Historische Sozialkunde 45 (2015), 4

Titel der Ausgabe 
Historische Sozialkunde 45 (2015), 4
Weiterer Titel 
Flora und Fauna im globalen Kontext - eine Transfergeschichte

Erschienen
Erscheint 
vierteljährlich
Anzahl Seiten
44 S.
Preis
6 €

 

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Institution
Historische Sozialkunde: Geschichte, Fachdidaktik, politische Bildung
Land
Austria
c/o
Die Zeitschrift wurde Ende des Jahres 2018 eingestellt. Der "Verein für Geschichte und Sozialkunde" ist seit Juni 2019 aufgelöst. Ein Kontakt zu den ehemaligen Herausgebern ist nicht mehr möglich.
Von
Fuchs, Eduard

Friedrich Edelmayer/Sven Tost (Hrsg.)
Editorial

Im Sommer 2015 publizierte ein Team von insgesamt 41 NaturwissenschaftlerInnen unter der Leitung von Mark van Kleunen, Wayne Dawson und dem Wiener Franz Essl einen von der internationalen Presse (z. B. Der Standard 2015; Criado 2015) viel beachteten Artikel in der Zeitschrift Nature (van Kleunen/Dawson/Essl 2015). Bei seiner Untersuchung ging das ForscherInnenteam auf Pflanzentransfers ab dem Ende des 15. Jahrhunderts ein, jenem Zeitpunkt also, ab dem durch die europäische überseeische Expansion die Verbreitung von Pflanzen über weite Distanzen sprunghaft zunahm. Diese Gewächse nennt man Neophyten, also „Neupflanzen“. Auch davor hatten sich Pflanzen mit Hilfe der Menschen verbreitet, doch wanderten sie „nur“ von einer Region in die benachbarte nächste. Gebietsfremde Gewächse, die vor der Entdeckung der Neuen Welt in andere Regionen eingeführt wurden und beispielsweise in Europa den seit der letzten Eiszeit vor ungefähr 10.000 Jahren entstandenen Bewuchs einheimischer oder indigener Arten veränderten, sind auch unter dem Namen Archäophyten, also „Altpflanzen“, bekannt.

Dazu zählten vor allem Pflanzen, deren früheste Form einer wirtschaftlichen Nutzung und Kultivierung am Beginn des als „Neolithische Revolution“ bezeichneten und im 8. Jahrtausend v. Chr. erfolgten Wandels von einer Jäger- und Sammler- zu einer Agrar- und Viehzuchtgesellschaft steht. Ihren Ausgang hatte diese Entwicklung vom sogenannten „Fruchtbaren Halbmond“ aus genommen, jenem halbkreisförmigen Gebiet also, das sich im heutigen Nahen Osten vom Süden Israels und Jordaniens über den Libanon, Syrien und den Irak bis zur Küste des Persischen Golfs erstreckt. Von dort breiteten sich der Anbau von Getreide, aber auch anderer Kulturpflanzen sowie die damit verbundenen Strukturen einer gesellschaftlichen Organisation innerhalb nur weniger Jahrtausende über Teile Asiens, Afrikas und Europas aus. Der Transfer und die Kommunikation bedienten sich natürlicher Verkehrswege, darunter des die drei Kontinente verbindenden Mittelmeers. Letzteres wurde dadurch in weiterer Folge zu einer Art Motor für eine zunächst wirtschaftliche, später auch kulturelle und schließlich sogar vorübergehende (herrschafts-)politische Integration der entlang seiner Kontinentalränder verlaufenden Kontaktzone im Verband des antiken Imperium Romanum. Seine (geo-)politische Fragmentierung im Verlauf des europäischen Mittelalters stellt demgegenüber keine wirkliche Zäsur dar.

Denn bis 1492, dem Jahr der Entdeckung Amerikas, waren alle Pflanzentransfers überschaubar, nahmen dann allerdings sprunghaft zu, zuerst vornehmlich aufgrund der überseeischen Aktivitäten der Spanier und Portugiesen, später auch wegen jener der anderen europäischen Mächte, die überseeische Imperien aufbauten. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts sollten dies vornehmlich die Briten sein, die den globalen Pflanzentransfer zusätzlich beschleunigten. Ähnliches gilt für den globalen Transfer von Tieren. Die Terminologien sind analog. Tiere, die vor 1492, wiederum meist durch menschliche Aktivitäten, anderweitig eingeführt wurden, nennt man Archäozoen, also „Alttiere“, jene nach diesem Datum in andere Weltgegenden verbrachten heißen Neozoen, „Neutiere“. Die zusammenfassende Bezeichnung für Tiere und Pflanzen lautet dementsprechend Archäobiota oder Neobiota.

Der nun schon öfter gefallene Begriff „Transfer“ erweist sich als äußerst vielschichtig. In seiner Grundbedeutung leitet er sich vom lateinischen Verbum transferre (= „von einem Ort zu einem anderen tragen“) ab, in einem übertragenen Sinn wird er heute jedoch weitaus häufiger im Kontext eines finanz- oder währungstechnischen, verkehrslogistischen, zum Teil auch psychopädagogischen und biogenetischen Fachjargons gebraucht. Mit der hier gewählten Verwendung des Begriffs rekurrieren wir bewusst auf dessen ursprüngliche Bedeutung, wobei wir grundsätzlich zwischen zwei Grundformen eines Transfers unterscheiden: Bei der einen handelt sich um einen vorübergehenden Ortswechsel, durch den Pflanzen und Tiere als Handelsware von einem Gebiet in ein anderes geschafft werden, ohne dass daraus weitere Folgen erwachsen. Im anderen Fall wird damit auf Bewegungen Bezug genommen, die – ob intendiert oder nicht – auf eine letzten Endes längerfristige Ansiedelung und damit die Möglichkeit einer weiteren Ausbreitung hinauslaufen. Die beiden Grundformen können auch durch einen auf dem Prinzip von Ursache und Wirkung aufbauenden Kausalzusammenhang miteinander verbunden sein. Auf eine jede der drei Varianten wird auf den folgenden Seiten eingegangen werden.

Die inhaltliche Konzeption des Heftes zielt nicht unbedingt auf einen möglichst vollständigen Überblick über Transfers von Pflanzen und Tieren in der Vergangenheit, deren Verlauf und geographische bzw. globale Dimension ab. Wir wollen unsere Behandlung dieses Gegenstands vielmehr als einen Versuch verstanden wissen, die den Transferprozessen jeweils zugrundeliegenden Faktoren sowie die daraus resultierenden und bis weit in unsere Gegenwart reichenden Folgen anhand ausgewählter Fallbeispiele aufzuzeigen. Aus unserer historisch vergleichenden Perspektive ergibt sich zwangsläufig eine chronologische Zweiteilung, die das Einsetzen einer Interaktion zwischen der „Alten Welt“ Eurasiens und Afrikas auf der einen und der „Neuen Welt“ der beiden Amerikas und Australiens auf der anderen Seite als den markantesten Einschnitt begreift. Sven Tost befasst sich deshalb im ersten von zwei Hauptbeiträgen mit einer Ausbreitung von Kulturpflanzen und Nutztieren in der griechisch-römischen Antike, die einerseits in einer deutlichen Kontinuität zu Ursprüngen und Ent-wicklungspfaden im Alten Vorderen Orient steht, andererseits im euro-mediterranen Raum zwi-schen dem 1. Jahrtausend v. Chr. und dem 1. Jahrtausend n. Chr. eine individuelle Ausprägung erfahren hat. Ergänzt wird dieser Artikel um eingeschaltete Grundlagentexte von Johannes Hackl und Reinhard Pirngruber zu den Voraussetzungen und Anfängen dieser vormodernen „Globalisierung“ im vorder- und mittelasiatischen Raum. Der zweite, von Friedrich Edelmayer verfasste Hauptbeitrag schlägt dann ausgehend von der „Kolumbianischen Wende“ Ende des 15. Jh. einen Bogen zu dem bis in die Gegenwart andauernden und von sowohl exotischen als auch „klassischen“ Spezies getragenen transglobalen Wandel unserer Pflanzen- und Tierwelt. Abgerundet wird dieses Themenheft mit einem fachdidaktischen Angebot von Friedrich L. Adomeit, das sich den interkulturellen Kontakten zwischen dem kaiserzeitlichen Imperium Romanum und dem chinesischen Reich der Han-Dynastie widmet.

Kehren wir abschließend noch einmal zur eingangs erwähnten Studie zurück: Deren AutorInnen konstatieren, ausgehend von der aktuellen Situation, dass ab 1492 um die 13.200 Pflanzenarten durch menschliche Aktivitäten in andere und von ihrem Ursprungsgebiet weit entfernte Weltregionen transferiert wurden. Das sind um die vier Prozent aller auf der Erde vorkommenden Gewächse oder so viele, wie in ganz Europa nach dem Ende der letzten Eiszeit ursprünglich heimisch waren. Am meisten betroffen von diesem Prozess ist Nordamerika, wo die meisten neuen Pflanzen eingeführt wurden, während die pazifischen Inseln im Vergleich zu ihrer geringen Landmasse die rascheste Zunahme fremder Gewächse zu verzeichnen hatten. Und insgesamt sollten es vor allem die Pflanzen der nördlichen Halbkugel sein, die in anderen Weltgegenden verbreitet wurden (van Kleunen/Dawson/Essl 2015). Ähnliche Zahlen dürften auch für den Transfer von Tieren gelten. In der folgenden Darstellung sollen diese globalen Pflanzen- und Tiertransfers anhand einiger markanter Beispiele illustriert werden.

Wir widmen dieses Heft unserem kürzlich unerwartet verstorbenen Kollegen Markus Cerman, der mit seinen interdisziplinären Ansätzen gerade auch Prozesse, wie wir sie in den vorliegenden Beiträgen behandeln, mit großem Interesse verfolgt hat. Sein Tod hat uns nicht nur tief getroffen, sondern bedeutet für die Wissenschaft einen unersetzbaren Verlust. Wir hoffen, mit dieser Publikation seinem Andenken ein wenig gerecht werden zu können.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Friedrich Edelmayer – Sven Tost
Editorial
(S 2–3)

Sven Tost
Der Transfer von Kulturpflanzen und Nutztieren in der griechisch-römischen Antike
(S 4–26)

Johannes Hackl
Nutzpflanzen im Alten Orient und Asien: Domestizierung und Verbreitung
(S 7–13)

Reinhard Pirngruber
Nutztiere im Alten Orient und Asien: Domestizierung und Verbreitung
(S 19–22)

Friedrich Edelmayer
Der globale Transfer von Pflanzen und Tieren in der Neuzeit
(S 27–36)

Fachdidaktik

Friedrich L. Adomeit
Welt- und Vernetzungsgeschichte zur Zeit der europäischen Antike.
Die Verbindungen zwischen dem Imperium Romanum und dem chinesischen Han-Reich
(S 37–43)

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