der (mehrheitlich miaphysitischen) Armenier und der (orthodoxen) Georgier in Byzanz. Obwohl die byzantinischen Kaiser gegenüber den Armeniern offenbar keine offizielle Politik der Toleranz betrieben, seien Stiftungen armenischer Kirchen und Klöster wohl vereinzelt geduldet worden. So stiftete der aus Iberia stammende, aber dem griechisch-orthodoxen Glauben anhängende Feldherr Gregor Pakourianos gegen Ende des 11. Jahrhunderts im heutigen Batschkowo (Bulgarien) ein Kloster für eine monastische Gemeinschaft von Georgiern und Armeniern. Anders liege der Fall bei Kaiser Basileios II. (gest. 1025) und seinem Mitkaiser Konstantin VIII., die das armenische Kloster Aparank mit einer Reliquie des Wahren Kreuzes beschenkten. Dieser Gunsterweis müsse im Zusammenhang mit der byzantinischen Ostexpansion im 10. und 11. Jahrhundert gesehen werden, in deren Folge bis dahin unabhängige armenische Fürstentümer annektiert wurden. Die dabei in den Machtbereich der Byzantiner fallenden armenischen Kirchen und Klöster habe man nicht nur geduldet, sondern wohl vereinzelt auch begünstigt, um die neue Herrschaft zu stabilisieren.

Eine frühneuzeitliche Perspektive nahm GURY SCHNEIDER-LUDORFF (Neuendettelsau) in ihrem Vortrag über das Stiftungswesen der Reformationszeit im römisch-deutschen Reich ein. Durch die reformatorische Kritik an der tradierten Vorstellung von der erlösenden Wirkung guter Werke habe sich das Stiftungswesen in Deutschland während des 16. Jahrhunderts grundlegend gewandelt. An die Stelle der Stiftung um des eigenen Seelenheils willen, die Luther als eigennützig abgelehnt habe, sei das Programm einer „wahren caritas“ getreten, deren Proklamatoren die Nächstenliebe um ihrer selbst willen verkündeten. Die Gabe der Stifter habe damit in erster Linie ein Verhältnis zwischen Stiftern und Begünstigten konstituieren sollen, weniger zu Gott. Auch die reformatorische Neudeutung des Todes und die damit einhergehende Transformation des Totengedenkens werde sichtbar etwa dort, wo Epitaphien nicht mehr forderten, für die Toten zu beten, sondern den Glauben der Lebenden zu stärken. Als Signum einer neuen bürgerlich-protestantischen Konzeption des Stiftens wertete Schneider-Ludorff die wachsende Rolle von Stipendienstiftungen für Studenten der Theologie; auch bei diesen habe nicht das Seelenheil der Toten, sondern das Heil der Lebenden im Vordergrund gestanden. Gleiches gelte für die landesfürstlichen Umwandlungen von Klöstern in Hospitäler.

Die Sektion dokumentierte eindrücklich, wie anregend und zuweilen überraschend der vergleichende Blick auf Stiftungskulturen im mittelalterlichen Asien und Europa sein kann, gerade dann, wenn dabei der Umgang stiftender Akteure mit Abweichung und Fremdheit im Vordergrund steht. Gewiss bleibt grundsätzlich festzuhalten, dass der Monotheismus den Handlungsspielraum eines muslimischen oder gar christlichen Herrschers, abweichende Kulte zu fördern, weitaus stärker einschränkte, als dies im multireligiösen Indien (zumal bei den polytheistischen Hindus) der Fall sein konnte. Umso stärker würdigte man in der Diskussion das Beispiel von der byzantinischen Förderung des armenischen Klosters Aparank auf frisch erobertem, nunmehr byzantinischem Terrain, das Vergleiche ermöglichte mit der Praxis indischer Herrscher, neu annektierte Herrschaftsräume durch die Begünstigung lokaler Kulte einzufrieden. Sowohl das indische als auch das byzantinische Beispiel wichen hier fundamental von der Raison d’être (lateinisch-)christlicher Herrschaftsstabilisierung und Expansion ab: Diese nämlich bewährte sich vorrangig in der Strategie, Herrschaft durch Mission, also durch religiöse Homogenisierung, zu sichern – und gerade nicht durch die Duldung oder gar Förderung abweichender Kulte. Interesse fanden unter den Zuhörern auch die in den unterschiedlichen Stiftungskulturen vorherrschenden Vorstellungen vom religiösen Verdienst, das ein Stifter durch seine Gabe erwerben könne; aus ihnen ergeben sich Fragen nach dem Wechselverhältnis von Selbstlosigkeit und Eigennutz des Stifters. Beachtet wurde denn auch, dass die Diskrepanz zwischen der Vorstellung von der spirituellen Verdiensthaftigkeit der Stiftung einerseits und dem Ideal der selbstlosen, unverzweckten Gabe andererseits sowohl im Christentum als auch im mittelalterlichen Indien latent fassbar ist. Mittelalterliche Wohltäter ließen sich durch diesen Zwiespalt allerdings weder in Indien noch in der christlichen Welt von ihren Stiftungen und der Hoffnung auf himmlischen Lohn abhalten. Umso schärfer erweist sich von hier aus der Bruch, den die Reformation mit der Abkehr von der Seelenheilstiftung herbeigeführt hat. Es bleibt zu hoffen, dass die Referenten ihr interdisziplinäres Gespräch bald fortsetzen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Annette Schmiedchen (Berlin)

Annette Schmiedchen (Berlin): Einführung

Katrin Einicke (Halle): Stiftungspraxis in Indien: Normative Grundlagen und persönliche Motivation der Akteure

Walter Slaje (Halle): Zum Stiftungswesen im mittelalterlichen Kaschmir. Wechselbeziehungen zwischen Buddhismus, Hinduismus und Islam

Ignacio Sánchez (Warwick): Endowment Practices, Asceticism and Religious Scrupulosity in Medieval Islam

Zachary Chitwood (Mainz): Zur Frage der ostchristlichen Konfession von Stiftern, Begünstigten und Umgebungsgesellschaft in Byzanz

Gury Schneider-Ludorff (Neuendettelsau): Kritik und Neudeutung des Stiftungswesens in der Reformationszeit und seine Bedeutung für die Profilierung eines konfessionellen Selbstverständnisses in den Reichsstädten und Territorien des 16. Jahrhunderts