Der fachdidaktische Gehalt eines wissenschaftlichen Analysekonzepts. Zum Vermittlungspotenzial der NS-Volksgemeinschaft

Der fachdidaktische Gehalt eines wissenschaftlichen Analysekonzepts. Zum Vermittlungspotenzial der NS-Volksgemeinschaft

Veranstalter
Europa-Universität Flensburg, Institut für Zeit- und Regionalgeschichte und Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik, Prof. Dr. Uwe Danker, Dr. Sebastian Lehmann, Dr. Astrid Schwabe
Veranstaltungsort
Prinzenpalais/ Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig
Ort
Flensburg/ Schleswig
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.05.2015 - 29.05.2015
Deadline
02.01.2015
Website
Von
Danker, Uwe/ Schwabe, Astrid/ Lehmann, Sebastian

In den vergangenen Jahren hat sich in der Geschichtswissenschaft eine intensive und produktive Debatte um den Begriff der NS-Volksgemeinschaft entsponnen. Trotz einiger Kritik auch von prominenter Seite erweitert er das analytische Repertoire für das Verstehen und Erklären des Nationalsozialismus um eine wesentliche Kategorie. Inzwischen kann die Nutzung des Begriffs als kanonisiert gelten, auch wenn der Gebrauch sicherlich weiter als uneinheitlich zu charakterisieren ist.

Bislang noch kaum diskutiert wurden der fachdidaktische Gehalt dieses wissenschaftlichen Konzepts und Implikationen für historische Lernprozesse zu Nationalsozialismus und Holocaust. Diese Fragen sollen im Mittelpunkt der ausgeschriebenen Konferenz stehen.

Im Folgenden seien nur die wichtigsten Wegmarken der fachwissenschaftlichen Debatte angedeutet: Bis in die 1980er Jahre hinein gilt die NS-Volksgemeinschaft innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft lediglich als Propaganda-Begriff bzw. als Mythos. Auch wenn Peukert schon in der Studie „Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde“ (Peukert 1982) ihren quasi selbsttragenden Wirkmechanismus herausgearbeitet hat, gerät „Volksgemeinschaft“ als Analysekategorie erst bedeutend später in den Blick. Die NS-Volksgemeinschaft wird inzwischen als gesellschaftliches Ordnungssystem begriffen, einschließlich erheblicher Potenziale für „Selbstermächtigungen der Volksgenossen“ (Wildt 2007) in der NS-Konsensdiktatur. Der Band „Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus“ (Bajohr/ Wildt 2009) bündelt 2009 den aktuellen Forschungsstand. Im gleichen Jahr nimmt das Niedersächsische Forschungskolleg „Nationalsozialistische ‚Volksgemeinschaft‘? Konstruktion, gesellschaftliche Wirkungsmacht und Erinnerung vor Ort“ seine Arbeit auf, das seine Forschungsergebnisse bisher in fünf Sammelbänden präsentiert hat (Schmiechen-Ackermann 2012; Oltmer 2012; von Reeken/ Thießen 2013; u.a.). Zum ganz aktuellen Stand siehe zuletzt Steber/ Gotto 2014 und „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ 62 (2014), 3.

Ob sie als Fiktion oder Realität verstanden wird, das Versprechen der Volksgemeinschaft machte, so die überwiegende Forschungsmeinung, einen erheblichen Teil der Attraktivität der NS-Herrschaft aus (Frei 2005). Der Wirkmechanismus der NS-Volksgemeinschaft beinhaltete harmonische Inklusion der Einen, gewalttätige bis mörderische Exklusion der Anderen. Denn: Wir-Gefühl setzt Bilder von den Anderen, den Nicht-Dazu-Gehörenden voraus, gesellschaftliche Homogenität wird durch Ausgrenzung erzeugt. Dieser soziale Orientierungs- und Gestaltungsmechanismus ist der Gruppensoziologie, der Systemtheorie und der Sozialpsychologie wohlbekannt. Auf den Extremfall der NS-Gesellschaft übertragen sind totale Exklusionsmaßnahmen und Inklusionsangebote in den Fokus zu rücken. Das ist das analytische Potenzial des Volksgemeinschaftsbegriffs.

Wir wollen auf der Konferenz fragen: Wie steht es um die didaktischen Potenziale des Konzepts und dessen Umsetzung in der schulischen und außerschulischen Geschichtsvermittlung? Kann es die Vermittlung der Geschichte von Nationalsozialismus und Holocaust unterstützen, vertiefte Erkenntnis erreichen helfen?

Birgt der Begriff der NS-Volksgemeinschaft spezifische Chancen, die Funktionsweise des Nationalsozialismus bezogen auf herrschaftliche und gesellschaftliche Aspekte besser zu verstehen als bisher? Welche Effekte hat die neue Perspektive auf die Akteure auf das historische Lernen? Inwiefern kann das Konzept der NS-Volksgemeinschaft helfen, eine fachdidaktisch sinnvolle Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Verankerung der „NS-Zustimmungsdiktatur“ (Aly) auszulösen? Welche Möglichkeiten, aber auch welche Herausforderungen oder gar Gefahren bietet eine tendenziell analytischere, stärker reflektierende Betrachtung der ‚attraktiven‘, ‚verheißungsvollen‘ Seiten der NS-Herrschaft im Kontext historischen Lernens?

Auf der Tagung sollen neben der theoretischen Auseinandersetzung auch konkrete Umsetzungen in der schulischen und außerschulischen Geschichtskultur in analytischer und normativer Hinsicht vorgestellt und diskutiert werden.

Indem wir den fachdidaktischen Gehalt dieses wissenschaftlichen Analysekonzepts diskutieren, lässt sich der Blickwinkel erweitern auf den Gang eines solchen Konzepts im historischen Wissenschafts- und Wissensvermittlungsbetrieb, in der geschichtskulturellen ‚Verwertungskette‘. Wir können auch vergleichbare Prozesse reflektieren, an deren Anfang die Einführung eines neuen fachwissenschaftlichen Ansatzes steht und an deren Ende sich Fragen nach der Umsetzung in der schulischen und außerschulischen Vermittlung stellen.

Geplant sind drei Sektionen. Sie rücken in den Fokus die fachwissenschaftliche, die fachdidaktisch-theoretische und die konkret-pragmatische Perspektive.

Sektion NS-Volksgemeinschaft – ein fachwissenschaftliches Konzept und seine Geschichte (geschlossene Sektion)
- Martina Steber, München: Grundlegungen und Bilanz (Arbeitstitel)
- Frank Bajohr, München: Zur Begriffs- und Forschungsgeschichte (Arbeitstitel)

Sektion NS-Volksgemeinschaft in geschichtsdidaktischer Perspektive I – Potenziale, Herausforderungen und Probleme
Beispielsweise:
- Analytisch-normative Überlegungen zum historischen Lernen unter Anwendung des fachwissenschaftlichen Analysekonzepts
- Volksgemeinschaft und Geschichtsunterricht (konzeptionelle Fragestellungen)
- Volksgemeinschaft und Geschichtskultur (konzeptionelle Fragestellungen)
- Prozesse fachwissenschaftlicher Paradigmenwechsel und ihrer geschichtskulturellen Umsetzungen

Sektion NS-Volksgemeinschaft in geschichtsdidaktischer Perspektive II – (Vermittlungs-)Konkretionen und Empirie
Beispielsweise:
- Volksgemeinschaft und Geschichtsunterricht (empirisch-pragmatische Fragestellungen)
- Geschichtskulturelle Repräsentationen der Volksgemeinschaft (bspw. Gedenkstätten, museale Darstellung, Schulbuchanalyse)
- Konkrete Umsetzungen an authentischen Orten

Wir möchten sowohl Fachwissenschaftler/innen und Fachdidaktiker/innen sowie explizit auch Mitarbeiter/innen von Vermittlungseinrichtungen zur Einsendung von Abstracts für die Sektionen NS-Volksgemeinschaft in geschichtsdidaktischer Perspektive I und II aufrufen. Besonders wollen wir Nachwuchswissenschaftler/innen ermutigen.

Die Referate sollen eine Länge von 20 Minuten nicht überschreiten. Eine Veröffentlichung als Tagungsband ist geplant. Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Fahrtkosten werden für die Referenten/innen übernommen. Die Tagung findet vom 28. bis 29. Mai 2015 im Prinzenpalais/ Landesarchiv Schleswig-Holstein in Schleswig statt.

Bitte senden Sie ein Abstract mit max. 3.000 Zeichen sowie kurze biographische Hinweise bis zum 2. Januar 2015 als PDF an: Astrid Schwabe, Europa-Universität Flensburg (astrid.schwabe@uni-flensburg.de).

Programm

Kontakt

Dr. Astrid Schwabe
Europa-Universität Flensburg
Seminar für Geschichte und Geschichtsdidaktik
Auf dem Campus 1
24943 Flensburg
Tel.: 0461 - 805 2188
astrid.schwabe@uni-flensburg.de


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